Krimi-Kult am Sonntag: Vor 50 Jahren wurde der erste „Tatort“ gesendet – Jubiläums-Doppelfolge aus Dortmund und München

Heute, 29. November, um 20.15 Uhr (und danach in der Mediathek) zu sehen: erster Teil der Jubiläums-Doppelfolge mit den „Tatort“-Teams aus Dortmund und München – hier eine Szene mit (v. li.) Peter Faber (Jörg Hartmann), Ivo Batic (Miroslav Nemec), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Franz Leitmayr (Udo Wachveitl). (Bild: WDR / Frank Dicks)

Der 29. November 1970 sollte in die Fernsehgeschichte eingehen – aber das war damals noch alles andere als klar.

Die Idee des Fernsehredakteurs Gunther Witte, eine gemeinsame Krimi-Reihe der ARD-Fernsehanstalten unter dem Titel „Tatort“ zu produzieren, stieß zunächst auf wenig Interesse. Als das Projekt schließlich doch genehmigt wurde, war die Zeit zu knapp, um die ersten Folgen zu produzieren. Der Auftakt der Serie, „Taxi nach Leipzig“, war daher ein vom NDR bereits fertiggestellter Film.

Der frühere WDR-Fernsehspielchef und Tatort-Erfinder Gunther Witte beim Fototermin anlässlich des Jubiläums „40 Jahre Tatort“ 2010 in Hamburg vor dem Logo der meistgesehenen Krimireihe im deutschen Fernsehen. (Bild: ARD/Thorsten Jander)

Darin ermittelt Hauptkommissar Paul Trimmel aus Hamburg in einem deutsch-deutschen Mordfall. Der Schauspieler Walter Richter verkörpert den cholerischen Einzelkämpfer, bei dem Zigaretten und Cognac stets in Reichweite waren, zwischen 1970 und 1982 in elf „Tatort“-Folgen.

Der erste eigens für die Serie produzierte Film war „Kressin und der tote Mann im Fleet“ mit Sieghardt Rupp als Zollfahnder Kressin, ausgestrahlt am 10. Januar 1971.

Ein Straßenfeger der Siebziger

Schon bald zeigten die Zuschauerquoten, dass Wittes Konzept aufgehen sollte: markante Typen als Ermittler im Mittelpunkt der jeweiligen Folgen, realitätsnahe Fälle, regionale Verankerung im Sendegebiet der beteiligten Anstalten und ausgeprägtes Lokalkolorit. In den siebziger Jahren war der „Tatort“ mit seinem bis heute kaum veränderten Vorspann und seiner Titelmelodie von Klaus Doldinger ein „Straßenfeger“. Bis zu 25 Millionen Zuschauer saßen am Sonntagabend vor der Mattscheibe. Der Stuttgart-Krimi „Rot – rot – tot“ mit Curd Jürgens in einer Hauptrolle belegt den bisher nicht mehr erreichten Spitzenplatz: Am 1. Januar 1978 fieberten 26,57 Millionen Zuschauern mit, ob Kommissar Lutz (Werner Schumacher) die vermeintliche Mordserie an rothaarigen Frauen aufklären könne.

Nach Einführung des Privatfernsehens Mitte der achtziger Jahre sanken die Einschaltquoten. Dennoch gehört der „Tatort“ nach wie vor zu den meistgesehenen Fernsehserien in Deutschland. Zwischen sieben und über dreizehn Millionen Zuschauer werden pro Folge erreicht. „Fangschuss“ mit dem Ermittlerteam aus Münster erzielte 2017 mit 14,56 Millionen das beste Ergebnis seit 1992, als die Hamburger Episode „Stoevers Fall“ 15,86 Millionen Menschen vor die Flimmerkiste lockte.

Dortmund, Duisburg, Essen

Derzeit sind für den „Tatort“ 21 Teams sowie die beiden Einzelgänger Felix Murot in Wiesbaden (Ulrich Tukur) und Ellen Berlinger in Mainz und Freiburg (Heike Makatsch) in den Abgründen der Kriminalität unterwegs: Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) haben seit 2016 das norddeutsche Revier rund um Hamburg übernommen; in München traten Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) das Erbe des Ur-Kommisars Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) an, der 1972 seinen Einstand mit „Münchner Kindl“ gegeben hatte.

In Dortmund bewegen sich Jörg Hartmann als psychisch belasteter Hauptkommissar Peter Faber, Anna Schudt als seine Kollegin Martina Böhnisch, die junge, ehrgeizige Nora Dalay (Aylin Tezel) und der Neuling Jan Pawlak (Rick Okon) in den Spuren der legendären Ruhrgebiets-Kommissare Horst Schimanski (Götz George) in Duisburg und Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) in Essen – beide gehören zu den beliebtesten Kommissaren der „Tatort“-Serie.

