Ultimativer Frohsinn auf der Bühne – das Westfälische Landestheater gibt die Komödie „Taxi Taxi“

Szene mit Barbara Smith (Franziska Ferrari), Polizeiinspektor Porterhouse (Burghard Braun) und dem verunglückten John Smith (Mario Thomanek, von links) (Foto: Volker Beushausen/Westfälisches Landestheater)

Szene mit (von links) Barbara Smith (Franziska Ferrari), Polizeiinspektor Porterhouse (Burghard Braun) und dem verunglückten John Smith (Mario Thomanek). (Foto: Volker Beushausen/Westfälisches Landestheater)

Falls es stimmt, dass es im Theater um so lustiger zugeht, je ernster die Lage „draußen“ ist, leben wir in schlimmen Zeiten. Jedenfalls, wenn der Blick auf die neueste Produktion des Westfälischen Landestheaters fällt. Mit Ray Cooneys krawalliger Boulevardkomödie „Taxi Taxi – Doppelt leben hält besser“ setzt das Theater einen ultimativen Maßstab in Sachen Bühnenheiterkeit. Und dabei kann eigentlich niemand behaupten, er habe Geschichten wie die des Londoner Taxifahrers John Smith noch nie gehört.

John Smith – den Mario Thomanek, das kann getrost schon hier gesagt werden, mit sportlichem Körpereinsatz ganz hinreißend gibt – lebt mit zwei Frauen in zwei Ehen in zwei Londoner Stadtteilen. Natürlich dürfen die Gattinnen nichts voneinander wissen. Mit exaktem Timing und penibel geführtem Terminkalender hat das bislang funktioniert.

Die ganze filigrane Zeitarchitektur aber bricht zusammen, als John, eine heldische Tat ja eigentlich, einen Streit schlichten will, verletzt wird, ins Krankenhaus kommt – und beide treu sorgenden Gattinnen ihn bei der Polizei als vermisst melden. Zwei Inspektoren begeben sich auf die Suche nach dem Verschollenen, doch obwohl dieser bald wieder auftaucht, nimmt das Desaster nun unaufhaltsam seinen Lauf.

Mrs. Smith (Franziska Ferrari, links) und Bobby Franklyn (Emil Schwarz), der nette schwule Nachbar von oben (Foto: Volker Beushausen/Westfälisches Landestheater)

Tür auf, Tür zu

Aus dem Motiv finaler Destabilisierung vermeintlich ganz alltäglicher Verhältnisse hat der Londoner Boulevard-Autor Ray Cooney (Jahrgang 1932) wiederholt dramatischen Honig gesaugt. „Außer Kontrolle“ heißt folgerichtig sein wohl erfolgreichstes Stück, das ebenso wie hier nun „Taxi Taxi“ nicht mehr und nicht weniger ist als eine fetzige, etwas schwarze Tür-auf-Tür-zu-Komödie.

Irre Tapete

Das Stück lebt von der Gleichzeitigkeit des Unerhörten, was Regisseur Markus Kopf hervorhebt, indem er alles in einem einzigen großen Raum mit irrwitzig gelb und grün bepunkteter 70er-Jahre-Tapete (Ausstattung: Manfred Kaderk) spielen lässt. Zwei Wohnungen in einer – das verwirrt im ersten Augenblick, doch die Irritation verfliegt schnell, macht Platz für intensives, atemloses, komödiantisches Theaterspiel.

Man brüllt

Ein „unkaputtbares“ Theaterstück ist „Taxi Taxi“ (Uraufführung 1983) trotz gut funktionierender Handlungsmechanik allerdings nicht. Mit zweieinviertel Stunden (eine Pause) ist es in Castrop-Rauxel schon recht lang geraten, und die Inszenierung hätte durchaus auch scheitern können. Der Spannungsbogen, den Markus Kopf setzt, schwingt sich früh in große Höhen und entschwindet bald danach in die Unsichtbarkeit. Dann werden viele Sätze in ermüdender Gleichförmigkeit herausgebrüllt, humorvolle Pointen der Vorlage hingegen sterben gleich platzenden Seifenblasen einen stillen Tod. Mary Smith (Svenja Marija Topler), der grausen Wahrheit ansichtig, schreit in den letzten Stückminuten nur noch unartikuliert, was zwar beeindruckt, aber von geringer Aussagekraft ist.

