Jede körperliche Regung fließt ins Bild – Aquarell-Werkschau des 80-jährigen Hann Trier in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Wenn der Maler Hann Trier zu Werke geht, so sieht das beinahe aus, als rühre ein Schlagzeuger die Trommeln. In jede Hand nimmt er einen Pinsel und macht sich sozusagen zweifach über Papier oder Leinwand her. Die Vibrationen des Körpers gehen als fein abgestufte Farb-Klänge ins Bild ein. Das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm zeigt nun rund 100 Aquarelle des Mannes, der vor wenigen Tagen 80 Jahre alt geworden ist.

Der gebürtige Düsseldorfer Hann Trier gehört für Kunsthistoriker in die Reihe der großen „Informellen“, die nicht die Nachbildung der Außenwelt, sondern den Ausdruck ihrer Innenwelten im Sinn hatten. Der Hagener Emil Schumacher wird ebenso hinzugezählt wie Bernard Schultze und Gerhard Hoehme, wobei jeder von ihnen ureigene Wege beschritten hat.

Werkausschnitte von Schumacher und Schultze wurden unlängst in Hamm präsentiert. Über den Geburtstags-Anlaß hinaus ist es also ein Zeichen planvoller Kontinuität, wenn nun Hann Trier an die Reihe kommt.

Die Aquarelle, bevorzugtes Medium hauchzart verwehender Farb-Konzerte, werden in solcher Fülle erstmals gezeigt. Die meisten Stücke stammen aus dem sorgsam gehüteten Besitz des Künstlers, befinden sich mithin nicht auf dem Markt und werden so bald nicht wieder zu sehen sein.

Die Exponate reichen von 1946 bis 1986. Seither fertigte Trier kaum noch Aquarelle an. Erst im Vorfeld der Hammer Ausstellung begann er wieder damit. Diese neuesten Arbeiten setzen nun den Schlußakzent. Unmittelbar nach dem Krieg entstanden Bilder, die noch deutlich im Bannkreis des Kubismus und des Surrealismus stehen – Beispiele einer zeittypischen, noch nicht vollends persönlich ausgeprägten Figuration der späten 40er Jahre.

Freude an der puren Schnelligkeit

Der Kontakt zur „Ecole de Paris“ sowie ein längerer Aufenthalt in Süd- und Mittelamerika (1952-55) veränderten sodann die Bildersprache, die nun musikalischer, tänzerischer, duftiger wurde. Als Impuls kam die Faszination maschineller Geschwindigkeit hinzu, die sich hier freilich ganz als körperliche Aktion auslebt: Aus Bildern wie „Windpumpe“ (1950) oder „Schnellbahn“ (1951) spricht keine blinde Technik-Begeisterung, sondern Freude an purer Bewegung und Regsamkeit.

Irgendwann hat der Linkshänder Hann Trier angefangen, den Malgrund beidarmig zu bearbeiten. Daraus erwachsen oft schwebende Beinahe-Symmetrien, eigentümlich fragile Balancen, als sei’s eine munter wispernde Zwiesprache zwischen beiden Bildhälften. Kein Streit jedoch, sondern ein harmonisches Wogen.

Nicht Trend noch Zeitgeist, auch keinem vordergründig politischen Anspruch ist Hann Trier gefolgt, sondern sich selbst. Malen sei für ihn alltäglich wie essen, trinken oder einkaufen, hat er einmal gesagt. Und so entwickelt sich diese künstlerische Sonderwelt denn auch ganz selbstverständlich, ohne Aufhebens.

Nicht von ungefähr erinnern viele Bilder an biologische Formen, an fedrige Gewächse oder ungeahnte Anatomien aus haarfein „gestrickten“ Rippen und Wirbelsäulen. Körper wird Pflanze, diese wird Geist und so fort. Es ist, als habe der auch literarisch hochgebildete Hann Trier die unaufhörlichen mythischen „Metamorphosen“ (Wandlungen) des altrömischen Dichters Ovid vergegenwärtigen wollen. So naturhaft kann Kunst sein.