Der WDR lädt anlässlich des 50. „Tatort“-Geburtstags zum Wiedersehen mit Kult-Kommissar Horst Schimanski. Links Thanner und Schimanski (Eberhard Feik und Götz George) im unbearbeiteten Original der Folge „Duisburg-Ruhrort“, rechts die restaurierte und colorierte Nachbearbeitung in HD. (Bild: WDR/Bavaria/ D-Facto Motion)

Felmy wies in einem Interview darauf hin, dass bereits in der Figurenentwicklung versucht worden sei, Haferkamp ein bisschen persönlichen Background zu geben, damit der Kommissar für die Zuschauer nicht allein als Ermittler, sondern als Mensch interessant würde. Seine Vorliebe für Frikadellen habe er sich selbst ausgedacht. Sie mache die Figur „einfach liebenswerter, lebenswerter, menschlicher“. In 20 Fällen führte Haferkamp zwischen 1974 und 1980 ins damals noch typische Ruhrgebiets-Essen.

Die Schimanski-Folgen sind schon zur Zeit ihrer Erstausstrahlung Kult gewesen: Götz Georges unvorschriftsmäßige Eskapaden, seine rüde Sprache und seine Wutausbrüche, seine sensibel-nachdenklichen Momente und sein unwiderstehliches Lächeln, wenn er es mit einer schönen Frau zu tun bekommt, sind genauso legendär geworden wie die Schwerindustrie-Kulisse des Duisburg der frühen achtziger Jahre. Nicht zu vergessen Eberhard Feik als Christian Thanner, der so einige der chaotischen Aktionen von „Schimi“ wieder zurechtrückt.

Frauen als Ermittlerinnen gibt es übrigens erst seit 1978, als Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller in Mainz – für nur drei Fälle – ihre Arbeit aufnahm. Bis heute mit von der Partie ist Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, die für ihr Debüt als „Die Neue“ am 29. Oktober 1989 in Ludwigshafen ihren Dienst angetreten hat. Heute gibt es nur noch fünf männliche Teams und – in Wiesbaden – Ulrich Tukur als Einzelkämpfer Felix Murot.

Kommissare als Persönlichkeiten

Das bisher jüngste Team hat im April 2020 einen der Ur-Schauplätze des „Tatort“ übernommen: Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) haben in Saarbrücken in „Das fleißige Lieschen“ lange zurückreichende Verstrickungen entwirrt. Auch sie lassen die Zuschauer an ihrer persönlichen Geschichte und ihren individuellen Prägungen teilhaben – ein Konzept, das wohl für den anhaltenden Erfolg der Serie mitentscheidend ist: Das Interesse reicht über die Psychologie von Täterfiguren und ihre Beziehungsgeflechte hinaus. Die Kommissare rücken als Persönlichkeiten in den Mittelpunkt. Die Zuschauer kommen ihnen nahe, können ihre innere Entwicklung, ihre Probleme und Macken, ihre Stärken und Schwächen miterleben.

Aus der Schimanski-Folge „Schicht im Schacht“ von 2008: Noch am Tatort befragen Hunger (Julian Weigend, l.) und Hänschen (Chiem van Houweninge, m.) Heinz Budarek (Walter Gontermann, r.), ob er etwas gesehen hat. (Bild: WDR/Uwe Stratmann)

Die heftigen Diskussionen über die einzelnen „Tatort“-Folgen auf social-media-Kanälen wie Facebook und Twitter oder Internetseiten wie www.tatort-fans.de oder www.tatort-fundus.de zeugen davon, wie die wöchentlichen Krimis auch nach 1146 Folgen die Gemüter ihrer Fans bewegen. Die ARD hat zu „50 Jahre Tatort“ eigene Internet-Seiten erstellt und im Sommer ein Voting in elf Runden veranstaltet. 1.168.000 Stimmen wurden abgegeben, um den Lieblings-„Tatort“ zu wählen. 50 Fälle standen zur Wahl; unter den Gewinnern waren die Dortmund-Folgen „Tollwut“ (2018) und „Kollaps“ (2015).

Das Dortmunder Team hat auch die Ehre, die Jubiläums-Produktion gemeinsam mit den Münchner Ermittlern zu bestreiten: In dem zweiteiligen „Tatort“ geht es um eine italienische Familien-Pizzeria in Dortmund, einen Mörder aus München, Kokain-Geschäfte und die mafiöse „‘Ndrangheta“. Die erste Folge wird am heutigen Sonntag, 29. November um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt, die zweite am 6. Dezember. In der ARD-Mediathek sind die Filme dann noch sechs Monate lang abrufbar.

Der WDR bringt übrigens die 29 „Schimanski“-Folgen 2020 und 2021 zurück ins Fernsehen. Schon jetzt sind in der Mediathek elf Folgen verfügbar, der Klassiker „Duisburg Ruhrort“ allerdings nur noch für fünf Tage.




