Wuchtiges Werk auf schmalem Grat: Max Beckmann in der Hamburger Kunsthalle

Max Beckmann: „Messingstadt“ (1944), Öl auf Leinwand, 115 x 150 cm. (© Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz / © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 – Foto: Tom Gundelwein)

Versteckt hinter einem Vorhang lauert der Künstler und greift mit riesigen Händen nach seinem nackten Modell, das sich wollüstig ergibt und den erotischen „Traum des Bildhauers“ befriedigt.

Nachts stürzt er sich, verkleidet als dunkler „Vampir“, auf eine schlafende Schöne und saugt, während er sie vergewaltigt, das Blut der wehrlosen Frau aus. In der Hülle des mythologischen Stiers wird er zum Tier, erinnert sich an den „Raub der Europa“ und wirft sich das bewusstlose Objekt seiner Begierde über die Schulter: Der Mann als enthemmtes Wesen. Die Frau als wehrloses Opfer. Der Künstler als lüstern lechzender Voyeur und sexueller Triebtäter.

Wenn man nur diese drei mit farblichem Furor und wilder Gebärde auf die Leinwand geworfenen Werke von Max Beckmann betrachtet, kann einem ganz schummrig werden. Niemals käme man auf die Idee, dass sich die 140 Werke umfassende Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle eigentlich um das genaue Gegenteil drehen soll.

Max Beckmann: „Bildnis Käthe von Porada“, 1924, Öl auf Leinwand, 120 x 43 cm, Leihgabe der SEB Bank, Standort: Städel Museum, Frankfurt am Main (© VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / © Städel Museum – Artothek – Foto: U. Edelmann)

Konzept mit Kultur-Quark

Kurioserweise behauptet Kuratorin Karin Schick unter dem Titel „weiblich – männlich“, dass Beckmann nicht nur Geschlechterrollen festschrieb, sondern sie zugleich öffnete: „Er fand Zartheit in Frauen- und in Männerfiguren, Schlagkraft in der Heldin wie im Helden. Fasziniert von den Mythen verschiedener Kulturen, kannte er die uralte Vorstellung, dass Frau und Mann aus einem einzigen, androgynen Geschlecht hervorgingen, nach dessen Einheit man sich auf ewig zurückseht.“ Abgesehen davon, dass das ziemlicher Kultur-Quark ist, sieht man davon in der Ausstellung so gut wie nichts.

Max Beckmann: „Odysseus und Kalypso“, 1943, Öl auf Leinwand, 150 x 115,5 cm (© Hamburger Kunsthalle / bpk / © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Foto: Elke Walford)

„Kriechende Frau“

Ja, es gibt ein paar zart besaitete Frauen-Porträts, kunstfertige Auftragsarbeiten für den Salon der „Käthe von Porada“, „Frau Dr. Heidel“ wird zur zeitlosen Schönheit, seine hoch verehrte Schwiegermutter „Frau Tube“ ins rechte Bild rückt. Aber überwiegend inszeniert sich Beckmann auf unzähligen Bildern und Zeichnungen als selbstverliebter Gockel, geheimnisvoll lächelnd, eine Zigarette in den feingliedrigen Fingern. Die Frauen schmachten ihn an, halten sich fest an ihm, senken brav den Blick, bezirzen ihn mit Laszivität, spielen „Die Erschrockene“, werfen sich ihm als „Kriechende Frau“ vor die Füße. Um zu zeigen, dass Männer auch sensibel sein können, legt Beckmann ihnen manchmal ein Buch in die klobigen Hände oder malt ein paar weiße Blumen an die Wand.

Gewaltbereite Männlichkeit

Die Werke, meint die Kuratorin, „zeigen Selbstbewusstsein, Hingabe und Widerstreit, Macht und Ohnmacht, Freiheitsdrang und Verschmelzung“. Mag sein, vor allem aber zeigen sie den Mann als gewaltbereiten Täter, der hinauszieht in die feindliche Welt und sich nach gewonnener Schlacht gern von einer willigen Schönheit besänftigen lässt. Das schmälert nicht das wuchtige und wirkungsmächtige Werk Beckmanns, das hier in einer großen Fülle zu besichtigen ist. Aber es zeigt doch auch, auf welchem schmalen Grat eine Ausstellung wandelt, die sich ein Thema herbeifantasiert und es dann nicht einlöst.

