Ruhrtriennale: Seltsame Rituale in Harry Partchs Instrumenten-Wunderland

"Zeit des gemeinsamens Vergnügens" heißt diese Szene des Partch-Theaters. Foto:

„Zeit des gemeinsamens Vergnügens“ heißt diese Szene des Partch-Theaters. Foto: Wonge Bergmann/Triennale

Das erste Wort gönnen wir Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Die Erkenntnis des Münchner Komikers und Sprachkünstlers kommt uns alsbald in den Sinn, wenn wir vor dem Bühnenbild stehen, das vor allem eine Anordnung überwiegend riesiger, seltsamer Instrumente zeigt, das „Orchester“ des amerikanischen Komponisten Harry Partch.

Darin wuseln Solisten herum, die gleichzeitig Musiker, Sänger, Schauspieler und Pantomimen sind. Die bisweilen winzig klein wirken, wie Arbeiterfiguren in einem Baukasten fürs experimentierfreudige Kind.

Zumal sie hauptsächlich in bunter Werktätigenkluft, teils hübsch-hässlich den Prekariatsstandard erfüllend, sich an ihren klingenden „Maschinen“ zu schaffen machen. Auf dass eine wahrhaft un-erhörte, sirrende, flirrende, motorische Musik erklinge. Mit Anlehnungen an asiatische und afrikanische Exotismen. Was alles einem großen Ritual gleichkommt, das Partch „Delusion oft the Fury“ betitelt hat. Integrales Theater heißt diese Mixtur aus Klang, Sprache, Szene und Licht im Fachjargon – Richard Wagner hatte 100 Jahre zuvor vom Gesamtkunstwerk gesprochen.

Und die Ruhrtriennale, Heiner Goebbels’ Experimentallabor des Theatralischen, hat dem Amerikaner nun in Bochums Jahrhunderthalle ein Podium gegeben. Wir staunen, horchen auf ob verquerer Rhythmen und neuer Tonwelten, ergeben uns einem exzessiven Ritual, das indes alsbald tönende Züge der amerikanischen Minimalisten trägt. Kurzum: Die anfängliche Faszination weicht dem Wunsch, nun doch zum Ende zu kommen.

Der amerikanische Komponist Harry Partch. Foto:

Der amerikanische Komponist Harry Partch. Foto: Schott-Archiv/Andersen

Wer war Harry Partch? Einer jener amerikanischen Komponisten, die, fernab der Traditionen des alten Europa, eine eigene musikalische Sprache suchten. Der dabei mindestens so radikal zu Werke ging wie sein Landsmann John Cage. Der das wohltemperierte System, das eine Oktave in fünf schwarze und sieben weiße Tasten unterteilt, scharf ablehnte und eigene Skalen entwickelte. Zugleich tüftelte und baute Partch an einem neuen Instrumentarium. Allem voran ein „Chromelodeon“, ein Harmonium, bei dem eine Oktave 43(!) Tonhöhen zählt. Andere Skurrilitäten heißen „Gourd Tree“, ein baumartiges Gebilde aus Kürbisflaschen, oder „Marimba Eroica“, ein riesiges Marimbaphon mit nur vier wuchtigen Klangplatten.

Schon dies lässt erahnen, dass es sich bei Partch um einen Freak der Musikszene handelte. Wie denn auch die meisten Figuren in seinem zweiteiligen Instrumentaltheaterstück „Delusion oft he Fury“ äußerst freaky daherkommen. Obwohl doch ernste Dinge verhandelt werden, einerseits der reuevolle Bußgang eines Mörders, zum anderen der aus einem Missverständnis herrührende Konflikt, der vor Gericht schiedlich-friedlich gelöst wird – wenn auch von einem nahezu taubblinden Richter.

Triennale-Intendant Heiner Goebbels erlaubt sich hier als Regisseur eine amerikakritische Spitze, indem er den Richter als übergroße „Kentucky Fried Chicken“-Pappfigur zeichnet. Die Anspielung, dass auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Fressen vor der Moral kommt, hätte Partch gewiss gefallen. Er selbst, 1901 geboren, erlebte in den USA die „Große Depression“ der 30er Jahre, schlug sich zeitweise als Hobo durch. Solcherart Landstreicher wird im zweiten Teil von „Delusion“ übrigens zur Hauptfigur. Dort mümmelt er, taub und arm, im Wasser sitzend, sein karges Mahl. Im Disput mit einer Ziegenhirtin kommt es zum oben erwähnten Konflikt. Am Ende aber wird der große Versöhnungsgesang angestimmt: „Pray for me“. Ob die rot ausgeleuchtete Bühne (Klaus Grünberg) nebst kleiner Flämmchen eine Art Vorhölle sein soll?

