Wahn und Wirklichkeit: „Englischer“ Opern-Doppelabend in Duisburg

Ein Ort unheimlicher Vorgänge ist der Leuchtturm in Peter Maxwell Davies‘ Oper am Theater Duisburg. Auf dem Bild Roman Hoza (Blazes/2. Offizier), Sami Luttinen (Arthur/3. Offizier), Adrian Dwyer (Sandy/1. Offizier). (Foto: Anne Orten)
Peter Maxwell Davies dürfte gewusst haben, worüber er schreibt: Der Komponist lebte bis zu seinem Tod 2016 auf den Orkney-Inseln. Er kannte die Nächte, in denen der Sturm ums Haus heult, der Regen prasselt, das Meer brüllt. Oder wenn Nebel bleiern und grau alle Geräusche in unheimlicher Dämpfung erstickt, die Schwärze der Nacht sich mit den Ausgeburten der eigenen Phantasie zu monströsen Ängsten verbindet.
Der „Leuchtturm“ ist so ein Ort, dessen massive Mauern kühn den Elementen trotzen, ohne dem Menschen in seinem Innern Schutz geben zu können – Schutz vor den Gespenstern in der Seele, Schutz vor dem Unberechenbaren im Anderen, Schutz vor der „Bestie“ des eigenen Wahns oder des Meeres – wer weiß?
Davies‘ Kammeroper „The Lighthouse“, 1980 beim Edinburgh Festival uraufgeführt, 1984 in Gelsenkirchen nachgespielt und bis in die 2000er-Jahre vielfach neu inszeniert, spielt mit solchen Ängsten. In bester englischer Gruselgeschichten-Tradition berichtet sie vom rätselhaften Verschwinden dreier Leuchtturmwärter, ein historischer Fall aus dem Jahre 1900, als ein Versorgungsschiff ein Leuchtfeuer auf den äußeren Hebriden verlassen vorfand. Der Fall blieb ungeklärt, die Umstände des Verschwindens der Männer mysteriös.
So wenig damals eine Erklärung gefunden wurde, so wenig löst sich das Geschehen in den 75 Minuten Oper. Trieb jemand oder etwas die Männer in den Wahnsinn? Erhob sich gar die von den Wärtern beschworene unheimliche Bestie im Sturm aus dem Meer, ein Loch-Ness-Ungeheuer der Nordsee? Wurden sie Opfer ihrer eigenen Wahnvorstellungen, der Gespenster aus ihrem Unterbewusstsein? Brachten sie sich gegenseitig um, getrieben von den Furien ihrer Vergangenheit? Kamen sie in der kochenden Sturmsee ums Leben? Oder waren die Offiziere des Schiffes an ihrem Verschwinden nicht schuldlos? Deren Aussagen sind widersprüchlich und unklar. Sie scheinen mehr zu wissen als sie aussprechen. Davies‘ Libretto ist ein Meisterstück, in seiner unheimlichen Vieldeutigkeit vergleichbar mit „The turn of the screw“ von Henry James, auf dem Brittens gleichnamige Oper basiert – ebenfalls ein Stück, bei dem man vor Gespenstern nicht sicher ist.
Eine herausfordernde Aufgabe für Haitham Assem Tantawy, der die 75minütige Oper als ersten Teil eines Doppelabends inszeniert. Er hat sich für sein Regiedebüt an der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg das geheimnisvolle Stück gewünscht, das er während seines Studiums in Karlsruhe kennengelernt hatte. In „The Lighthouse“ fasziniert ihn, wie ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis mit Mythos, Tiefenpsychologie und Philosophie verbunden wird. „Davies hat eine Tür aufgemacht für das Übernatürliche, auch für die inneren Traumata der drei verschwundenen Leuchtturmwärter.“ Zudem spielt die Prophezeiung der Tarot-Karten im Stück für seine Inszenierung eine Rolle. Doch auch Tantawy lässt das Ende rätselhaft offen.
Emotionale Kraft, ausgeprägte Theatralik

Debüt an der Rheinoper: Dirigent Killian Farrell. (Foto: Andrew Bogard)
Mit dem zweiten Teil des Abends hat „The Lighthouse“ erst einmal nichts zu tun – außer, dass beide Stücke von englischen Komponisten stammen: Henry Purcells „Dido and Aeneas“ ist rund 300 Jahre früher entstanden. Für den Dirigenten des Abends ein reizvoller Kontrast: Killian Farrell, in Irland geboren, sieht nicht nur das Meer als gemeinsames Element. „Je mehr ich mich mit den Stücken beschäftige, desto mehr Verbindungen finde ich. Beide Opern sind in ihrer Komposition sehr auf das Drama konzentriert, beide haben eine große emotionale Kraft und eine ausgeprägte Theatralik.“ Farrell ist auch begeistert von der Bühne von Matthias Kronfuß: „Sie reflektiert die Innenwelt und setzt viele fantastische Effekte klug und reizvoll ein.“ Das sei wichtig für das Stück mit seiner atmosphärischen, geräuschhaft malenden, psychologisch vertiefenden, aber auch sperrigen, nicht äußerlich illustrierenden Musik. Killian Farrell, seit 2023 Generalmusikdirektor am traditionsreichen Staatstheater Meiningen, debütiert mit dem Doppelabend an der Deutschen Oper am Rhein.
Begegnung im Computerspiel

Dido und Aeneas in der virtuellen Welt: Morenike Fadayomi (Zauberin), im Hintergrund Charlotte Langner (Geist) und Anna Harvey (Dido). (Foto: Anne Orten)
„Dido and Aeneas“ ist für Regieassistentin Julia Langeder ebenfalls die erste selbständige Inszenierung an der Rheinoper. Sie erzählt die Geschichte aus dem trojanischen Sagenkreis als heutige: Dido und Aeneas treffen sich in einer virtuellen Welt. „Ich habe mich schwer getan mit dem Gedanken, dass sich eine so starke Frau und Königin wie Dido aus Liebeskummer umbringt.“ So fragt Langeder, was heutige Gründe für einen Suizid sein können, und findet Depressionen, psychische Erkrankungen, aber auch Hass und Mobbing im Netz. „So kam ich über Cybermobbing und unsere wachsende Abhängigkeit von der virtuellen Welt auf die Idee, die Begegnung der beiden Menschen in einem Computerspiel ‚Karthago‘ stattfinden zu lassen. Beide Figuren sind bei Vergil ja auch von den Göttern fremdgesteuert, ähnlich wie Avatare im Computerspiel. Dido und Aeneas treffen sich in meiner Inszenierung nie in der Realität.“
Die Premiere des „englischen“ Doppelabends mit „The Lighthouse“ und „Dido and Aeneas“ findet am Freitag, 7. Februar, 19.30 Uhr im Theater Duisburg statt. Weitere Vorstellung gibt es am 9. Februar (15 Uhr), 21., 23. Februar, 2. März (15 Uhr) und 5. März 2025. Tickets unter (0203) 283 62 100 oder im Internet unter www.operamrhein.de