„Max Beckmann: weiblich – männlich.“ Hamburger Kunsthalle. Bis 24. Januar 2021. Di, Mi, So: 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr, Fr, Sa: 10-20 Uhr. Katalog: Prestel Verlag, in der Ausstellung: 29 Euro, im Handel 45 Euro. www.hamburger-kunsthalle.de

 




Wenn jede Kunst es mit der anderen treibt – Wuppertaler Pop-Institut zeigt in Hamburg Ausstellung über Andy Warhol und „Velvet Underground“

Von Bernd Berke

Hamburg/Wuppertal. Unter der Decke schweben Cassetten-Recorder mit Kopfhörern, beim Aufschlagen eines Buches entfaltet sich eine dreidimensionale Suppendose aus Papier. Fotos zeigen ekstatisch verzerrte Gesichter im Stroboskop-Gewitter, Platten und Plakate animieren zu Rockmusik-Räuschen, es laufen bizarre Filme und Videos. Wohin sind wir denn da geraten? In die ehrwürdige Hamburger Kunsthalle.

Die große Andy Warhol-Ausstellung vor Jahresfrist in Köln war ein Publikumsrenner. In der Euphorie fiel aber kaum auf, daß ein wichtiger Werkaspekt des berühmten Pop-Künstlers total vernachlässigt wurde: seine intensive Beziehung zur Rockszene. Warhol wollte gar, auch weil er auf diesem Feld erhöhte Öffentlichkeit sowie Geschäfte witterte, mit seinen Künstlerkollegen Claes Oldenburg und Jasper Johns selbst eine Rockband gründen, die freilich ein Flop wurde. Seine Zusammenarbeit mit der rockgeschichtlich höchst bedeutsamen Gruppe um Lou Reed und John Cale, „The Velvet Underground“, wurde dann Legende. Genau diesem Thema widmet sich jetzt in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung, die als NRW-Export gelten kann und später u. a. nach Köln wandern soll. Die Exponate stammen überwiegend aus dem Wuppertaler Institut für Popkultur („InPop“), einer bundesweit einmaligen Forschungs- und Sammlungs-Stelle.

Es ist eine Ausstellung der Kreuz- und Quer-Verbindungen, deren Knäuel letztlich nur mit Hilfe des Katalogs entwirrbar ist. „Pop goes Art“ (Pop-Musik nähert sich der Kunst) heißt der Titel, er würde auch umgekehrt stimmen: „Art goes Pop“. Noch verzwickter wird die Sache, weil Warhol und „Velvet Underground“ sich Ende 1965 im Zeichen der amerikanischen „expanded cinema“-Bewegung kennenlernten, so daß auch noch das — im Bann von LSD-Erfahrungen — auf Grenzüberschreitung und Bewußtseinserweiterung gerichtete Avantgarde-Kino ins Spiel der Medienvielfalt kommt. Durch die Person John Cale spielten schließlich Einflüsse von dessen Lehrmeister John Cage, also der fortgeschrittenen „E-Musik hinein. Salopp könnte man sagen: Da trieb es jede Kunst fröhlich mit jeder anderen.

Geradezu kultischen Charakter bekam die Mixtur 1966 mit der von Warhol, Velvet & Co. realisierten MultimediaShow „The Exploding Plastic Inevitable“, die u. a. minimalistische Filmtechniken, Diaprojektion und ohrenbetäubende Musik zu einer irrwitzigen Melange verquickte. Die kommerzialisierte Verschmelzung von Pop und PopArt markiert dann jene Ikone der 60er Jahre, Andy Warhols änzüglich-phallisches Bananen-Cover für die LP „The Velvet Underground & Nico“.

Uwe Husslein (31), Leiter des Wuppertaler Pop-Instituts, der in der Hamburger Kunsthallen-Phonothek einen idealen Partner für die Ausstellungspremiere sieht, will zweierlei erreichen: „Rock-Schauen wie diese könnten neue Besucherschichten ins Museum locken“. Andererseits öffne der Name Warhol wie ein Zauberwort dem Rock die Türen etablierter Museen und rücke diese Musik als ernstzunehmendes Kulturphänomen in den Blick.

Trotz des eingangs erwähnten Aufwands läßt die Schau natürlich nur einen Hauch der Aufbruchstimmung aus den 60er Jahren verspüren. Um solchem Mangel abzuhelfen, gehört zum Rahmenprogramm auch eine multimediale (und drogenfreie) „Rausch-Party“ mit der Ruhr-Rock-Siegerband „Rausch“ aus Köln. Ganz spontan im Hier und Jetzt will man dann womöglich den Geist wiederaufleben lassen, der einst Warhol und die „Velvets“ bei ihren Shows beseelte.

„Pop Goes Art“. Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, direkt am Hauptbahnhof. Bis 3. Februar 1991. Katalog-Box mit Mini-CD, Luftballon usw. 45 DM.