Durch die Röhre ins Museum – Gregor Schneiders irritierende Raumplastik in Bochum

Zugegeben: Für ein paar Momente war ich wirklich etwas verunsichert und habe mich gefragt, wie schnell ich wohl aus dieser Röhre wieder herausfinde. 100 Meter können einem recht lang vorkommen. Doch das etwas flaue Gefühl hat sich dann sehr rasch wieder verflüchtigt.

„Ich freue mich, den Haupteingang des Museums zu schließen.“ Diesen seltsamen Satz hatte der international renommierte Künstler Gregor Schneider („Haus U r“) in einer Email an den Ruhrtriennale-Intendanten Heiner Goebbels geschrieben. Ein Museum schließen? Was geht denn da vor?

Man soll das Haus der Kunst jetzt bis zum 12. Oktober durch ein Röhrensystem betreten. Wer sich davor fürchtet, kann freilich auch ein Hintertürchen nehmen. Doch dann versäumt man eine ungewohnte Erfahrung.

Außenansicht: So führt die Röhre ins Bochumer Kunstmuseum. (Alle Fotos: Bernd Berke)

Außenansicht: So führt die Röhre ins Bochumer Kunstmuseum. (Alle Fotos: Bernd Berke)

Das Ereignis, von dem hier die Rede ist, trägt den schlichten Titel „Kunstmuseum“, sorgte heute für einen gehörigen Medien-Auftrieb am Bochumer Museum und dürfte dem weltoffenen Image der Kommune zuträglich sein. Wenn man es sarkastisch sieht, kann sich die Stadt Bochum beim Duisburger Oberbürgermeister Sören Link bedanken.

Link hatte bekanntlich höchstselbst verfügt, Gregor Schneiders Installation „totlast“ am Lehmbruck-Museum abzusagen. Fadenscheinige Begründung: Nach der Katastrophe bei der Loveparade (24. Juli 2010) sei Duisburg immer noch nicht bereit für solche, womöglich Angst auslösende Ereignisse. Dabei ging es hier beileibe nicht um einen gefährlichen Massenauflauf.

Bei der federführenden Ruhrtriennale sah man Links Entscheidung als einen Akt der Kunst-Zensur – und sann auf Abhilfe. Und siehe da: Bochum sprang für Duisburg ein – nicht mit einer Übernahme der „totlast“, sondern mit einer anderen Installation Schneiders.

In einem wahren Kraftakt haben Triennale, Museum Bochum und natürlich Gregor Schneider selbst binnen fünf Wochen dafür gesorgt, dass jetzt eine begehbare Raumskulptur (eben die Röhre) durchs Kunstmuseum Bochum führt. Tatsächlich kann man den Bau nun nicht mehr durch den Haupteingang betreten, sondern wird just durch jenes Röhrensystem geleitet, das Schneider quer durchs Museum gelegt hat.

Nur einzeln oder allenfalls zu zweit darf man die rund 100 Meter lange Röhre (Durchmesser 1,80 Meter) betreten, die nächsten Besucher werden dann erst im gemessenen Abstand hinein gelassen. Wirkliche Panik kann da schwerlich aufkommen.

Schild mit genauen Instruktionen für die Besucher

Schild mit genauen Instruktionen für die Besucher

Man geht also durch das Museum (oder quasi durch dessen Eingeweide), ohne es eigentlich zu betreten. Es ist unterwegs hie und da ziemlich dunkel, niemals aber so finster, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sähe.

Gewiss: Man fühlt sich in der Röhre etwas beengt. An einer Stelle kam es mir ziemlich heiß vor. Vielleicht die Sonneneinstrahlung? Die Windungen des Weges führen auch schon mal in eine Sackgasse. Man muss auch einige Türen öffnen und betritt schließlich noch ein paar rätselhafte Räumlichkeiten. Soll man jetzt noch mehr verraten? Oder sollte nicht lieber jede(r) Besucher(in) eigene Erfahrungen machen?

Im Inneren der Röhre...

Im Inneren der Röhre…

Keine Angst: Niemand wird dort drinnen wirklich allein gelassen. Es gibt zwischendurch mehrere Notausgänge und Leute, die an beiden Enden der Röhre aufpassen. Allerdings beschleicht einen zwischendurch auch das zwiespältige Gefühl, man werde insgeheim überwacht.

Und wie steht’s mit dem künstlerischen Mehr- und Nährwert?

