Gespenster der Vergangenheit: Joanne K. Rowling sucht unter Pseudonym nach einer verschwundenen Frau

Eigentlich haben Privatdetektiv Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott alle Hände voll zu tun. Weil sie einige Aufsehen erregende Kriminalfälle gelöst haben, wird ihre Agentur mit Aufträgen überschüttet.

Dass Kriegsveteran Strike, der in Afghanistan ein Bein verloren hat, ständig von Schmerzen geplagt und von einer selbstmordgefährdeten ehemaligen Geliebten bedrängt wird, dass seine an Krebs erkrankte Pflegemutter bald sterben wird und sein zeitlebens abwesender Vater, ein szenebekannter Alt-Rocker, plötzlich um die Sympathie und Vergebung seines Sohnes buhlt, macht den Alltag nicht leichter. Robin wird unterdessen bei der Scheidung von ihrem Ehemann in einen Rosenkrieg verwickelt und muss sich überdies gegen einen sexuell übergriffigen neuen Mitarbeiter zu Wehr setzen.

Nach 40 Jahren die Spur neu aufnehmen

Als wäre das nicht genug, werden Cormoran und Robin von einer Frau gebeten, ihre Mutter, Margot Bramborough, ausfindig zu machen, die vor 40 Jahren spurlos verschwunden ist. Die Polizei hat längst alle Ermittlungen eingestellt. Die Annahme, Margot sei Opfer eines psychopathischen Serienkillers geworden, der damals in der Gegend sein Unwesen trieb und seit Jahren hinter Gittern sitzt, hat sich nie beweisen lassen. Margots Leiche jedenfalls wurde nie gefunden. Und der Mann, der seine grausamen Taten ausführlich beschrieb und seine Opfer vor Gericht mitleidlos verhöhnte, hat sich nie zum Mord an Margot geäußert.

Nach so vielen Jahren die Spur wieder aufzunehmen, die alten Akten zu durchforsten, nach Zeugen zu suchen und aus dem Wust getrübter Erinnerungen und hartnäckiger Lügen die verborgene Wahrheit auszugraben: ein aussichtsloser Fall. Also genau das Richtige für Strike und Ellacott, die sich am liebsten von ihren Alltagssorgen befreien, indem sie dem Unerklärlichen nachjagen und die Gespenster der Vergangenheit ans Licht zerren.

Mit 1200 Seiten ein literarischer „Ziegelstein“

„Böses Blut“ ist bereits der fünfte Roman, den Joanne K. Rowling (die mit ihrer siebenbändigen Saga um den Zauberlehrling Harry Potter zu Weltruhm kam) unter dem Pseudonym Robert Galbraith verfasst hat. Das Buch ist mit 1200 Seiten ein literarischer „Ziegelstein“ und eine kriminalistische Zumutung.

Doch die Autorin ist eine Meisterin ihres Faches. Nie kommt Langeweile auf, nie weiß der Leser, zu welchem Ergebnis die Schnitzeljagd führen wird. Archive werden durchstöbert, unzählige Personen befragt, Möglichkeiten erwogen. Jeder hat etwas zu verbergen. Fast alle frühere Aussagen zum Verschwinden von Margot führen ins Leere, was die noch lebenden Angehörigen, Freunde und Praxismitarbeiter der früheren Ärztin aus ihren Erinnerungen hervorkramen, ist ein Abgrund an Verdrängung, Schuld und Scham. Dass der seinerzeit ermittelnde Kommissar einen fatalen Hang zu bizarren Horoskopen hatte, macht die Sache nicht leichter.

Vom Brexit zurück bis in die Hippie-Zeit

Um der Wahrheit näher zu kommen und die Geheimnisse zu lüften, unternimmt der Roman eine Zeitreise, pendelt  hin und her zwischen dem Großbritannien von gestern und heute, vom konservativen Rollback und dem nahenden Brexit zurück in die Spät-Hippie-Ära der 1970er Jahre. Hat die lebenslustige Margot, die eine Liaison mit einem ausgeflippten Künstler hatte, damals Ehemann und Tochter verlassen, weil sie das bürgerliche Korsett nicht mehr ertrug? Oder ist die erklärte Feministin vielleicht ermordet worden, weil sie Frauen behilflich war, Abtreibungen vorzunehmen?

