„art open“ in Essen: Mumpitz des Jahres oder mutiges Durcheinander?

Von Bernd Berke

Essen. Plakate in der Stadt? Fehlanzeige. Irgendein Hinweis am Messegelände? Nichts. So klammheimlich wollen die Veranstalter der als Weltkunstschau angepriesenen „art open“ bis zum 8. August über eine Million Besucher nach Essen locken?

Plakatflächen seien ausgebucht, hieß es gestern zur Pressekonferenz. Vielleicht hätte man sich ja frühzeitig darum kümmern müssen. Zu sehen gab’s nur wenige der angeblich 900 Kunstwerke von der Steinzeit bis heute, die man in fünf Messehallen zeigen will. Zwei Tage vor Eröffnung herrschte vielfach gähnende Leere, in etliche Bereiche wurden die Journalisten wohlweislich gar nicht geführt. Ein Katalog war auch noch nicht fertig.

Selbst ein Mikrofon, mit dem man die versammelten Berichterstatter akustisch hätte erreichen können, war nicht vorhanden. Derweil übertönte eine Voodoo-Kultgruppe aus Benin jedes unverstärkt gesprochene Wort. Das sei ein Ritus, den man nicht einfach abbrechen könne, hieß es.

Voodoo als Schwerpunkt

Voodoo ist ein, wenn nicht d e r Schwerpunkt dieser obskuren Schau. Voodoo-Figürchen durfte man also bestaunen, es folgten diverse russische Ikonen, sodann vorwiegend zweit- bis drittklassige Bilder zwischen Barock und 19./20. Jahrhundert, offenbar größtenteils aus kleineren osteuropäischen Museen geliehen, die über ein paar Devisen-Scherflein froh sein dürften.

Je ein Bild von Rubens („Gottvater, von den Evangelisten verehrt“) und El Greco („San Juan“) sollten „später“ noch eintreffen. Ist dies nun der Mumpitz des Jahres, oder kann die Regellosigkeit und billige Beliebigkeit gar befreiend wirken? Lassen wir die Antwort gnädig offen.

Von 30 auf unter 10 Mio. DM ist der Etat abgespeckt worden. Auf Veranstaltungen im Freigelände hat man völlig verzichtet, wobei man sich von der Messe Essen eh stiefmütterlich behandelt fühlt.

Verzehr soll das Finanzrisiko mindern

Dieter Walter Liedtke, Mentor des Ganzen, der unser aller Bewußtsein mit der Ausstellung und seiner simplen Kunst-Erklärungsformel erweitern will, tapste etwas ratlos durch das, was er da (nicht) angerichtet hat. Angeblich steht Liedtke für finanzielle Risiken gerade. Mit über 1 Million Besuchern (ob diese Zahl wohl je erreicht wird?) soll sich die Sache selbst tragen; bei freiem Zugang (Konzert-Eintritte kosten aber kräftig) rund um die Uhr. Gewinn bringen soll ein Verzehr von etwa 30 DM pro Kopf. Dann zahlt man für Bier oder Saft also 10 DM? Nein, gerade mal 3 DM. Höchst rätselhaft.

Der weltbekannte Ausstellungsmacher Harald Szeemann (documenta, Biennale in Venedig), nicht mehr mit der „art open“ befaßt, war gestern gleichwohl zugegen. Vieles, so Szeemann, mißfalle ihm an der Schau. Doch Liedtke selbst, der ein mutiges Durcheinander angestiftet habe, sei das eigentliche Kunstwerk; seine „Spinner-Potenz“ gehöre in ein „Museum der Obsessionen“. Da sagt’s mal einer.




Wenn Rubens dem Voodoo-Kult begegnet – Wirre Pläne zu einer „Weltkunstschau“ in den Essener Messehallen

Von Bernd Berke

Essen. Vollmundiger kann man eine Schau nicht ankündigen: Die „spektakulärsten Ausstellungsräume der Welt“ würden sich ab 10. Juli in fünf Essener Messehallen für eine „kulturelle Revolution“ auftun, und zwar 24 Stunden am Tag bei freiem Eintritt.

„Erstmals“, so tönen die Veranstalter weiter, werde man bei diesem „Event“ die Entwicklung der Kunst wirklich verstehen können. Das klingt so merkwürdig wie so manches am Projekt „art open“.