Gespräch mit der anderen Gattin, von links: Mary Smith (Svenja Marija Topler), Kumpel Stanley Gardener (Mike Kühne) und John Smith (Mario Thomanek) (Foto: Volker Beushausen/Westfälisches Landestheater)

Wunderbares Ensemble

Wenn „Taxi Taxi“ am Westfälischen Landestheater trotzdem ein großer Erfolg ist, wenn es gar zu einem frenetisch bejubelten Ereignis wird, liegt dies zum einen an dem bis zum Ende durchgehaltenen hohen Tempo der Inszenierung, zum anderen jedoch, wichtiger noch, an der hervorragenden Darstellerriege.

Geradezu liebevoll, wenn man so sagen darf, entsprechen sie sämtlich ihren Rollenklischees, Franziska Ferrari als langbeinige Verheißung im kleinen Roten ebenso wie Svenja Marija Topler im Wohlfühl-Sweatshirt. Guido Thurk gibt den biederen Streifenpolizisten Troughton mit einer entwaffnenden Mischung aus Güte und terrierhafter Beharrlichkeit, Burghard Braun, schon physiognomisch eine der stärksten Bühnenerscheinungen hier, ist mit Tweed und Schlips prototypisch der scheinbar grundkorrekte Inspektor Porterhouse.

Mike Kühne, etwas fülliger, weckt das Mitgefühl des Publikums, wenn er als Johns Kumpel Stanley Gardener von einer Extremsituation in die nächste taumelt, Emil Schwarz schließlich, nicht füllig, zelebriert die Tuntigkeit des Nachbarn Bobby Franklyn mit angenehmer Zurückhaltung, kurzum: das eigentliche Theatererlebnis sind bei „Taxi Taxi“ einmal mehr die Schauspieler. Und die Schauspielerinnen, selbstverständlich.

Szene mit (von links) Stanley Gardener (Mike Kühne), John Smith (Mario Thomanek), Mary Smith (Svenja Marija Topler) und Polizeiinspektor Troughton (Guido Thurk) (Foto: Volker Beushausen/Westfälisches Landestheater)

Süße Versuchung

Etwas Mahnendes zum Schluß: Mit Produktionen wie dieser ist das Westfälische Landestheater natürlich auf dem Niveau jener privaten Wanderbühnen angekommen, die mit anspruchsloser Unterhaltung ihr Geld verdienen, mit leichten, manchmal auch derben Produktionen, in deren Mittelpunkt häufig ein ehemaliger Film- oder Fernsehstar agiert.

Leichte Unterhaltung ist keineswegs tabu, auch nicht die schenkelklopfende. Doch muß das WLT, ein Landesinstitut immerhin, bei der Spielplangestaltung auch zukünftig qualitative Distanz wahren und dem klassischen resp. „ernsten“ Repertoire Raum geben. Daß sie das in Castrop-Rauxel können, haben sie mit Goethes „Faust“ oder der Bühnenadaption des Houellebecq-Romans „Unterwerfung“ {beide Male führte Gert Becker Regie) und vielen weiteren Produktionen längst bewiesen.

  • Termine:
  • 2., 3., 4., 6.5. Castrop-Rauxel
  • 22.9. Hameln
  • 28.10. Marl
  • 16.11. Solingen
  • 4.12. Bocholt
  • 12.12. Lünen
  • 13.12. Hamm



Der Fleck muss weg – das Westfälische Landestheater holt den Tatortreiniger vom Fernsehen auf die Bühne

Tatortreiniger Schotty Schotte (Guido Thurk) hat für die professionelle Blutfleckentfernung alles dabei (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Tatortreiniger Schotty Schotte (Guido Thurk) hat für die professionelle Blutfleckentfernung alles dabei. (Bild: WLT/Volker Beushausen)

„Tatortreiniger“ ist gewiss kein Beruf wie jeder andere. Aber andererseits doch auch. Wenn Schotty Schotte, bepackt mit großen und sehr professionell wirkenden Aluminiumboxen bei Frau Hellenkamp klingelt und zermürbende Überzeugungsarbeit leisten muss, um vorgelassen zu werden, dann könnte er ebenso der Klempner sein oder der Postbote. Da ist ein Job so ätzend wie der andere.

