Shakespeares Zauberspiel im schönen Wunderland – Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder inszeniert in Frankfurt/Main den „Sommernachtstraum“

Von Bernd Berke

Frankfurt. Wer die neueste Inszenierung des Dortmunder Schauspielchefs Guido Huonder sehen will, muß an den Main pilgern. Huonder bringt – mit Dortmunder Regieteam und Frankfurter Schauspielern – Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf die Bühne des Bockenheimer Depots.

Huonder knüpft somit Verbindungen, die auf eine Gast-Option hinauslaufen könnten, falls es mit dem Wechsel von Dortmund nach Leipzig nicht klappt. Noch dazu trifft er beinahe auf ein Vakuum: Die Frankfurter werden ihrer Bühnen nicht mehr recht froh, das Haus hat an Renommee verloren. Schon vorab sieht sich auch der künftige Leiter des Schauspieis, der aus. Bonn kommende Peter Eschberg, herber Kritik ausgesetzt.

„Ein Sommernachtstraum“ also. Bekanntlich nicht irgendein Stück, sondern eine der reichsten Komödien der Weltliteratur und allemal eine große Bewährungsprobe. Zuletzt hatte Hansgünther Heyme den Zauber des Liebens und „Ent-Liebens“ zur Wiedereröffnung des Grillo-Theaters in Essen inszeniert – samt Puffmutter und Transvestiten.

Nichts dergleichen bei Huonder. Er zeigt nicht das Monströse, sondern das Märchenhafte. Das originelle, spieldienliche Bühnenbild (Gerd Herr) gleicht einer überdimensionalen „Laubsägearbeit“. Die Holzverschalung hat vorgestanzte Durchlässe – für einen Baum in wechselnder Traumbeleuchtung, für Überraschungs-Auftritte und Effekte wie Lichtgewitter.

In dieser Arena sieht man Szenenbilder fast wie aus dem Weihnachtsmärchen. Sonne, Mond und Sterne. Bunt, lieb, poetisch auch. Shakespeare im Wunderland. Und „Puck“, der Troll (Michael Schlegelberger), als ferner Verwandter von Disney-Figuren. Hier kann es nicht animalisch und lasziv zugehen. Eigentlich dreht es sich auch weniger um die Wechselspiele erotischer Liebe, als um das unbedingte, ziellose (und daher so wandelbare) Habenwollen und Begehren der Kindheit. Das muß nicht nur niedlich sein, es kann elementare Schrecknisse bergen.

Tatsächlich sind die jungen Paare wie große Kinder kostümiert. Während Oberon/Titania recht blaß bleiben, dürfen die Jungen richtig toben, trampeln, spucken, brüllen, hauen; auch die Mädchen Hermia und Helena, die erst per Heirat als Zuckerpüppchen domestiziert werden.

Huonder läßt uns kaum in tiefere Abgründe des Stücks blicken, nur feine Haarrisse tun sich da auf. Er erfindet jedoch fast durchweg detailgenaue und dann desto leichteren Sinnes in den Irrwitz kreiselnde Szenen. Besonders die Gruppe der Handwerker (herrlich als „Zettel“: Giovanni Früh) mit ihrem Stück im Stück bekommt Sonderapplaus. Da theatert das Theater so theaterhaft vor sich hin, daß man die Schwerkraft vergessen könnte.

Immer wieder geht es auf der Bühne im Kreis herum: zu Fuß, mit Fahrrädern, zu Pferde. Das hat etwas von Karussell und Kirmes. Geradezu karnevalistisch mit ihrem derben Spaß am Reim: die Übersetzung von Frank Günther, die streckenweise zum Klamauk verführt. Die Schauspieler, die trefflich bis vortrefflich agierten, erhielten rauschenden Beifall. Als Huonder die Bühne betrat, legten ein paar entschlossene Buhrufer los, die aber von noch mehr Bravos ausgekontert wurden.




„Strukturwandel auch für die Kultur nutzen“ – Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder im Rundschauhaus

Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder (4. von links) im Kreise von Rundschau-Redakteuren. (WR-Bild: Franz Luthe)

Eigener Bericht

Dortmund. (bke) Der Strukturwandel im Revier habe auch ein Bewußtsein für die Wichtigkeit von Kultur geweckt: „Dieses neuerwachte Bewußtsein müssen wir nutzen, um den Politikern klarzumachen, daß Kultur kein freiwilliger Geschenkartikel, sondern eine Pflichtaufgabe ist.“ Das sagte Dortmunds Schauspielchef Guido Huonder bei einem Redaktionsbesuch im Dortmunder Rundschauhaus.