Das Instrumentarium als Werkbank. Foto:

Sonderbares Instrumentarium als Werkbank im hellen Licht. Foto: Wonge Bergmann, Triennale

Manches mag nach geschäftiger Aktion klingen, doch alles geschieht in höchster Strenge. Die Buße und Läuterung eines Mörders lässt Elemente des japanische No-Theaters erkennen – Klangfarben, die Gewandung der Hauptfigur und die rituelle Bedeutung fließenden Wassers deuten darauf hin. Der zweite Teil trägt hingegen afrikanische Züge. So gesehen, hat auch Partch nicht im luftleeren Raum gearbeitet.

Schwer zu tun hat zudem, in vielfältiger Funktion, das Ensemble musikFabrik. Anziehen, umziehen, schreiten, umherhuschen, singen, sprechen, musizieren – ein Mammutprogramm. Damit nicht genug: Partchs Original-Instrumentarium musste Stück für Stück nachgebaut werden – für Thomas Meixner und sein Team eine Herkulesarbeit.

So steht an diesem Abend Bewunderung neben Verstörung. Das letzte Wort geben wir dem Rockmusiker Frank Zappa: „Ich mag den Klang der Instrumente … aber gleichzeitig denke ich, das Zeug läuft und läuft und läuft und läuft und läuft zu lange.“




Entdecker gesucht: Die Ruhrtriennale 2013 beginnt mit Musik von Harry Partch

Heiner Goebbels, Komponist und Intendant der Ruhrtriennale (Foto: Wonge Bergmann)

Heiner Goebbels, Komponist und Intendant der Ruhrtriennale (Foto: Wonge Bergmann)

Heiner Goebbels hält seine Emotionen zurück. Zehn Tage vor Beginn der diesjährigen Ruhrtriennale, die vom 23. August bis 6. Oktober mehr als 800 international gefragte Künstlerinnen und Künstler und 43 Produktionen präsentiert, zeigt der Festival-Intendant kaum Spuren von Aufregung oder Anspannung. Ganz auf Inhalte konzentriert, berichtet er bei der Auftakt-Pressekonferenz in Bochum von Proben, von letzten Vorbereitungen und vom reichhaltigen Eröffnungsprogramm der ersten zehn Tage.

Aber dann ergreift es den zurückhaltenden 61-Jährigen plötzlich doch. Was er in den letzten Tagen entstehen sah, hat sichtlich tiefen Eindruck hinterlassen. Zum Beispiel der Aufbau einer Installation mit 400 Pendeln im Museum Folkwang, die der Choreograph William Forsythe in „Nowhere and everywhere“ zum Geschicklichkeitsparcours für die Besucher machen will. Und die 100 Meter lange Bodenprojektion des japanischen Künstlers und Komponisten Ryoji Ikeda, der die Besucher in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg-Nord über einen gigantischen virtuellen Teppich aus flackernden Barcodes schickt. Dann die explosive Videoinstallation von Douglas Gordon in der Mischanlage der Zeche Zollverein. Und natürlich die Eröffnungspremiere, bei der das Musiktheaterstück „Delusion of the Fury“ des amerikanischen Avantgardisten Harry Partch seine europäische Erstaufführung erlebt.

Eine audiovisuelle Installation ist der 100 Meter lange Barcode, die der Japaner Ryoji Ikeda in der Kraftzentrale des Landschaftsparks-Nord in Duisburg projiziert (Foto: Zan Wemberley)

Eine audiovisuelle Installation ist der 100 Meter lange Barcode, den der Japaner Ryoji Ikeda in der Kraftzentrale des Landschaftsparks-Nord in Duisburg projiziert (Foto: Zan Wemberley)

Als „Riesenabenteuer“ bezeichnet Goebbels die Aufführung dieses Spät- und Schlüsselwerks in zwei Akten, das er an der Schnittstelle von Pop-Musik und Klassik ansiedelt. Die Musiker des Ensembles „musikFabrik“ mussten dafür nicht nur das selbst erfundene Instrumentarium des Amerikaners nachbauen lassen, sondern es auch spielen lernen. „Es ist eine sehr rhythmische, sehr körperliche Musik“, gerät Goebbels ins Schwärmen, der die Regie des Stücks übernimmt. „Alles ist sehr präzise definiert und ergibt sich direkt aus der Partitur.“ Zu erwarten ist eine Art Traumtheater, das von japanischen und afrikanischen Mythen ausgeht und, laut Programmheft, „die Versöhnung der Lebenden mit dem Tod feiert“. Die Produktion wird nach der europäischen Erstaufführung in Bochum auch in Genf und Oslo und New York gezeigt.