Die wahrhaft simple Formel, die uns zum Verständnis aller Künste führen, ja sogar „jede Idee erklären“ soll, lautet so: „Leben (Bekanntes) + Bewußtseinserweiterung (Innovation) = Kunst“.

Aha! So einfach ist das also. Ersonnen wurde die Wunderformel vom gebürtigen Essener Dieter Walter Liedtke (54), der auf Mallorca ein kleines Museum mit Selbstgemaltem betreibt, bisher aber vor allem durch die Erfindung eines „luftgepolsterten Turnschuhs“ auffiel, was nicht unbedingt als Qualifikation für die Weltspitze der Kunst taugt.

Ungenannte „Originalwerke“

Liedtke („Alles ist Kunst“) will sich in Essen bei seiner „Weltkunstausstellung“ nicht lumpen lassen. Hier ist nur Platz für eine kleine Auswahl aus dem bisherigen Wust marktschreierischer Pressemitteilungen: angebliche „Originalkunstwerke“ von Rubens, Picasso, Dalí, Beuys und vielen anderen (wobei bisher kein einziges Werk benannt wird); eine Schau über die Steinzeit; dazu die (natürlich) „europaweit erste“ Ausstellung zum Voodoo-Kult. Rubens und Voodoo – welch eine aparte Kombination!

Doch damit längst nicht genug im Gemischtwarenladen: Talkshows („Werden wir alle zu Genies?“), Filme, Konzerte von Klassik bis Techno, die bisher nicht so arg vermißte „Weltpremiere“ des Ex-Scorpion Hermann Rarebell mit seinem „Monte Carlo Pop Orchester“ und viel anderes Zeug füllen die Programmpläne.

Erleuchtung wie in einer Sekte

Dafür bürgt als Regisseur ein gewisser Vladimir Egorov, „am 25. Juni 1953 im Ural geboren“ und Absolvent der Moskauer Zirkusschule. Der gut Mann wird so zitiert, als habe er bei einer Sekte den Weg der Erleuchtung beschritten: „Als ich von der ,art open‘ hörte, fand ich meinen Lebensinhalt in Liedtkes Kunstformel wieder.“

Wahrhaft erstaunlich: Ruhrgebiets-Kunsttalente sollen ebenso präsentiert werden wie nicht weniger als 2000 (!) internationale Künstler, die vorführen sollen, warum diese Erde liebenswert ist. Namen? Fehlanzeige. Schließlich sollen die Besucher (man rechnet ganz locker mit einer Million bis zum 8. August – aber haben Sie schon mal ein einziges „art open“-Plakat gesehen?) ihren röhrenden Hirsch gegen wahre Kunst tauschen oder im Wettstreit auf allen möglichen Gebieten selbst kreativ werden, z. B. indem sie aus abgeschnittenen Haaren Bilder und Skulpturen zaubern. Gipfel: Eine Massenhochzeit „in vier Religionen“ soll die „spirituelle“ Bedeutung der Heirat beweisen. Ganz klar: Auch die Ehe ist ein Kunstwerk.

24 Stunden am Tag – alles kostenlos?

Überdies gehen die Veranstalter mit hochkarätiger Schirmherrschaft hausieren. Spaniens Königin Sofia soll ebenso eingewilligt haben wie Michail Gorbatschow und Norbert Blüm. Der hat sich darauf eingelassen, weil er sich mit Sofia und „Gorbi“ in bester Gesellschaft wähnte. Auch der Name Harald Szeemanns, des hochrenommierten documenta- und Biennale-Machers, ziert noch die „art open“-Werbung. Doch Szeemann soll seine Zusage als Ausstellungsleiter des Bereichs Bildende Kunst bereits zurückgezogen haben. Falls es so ist, war er wohl gut beraten.

Die Messe Essen, die die Inhalte der Schau lieber nicht kommentieren mag, teilt unterdessen mit, daß laut Ordnungsamt eine 24stündige Öffnungszeit auf keinen Fall in Frage komme. Gleichwohl wird noch damit geworben. Man stelle sich vor: Versicherungssummen, Wachdienst rund um die Uhr, Anmietung der Messehallen samt Freigelände – das kostet enorm. Und dies alles bei freiem Eintritt? Man wird sehen. Und man darf zweifeln.




