Varusschlacht: Phantombild der Antike

Das ist nun mal wirklich ein „runder“ Gedenktag: Vor 2000 Jahren (also 9 n. Chr.) schlug der germanische Cheruskerfürst Arminius („Hermann“) den römischen Feldherrn Varus – irgendwo in den heute niedersächsischen oder westfälischen Gegenden rings um den Teutoburger Wald.

Das heißt: Es war selbstverständlich kein bloßer Zweikampf, sondern eine massenhafte Schlacht zwischen den jeweiligen Gefolgsleuten, vulgo Soldaten (die ja immer dran glauben müssen, wenn mächtige Herrschaften ihren Namen „für alle Zeit“ vergolden wollen). Womit der erforderlichen political correctness halbwegs Genüge getan wäre.

Unerhört für die damalige Weltmacht Rom: Gegen die vermeintlich wüsten „Barbaren“ aus dem Norden verlor man gleich drei Legionen – eine Schmach, die man südlich der Alpen und westlich des Rheins nicht wahrhaben wollte.

Jetzt soll ein schier unüberschaubarer Ausstellungsreigen gleich an drei Orten (Haltern am See, Detmold und Kalkriese) das historische Ereignis wachrufen, so gut es eben geht. Eine leitende These richtet sich gegen altgediente Klischees. Ganz knapp und knackig gefasst: Varus war beileibe kein Depp oder geborener „Loser“, und Arminius war zwar offenkundig listenreich (bis hinterhältig), doch keinesfalls ein makelloser Held nach Art eines „David gegen Goliath“.

Überhaupt zogen die Germanen gegen die überlegenen Römer immer wieder nur deshalb zu Felde, um schlichtweg Beute zu machen, um zu plündern und zu brandschatzen. Sie betrieben – wie man heute weiß – eine „Raub-Ökonomie“. Kein schmeichelhafter Zug der Altvorderen, fürwahr.

Haltern skizziert mit hochinteressanten Funden und sonstigen Schaustücken das ungeheure Anschwellen und Aufblühen des altrömischen Imperiums („vom Dorf zur Weltmetropole“) und behält dabei nach Möglichkeit stets die Biographie des Publius Quinctilius Varus (geboren 47 v. Chr.) im Blick. Dies kann allerdings – trotz aller Ausgrabungserfolge und Deutungsschläue – buchstäblich nur in Bruchstücken geschehen.

Die rund 300 aufwändig inszenierten Exponate in der gründlich umgebauten Seestadthalle (Seitenaspekte sind zudem im örtlichen Römermuseum zu finden) führen zurück in ein „Goldenes Zeitalter“ Roms unter dem Kaiser Augustus.

Varus war Augustus eng verbunden, er absolvierte damals eine fulminante Karriere im Römischen Reich, war 13 v. Chr. Konsul und begleitete Augustus auf heikler diplomatischer Mission (u. a. Verhandlungen mit den Parthern, die im heutigen Iran herrschten).

Münzfunde aus Nordafrika lassen zumindest vage auf Varus’ Physiognomie schließen. Populäre Weiterung: Daraus hat das Landeskriminalamt von NRW gar im Museumsauftrag ein Phantombild erstellt, das nun die Ausstellung ziert. Ganz so, als würde hierzulande noch nach Varus gefahndet.

Dieser Varus war zeitweise römischer Statthalter in Syrien. Als solcher regierte er auch ins angrenzende Judäa hinein, wo er Unruhen niederschlug, indem er ungefähr 2000 Aufständische kreuzigen ließ. Davon zeugt ein auf den ersten Blick unscheinbares Vitrinenobjekt. Es ist das Fragment eines Fersenbeins, durch das seinerzeit ein Nagel getrieben wurde. Aus all dem kann man wohl folgern: Varus war durchaus ein mehr als harter Widersacher, wenn es darauf ankam.

Noch so ein verräterisches Detail: Anhand der Inschrift auf einer Bleischeibe (die als eine Art persönlicher „Gepäckanhänger“ diente) konnten Experten nachweisen, dass Varus schon 15 v. Chr. im Alpen-Feldzug jene Legion kommandiert hatte, mit der er rund 20 Jahre später im Teutoburger Wald vernichtend geschlagen wurde.

