Aluminium in Duisburg, Videos in Essen – die Installationen der Ruhrtriennale

Die Kunst kann jetzt besichtigt werden. Man darf sogar auf ihr gehen, rennen, hüpfen und – bei hinreichender Körperbeherrschung – tanzen. Der Grund ist schwankend, genauer: federnd: „Melt“, so heißt die Arbeit, besteht aus 50 Aluminiumplatten, die auf einer durablen Federung lagern und aneinander verlegt einen 70 Meter langen Weg ergeben.

Der Weg befindet sich zum größten Teil unterhalb der stillgelegten Hochöfen auf dem Hüttengelände im Landschaftspark Duisburg Nord, weshalb er etwas dunkel ist und auch tagsüber von Scheinwerfern bestrahlt wird. Hier spürt man in den Worten des Künstlerduos Rejane Cantoni und Leonardo Crescenti, das gern auch etwas griffiger als „cantoni crescenti“ zeichnet, die „vibes“, die „communication“, den „sound“, und natürlich ist das alles „very social“.

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„Melt“ (Foto: Leonardo Crescenti/Ruhrtriennale)

Tja.

Eindrucksvoll ist diese Arbeit ganz ohne Frage. Das verbaute Material dürfte einen beträchtlichen Wert haben (Achtung! Metalldiebe!), und ob es die Laufzeit (!) der Triennale bis 28. September ohne Blessuren übersteht, muß sich noch zeigen. Das wäre jedenfalls der Beweis für eine hervorragende technische Qualität dieser Konstruktion.

Der arglose Flaneur indes könnte die Installation unter dem gigantischen Stahlkorsett der rostigen Hochöfen glatt übersehen, würden nicht Schilder und Menschenmassen von ihrer Existenz künden. Wenn er sie dann doch betritt und sein Gleichgewicht suchen muß, läßt ihn das langgestreckte Aluminiumgebilde spontan an eine Hüpfburg denken, an eine aufgeblasene Bereicherung sommerlicher Kinderfeste. Nur sind die dank der Materialien Luft und Plastik deutlich leiser.

Fraglos jedoch gehören Scheppern und Donnern des Aluminiums mit zum künstlerischen Konzept der federnden Laufbahn, und grundsätzliche Gedanken über einen gültigen Kunstbegriff und die zeitgenössischen Weitungen desselben wollen wir uns verkneifen. Wenn wir aber standhaft akzeptieren, daß dies ohne Wenn und Aber ein Kunstwerk ist, bleibt doch eine gewisse Beklommenheit angesichts des Aufwands, der hier getrieben wurde.

Einwenden könnte man jetzt natürlich, daß andere soziale Kunstwerke viel teurer kommen, man denke nur an das Denkmal für die deutsche Einheit, das in Berlin (unter anderem unter Mitwirkung der Choreographin Sascha Waltz) entstehen sollte und aus einer Art Wippe besteht, die das Publikum durch Gewichtsverlagerung bewegen kann. Auch so ein beglückendes soziales Erlebnis; allerdings ist mittlerweile fraglich, ob das Berliner Millionenprojekt noch realisiert wird.

Doch den federnden Alusteg mit Namen „Melt“ gibt’s in Duisburg wirklich. Ein Jeder und eine Jede mögen selber urteilen, der Eintritt ist frei.

 

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Nicht eine – viele Filmeinstellungen versammelt Harun Farockis Arbeit „Eine Einstellung zur Arbeit“ im Folkwang-Museum. (Foto: Achim Kukulies/Ruhrtriennale)

Zu sehen ist jetzt auch die Videoarbeit „Eine Einstellung zur Arbeit“ des jüngst verstorbenen Film- und Videokünstlers Harun Farocki und seiner Frau Antje Ehmann, und der Titel ist von feinem Doppelsinn. Filmemacher aus der ganzen Welt filmten Männer und Frauen in Stahl-, Bau- oder Textilindustrie, Wachpersonal, Museumswärter und so fort. Sie lieferten kurze Filme (maximal zwei Minuten Länge) ab, 450 an der Zahl. Die Filme durften nicht geschnitten sein, sind somit in der Sprache der Filmleute jeweils „eine Einstellung“.

Nun sieht die deutsche Sprache für das Wort Einstellung aber auch die Bedeutung von Haltung, Wertschätzung vor, was dem Projekt seine qualitativen Valeurs verleiht. Wenn im abgedunkelten Ausstellungsraum des Essener Folkwang-Museums auf zehn Leinwänden die Zweiminutenfilmchen in bunter Reihenfolge laufen, stellen sich beim Betrachter gegenläufige Empfindungen ein. Der serielle Charakter des Gezeigten verstärkt den Eindruck der Gleichförmigkeit, die Gleichzeitigkeit des Gezeigten hebt dessen Vielfalt hervor. Die Botschaft des ganzen allerdings bleibt verhalten. Und ähnliches hat man häufig schon gesehen, übrigens auch von Farocki.