Der Kunstkurator Veit Loers schreibt, Gregor Schneider unterwandere mit dieser Installation die „Rolle des Besuchers im Kunstmuseum als die eines Bild-Voyeurs“. Und: „Die Röhren-Expedition ins Museum fördert eher den Albtraum als das Bildungserlebnis.“

Licht am Ende des Tunnels

Licht am Ende des Tunnels

Ja, wenn man recht ordentlich grübelt, mag man sich solche und andere Sätze zurechtlegen. Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski, der es gleichsam als Ehrensache fürs Ruhrgebiet betrachtet, dass eine Revier-Stadt eine solche Installation beherbergt, sagt, es gebe für diese Arbeit viele Lesarten. Gut wär’s, wenn diese nicht ins völlige Belieben gestellt wären.

Hat man den Röhrentunnel bewältigt, kann man denn doch, schließlich im „richtigen“ Museum angekommen, Kunst auf herkömmliche Weise betrachten – beispielsweise derzeit die Sammlung des Bochumer Unternehmers Frank Hense (u. a. Mel Ramos, Mischa Kuball, Stephan Balkenhol). Soll ich ehrlich sein? Ich war irgendwie froh, als ich in der sonstigen Eingangshalle gleich ein Paarbildnis von Max Pechstein gesehen habe. Ob das auch eine Wirkung des Tunnels ist?

Künstler Gregor Schneider dankte der Ruhrtriennale und der Stadt Bochum für die Unterstützung.

Künstler Gregor Schneider dankte der Ruhrtriennale und der Stadt Bochum für die Unterstützung.

Die Irritationen (im Kulturjargon: „Verstörungen“), auf die es Gregor Schneider immer wieder anlegt, sind also vorübergehend. Ob man nach dieser temporären Erfahrung gleich die ganze Institution Museum nachhaltig anders betrachtet, bleibe dahingestellt. Ob man existenziell mit sich selbst konfrontiert wird, wäre gleichfalls zu erörtern, notfalls als Streitfrage. Manch eine(r) mag sich zunächst auch an einen kleinen Abenteuer-Parcours oder eine (fast leere) Geisterbahn erinnert fühlen, mithin an eher kunstferne Gefilde.

Aber eins steht unverbrüchlich fest: Auf diese Weise hat man ein Museum noch nie betreten!

Gregor Schneider: „Kunstmuseum“. – Raumskulptur im Kunstmuseum Bochum. Produktion der Ruhrtriennale in Kooperation mit dem Museum. 29. August bis 12. Oktober 2014. Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Tickets 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Weitere Infos: www.ruhrtriennale.de oder www.kunstmuseumbochum.de




Piacssos Lust am Wandel – Museum Bochum zeigt 140 Lithographien des Spaniers

Von Bernd Berke

Bochum. Bezwingende Kraft des Genies: Vor Jahr und Tag hat Bochums Museumsdirektor Dr. Hans Günter Golinski an einem Seminar teilgenommen, in dem ein bißchen am Weltruhm des Pablo Picasso gekratzt werden sollte. Mögliches Motto: „Der überschätzte Spanier“. Doch gegen das kaum überschaubare Jahrhundertwerk kam man mit rebellischem Sinn und Krittelei nicht so recht an. Und jetzt ist Golinski heilfroh, daß er eine Picasso-Schau in seinem Hause zeigen kann.

Die Museumsräume mußten eigens auf unter 50 Lux abgedunkelt werden, so empfindlich sind die 140 Blätter aus den Jahren 1925 bis 1960. Beim Aufbau trug Golinski ständig das Lichtmeßgerät bei sich. Die druckgraphischen Schätze gehören schließlich der Westdeutschen Landesbank und den Westfälischen Sparkassen, die die insgesamt 750 Arbeiten umfassende Kollektion des holländischen Druckereibesitzers Huizinga erworben haben und sie ab 2001 dauerhaft in Münster präsentieren wollen.

Ein Hauch vom südfranzösischen Lebensgefühl

Der Bochumer Museumsdirektor gewinnt dem Lichtmangel einen besonderen Reiz ab: Ein wenig „wie hinter halb geschlossenen Fensterläden in Südfrankreich“ könne sich der Besucher hier fühlen. Nun ja. Etwas anders ist’s dort unten freilich schon.

Doch die zumeist dort entstandenen Kunstwerke entschädigen fürs entgangene reale Flair des sonnigen Südens. Picasso erweist sich hier abermals als grandioser Einsammler von Anregungen aller Art, die er seinem schier grenzenlosen Bildkosmos einverleibt. Auf bestimmte Formensprachen wollte er sich nicht festlegen. Gott, so sinnierte er einmal, habe Giraffen und Elefanten geschaffen, ohne auf einen einheitlichen „Stil“ zu achten.