Funde aus Haltern selbst wiederum bezeugen, dass die Legion 19 (Inschrift auf einem Bleibarren: L XIX) eben hier wenigstens teilweise stationiert war. Jedenfalls wurden auf der Lippe nachweislich auch Luxusgüter wie Wein und Austern zu den römischen Truppen geliefert. Weitere Fundstücke wecken neuerdings Spekulationen, dass Haltern das sagenumwobene Aliso gewesen sein könnte – die wohl letzte rechtsrheinische Bastion der Römer.

In Kalkriese stehen unter dem Schlagwort „Konflikt“ die eigentlichen militärischen Auseinandersetzungen im Brennpunkt, die sich mit Ausläufern bis etwa 16 n. Chr. hinzogen. Man scheut sich auch nicht, nebenher zur fassbaren Verdeutlichung ganze Legionen aus Playmobil-Figuren aufzubieten. Und man glaubt recht felsenfest, in Kalkriese inzwischen genügend Beweise gesammelt zu haben, um einigermaßen schlüssig zu belegen, dass die Varus-Schlacht just hier stattgefunden habe; ein altes Streitthema, das sich (etwa wegen heikler Datierungsfragen) immer noch nicht völlig erledigt hat.

In Detmold schließlich thematisiert man unter der Überschrift „Mythos“ die vielfältigen, nicht selten auch gefährlichen Phantasien, die aus der Schlacht hergeleitet worden sind. Schon der antike Autor Tacitus hatte ja die „deutschen Tugenden“ mutmaßlich zugespitzt und übertrieben, um die dekadenten Römer aufzurütteln.

Oft genug handelte es sich bei uns später um „Helden“-Verehrungen mit arg deutschnationaler („germanischer“) Schlagseite oder sogar mit faschistischer Prägung. So sieht man sich jetzt auch in Detmold veranlasst, den heutigen Frieden im vereinten Europa zu beschwören und gleichzeitig besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen einen etwaigen Missbrauch der Schau zu ergreifen. Traurig genug, dass so etwas nötig zu sein scheint.

Viel lieber reden die Veranstalter des 12 Millionen Euro teuren Dreifach-„Events“ (Schirmherrin: Kanzlerin Angela Merkel, die morgen nach Detmold und Kalkriese zur Eröffnung kommen will) von den touristischen Vermarktungs-Chancen, die sich aus der geballten Kooperation ergeben. An allen Orten insgesamt rechnet man mit exorbitanten 500 000 Besuchern. Allein im doch recht kleinen Haltern kalkuliert man mit mindestens 150 000 Gästen. Damit geriete die Kapazität der Stadt an manchen Tagen an ihre Grenzen. Beinahe schon beängstigend: Schon jetzt sind weit über tausend Gruppenführungen vorgebucht.

Und um also auch diesen Kalauer des Anklangs noch schnell loszuwerden: Ein wahres Fieber, dieses Varus-Fieber.

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Daten und Fakten:

„Imperium – Konflikt – Mythos“. 2000 Jahre Varusschlacht.

Haltern, Seestadthalle (Lippspieker 25) und LWL-Römermuseum (Weseler Straße 100). 16. Mai bis 11. Oktober. Di-Fr 9-18 Uhr, Sa 10-20 Uhr, So 10-18 Uhr. Eintritt 9 € (ermäßigt 6 €).
Kombikarte für alle drei Ausstellungsorte 18 €. Dreibändiger Katalog, Museumsausgabe 59,90 €. Weitere Infos, Buchungen von Führungen: 02364/93 76-38 (Führung oder Audio-Führung unbedingt empfehlenswert).
Internet (auch mit Daten für Detmold und Kalkriese) http://www.imperium-konflikt-mythos.de




Das süße Leben bis zum Wahnsinn – Die Ausstellung „Luxus und Dekadenz – Römisches Leben am Gold von Neapel“ in Haltern

Dass die alten Römer in Luxus und Dekadenz geschwelgt haben, hat man schon gehört. Wenn man jetzt die neue Antikenschau im Römermuseum Haltern besucht, kann man es sich lebhaft ausmalen.

Toll trieben es die alten Römer, jedenfalls die Reichsten. An der Spitze stand unangefochten Crassus mit einem Vermögen von 400 Millionen Sesterzen. Umrechnung zwecklos, doch der Mann dürfte einem heutigen Milliardär vergleichbar sein.