Als Fernseh-Tatortreiniger musste der Schauspieler Bjarne Mädel solche Kämpfe durchfechten. Im Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel hat Ensemblemitglied Guido Thurk die Rolle übernommen. Hier, wenn man so sagen darf, schnuppert der Tatortreiniger nun Theaterluft.

„Richtiges“ Theater

Folgt der Kino- und der Literaturadaption im Theater nun also die Fernsehadaption? Es gehört ja zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit, dass viele Bühnen – das WLT ist da eine löbliche Ausnahme – alles lieber zu spielen scheinen als die Stücke, die Schriftsteller für das Theater schreiben oder schrieben. Doch hier trügt der Schein. Die drei Episoden der Serie „Der Tatortreiniger“, die Ralf Ebeling inszeniert hat, stammen sämtlich aus der Feder von Mizzi Meyer und werden hier – in der NDR-Mediathek kann man es mit den dort gespeicherten Folgen abgleichen – Wort für Wort vorlagengetreu auf die Bühne gestellt. Richtiges Stücke-Theater also, fast wähnt man sich gerührt.

Ein Werk von Mizzi Meyer

Mizzi Meyer übrigens ist, man ahnte es, ein Künstlername. Im wirklichen Leben heißt sie Ingrid Lausund , ist Hausautorin und Regisseurin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo sie mit Stücken wie „Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner“ (2009) oder „Trilliarden“ (2017) Bekanntheit erlangte. Sie hat sämtliche 31 Folgen des „Tatortreinigers“ geschrieben, die zwischen 2011 und 2018 ausgestrahlt wurden.

Die komplette Besetzung (von links): Mario Thomanek, Guido Thurk, Vesna Buljevic und Franziska Ferrari.  (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Boulevardeskes Vergnügen

Sofa, Stühle, Teppich, Schreibtisch – in der naturgemäß sparsamen kammerspielhaften Möblierung eines Tourneetheaters (Ausstattung: Jeremias H. Vondrlik) nehmen die Dinge ihren Lauf, wobei das unerhörte Nebeneinander von alltäglicher Banalität und abgründigem Gruselschauer nur mäßig Präsenz zeigt.

Wenn Schotty erkennt, dass Frau Hellenkamp (Vesna Buljevic) den Einbrecher vermittels Golfschläger zum Tode gebracht haben muss, andererseits aber die Aussicht auf einen Maserati Quattroporte als Bestechungsgeschenk die Strafverfolgung wohl vereiteln wird, dann ist das über längere Strecken vor allen Dingen pointensicher gespielte Sitcom, wie man sie gern etwas häufiger auf den Bühnen sähe – jedenfalls, wenn es so gut gemacht wird wie von dieser vierköpfigen Bühnenmannschaft, zu der neben Thurk und Buljevic auch Franziska Ferrari und Mario Thomanek gehören.

Unübersehbar liegt das Boulevardeske ihnen allen, darstellerische Spielfreude blitzt hervor, der Abend ist vergnüglich und kurzweilig. Und von Guido Thurk, der als Titelheld naturgemäß die größte Bühnenpräsenz hat, wusste man noch gar nicht, dass er so ein überzeugender Hamburger Junge mit Witz und Verstand sein kann.

Özgür Heiko Hansen

Die zweite Episode „Özgür“, dreht sich (ein bisschen zu lange) um die Wahl des richtigen Namens für das Kind einer Hochschwangeren. Özgür will sie ihn nennen, Özgür Hansen, was Schotty nicht so gut findet, wegen zu befürchtender Diskriminierung. Trotzdem kommen sich die beiden in ihrer heftigen Diskussion näher, und schließlich zieht Schotty recht zufrieden ab, weil der zweite Vornahme des Knaben Heiko sein soll. Heiko, wie Schotty in Wirklichkeit auch heißt. Gerufen wurde der Tatortreiniger übrigens, weil es in einem Zimmer der Pension Hansen einen Doppelmord gab, eine Beziehungstat.