47.000 Tickets gibt die diesjährige Ruhrtriennale in den Verkauf, doch sind diverse Installationen und Ausstellungen auch kostenfrei zugänglich. So zum Beispiel die Zeichnungen des Rumänen Dan Perjovschi, der die Wände im Foyer der Jahrhunderthalle mit Kreideskizzen bedeckt. Was auf den ersten Blick kindlich einfach und wie spontan hingekritzelt aussieht, ist auf den zweiten Blick hintersinnig und häufig politisch motiviert. Seine Kunst ist auf Zeit angelegt: Durch Übermalung werden seine Strichfiguren und Wortspiele im Laufe der Wochen verschwinden. Bewusst lädt der Künstler die Festival-Besucher ein, seine neue Installation mit dem Titel „wall window workshop“ zu vervollständigen, zu kommentieren und zu überzeichnen. Die Lichtinstallation „Agora/Arena“ des Düsseldorfer Medienkünstlers Mischa Kuball wird das Gelände vor der Jahrhunderthalle verwandeln.

Wenig greifbar bleibt die Produktion „The last Adventures“, für die sich die Performancegruppe „Forced Entertainment“ aus dem englischen Sheffield mit dem libanesischen Komponisten Tarek Atoui zusammengetan hat. Im Gespräch finden Tim Etchells, Leiter von „Forced Entertainment“, und der libenesische Komponisten keine erhellenden Begriffe für das, was sie in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck auf die Beine stellen. Viel ist von Fragmenten und Collage die Rede, von einer vieldeutigen Live-Performance, medialen Bilderwelten und vom Experiment. „Uns war rasch klar, dass es völlig falsch wäre, den riesigen Raum der Maschinenhalle füllen zu wollen“, sagt Tarek Atoui. Die Künstler entschlossen sich stattdessen, ihn als Stimulans zu nutzen und zum Teil der Aufführung zu machen.

Schlagwerk aus Glas: Der Amerikaner Harry Partch hat das Instrumentarium für "Delusion of the Fury" selbst erfunden (Foto: Jörg Baumann)

In „Delusion of the Fury“ erklingt auch Schlagwerk aus Glas (Foto: Jörg Baumann)

Es wird dies nicht das einzige Abenteuer sein, auf das sich die Besucher der Triennale einstellen müssen. Hinter vorgehaltener Hand murren manche Beobachter über den experimentellen Charakter des aktuellen Programms, über seine angebliche Kopflastigkeit und intellektuelle Abgehobenheit. Indes spricht der Verlauf des Kartenvorverkaufs offenbar eine andere Sprache. Die Festivalmacher zeigen sich zufrieden: „Die Zahlen sind zu diesem Zeitpunkt ein wenig höher als im letzten Jahr“, sagt Lukas Crepaz, Geschäftsführer der Kultur Ruhr GmbH. Die Auslastung liegt nach Angaben der Veranstalter bei rund 70 Prozent. Für das stark gefragte Konzert von „Massive Attack“ und dem Filmemacher Adam Curtis wurde eine Zusatzvorstellung am 1. September eingerichtet.

Ausverkauft sind die Tanzperformance „CRACKz“ von Bruno Beltrão und der Grupo de Rua, das Tanzstück „Partita 2“ mit Boris Charmatz und Anne Teresa de Keersmaker und die Konzerte „Ikon of Light“ mit dem ChorWerk Ruhr und dem Ensemble Resonanz. Zu virtuellen Spielern in der Welt des Waffenhandels werden die Besucher in den 20 penibel rekonstruierten „Situation Rooms“ des „Rimini Protokolls“. Auch hier ist die Nachfrage so stark, dass täglich neue Vorstellungen eröffnet werden.

Mangelnde Aufgeschlossenheit oder Entdeckerfreude lässt sich dem Triennale-Publikum so leicht offenbar nicht nachsagen. Das stumme Forum der Journalisten, das diese Pressekonferenz ohne eine einzige Frage absaß, wirkte hingegen merkwürdig teilnahmslos.

(Informationen: www.ruhrtriennale.de. Ticket-Hotline: 0221/ 280 210)




Eine Betrachtung des Neuen: Heiner Goebbels‘ 2. Ruhrtriennale-Programm

Heiner Goebbels, Intendant der Ruhrtriennale. Foto:

Heiner Goebbels, Intendant der Ruhrtriennale, setzt erneut aufs Experiment. Foto: Wonge Bergmann

Teufel: Da hat doch die Kinderjury der Triennale im vergangenen Jahr ihren Preis „Die größte Qual für die Ohren“ ausgerechnet der Lieblingsband des Intendanten Heiner Goebbels zugedacht. Und dann musste er sich von Teilen des Publikums anhören, ein Theaterabend ohne Pause sei arg gewöhnungsbedürftig. So kann es gehen, wenn der Rezipient aus den eigenen (Hör)-Ritualen heraus einem kunstsinnigen Macher begegnet, der das Experiment liebt, das Neue, eben Unerhörte. Das Triennale-Programm dieses Jahres spricht darüber, wieder einmal, Bände.