Kunst-Marathon in Weimar: Die „documenta“ wirft ihre Dias voraus

Von Bernd Berke

Man kennt das: Bekannte/Verwandte sind herumgereist, und nun wollen sie einem das Resultat zeigen beim ausgedehnten Diaabend. Der Belgier Jan Hoet und sein Team für die nächste Kasseler documenta halten es kaum anders. Von ihren Kunst-Streifzügen durch die fünf Kontinente haben sie abertausende von teilweise amateurhaften Dias mitgebracht. Also luden sie die Presse und den Troß der Getreuen zum bebilderten „Gesprächs-Marathon“ im Vorfeld der Mitte 1992 anstehenden Weltkunstschau. Ort der Kulthandlang: Weimar. Was natürlich eine Geste sein sollte.

Der Begriff „Marathon“ war teilweise wörtlich zu nehmen: Mit kurzen Pausen währten Podiumsrunden und Diaschau zwei Tage und eine ganze Nacht. Unentwegte hielten denn auch nur kurz Schlaf auf Stühlen der Weimarhalle.

Humanistisch gebildete Spötter vermerkten gleich, daß doch im antiken Marathon der Überbinger einer Siegesnachricht tot zusammengebrochen sei. Nun, so schlimm war’s nicht. Doch just an dem Ort, an dem Goethe einst seinen Satz „Bilde Künstler, rede nicht“ geschrieben hatte, wurde schier endlos über Kunst geredet.

Schon die Auftaktrunde (documenta-Macher Hoet, seine Vorgänger Harald Szeemann, Rudi Fuchs, Manfred Schneckenburger) litt unter Mangel an Kontroverse. Kaum Widerspruch von Podium oder Plenum. Da hackte keiner dem andern ein Auge aus. Deutlich wurde bei dem Insider-Gespräch (das für die raren Besucher aus Weimar vermutlich sieben Siegel trug), daß halt jede documenta unter einem anderen historischen Stern steht. Während Szeemann anno 1972 gleichsam noch den Rückenwind der ’68er Revolte hatte, blieben Fuchs und Schneckenburger nur bescheidene Träume. Fuchs präsentierte 1982 die „Wilden“ und führte Europa gegen die damalige Dominanz der US-Kunst ins Feld. Schneckenburger wollte 1977, einer gesellschaftlichen „Abkühlung“ gemäß, wieder Theorie und Ratio ins Spiel der Künste bringen und 1987 die „Brücke zu Architektur und Design schlagen“.

Und nun Jan Hoet. Nur zwischen den Zeilen wird sein Konzept erahnbar. Es geht ihm letztlich wohl darum, die von Werbung und Medien allseits nivellierte Kunst wieder zu entrücken – womöglich gar in eine Art magischen oder geheiligten Bezirk, in dem unmittelbares Gefühl mehr zu suchen hat als wägende Kritik. Allzu deutliche Spuren der Realität in der Kunst schätzt er nicht. Selbige müßten ganz „in der Form aufgehen“, sich vom Erzählenden weit entfernen. In seinen diversen, durch pure Menge ins Beliebige ausgreifenden Diaschauen ließ Hoet außerdem durchblicken, daß er teilweise wieder „von Europa weg“ will. Er möchte z. B. viele Künstler aus Brasilien, Argentinien, Kolumbien oder Indien einladen.

Man muß freilich erleben, wie Hoet über seine Lieblings-Künstler – etwa Mario Merz und Bruce Nauman -spricht. Seine beinahe kindliche Begeisterung ist, allen nebelhaften Formulierungen zum Trotz, ansteckend. Der Mann, da kann man ziemlich sicher sein, wird jedenfalls eine bemerkenswerte Schau ausrichten. Er selbst („Ich denke Tag und Nacht nur noch an die documenta“) gelobte gar eine Auswahl, die „unbelievable (unglaublich) sein werde.

Auf den nicht nur finanziell motivierten Rat von Rudi Fuchs, ausschließlich unbekannte Künstlerin Kassel zu versammeln, mag Hoet nicht hören. Man brauche einige „Große“ und Etablierte – als Stützen und Wegweiser für die Jüngeren. Immerhin hat Hoet bereits 47 documenta-Newcomer benannt.