Ein Anti-Held aus der skeptischen Generation – Der Schauspieler Hansjörg Felmy wird heute 70 Jahre alt

Von Bernd Berke

Seine erste Rolle war in familiärer Hinsicht geradezu pikant: Hansjörg Felmy, damals gerade 18-jähriger Sohn eines Luftwaffen-Generals, betrat 1949 just in Zuckmayers Stuck „Des Teufels General“ die Bühne – in der Rolle eines Arbeiters. Am Beginn seiner Laufbahn stand das militärische Genre oft obenan. Heute wird Felmy 70 Jahre alt.

1956 hatte er sein Kino-Debüt er in Alfred Weidenmanns „Der Stern von Afrika“. Er spielte einen Fliegerleutnant, der keine Neigung zum „Heldentum“ zeigte. Felmy dürfte in jenen Jahren einiges zur Selbsterforschung der Nachkriegsdeutschen beigetragen haben, verkörperte er doch meist Männer, die entweder sarkastisch aufbegehrten (etwa in Kurt Hoffmanns Satire „Wir Wunderkinder“, 1958) oder die selbst in finsteren Zeiten aufrecht geblieben waren. Solche Streifen waren gewiss ehrenwerte Versuche, sich der Vergangenheit zu stellen. Sie entsprachen dem nüchternen Geist der „skeptischen Generation“.

Weitere Filmtitel aus seiner ersten großen Phase lassen ahnen, dass sich Felmy denn doch nicht auf ein Rollenprofil festlegen ließ: „Haie und kleine Fische“ (1957), „Der Greifer“ und „Herz ohne Gnade“ (beide 1958), „Rommel ruft Kairo“, „Buddenbrooks“, „Und ewig singen die Wälder“ (alle 1959), „Die zornigen jungen Männer“ und „Schachnovelle“ (beide 1960).

Unvergessen als Essener „Tatort“-Ermittler Haferkamp

Rückblick: Das Gymnasium in Braunschweig hatte er nur bis zur Mittelstufe besucht. Ab 1947 nahm er Schauspielunterricht. Nach Theater-Stationen in Braunschweig, Aachen und Köln lockte der Film. Hier errang Felmy frühen Ruhm und bekam in den 50er Jahren Traumgagen von bis zu 300 000 Mark. Das Geld dürfte ein Polster gewesen sein, als das deutsche Kino in den 60ern in eine tiefe Krise geriet und kaum noch tragbare Angebote kamen.

Felmy hielt sich seinerzeit auch mit Auftritten in zweitklassigen Streifen (Edgar Wallace-Adaptionen) im Geschäft, ansonsten kehrte er zur (Tournee-)Bühne zurück und trat ab 1966 (Dreiteiler „Flucht ohne Ausweg“) häufiger im Fernsehen auf, wo der wohl prominenteste Part seines Lebens noch auf ihn wartete.

Von 1973 bis 1980 spielte er den Essener Kommissar Haferkamp, einen der besten „Tatort“-Ermittler überhaupt, den man auch heute noch gern in Wiederholungen sieht. 1974 konnte ich Felmy für die WR bei „Tatort“-Dreharbeiten vor damals noch gängiger Hochofenkulisse in Duisburg beobachten. Es war ein relativ kurzer Termin, denn die Szene „saß“ sofort. Seither hat man so manchen Schauspieler gesehen, doch nur ganz wenige waren so professionell und dabei so angenehm uneitel.

Der erste richtige „Single“ im deutschen TV

Eine Spielanleitung brauchte dieser ungeheuer disziplinierte Darsteller kaum. Und so soll er denn auch einigen weniger erfahrenen Regisseuren das Leben recht schwer gemacht haben – wenn der Wählerische überhaupt noch Drehbücher akzeptierte.

In seiner „Tatort“-Rolle kultivierte Felmy vollends seinen Hang zum Understatement, zur sparsamen Geste, zur unaufdringlich-präzisen Charakterzeichnung. Und er war sozusagen der erste richtige „Single“ im deutschen Fernsehen. Die liebevoll ironischen Scharmützel des oft mürrischen Einzelgängers mit seiner Geschiedenen (Karin Eickelbaum) sind TV-Legende, ebenso wie der immergleiche Popeline-Mantel des Kommissars oder seine Vorliebe für Frikadellen und klaren Schnaps. Er war ein Anti-Held des Alltäglichen, von Melancholie umflort.

Zuletzt sah man Felmy in Mittelklasse-Produktionen wie „Abenteuer Airport“ (1990-93) und „Hagedorns Tochter“ (1994). Mit seiner zweiten Ehefrau Claudia Wedekind lebt er zurückgezogen in Bayern und Nordfriesland. Das Rauchen mag er trotz ernster Erkrankungen nicht aufgeben: „Ich will und werde mein Leben nicht verändern, nur um es zu verlängern. Wenn ich deswegen früher sterbe, habe ich eben Pech gehabt“, zitiert ihn eine Nachrichtenagentur. Vernünftig klingt das nicht. Aber es ist ein Standpunkt.