Goebbels verfasst im Editorial ein Plädoyer für die herrliche Unbefangenheit der Kinderjury, sieht die Vorstellungspause als Störung eines komplexen Wahrnehmungsprozesses. Umgekehrt heißt dies wohl, dass sich der Intendant ein ebenso offenes, dazu höchst neugieriges, intellektuelles Publikum wünscht – für all die Produktionen, die wir hier ganz unbefangen als Theater 2.0, Antitheater oder Metatheater bezeichnen wollen.

Harry Partch: Delusion of the Fury, Probenszene - wie aus dem Futuristenlabor. Foto:

Harry Partch: Delusion of the Fury, Probenszene. Foto: Klaus Grünberg

Den Beginn markiert in dieser Saison das Musiktheater des Amerikaners Harry Partch, ein Stück zwischen Traum und Wahn namens „Delusion oft he Fury“. Mit vom Komponisten eigens gebauten Instrumenten und von ihm aufgezeichneten Tonsystemen. Das Bühnenmodell, das im Programmbuch zu sehen ist, wirkt wie aus dem Baukasten eines Futuristen. Das Original gibt’s dann in Bochums Jahrhunderthalle zu bestaunen.

Das Theater 2.0 wiederum findet sich im Tanzgeschehen der Brasilianischen „Grupo de Rua“: Wie zu lesen ist, leitet sich „CRACKz“ aus choreographischem Material ab, das im Internet zu finden ist: „download, remix, share – speichern, neu zusammenfügen, teilen“ ist das Prinzip, zu erleben auf Zollverein in Essen.

Nichts weniger als den Theaterbetrieb ad absurdum führen will „Forced Entertainment“: Altvertraute Figuren und Textfragmente stehen einem Science-Fiction-Sujet gegenüber. Eine Mixtur, „Das letzte Abenteuer“ genannt (Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck). Ähnlich geheimnisvoll, märchenhaft und abenteuerlich geht es in Helmut Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zu. Abgesehen davon, dass der Komponist hier die annähernd völlige Dominanz des musikalischen Geräuschs zelebriert, wird Hans-Christian Andersens bekanntes Märchen durch weitere Texte verfremdet. Das Ergebnis kann, wie jüngst in Berlin gesehen, ein unglaubliches Erlebnis werden. Zur Triennale darf nun Robert Wilson seinen Zugang zum wuchtigen Stück, in der Jahrhunderthalle, offerieren.

Beinahe spukig soll es zudem ausschauen in „Stifters Dinge“, einer von Goebbels selbst verantworteten Performance im Duisburger Landschaftspark. Fünf Klaviere erklingen, ohne Hilfe eines Pianisten, es gibt keine Akteure, nur Töne und Bilder. Ein Theater über das Theater: Im Zentrum stehen Bühnenbestandteile (Vorhang), Mittel für szenische Tricks wie Eis oder Nebel.

Die einzige Konstante bei all diesem avantgardistischen Vorpreschen ist das Publikum. Es darf  rätseln, entschlüsseln, sich wundern oder ärgern, debattieren, vielleicht sogar still genießen. Es darf im übrigen auch mitmachen: In William Forsythes großflächigem Labyrinth, einem Raum mit 400 Pendeln, die sich in variablen Tempi bewegen, sollen geneigte Betrachter lustvoll umherschweifen. Oder eher schlangengleich: Denn eine Berührung des Instrumentariums im Essener Museum Folkwang sei zu vermeiden, heißt es im Programm. Ja, wo die Kunst ihre Ordnung hat, ist im Zweifel der Mensch für das Chaos verantwortlich.

„Habt Mut !“ wollen wir den Besucherscharen zurufen. Denn schon manche Theaterrevolution hat sich im Nachhinein als Spiel auf der Bühne vor Publikum entpuppt. Wie in hunderten von Jahren zuvor. Auch Heiner Goebbels und seine Mitstreiter werden das Rad nicht neu erfinden können. Vielleicht sieht’s nur ein bisschen peppiger aus.

Im Internet (www.ruhrtriennale.de) stehen alle weiteren Informationen, im übrigen auch über sämtliche Produktionen der vorherigen Festival-Jahrgänge. Der Vergleich lohnt sich.