Hann Trier: „Metamorphose der Farbe. Aquarelle“ – Gustav Lübcke-Museum. Hamm. Neue Bahnhofstraße 9 – direkt am Hauptbahnhof). 6. August bis 10. September, tägl. 10-18, mi 10-20 Uhr, mo. geschlossen. Katalog 45 DM.




Die Leinwand ist der „Tatort“ des Künstlers – Retrospektive über Hann Trier in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Als sein heute hoch gehandelter Schüler Georg Baselitz wegen „obszöner“ Bilder hartnäckig bei der Justiz denunziert wurde, sah Hann Trier buchstäblich „Rot“. Da malte er eine Bilderserie, deren Titel „von Staatsanwälten verstanden werden“ (Trier): „Tatort“, „Lokaltermin“, „In Tateinheit mit Rot“, „Indizienkette“ und „Tatverdacht“. Das war 1963/64, lange bevor es den TV-„Tatort“ gab.

Das Wort weist denn auch weit über kriminologische Bedeutungen hinaus. Hann Trier (75), wichtiger Anreger der Nachkriegskunst im Umkreis des sogenannten „Informel“, nennt die Leinwandfläche eines Bildes überhaupt den „Tatort“ des Künstlers. Bevorzugt beidhändig setzt er dieser Fläche zu. Doch er ist kein Vertreter einer begriffslos zupackenden Aktionskunst, sondern im Gegenteil einer Kunst aus dem Geist der Sprache. Dies macht jetzt mit 75 Exponaten eine Retrospektive in Wuppertal deutlich.

Hann Trier spricht, anders als so viele seiner Kollegen, gut und gern über seine Arbeiten. Kennzeichnend, daß er zwischenzeitlich auf Schrift-Bilder verfiel, in denen einzelne Worte und Ausrufe („Oho!“) sich aus dem abstrakten Urgrund erheben. Doch auch indirekt ist „Schrift“ als Bewegung im Bild präsent. Werke aus den späten 50er Jahren wie etwa „Tageszeitung“ oder „Schlagzeilen“ zeigen Muster, die von fern her an ihre thematischen Ursprünge erinnern. Lineaturen der Schrift, die ja selbst eine hochgradige Abstraktion ist, sind hier zu bildlichen Entsprechungen geronnen.

Anders als die meisten Nachkriegskünstler, bei denen sich die trostlose Trümmerzeit als Finsternis der Farben niederschlug, verfügte Hann Trier schon 1949/50 über eine helle, man möchte beinahe sagen „zukunftsfrohe“ Palette. Dies verstärkte sich, als der Künstler 1952 für einige Zeit nach Kolumbien auswanderte und seine farbenfrohen Bilder vor allem auf Tänze („Mambo I“) bezog. Es sieht aus, als habe der Pinsel Tänze voller Lebenslust vollführt.

Von Schrift und Worten ausgehend, hat Hann Trier die Titel immer sehr bewußt und treffend gewählt: „Augenblick“ (1967) ist tatsächlich ein „überfallartiges“ Bild, das man im Nu ansehen muß, „Aus dem Blick verlieren“ (1967) hat wirklich etwas Abirrendes, beim „Sommernachtstraum“ (1970) taucht eine sündig-rote Augenmaske, bei „Ikaros“ (1982) eine stürzende Flugfigur schemenhaft auf.

Zu den faszinierendsten Bildern zählen eine 1987 entstandene Serie über Figuren der Commedia dell’Arte („Pulcinella“, „Pantalone“ usw.) und das Breitformat „Das Wandern“ (1981). Diese Strecke aus lichten Farbwolken muß man in der Tat abschreiten, um die Wege im Innern des Bildes verfolgen zu können.

Hann Trier. Retrospektive 1949-89. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. – Vom 2. 9. bis 14.10. – Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 42 DM.