Das Verfahren der Lithographie (Flachdruck vom Stein) kam seinem flackernden Drang zur spontanen Schaffensweise entgegen. Hinzu kam die Zeitstimmung: Nach der Begegnung mit dem Drucker Fernand Mourlot kam sich Picasso ab 1945 immer öfter auf die Lithographie zurück.

Der Krieg war vorbei, man atmete tief durch und wollte nun jede Freiheit genießen. Etliche Arbeiten haben den Charme des skizzenhaften Anbeginns aller künstlerischen Schöpfung, nur wenige sind „klassisch“ streng ausgearbeitet. Und doch darf kein Strich hinzugefügt oder entfernt werden, das vermeintlich „Unfertige“ ist auf seine Weise vollendet. Fortwährend befindet sich das Werk in experimenteller Bewegung: Man sieht in Bochum oft verschiedene Zustände ein- und desselben Motivs, Stimmungen wechseln gelegentlich mit der Tageszeit. Alles fließt, alles ist im Wandel.

Thema und Variationen: Eine ganze Wand ist mit (Friedens)-Tauben gefüllt, ganze Raumfluchten mit Frauengesichtern, oft wie Sonnen oder Blumen wirkend, wie es schönen Frauen zukommt (zumal den Lebensgefährtinnen Jacqueline Roque und Françoise Gilot). Auch findet man subtile Szenen zwischen Maler und Modell – gleichermaßen künstlerische wie erotische Selbstvergewisserungen, meist unterschwellig spannungsgeladen, selten erlöst und erfüllt.

Vielfältige Mischungen aus Angst und Lust treten da zutage. Der Faun (auch so ein Lieblingsmotiv) spielt die Flöte nicht nur lockend, sondern so, als wolle er sich zugleich Mut machen und böse Geister verjagen. Übrigens sind in Bochum keine sonderlich drastischen sexuellen Darstellungen zu sehen, die es von Picasso zuhauf gibt. Selbst Frauenakte wirken in dieser Zusammenstellung eher vergeistigt.

Verblüffende Reduzierungen aufs Wesentliche kann man auch anhand der Stierkampfbilder studieren. Aus wenigen Strichmustern ergeben sich aufregende Vogelperspektiven auf jene Arenen, in denen sich das Drama zwischen Leben und Tod abspielt.

Pablo Picasso, Lithographien. Museum Bochum, Kortumstraße 147 (Tel. 0234 / 910-2237). Bis 30. August. Di/Do/Fr/Sa 11-17, Mi 11-20, So 11-18 Uhr. Begleitbuch 39 DM.




Endlich mehr Leben ins Museum holen – Pläne des neuen Bochumer Direktors Hans Günter Golinski

Von Bernd Berke

Bochum. Mit der Entscheidung für Hans Günter Golinski (43), der am 1. November neuer Direktor des Museums Bochum wird, hat die Stadt auf personelle Kontinuität gesetzt. Der Mann arbeitet seit immerhin acht Jahren im Hause. Doch er will einiges anders machen als sein bisheriger Chef Peter Spielmann.

„Wir werden in der ganzen Fachwelt als Ghetto für Ostkunst wahrgenommen“, klagte Golinski gestern. Das Museum brauche endlich ein zeitgemäßes Profil. Die Zeiten des „Kalten Krieges“, in denen es verdienstvoll war, vorwiegend Künstlern aus Osteuropa ein hiesiges Forum zu schaffen, seien vorbei. Das könne man heute in den Ursprungsländern besser.

Golinski will eine strenge Inventur der Bestände vornehmen und Lücken schließen. Damit sich die Bochumer mit der Sammlung identifizieren, sollen deren bessere Stücke dauerhaft gezeigt werden. Kulturdezernentin Ute Canaris: „Wer Besuch von außerhalb bekommt, muß sagen: Komm, wir gehen mal in unser Museum!“

Ganz auf Kunst des 20. Jahrhunderts konzentriert

Nach dem Vorbild des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, das nützliche Kontakte mit Budapest und Wien geknüpft hat, möchte Golinski von der Zusammenarbeit mit anderen Museen profitieren. Bislang vernachlässigte Verbindungen mit Kunsthistorikern der Ruhr-Uni und der örtlichen Szene („Galerie m“) könnten Leben ins Museum bringen, dessen Dienstleistungs-Qualität mit einem Restaurant und einem Shop gesteigert werden soll. Außerdem will man einen lang vermißten Förderverein gründen.