Als Hamburger Junge ohne Abitur (wie es im Stück an einer Stelle heißt), aber mit großer Menschenkenntnis macht Guido Thurk eine überzeugende Figur. (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Schotty ist sich nicht sicher

Die dritte Episode nach der Pause dieses knapp zweieinhalbstündigen Abends schließlich heißt „Sind Sie sicher?“ und folgt einem veränderten Schema. Während Schotty bisher Beobachter und Deuter der Verhältnisse war, wird er nun zum Opfer. Herr Grimmeheim, Chef eines Consulting-Unternehmens, hat die gnadenlose Steigerung der Arbeitseffizienz von Mitarbeitern sozusagen zu seinem Hobby gemacht. Nun schüchtert er Schotty ein und macht ihn glauben, auch er werde – im Auftrag seines Chefs – evaluiert, veranlasst ihn zu gleichermaßen bizarren wie entwürdigenden Tätigkeiten. Natürlich bricht diese Konstellation bald ein, trotzdem wirkt sie künstlicher gesetzt als die anderen. Sei’s drum; die sportliche Entschlossenheit, mit der Guido Thurk sich an die Bewältigung unsinniger Aufgaben gibt, ist auf jeden Fall beeindruckend.

Besser als Fernsehen

Der frenetische Beifall im ausverkauften Studio beantwortete auf seine Art die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines auf der Bühne inszenierten Fernsehstoffs. Großartiges Spiel echter Menschen, die Nähe zum Publikum und der völlige Verzicht auf verfremdende Elemente schaffen hier einen auratischen Mehrwert, gegen den der Fernseher verblasst. Und es beschleicht einen der Wunsch, im Westfälischen Landestheater weitere Stücke der Autorin Mizzi Meyer/Ingrid Lausund zu erleben.

www.westfaelisches-landestheater.de

  • Termine (Auswahl):
  • 14.2. Lüdenscheid, Kulturhaus
  • 19.2. Rheine, Stadthalle
  • 20.2. Warendorf, Theater
  • 23.2. Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
  • 25.2. Dorsten, Realschule
  • 26.2. Lünen, Heinz Hilpert-Theater
  • 15.3. Marl, Theater
  • 16.3. Siegen, Apollo-Theater
  • 17.3. Hamm, Kurhaus



Hitler als Liebling der Medien: „Er ist wieder da“ im Westfälischen Landestheater

Der Gedanke ist zugegebenermaßen ziemlich absurd, aber als Phantasiespiel nicht ohne Reiz: Wie wäre es, wenn Hitler wieder auftauchte? Wenn er nach 70jährigem Dornröschenschlaf in einer deutschen Gegenwart erwachte, in der es türkische Zeitungen und Comedians gibt und niemand Respekt vor dem Führer hat? Der Autor Timur Vermes hat dieses Spiel vor einigen Jahren in seinem Romanerstling „Er ist wieder da“ gewagt. Jetzt hat das Westfälische Landestheater in der Regie von Gert Becker daraus ein vorwiegend vergnügliches Bühnenstück gemacht und in Castrop-Rauxel uraufgeführt.

er_ist_wieder_da_-_foto_3__volker_beushausen_

In Pose: Guido Thurk als Hitler 1 (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Der Zeitungshändler, bei dem dieser merkwürdige Bärtchenträger in seiner abgeranzten, nach Benzin stinkenden braunen Uniform auftaucht, hält ihn für einen Comedian, für einen genialen Hitler-Imitator, der nie aus der Rolle fällt. Er vermittelt ihn an die Agentur „Flashlight“, und eine steile Karriere nimmt ihren Lauf. Jede Woche ist Hitler im Fernsehen zu sehen, seine Klickzahlen im Netz sind atemberaubend, „Youtube-Hitler – Fans feiern seine Hetze“ titelt die Zeitung mit den ganz großen Buchstaben. Bald schon erhält er (Achtung! Satire!) den Grimme-Preis, seit Loriot war kein Humorist so beliebt wie Adolf Hitler.

