Peymann-Inszenierung bei den Ruhrfestspielen: Am Ende bleibt „Nathan“ schmerzlich allein

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer Lessings „Nathan der Weise“ spielen lässt, darf dunkelste deutsche Vergangenheit nicht ausblenden. Ein Regisseur wie Claus Peymann weiß das natürlich.

Peymanns „Nathan“-Version gastiert jetzt bei den Ruhrfestspielen. Ihre Premiere am Berliner Ensemble hatte die Inszenierung bereits im Januar 2002, sie stand damals im Bann der Terroranschläge vom 11. September 2001.

Tatsächlich taugt das Stück (daszur Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge in Jerusalem spielt) auch heute noch, um fundamentalistische bzw. tolerante Haltungen dreier großer Religionen zu untersuchen: Judentum, Christentum, Islam. Man muss den Holocaust hinzudenken, wenn man sich an diesen kühn konstruierten Text wagt.

Ein Vorschein des Schreckens findet sich bei Lessing: Nathans Familie ist, bevor die Handlung einsetzt, von Christen umgebracht worden. Sein dringlicher Ruf nach allseitiger Versöhnung zwischen den Glaubensrichtungen ist – vor diesem Hintergrund – geradezu unfassbar human und aufklärerisch. In diesen heil’gen Hallen kennt er die Rache nicht…

Bühnenbildner Achim Freyer hat ein Spielfeld mit allerlei Bodenlinien entworfen: Es ist sozusagen ein Ort für Zwangsneurotiker, die nicht vom einmal vorgezeichneten Wege abweichen können. Und eine Art Schachbrett, auf dem zuweilen hinterlistige Strategien verfolgt werden.

Peymann wahrt respektvoll den historischen Abstand, einzelne Lessing-Wörter wie „itzo“ und „kömmt“ bleiben fremdartig stehen. Hie und da neigt der Regisseur zur karikierenden Überzeichnung, doch man versteht’s: Er misstraut den Lippenbekenntnissen und erst recht der großen finalen Versöhnung.

So bleibt Nathan (von Christen, und Moslems gleichsam kalt lächelnd aus der menschlichen Familie hinausgedrängt) am Ende schmerzlich allein, wenn alle anderen einander umarmen. Und der Bühnenboden beginnt zu brennen.

Es ist ein Abend edler Schauspielkunst, die sich nicht eitel spreizt, sondern innig dem Stück dient, das hier nie zum drögen Lehrtheater missrät. Zwei Namen nur: Der famose Peter Fitz als Nathan lässt den seelischen Zwiespalt, die Brüche und Verletzungen dieser Figur in jedem Moment spüren. Hans-Peter Korff als Sultan Saladin ist ein bis in die Fingerspitzen windungsreicher Komödiant.

Rauschender Beifall – ganz so, als wolle das Publikum den einstigen Bochumer Theaterchef Peymann endlich wieder dauerhaft in unseren Breiten behalten. Schön wär’s ja.

Termine: 20., 21., 22. Mai. Karten: 02361/92 18-0.




Vati bleibt zu Hause und nervt die Familie – Loriots zweiter Kinofilm „Pappa ante portas“

Von Bernd Berke

Herr Lohse ist Abteilungsleiter Einkauf bei einem Großbetrieb. Für einen Mengenrabatt zugunsten der Firma würde er notfalls durchs Feuer gehen. Doch als er eines Tages im Ersparnis-Rausch tonnenweise Schreibpapier ordert – genug für die nächsten 40 Jahre – schickt ihn sein Boß vorzeitig in Pension.