Die Ausstellung „Luxus und Dekadenz” fasst speziell das 2. Jahrhundert v. Chr. in den Blick. Besonders begüterte Römer ließen sich seinerzeit in prächtigen Villen am Golf von Neapel nieder. Tanz beim Vulkan: So manches Bankett am Fuße des Vesuv steigerte sich hier zum Gelage oder zur Orgie mit willigen Hetären und Lustknaben. Opulente Wandmalereien aus Pompeji zeugen davon.

Kulinarisch beladene Schiffchen dümpelten bei solcher Gelegenheit auf Wasserbecken zwischen den „Fress-Liegen”. Da standen auch schon mal so exquisite Leckerbissen wie Siebenschläfer im Honigmantel oder (dies wohl erst in späterer Zeit) Flamingozungen und Papageienhirn auf dem Speiseplan. Auch der sprichwörtlich gewordene Lukullus zählte zu den Villenbesitzern an jenen Gestaden. Er soll einmal bei einem einzigen Bankett 200 000 Sesterzen verprasst haben. Dass sich die Teilnehmer Vogelfedern in den Hals steckten, um hernach den Magen unverdrossen neu zu füllen, ist aber nur eine Legende, die sich freilich hartnäckig gehalten hat. Es war kein Usus, sondern geschah höchstens im Einzelfall.

Vitrine war gestern. Für die aufwändige Schau hat man die 180 Exponate vorwiegend szenisch aufbereitet. Helle und dunkle Zonen gestalten den Rundgang abwechslungsreich. Computergenerierte 3-D-Animationen geleiten den Betrachter kreuz und quer durch die prunkvollen Paläste. Kein fauler Zauber, wie Ausstellungsleiter Herwig Kenzler versichert. Die archäologischen Eckdaten seien stimmig umgesetzt. Allerdings haben die italienischen Trickschöpfer auch Zucker gegeben – bis hin zum romantischen Mondaufgang wie aus dem Fantasy-Film.

An den Wänden prangen mahnende Zitate der altrömischen Intelligenz, die den schamlos zur Schau gestellten Luxus als unmoralisch brandmarkten. Der Philosoph Seneca, der selbst 300 Mio. Sesterzen anhäufte, formulierte zeitlos gültig: „Luxus braucht Bewunderer und Mitwisser.”

Und so ergossen sich wahre Geldströme in künstlerische Gartengestaltung, griechische Plastiken oder sündhaft teures Geschmeide. Nicht nur für Menschen. Betuchte Römer legten riesige Meerwasserbecken zur Fischzucht an. Ökonomisch ein Wahnsinn. Egal. Der Redner Hortensius soll jedenfalls beim Tod seiner Lieblings-Muräne bitterlich geweint haben. Seine Gattin Antonia war derweil nicht knauserig. Sie legte ihrem Favoriten-Fisch Perlenohrringe an. Wie das ausgesehen hat? Ein virtuelles Wasserbecken lässt es ahnen. Darin schwimmt ein bizarres Tier, als wäre es lebendig.

Zahlreiche Originalfunde (Statuen, Brunnenfiguren, Schmuck usw.) wurden eigens restauriert und sind teilweise erstmals außerhalb von Italien zu sehen. Etliches schlummerte bislang in den Depots von Neapel, so etwa ein raffiniertes Badezimmer mit Boiler und Mischbatterie.

Ein „Sklavenbalken” erinnert daran, dass breite Schichten der Bevölkerung die Spesen zahlten. Die Vorrichtung wurde in einer Villa gefunden und diente dazu, unbotmäßige Dienerschaft anzuketten. Die größten Geldscheffler hatten übrigens derart viele Sklaven, dass sie sich abstruse Sonderaufgaben für sie ausdenken mussten. Einige fristeten ihr Dasein sogar als sprechende Terminkalender.

„Luxus und Dekadenz – Römisches Leben am Golf von Neapel”. 16. August bis 25. November.
LWL-Römermuseum, Haltern am See, Weseler Straße 100. Tel.: 02364/93 76-0. Führungen/Museumspädagogik: 02364/93 76-38.
Verlängerte Öffnungszeiten: Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-19 Uhr.
Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Kinder/Jugendliche (6 bis 17 Jahre) 2,50 Euro, Familienkarte 10 Euro.
Katalog 24,90 Euro.
Internet-Informationen: http://www.luxus-ausstellung.de/
Die Schau startet in Haltern. Spätere Stationen: Bremen, Nijmegen (Holland) und München.