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Die Choreographie „Levée“ von Boris Charmatz läuft im Folkwang-Museum als Videofilm von César Vayssié. (Foto: Ruhrtriennale)

„Levée“ schließlich ist ein Videofilm, der bei der Ruhrtriennale 2013 entstand. Auf der Halde Haniel in Bottrop führte das Musée de la danse die Performance „Levée des confits“ des Choreographen Boris Charmatz auf, der Filmemacher César Vayssié filmte. Es entstand ein Video aus Luft- und Bodenaufnahmen, das nun in einem separaten Saal des Folkwang-Museums gezeigt wird und hübsch anzusehen ist. Tänzerinnen und Tänzer sind in ununterbrochener Bewegung und vollführen Posen und Gebärden, wie man sie aus dem Tanztheater kennt, gestikulieren, werfen sich in den Staub, fegen Sand und so weiter. In den Luftaufnahmen scheint sich die Gruppe gegen den Uhrzeigersinn zu bewegen, „Entwicklung“ im dramatischen Sinn indes ist nicht auszumachen – anders als beim geradezu schon klassisch zu nennenden Tanzstück „Le sacre du printemps“ (Frühlingsopfer) von Igor Strawinsky, das das nämliche Opfer nicht überlebt. Das inszeniert, wie berichtet, Romeo Castellucci unter Verzicht auf menschliche Darsteller mit Knochenmehl.

www.ruhrtriennale.de




RuhrTriennale: Tanz-Skulptur auf der Halde

Levée des conflits / Ruhrtriennale

Levée des conflits / Ruhrtriennale

Das Stück beginnt, und nach wenigen Minuten haben die Zuschauer oben im Amphitheater auf der Halde Haniel in Bottrop alles gesehen. Das können sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen. Erst mit zunehmender Dauer von Boris Charmatz‘ Choreografie „Levée des conflits“ (Die Aufhebung der Konflikte) erahnt man das Prinzip, begreift die Struktur im vermeintlichen Chaos.

Der französische Tänzer und Choreograf, der schon vor einem Jahr bei der Ruhrtriennale mit seinem Mensch-Maschine-Stück „enfant“ für Aufsehen sorgte, lässt die 24 Tänzer diesmal kein Stück in klassischem Sinne aufführen. Es gibt weder Thema noch Handlung, keine Entwicklung und kaum tänzerische Interaktion. Vielmehr bildet Boris Charmatz eine kinetische Skulptur. Er schafft mit tänzerischen Mitteln ein Stück bildender Kunst auf der Bühne – ein Perpetuum Mobile aus einem festgelegten Bewegungskanon, der von den Tänzern zeitversetzt ausgeführt wird.

Es beginnt mit einer Tänzerin. Sie setzt sich auf das mit Rasen ausgelegte Bühnenrund und streicht weit ausholend übers Gras, als würde sie sich einen Schlafplatz zurechtmachen. Etwa eine Minute später die nächste Figur: Sie streckt den Hintern gen Luft und schiebt ihn nach links und rechts wie eine Katze. Eine Minute später steht sie und schlägt, beide Armen vor- und rückschleudernd, auf Brust und Rücken zugleich. Eine Minute, dann folgt ein maschinenähnliches Hantieren mit unsichtbaren Geräten, das einem nicht zu durchschauenden Ziel folgt.

Minütlich folgen weitere Bewegungsabläufe, und längst sind weitere Tänzer in Straßen- oder Sportkleidung auf die Bühne gekommen. Ohne erkennbar Notiz voneinander zu nehmen, führen sie die gleiche Abfolge aus, jeder in seinem Tempo, jeder in seinem Stil – bis zwei Dutzend Tänzer gleichzeitig auf der Bühne sind. Sie rollen und winden sich über den Boden, hüpfen und springen, drehen sich um die eigene Achse, lassen sich zu Boden werfen und wieder aufhelfen, fließen weich wie eine Welle durch den Bühnenraum und scheinen alle Möglichkeiten auszukosten, ihn mit dem eigenen Körper zu erkunden. Dazu läuft eine Sound-Collage: Mal sind es HipHop-Fetzen, mal avantgardistische Neue Musik, mal industrielle Geräusche, mal alles zugleich.

Irgendwann scheinen sich die Tänzer wie zufällig zu formieren: Es zentriert sich ein strudelartiges Knäuel in der Mitte, dann am Rand. Obwohl jeder für sich arbeitet, bilden sie doch erkennbar ein Ganzes. Es braucht seine Zeit, diesen irgendwann sogar meditativen Rhythmus zu erkennen und es letztlich zu genießen, seine Augen in dem Strudel treiben zu lassen, der ständig wiederkehrende und doch neue Bilder produziert.

Die nötige Muße dazu kam allerdings wetterbedingt nur schwerlich auf. „Das Stück ist sowieso chaotisch, aber heute Nacht ganz sicher“, hatte Charmatz vor Beginn mit Blick auf das Wetter angekündigt. Der leichte Regen wurde im Laufe des Stücks immer heftiger, so dass die Compagnie des „Musée de la Danse“ aus Rennes sich am Ende entschloss, die Aufführung etwas abzukürzen. Dankbarer, dennoch begeisterter Applaus.