Was macht so ein Mann jetzt? Nun, beruflich deformiert, wie er ist: erst mal im alten Stile weiter. Dabei kreuzen sich berufliches und privates Verhalten. Der Frühpensionär betritt z. B. ein Lebensmittelgeschäft und ruft mit einern Anflug gebieterischer Marktmacht, aber doch schon etwas verunsichert über Theke und Kunden hinweg: „Ich heiße Lohse und will hier einkaufen!“ Auch das mit den Sonderpreisen für Masseneinkauf kriegt er nicht so schnell weg. Ohne mit der Wimper zu zucken, ordert er 150 Senftöpfchen, damit’s im Schnitt ein bißchen billiger wird.

Noch schlimmer ist’s zu Hause. Plötzlich jeden Tag daheim und mit furchtbar viel freier Zeit geschlagen, geht er Frau und Sohn alsbald gewaltig auf die Nerven. Die tagsüber „vaterlose“ Keimzelle der Gesellschaft hat bislang prima funktioniert, doch nun will sich Vati partout privat nützlich machen, sprich: den Haushalt mal so richtig durchorganisieren; Belehrungen für die konsternierte Putzfrau inklusive. Und wie einst die alten Römer in ihrer Bedrängnis entsetzt ausriefen „Hannibal ante portas“ (Hannibal vor den Toren), so nun die Familie Lohse: „Pappa ante portas“! Die Gattin würde ihn am liebsten gleich in den Hobbykeller verbannen. Soll er da doch die Tageszeitungen der letzten Jahre nach Erscheinungsdaten sortieren…

Solche Sachen kann in Deutschland wohl nur einer wirklich zwerchfellerschütternd spielen: Loriot. Sein zweiter Kinofilm ist um keinen Deut schwächer als der herrliche Erstling „Ödipussi“ (1987). Ging es dort um eine irrwitzige Mutter-Sohn-Beziehung, so diesmal um die Kämpfchen eines mittelalten Ehepaares. Doch keine Angst. Loriot behandelt zwar ein „im Grunde“ ernstes Thema, aber mit souveräner Komik. Er ist  und bleibt ein Meister vor allem der verhinderten, verweigerten oder sonstwie scheiternden Kommunikation.

Da ist keine Szene zu lang, keine zu kurz. Da wird kein Gag verschenkt, keiner überreizt. Beim Timing und im szenischen Aufbau stimmt einfach alles, bis hin zu jenen entscheidenden Kleinigkeiten, etwa dieser hier: Weißes Café, alle Leute cremefarben gekleidet, lange schwelgt die Kamera in dieser sterilen Helligkeit. Und dann tapert auf einmal Loriot im grauen Anzug rein. Ein simples, gleichwohl wunderbar inszeniertes Bild dafür, wie umwerfend es sein kann, wenn einer deplaziert ist.

Nicht zuletzt solche Detailversessenheit macht den großen Komiker. Sie gilt auch für die Nebenrollen, die alle ungeheuer „paßgenau“ besetzt sind: Beispielsweise Gerd Dudenhöffer als Kellner, der bei jeder Bestellung verdächtig aufstoßen muß, weil ihm schon beim Gedanken an die Küche seines Lokals übel wird; beispielsweise Hans-Peter Korff und Irm Hermann als verbissen „glückliches“ Ehepaar, das sich „füreinander aufgespart hat“ – und natürlich Loriot selbst, der auch drei kleine Nebenparts selbst übernommen hat. Highlight: ein Poet, dem beim geistigen Höhenflug das Körperliche vermaledeit in die Quere kommt. Mehr wird nicht verraten. Auch nicht über das Ende, das zwar „happy“, aber dann doch irgendwie dissonant ist, und zwar buchstäblich.

Als Loriots idealer Widerpart erweist sich erneut Evelyn Hamann. Ohne sie könnte selbst er nur knapp drei Viertel seiner Wirkung erzielen. Was freilich bequem hinreichen würde, um die meisten seines Metiers weit hinter sich zu lassen.

„Pappa ante portas“ (Deutschland). Buch/Regie: Loriot. Mit Loriot, Evelyn Hamann, Ortrud Beginnen, Hans-Peter Korff u. a. Ab 21. Februar im Kino