Und es bleibt nicht bei den im sattsam bekannten martialischen „Führer“-Duktus gehaltenen Reden. Wenn Hitler das NPD-Büro in Köpenick aufsucht und den Vorsitzenden wegen unvölkischer Gesinnung und einem indiskutablen Bekenntnis zur Demokratie vor laufender Kamera zusammenstaucht, feiert das Volk der Medienkonsumenten dies als Protestaktion gegen Rechts; und als er schließlich von Neonazis beschimpft und zusammengeschlagen wird, fliegen ihm endgültig die Herzen der Menschen zu. Es wird Zeit, das gut zweistündige Stück mit seinen monströsen Hitler-Phantasien zu beenden, was nun dankenswerterweise auch recht abrupt geschieht.

er_ist_wieder_da_-_foto_10__volker_beushausen_

Hitler 1 (Guido Thurk, links) und Hitler 2 (Burghard Braun). (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Doch das mulmige Gefühl, das sich trotz der zahlreichen eingebauten Lacher schleichend einstellte, will nach der letzten Szene nicht recht weichen. Vieles von dem, was Timur Vermes erzählt, könnte sich tatsächlich so abspielen in der Mechanik unserer stets gebannt auf Quote und Umsatz starrenden Medienwelt. Oder spielt es sich, die Frage steht im Raum, nicht auch so schon ab? Gibt es nicht längst schon diese Stars in Comedy und Talkshows, die reden dürfen, wie immer sie wollen, so lange sie nur Quote bringen, von Mario Barth bis Harald Schmidt?

Gewiss, das Grauen über den millionenfachen rassistischen Mord der Nazis und ihres „Führers“ findet in der Inszenierung seinen Platz, was auch zwingend sein muss. Gleichwohl hat Vermes’ Hitler, der darauf besteht, wirklich Hitler zu heißen und Hitler so gut nachmachen kann, dass man glaubt, er wäre Hitler, mit der historischen Person wenig zu tun. Er wird gezeichnet als komische Figur, als Sonderling mit Realitätsverlust, von dem keine politische Gefahr ausgeht. Es sei denn, skrupellose Rampensäue übernähmen die Macht. So wie vor mehr als 80 Jahren? Es zählt fraglos zu den Qualitäten dieser wüsten Geschichte, dass sie ihr Publikum wiederholt und scheinbar spielerisch auf die zentralen Fragen stößt, die die Nazi-Zeit uns hinterlassen hat: Wie konnte es dazu kommen und wie lässt sich eine Wiederholung verhindern?

er_ist_wieder_da_-_foto_5__volker_beushausen_

Ein respektloser Zeitungshändler (Bülent Özdil, links), zwei Hitler. (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Die Inszenierung leugnet nicht, dass sie vom Buch abstammt, und besetzt den Hitler doppelt. Guido Thurk ist Hitler 1, der die braune Uniform trägt und in den Szenen mitspielt. Burghard Braun hingegen trägt zivil, ist Hitler 2 und spricht verbindende Texte zwischen den Szenen, irritierenderweise in der Vergangenheitsform. Von welchem historischen Punkt aus blickt er zurück, könnte man sich fragen. Thurk grimassiert und rollt die Augen, Braun pflegt die beherrschte Pose, beides kennt man vom historischen Vorbild. Und beide Schauspieler sind famose „Führer“-Darsteller. In zahlreichen weiteren Rollen sind Julia Gutjahr, Samira Hempel, Vesna Buljevic, Thomas Tiberius Meikl, Bülent Özdil und Thomas Zimmer zu sehen, die einige Male stärker überspielen, als für dieses Stück nötig wäre.

Elke König schließlich schuf das Bühnenbild, eine erkennbar aus Holz gefertigte Betonlandschaft mit Türen, Rampe und Tisch. Nur in einer Nische erfährt es ab und an Veränderungen, die zu den Szenen passen. Mal taucht hier eine der vielen „Spiegel“-Titelseiten mit Hitler-Titelgeschichte auf, mal der Tramp Charlie Chaplin, der die Albernheit des „Führer“-Gehabes zu dessen Lebzeiten schon unübertrefflich entlarvte und für Menschlichkeit warb. Die konzentrierte Ausstattung ruft ins Bewusstsein, dass dieses Theater oft auf Reisen geht und dafür kompakte Kulissen braucht. Die nächsten Stationen dieser Produktion sind Rheine, Bocholt und Hamm.

Viel herzlicher Applaus für Darsteller und Inszenierung.