Zuerst die Musik, dann die Worte – das neue Programm der Ruhrtriennale

Heiner Goebbels, neuer Intendant der Ruhrtriennale. Foto: Triennale

Wenn der Intendant eines internationalen Festivals von Haus aus Komponist ist, kann es kaum verwundern, dass die Musik eine Hauptrolle im Programm spielt. Wie bei der Ruhrtriennale, deren Leitung Heiner Goebbels für die nächsten drei Jahre übernommen hat. Die Vorstellung seiner ersten Spielzeit hat nun beredtes Zeugnis davon gegeben. Oper, Konzert und Tanz stehen im Mittelpunkt. Und selbst die Theaterproduktionen entbehren kaum des Tönenden.

Goebbels ist im Ruhrgebiet kein Unbekannter, vielmehr – indirekt zumindest – ein Pionier all dessen, was sich die Triennale auf die Fahnen geschrieben hat. Denn seine Musik wurde von den Bochumer Symphonikern schon in der Jahrhunderthalle, also einer einst industriell genutzten Spielstätte, aufgeführt, als noch niemand an ein Festival mit ungewöhnlichen Aufführungsorten und Programmen jenseits des Mainstreams dachte.

Inzwischen hat sich die Triennale etabliert, wechselt alle drei Jahre der Intendant, und mit ihm ändern sich die Schwerpunkte. Goebbels sagt: „Uns geht es um die radikale Erneuerung des Musiktheaters. Dem Publikum wird Unerhörtes geboten, nicht das Repertoire der regionalen Bühnen. Wir wollen eine Kultur von allen für alle. Deshalb werden viele Mitwirkende aus dem Ruhrgebiet kommen.“

Begonnen wird mit einem Revolutionär unter den Komponisten, John Cage. Dessen „Europeras I/II“ sind in Goebbels Regie zu sehen. Ein musikalisches Konglomerat aus 64 Arien der europäischen Operngeschichte, geordnet nach dem Zufallsprinzip. Die Inszenierung in Bochums Jahrhunderthalle arbeitet mit 32 verschiedenen Bühnenbildern.

Carl Orffs „Prometheus“ folgt, in der Duisburger Kraftzentrale; ebenfalls ein Werk, das man auf gängigen Spielplänen vergeblich sucht. Ein „Sprach-Musik-Drama“ nennt Goebbels die Oper, deren Archaik sich schon durch die Besetzung mit einem 20köpfigen Schlagwerkensemble erschließt. Ähnlich perkussiv dürfte es auf der Halde Haniel in Bottrop zugehen – einer neuen Spielstätte –, wenn dort die japanische Gruppe Boredoms, verstärkt um Drummer aus der Region, Klangekstasen in die Nachtluft senden.

Der Blick auf den Tanz führt etwa zur Produktion „enfant“ für drei Maschinen, neun Tänzer und eine Gruppe Kinder in der Jahrhunderthalle oder zur Uraufführung der Performance „Le Sacre du Printemps“ des Choreographen Laurent Chétouane (Spielort PACT Zollverein).

Die Veranstaltungen, die unter der Rubrik Theater subsumiert sind, lassen nur selten die Musik außen vor. So ist „Life and Times – Episode 2“ eigentlich eine Musicalperformance des „Nature Theater of Oklahoma“ (PACT Zollverein). Romeo Castelluccis „Folk“ wiederum, zwischenmenschliche Formen wie Gemeinschaft, Trennung und Isolation diskutierend, arbeitet mit Bewegungsritualen und will die Grenzen zwischen Akteuren und Publikum aushebeln. Doch auch hier geht es nicht ohne Musik (von Scott Gibbons; zu sehen in der Gebläsehalle Duisburg).

Hinzu kommen klassische (Kammer)-Konzerte, Publikumsgespräche und Symposien. Das Thema „No education“ bezieht Kinder auf witzig-verspielte Art ins Programm ein. Sie werden sich alle Produktionen ansehen und am Schluss Preise vergeben – in selbst gewählten Kategorien. Tatkräftige Hilfe erhalten sie von der kanadischen Forschungsgruppe „Mammalian Diving Reflex“.

Dem Urteil der Jury dürfen wir ebenso gespannt entgegensehen wie dem Gesamtprogramm. Intendant Heiner Goebbels hat zwar auf ein übergeordnetes Thema verzichtet, doch trifft der Titel eines Opernlibrettos des 18. Jahrhunderts wohl den Kern: „Prima la Musica, poi le parole“. Zuerst die Musik also. Goebbels, darauf angesprochen, denkt nach und verweist auf den russischen Regisseurs Wsewolod Meyerhold.  Dessen Credo war: „Das Wichtigste … wofür ich kämpfe, ist die Untermauerung des Schauspiels mit einem musikalischen Fundament“.

 

Alle Einzelheiten zum Programm finden sich unter http://www.ruhrtriennale.de