Luxus vor dem Untergang – Erstmals außerhalb von Italien: Haltern zeigt antike Funde aus Herculaneum

Von Bernd Berke

Haltern. Man sollte mit Superlativen stets vorsichtig sein, doch dieser hat etwas für sich: Mit einer archäologischen Sensation wartet jetzt das Westfälische Römermuseum in Haltern auf. Grandiose Funde aus Herculaneum, der verschütteten antiken Stadt im Golf von Neapel, sind jetzt erstmals außerhalb von Italien zu sehen. Etliche weitere Leihgaben kommen hinzu. Erst nach dem kleinen Haltern werden Bremen und Berlin die weiteren deutschen Stationen sein.

Herculaneum steht heute längst im Schatten der bekanntlich gleichfalls versunkenen Nachbarstadt Pompeji. Der Ort, über dem sich heute das moderne Ercolano erhebt (was weitere Ausgrabungen erschwert), endete beim Ausbruch des Vesuv am 24. August des Jahres 79 n. Chr. Mit 100 Stundenkilometern donnerten in jener furchtbaren Nacht 400 Grad heiße Lava- und Gesteinsmassen zu Tal und begruben die Stadt mit ihren Bewohnern. Der Badeort unterm Vulkan galt seinerzeit als sommerlicher Treffpunkt der Reichen und Schönen des alten Rom.

Vulkanasche wirkte als „Konservierung“

So makaber es klingt: Die Archäologen haben von der Katastrophe profitiert. Denn mit der Zeit bildete sich aus der Lava eine rund 25 Meter dicke, sehr feste Schicht, die alle Überreste luftdicht konserviert hat. Und so bekommt man jetzt in Haltern staunenswert gut erhaltenen, prachtvollen Schmuck und mythologische Bronzefigürchen ebenso zu sehen wie etwa Wandgemälde und Stücke aus einer Papyrusrollen-Bibliothek oder Marmor-Skulpturen im griechischen Stil (beispielsweise ein Wettläufer-Duo oder allerlei trunkene Götter), mit denen begüterte Römer ihre Villen in Herculaneum zierten. Ja, selbst eine hölzerne Wiege, in der einst ein Baby gestorben sein muss, steht als schmerzliches Mahnmal in der Ausstellung.

Anhand der Funde haben Wissenschaftler viele Schlüsse ziehen können: So war etwa die Hälfte der aufgefundenen, in Haltern als exakte Abgüsse gezeigten Skelette von Arthrose (Krankheit der Gelenke) befallen. Verschleißerscheinungen waren überhaupt weit verbreitet. Die Forscher streiten darüber, ob dies darauf hindeutet, dass es sich um ärmere Bewohner, also um – teils freigelassene – Sklaven handelt. Haben sich manche Reiche retten können, während die Sklaven allesamt starben? Man weiß es nicht.

Pompeji kam erst später an die Reihe: Mit der Entdeckung Herculaneums (1709 durch einen Bauern, der einen Brunnen anlegen wollte) begann recht eigentlich die Geschichte der neueren Archäologie. Von 1738 bis 1768 währte die erste Grabungs-Kampagne, die damals in ganz Europa beachtet wurde. Nicht nur Winckelmann und Goethe ließen sich von der Begeisterung anstecken. Der klassizistische, auf die Antike zurückgreifende Stil setzte sich durch. In Haltern werden solche Folgewirkungen dokumentiert – bis hin zu Meißner Porzellan mit Herculaneum-Motiven und Gemälden vom Ausbruch des Vesuv. E sind Darstellungen zwischen Faszination und Angst.

Stadtpläne, Dia-Schaukästen und eine Computer-Animation führen den Besuchern Herculaneum vor Augen, wie es wohl in seiner Blütezeit gewesen sein mag. Das stattlichste Domizil, die „Villa dei Papiri“, war imposante 250 lang und 80 Meter breit. Und dann sieht man Münzgeld, das mit Lava zu bizarren Klumpen „verbacken“ ist. Ein stärkeres Sinnbild für die Vergänglichkeit irdischer Güter ließe sich schwerlich finden.

„Die letzten Stunden von Herculaneum“. Westfälisches Römermuseum, Haltern (Weseler Straße 100). 21. Mai bis 14. August. Katalog 24,90 €. www.herculaneum-ausstellung.de