Der Kriminalfall weitet sich zur soziologische Studie, zum philosophischen Exkurs, zur literarischen Suche nach den verdrängten Erinnerungen und der verlorenen Zeit. Auf der Folie von Musik und Mode, Politik und Geschichte werden Fragen der Geschlechts-Identität und der sexuellen Orientierung gestellt, wird ironisch mit Rollen-Klischees gespielt.

Heillos in den Gender-Diskurs verstrickt

Doch weder die psychologischen Tiefbohrungen noch die Einlassungen auf den Gender-Diskurs werden der Autorin, die neuerdings in den sozialen Netzwerken sogar mit dem Tode bedroht wird und deren Bücher in ekelhaften Videos auf dem Scheiterhaufen landen, bei der Beurteilung des Romans etwas nützen: Das liegt an Dennis Creed, dem kranken Serienmörder, der mit Identitäten jongliert und sich seinen Opfern, um sie in Sicherheit zu wiegen, in Frauenkleidern nähert. Schon als erste Roman-Details durchsickerten, wurde Rowling unterstellt, sie würde Vorurteile gegen transsexuelle Menschen haben und sie als perverse Monster darstellen.

Zorn und Wut hatte Rowling schon auf sich gezogen, als sie auf einen Zeitungsartikel, in dem Frauen als „Menschen, die menstruieren“ bezeichnet wurden, mit einem höhnischen Kommentar versah. In einem Essay berichtete sie von eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt und sagte, sie habe Angst vor Männern, die, in Frauenkleider gehüllt, in die Toiletten und Umkleidekabinen von Frauen gelangen und dort ihre sexuellen Gelüste befriedigen. Es hat ihr nicht geholfen, ihre Kritiker zu besänftigen. Genauso wenig wie ihre Beteuerung, die Wahl ihres Pseudonyms sei aus einer puren Laune heraus entstanden und habe rein gar nichts mit dem amerikanische Psychiater Robert Galbraith Heath zu tun, einem notorischen Schwulen-Hasser, der Homosexuelle mit umstrittenen Folter-Methoden von ihrer vermeintlichen „Krankheit“ heilen wollte.

Dennis Creed, so viel sei verraten, ist jedenfalls ein perverser Fiesling, der Strike in abgründige Gespräche verwickelt…

Robert Galbraith (Joanne K. Rowling): „Böses Blut – Ein Fall für Cormoran Strike“. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz. Blanvalet Verlag, München. 1200 Seiten, 26 Euro.




Ein Rundgang durch das Reich der Zufälle – Buchmesse: Sigrid Löffler, Harry Potter, Beatles und Nobelpreisträger Gao Xingjian

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Trübes, kühles Wetter in Frankfurt. Ausgesprochenes Bücherwetter. Hinein also in die Hallen der Buchmesse, hin zu den Büchermenschen.

Man muss sich Fix- und Zielpunkte schaffen, sonst droht man schier unterzugehen im Reich der Zufälle, das hier aus 380.000 Titeln besteht. Da trifft es sich, dass Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“) just die zweite Nummer ihrer Zeitschrift „Literaturen“ vorstellt und eine erste Bilanz ihres ehrgeizigen Projekts zieht. Von der ersten Nummer wurden rund 70.000 Exemplare gedruckt, nun sind es bereits 103.000. Buchhandel und Kioske hätten mehr geordert als zuvor, auch die Abo-Zahlen entwickelten sich ordentlich.