Wie Staatsgeheimnisse wurden bis kurz vor Schluß der Veranstaltung Namen einiger Künstler gehütet, die 1992 dabei sein werden. Auszug aus der Liste: Reinhard Mucha, Louise Bourgeois, Christa Näher, Jonathan Borofsky, Per Kirkeby, Gerhard Richter, Ellsworth Kelly, Mario Merz, Yannis Kounellis, A. R. Penck, Matt Mullican, Sigmar Polke, Ilja Kabakov, Thomas Schütte. Alles klar? Natürlich nicht. Namen sind höchstens Ansätze zum Konzept. Man wird schauen müssen.




„Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ – weit mehr als eine Besessenheit

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Ein ehrgeiziges Projekt macht Station in der Landeshauptstadt: „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, bisher lediglich in Zürich und dann nur noch in Wien zu sehen, dokumentiert ab heute in der Düsseldorfer Kunsthalle eine „Besessenheit“ europäischer Künstler in den letzten 150 Jahren: „Aufs Ganze“ zu gehen, alles zugleich ausdrücken zu wollen, universelle Utopien zu entwerfen, sämtliche Kunstformen (Dichtung, Musik, Malerei, Theater, Film, Architektur usw.) zu verschmelzen und damit in alle Bereiche des Gemeinwesens hineinzuwirken.

Der Ausstellungsmacher Harald Szeemann faßt den ohnehin kaum definierbaren Begriff des Gesamtkunstwerks (Urheber: Richard Wagner) weit: Goethes humanistisches Bildungsideal zeugt danach ebenso vom Hang zur Totale wie etwa die Anfänge des „Bauhauses“ (bevor es zur Stil-„Schule“ wurde), JosephBeuys‘ Arbeiten ebenso wie die eines Philipp Otto Runge, der das Einssein des Künstlers mit dem Universum ersehnte (Außerdem u.a.: Duchamp, d’Annunzio, C.D. Friedrich, Lissitzky, Schlemmer).

Merkwürdig genug: Der unübersehbare „Hang“ entstand, als die Künstler aus dem Mäzenatentum der Kirchen und des Hochadels „entlassen“ und ihrer Individualität überantwortet wurden. Seit dem Verlust eines einheitlichen Weltbilds also ist die Vorstellung von Gesamtkunst lebendig, sie wird somit zu einem Rettungsversuch.

„Einladung zur Meditation über die totale Freiheit“

Harry Szeemann, der dem Besucher „eine Einladung zur Meditation über die totale Freiheit“ anbieten möchte, trug eine Fülle von Beispielen für Kunst mit Totalanspruch zusammen: Zu Richard Wagner (der der Verwirklichung eines Gesamtkunstwerks immerhin nahekam), finden sich monumentale Entwürfe für Bühnenbilder und für das Bayreuther Festspielhaus. Wahlverwandt: Filmregisseur Syberberg, z. B. mit Modellen zu seinem „Hitler“-Film.

Von Robert Wilson, Großmeister des sprachlosen Theaters, sieht man Skizzen für eine Multimedia-Oper, die er in Los Angeles (Olympia ’84) ins Werk setzen will. Der Anthroposoph Rudolf Steiner ist u. a. mit Architektur-Entwürfen vertreten, Joseph Beuys mit 21 angebohrten Basaltblöcken (Titel: „Das Ende des 20. Jahrhunderts“). Walter Gropius entwarf für Erwin Piscator ein „Total-Theater“, Wladimir Tatlin für die junge Sowjetmacht einen schneckenförmig gedrehten Turm als „Monument für die III. Internationale“. Beide Projekte verblieben im Stadium der „Kopfgeburt“, wie vieles in dieser Ausstellung. Um die Entwürfe dennoch dreidimensional vor Augen zu führen, hat man eigens Modelle nach den Vorlagen gefertigt. Manches ist bereits in der Verkleinerung so monströs, erhebt einen so gebieterisch-totalitären Anspruch, daß man für die Nicht-Verwirklichung dankbar sein muß.

Anderes, so der rekonstruierte „Merzbau mit der Kathedrale erotischen Elends“ (das Original wurde 1943 im Bombenhagel zerstört), wirkt eher andächtig als aggressiv. Die Ausstellung verlangt Vorkenntnisse und ist ohne Zusatzinformationen kaum sinnvoll zu bewältigen. Da sie einen wesentlichen Aspekt der europäischen Moderne vergegenwätigt, lohnt sich der Weg an den Rhein aber unbedingt.

„Der Hang zum Gesamtkunstwerk“. Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz: bis 10. Jli, di-so 10-18 Uhr, Katalog 45 DM