________________________________________

Termine: 5.2.2015, 19.30h Rheine, Stadthalle
6.2.2015, 20.00h Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
13.2.2015, 19.30h Hamm, Kurhaus
14.2.2015, 19.30h Witten, Saalbau
18.2.2015, 20.00h, Lünen, Heinz-Hilpert-Theater
14.3.2015, 19.30h Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
14.4.2015, 19.30h Bottrop, Josef-Albers-Gymnasium.

Ticket-Hotline 02305 / 9780 20

www.westfaelisches-landestheater.de




Gar hübsch schnurrt die Mechanik ab – Molières „Der eingebildet(e) Kranke“ am Westfälischen Landestheater

Von Bernd Berke

Castrop-Rauxel. Neue Stufe der Gesundheitsreform: Einfach nicht mehr zu den Ärzten gehen, sondern auf die Selbstheilungskräfte der Natur vertrauen. Behandlungen und Medikamente richten sowieso nur Schaden an.

Nein, nein, das ist kein neuer Sparvorschlag voll Minister Seehofer, sondern so legt es uns bereits der Dramatiker Jean Baptiste Molière (1622-1673) nahe. Sein Stück „Der eingebildet(e) Kranke“ hatte jetzt zum Saisonauftakt am Westfälisehen Landestheater (WLT) Premiere.

Man spielt die moderne Übersetzung von Tankred Dorst, und die setzt mit den Verbesserungen just schon beim Titel an: „Le malade imaginaire“ heißt nun auf Deutsch nicht mehr „Der eingebildete Kranke“, sondern „Der eingebildet Kranke“. Kein Arroganter also, der krank ist, sondern ein Mensch, der sich lediglich einbildet, krank zu sein.

Genug der Spitzfindigkeiten. Unverwüstlich ist das Drama jenes allzeit jammerndenArgan (Hubert Schedlbauer), der seine Tochter partout mit dem lachhaft steifen Nachwuchsmediziner Thomas Diafoirus (Guido Thurk) verheiraten will, nur damit Papa stets über einen Leibmedikus für seine tausend Zipperlein verfügt. Am Ende bringt das schlaue Dienstmädchen Toinette (Vesna Buljevic) alles ins rechte Liebeslot.

Die erprobte Ansammlung „dankbarer“ Rollen läßt sich selbst mit gebremsten Kräften halbwegs unterhaltsam auf die Bühne bringen. Hypochonder, Geizhälse und scheinheilige Erbschleicherinnen wird s halt immer geben.

In Castrop-Rauxel ist die winzige, fast puppenhafte Szenerie mit goldenem Rahmen eingefaßt wie ein kostbares, schier unantastbares Gemälde. Und tatsächlich: So recht beherzt traut man sich – unter der Regie von Lothar Maninger – nicht an diesen Klassiker der Typenkomödie heran. Es sieht so aus, als habe man uns jegliche Überraschung ersparen wollen. Und so schnurrt das Ganze sehr brav mit der hübschen Mechanik einer Spieluhr ab. Gerafftes Röckchen hier, gravitätisches Staksen da. Die zwischenmenschlichen Beziehungen als höchst berechenbares Räderwerk.

Auf Tiefenschärfe wird nahezu ganz verzichtet, man hat den Figuren lediglich ein paar Attribute beigegeben, mit denen sie sich in wohlfeilen Slapstick flüchten können. Der Notar wankt als Balancekünstler mit meterhohem Bücherturm herein, der als Gesangslehrer verkleidete Liebhaber Cléante (Ulrich Mayer) trägt eine Note auf dem Jackett und darf immer mal wieder einen Opernarien-Kiekser von sich geben. Argan selbst tapert – Söckchen aus, Söckchen an – deppenhaft zwischen medizinischen Fußbädern, Fläschchen, Bettpfannen und Klistieren herum. Der Komik entbehrt all das nicht, doch es ist nur der halbe Spaß. Und ein kurzer: Nach eindreiviertel Stunden (Pause eingerechnet) ist’s vorüber. Keine abendfüllende Sache, weder zeitlich noch sonst.

Termine: 14. September (Castrop-Rauxel), 25. Sept. (Mülheim), 21. Okt. (Hamm). Karten: 02305/1617.