Huonder, dessen Ensemble bundesweit gefragt ist und bei mehreren renommierten Festivals die Stadt repräsentiert (heute, Samstag, 20 Uhr, gibt’s im Dritten TV-Programm die Dortmunder Fassung von Taboris „Mein Kampf“ beim NRW-Theatertreffen), erklärte sich im Kampf gegen Etatkürzungen „total solidarisch mit den anderen Revier-Theatern“, denn „im Ruhrgebiet gibt es kein einziges Theater zuviel“. Der gebürtige Schweizer ist da fürs: „Kantönlidenken“: „In der Schweiz ist jede Stadt stolz, daß sie alles hat.“

Früher 45 Ensemblemitglieder, heute nur noch 25

In Dortmund, so Huonder, habe man zuerst die bittere Erfahrung gemacht, die nun z. B. auf Essen zukomme. Die in Dortmund vor Jahren veranlaßten Einschnitte „werden jetzt erst eigentlich spürbar“. 1975 habe das DO-Ensemble noch aus rund 45 Schauspielern bestanden, heute seien es 25. Folge: So gerne man auf Festivals für die Stadt werbe, so schmerzlich sei es, daß man an den betreffenden Tagen daheim nicht mehr spielen könne. Die Personaldecke sei einfach zu kurz. Huonder: „Ich kann meine Leute nicht auswringen.“ Ohnehin müsse man „am Rande der Ausbeutung“ arbeiten: „Unsere Erfolge sind ein Ding von Arbeit und Maloche“.

Die oft als Spar-Chance erwogenen Kooperationen mit anderen Bühnen brächten erfahrungsgemäß gar keine Einsparungen, sondern sogar Mehraufwand. Eine zentralisierte Werkstatt für mehrere Revier-Theater könne hingegen sinnvoll sein. Weitere Konsequenz der Festival-Verpflichtungen sei ein höherer Erwartungsdruck. Es sei aber eine Qualitätsgrenze erreicht, die mit den jetzigen Mitteln nicht überschritten werden könnc.

Gerne mal einen Widerhall aus Politikermund hören

Der gute überregionale Ruf ist hochwillkommen, aber: „Ich bleibe gern auf dem Teppich“. Allerdings, so Huonder, würde er gerne öfter mal einen Widerhall der Erfolge aus Politikermund hören. „Das würde etwas in der Öffentlichkeit bewirken“. Viele Politiker hätten aber immer noch nicht gemerkt, daß „Kultur eine feste Größe ist, die man eigentlich gar nicht anrühren darf.“

Man müsse eben endlich weg von der Diskussion, ob Kultur nötig sei, und lieber darüber reden, welche Kultur man wolle. Denn: „Kultur ist der Humus einer Stadt“. In einer der reichsten Nationen der Welt müsse doch einfach das Geld dafür vorhanden sein. Vorsicht sei jedenfalls beim Anzapfen mäzenatischer Geldquellen geboten. Im Erfolgsfall könnten Politiker versucht sein, die Kulturschaffenden vollends auf private Geldgeber zu verweisen.

Theatermann vermißt ein übergreifendes Konzept

Huonders rhetorische, bislang noch zu verneinende Frage: „Gab’s einmal ein kulturpolitisches Konzept in Dortmund?“ Der Theatermann träumt jedenfalls von einem solchen Konzept, das – gleichsam eine große Inszenierung auf der „Bühne Stadt“ – die gesamte örtliche Kultur einbezieht und bündelt, aber dennoch das Einzelne, Individuelle „zum Blühen bringt“.

Auch zum Bochumer Musical-Unternehmen „Starlight Express“ äußerte sich Huonder. Er glaubt – „wenn wir gutes Theater machen“ – nicht an Besucherschwund in Dortmund, fürchtet aber eine „Amerikanisierung“, die als Vorbild in Politiker-Köpfen spuken könnte. „Starlight“ das sei bloße Importware ohne rechte Ecken und Kanten – „und ohne Revier-Power“.