Im Zuge der Neubesetzung wird Bochums Museumslandschaft umgestellt: Von Stadtgeschichte und anderen Aufgaben wird das Museum entlastet, das sich somit ganz auf die Kunst des 20. Jahrhunderts konzentrieren kann. Im Museum selbst wird eine Stelle gestrichen und die Dotierung dem Ausstellungsetat (150.000 DM pro Jahr) zugeschlagen. Effekt: etwas mehr Geld, aber auch mehr Streß. Golinski wird, entgegen bisherigen Gepflogenheiten, vorerst nur für fünf Jahre zum Museumsleiter bestellt. Ein gewisser Erfolgsdruck…




Alarm-Signale aus dem Museum Bochum: Das Geld reicht überhaupt nicht mehr

Von Bernd Berke

Bochum. Museumsleiter Dr. Peter Spielmann fühlt sich unter Druck gesetzt: „Andauernd verlangen die Politiker, wir sollten spektakuläre Ausstellungen zeigen. Die Besucherschlange soll möglichst bis zum Rathaus reichen. Ständig hält man uns als leuchtende Beispiele Van Gogh in Essen und die ,Terrakotta-Armee‘ in Dortmund vor.“ Und das alles, wo doch eben diese Politiker den jährlichen Ausstellungsetat bei 150 000 DM eingefroren hätten.

Mit diesem Betrag sei kein Auskommen. Bochums Museumschef, fast verzweifelt: „Immer mehr Leihgeber verlangen inzwischen Gebühren und Begleitschutz für den Kunsttransport.“ Den aber erledigt die Polizei seit einiger Zeit nicht mehr. Folge: Man müsse teure private Sicherheitsdienste anheuern. Und damit stecke man vollends im Teufelskreis: Kein Geld für spektakuläre Ausstellungen – das heiße, daß man bei Leihanfragen fast nur noch Absagen kassiere. Spielmann: Nur wer in der Museums-„Bundesliga“ sei, werde noch berücksichtigt.

Als hätte es eines Beleges für die Finanzknappheit noch bedürft, präsentierte Spielmann als neue Ausstellung seines Hauses erneut „nur“ eine quasi kostenfreie Zusammenstellung aus Eigenbesitz – ohne Katalog, nur mit Handzetteln zur Kurzinformation.

Das Konzept ist aus der Not geboren, doch Spielmann steht dahinter: Die eigene Kollektion in immer neuen Kombinationen zu zeigen, sei auch ein Abenteuer: „Da lernt man, die Kunst nicht in Schubladen einzusortieren, sondern immer wieder anders zu sehen.“

Eigenbesitz-Ausstellung in Beweisnot 

„Signal-Kunst/Kunst-Signal“, so hat man die Schau getauft. Kustos Hans Günter Golinski hat die Arbeiten ausgesucht. Leitlinie der Auswahl: Werke, die den Betrachter durch grelle Farbgebung und/oder Signalcharakter gleichsam „anspringen“ oder mit optischen Mitteln „bremsen“.

Nach solchen Allerwelts-Vorgaben hat man wahrlich breite Auswahl. Es kamen denn auch Arbeiten zusammen, die teilweise formal geradezu unvereinbar sind. Ein Wechselbad der Beliebigkeiten? Das denn doch nicht. Aber eine Ausstellung, die in Beweisnot gerät, will man doch u. a. zeigen, daß die Quellen anderer Signale (Verkehrszeichen/Reklame) in der Kunst zu suchen sind. Wer wollte da Aufschlüsse von einer so begrenzten Auswahl erwarten?

Anregungen zum Nachdenken und zur Meditation will man geben. Gewiß wird dieser Anspruch von einzelnen Kunstwerken eingelöst, so etwa von Akais leuchtende Farbkreisen. Die Schwerpunkte liegen in den 60er und 70er Jahren, geometrische Formgebung in der konstruktiven Tradition (Kreise, Rechtecke, Dreiecke) dominiert. Otto Herbert Hajeks Zeichenwelt begegnet man ebenso wie einem Beuys’schen Signalkreuz auf Filz. Hier überlagert das Markenzeichen des Künstlers bereits das Kunst-Signal. Auch andere bekannte Namen wie Fruhtrunk, Kriwet oder Gaul sind vertreten.

Etwas problematisch an der Ausstellung ist die Überfülle der „Signale“, die sich hier und da gegenseitig stören. Doch im Grunde ist ja die ganze Schau auch ein Not-Signal des Museums.

„Kunst-Signale“ (Eigenbesitz). Museum Bochum, Kortumstraße 147. Bis 19. September. Di-Fr 10-18 Uhr. Kein Katalog.