Löffler, leicht pikiert über das vielfach skeptische Echo auf die erste Ausgabe: „Viele Leser sind mir lieber als gute Kritiken.“ Trotzdem: Ein paar „Feinjustierungen“ habe man vorgenommen am Konzept, besonders in optischer Hinsicht. Auch den vierten Band von „Harry Potter“ bespricht man jetzt.

Apropos: Man kommt um den Millionen-Seller einfach nicht herum. Am Stand des Hamburger Carlsen-Verlages ist den Mitarbeitern die halbwegs überstandene Hektik rund um die Potter-Mania noch anzumerken. Sie schauen etwas erschöpft, aber glücklich drein. Ja, die erste Auflagen-Million sei restlos abgesetzt, man drucke nun eilends nach, denn es gebe schon 500.000 weitere Vorbestellungen. Nein, die Autorin Joanne K. Rowling werde nicht zur Buchmesse kommen, vielleicht befürchte sie einen gar zu großen Rummel. Nächstes Jahr wahrscheinlich.

Schwerpunkt mit Comics

Lässt man sich durch die Hallen treiben, so hat man den Eindruck, dass Kinder- und Jugendliteratur tatsächlich auffälliger und selbstbewusster präsentiert wird als in den Vorjahren. Vielleicht liegt’s ja auch am Comic-Schwerpunkt, den man kurzerhand mit verbucht, obwohl doch die fanatischsten Sammler gewiss Erwachsene sind, manchmal auch erwachsene Kindsköpfe.

Viele Comics bleiben ewig jung, einige Pop-Gruppen desgleichen: Die „Beatles“ ziehen immer noch – und wie! Ullstein präsentiert großflächig seine opulente „Beatles Anthology“, ein Werk, das wahrlich Besitzwünsche weckt. Bei Heyne hängt man sich mit „Die Beatles – Wie alles begann“ an den Nostalgie-Trend, ein weiterer Verlag hat rasch ein illustriertes Songbook neu aufgelegt. Und das sind nur die Zufallsfunde in Sachen „Fab Four“.

Warum hat die Jugend des Westens Mao verehrt?

Letztes Jahr war’s Günter Grass, diesmal ist es Gao Xingjian, der die Messe mit seiner Anwesenheit schmückt. Es ist doch immer wieder erhebend, einen frisch bestimmtenLiteraturnobelpreisträger leibhaftig zu sehen. Das dachten sich wohl auch die zahllosen Kamerateams und Fotografen der Weltpresse, die gestern den Chinesen in ein wahres Lichtgewitter tauchten. Tatsächlich wirkt Gao, dessen Werke in China strikt verboten sind, schon fast wie ein Europäer, seine Pressekonferenz absolvierte er auf Französisch.

„Comme un miracle“ (wie ein Wunder) sei ihm die Preisvergabe erschienen. Jaja, Gerüchte über Mauscheleien im Preiskomitee habe er „gestern vernommen“, dazu wolle er aber nun wirklich nichts sagen. In Anlehnung an den Polen Witold Gombrowicz, der gleichfalls Im Exil gelebt hat, rief Gao aus: „China – das bin ich.“ Will heißen: Das kommunistische Regime habe alle guten alten chinesischen Traditionen zerstört, er aber wolle sie aufsuchen und aufrecht erhalten.

In Hongkong und Taiwan sei er gelegentlich noch gewesen, doch er habe kaum Hoffnung, jemals das festländische China wieder zu sehen. Maos „so genannte“ Revolution sei „ein Wahnsinn, ein Albtraum“ gewesen. Er, Gao, frage sich bis heute, wieso die Jugend des Westens diesen Mann habe bewundern können. Jaja, vor mehr als dreißig Jahren war es so. Und schon damals sang John Lennon mit den „Beatles“ dagegen an („Revolution“). So schließt sich der Kreis.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. Freitag für Fachbesucher, Samstag/Sonntag (21. und 22. Oktober) auch für Privatleute. 9-18.30 Uhr, Tageskarte 14 DM. Messekatalog (Buch und CD-Rom) 35 DM.