Im Trauerhaus: Uraufführung nach Thomas Hürlimann am Theater Oberhausen

Foto: Tanja Dorendorf/T+T Fotografie

Foto: Tanja Dorendorf/T+T Fotografie

„Das Gartenhaus“ – der Titel klingt eher nach einem beschwingten Sommerabend oder nach einem Tête-à-Tête im Grünen. Tatsächlich geht es in der gleichnamigen Uraufführung nach einer Novelle des Schweizer Autors Thomas Hürlimann am Theater Oberhausen um ein gewichtigeres Thema: Tod und Trauer.

Ein älteres Ehepaar hat den Sohn verloren, nun stellt sich die Frage: Rosenstrauch oder Grabstein? Lucienne (Margot Gödrös) setzt sich durch und lässt einen künstlerisch ansprechenden Gedenkstein anfertigen, aber sie brüskiert damit ihren Ehemann (Hartmut Stanke). Das führt zum ersten Zerwürfnis zwischen den Eheleuten, im Laufe der Inszenierung von Oberhausens Intendant Peter Carp vertieft sich dieser Graben. Eingekapselt in die je eigene Trauer verlieren die beiden Alten beinahe den Kontakt zueinander. Und schlimmer: Sie belauern sich, sie misstrauen sich, sie fügen sich Gemeinheiten zu.

Carp trifft genau den Ton und die Atmosphäre in diesem Seniorenhaushalt. Den Starrsinn, die Sturheit, das Verlieren in Erinnerungen, aber auch die Hilflosigkeit und die Unfähigkeit, mit dem Schmerz um den zu früh Dahingeschiedenen umzugehen. Doch die deprimierende Szenerie lässt auch komische Momente zu: Wie Hartmut Stanke in der Rolle des Oberst sich hinter dem Rücken seiner Frau um eine herrenlose Friedhofskatze kümmert und dazu Fleischbrocken im Kleiderschrank aufbewahrt, die leider angeschimmelt aufgefunden werden, weil er die Bevorratung vergessen hat. Wie der Militär a.D. die heimliche Versorgung der Katze wie einen Feldzug plant und sich dabei keine Geringeren zum Vorbild nimmt als Napoleon oder den Vietkong.

Nicht zuletzt überzeugt Hürlimanns präzise hochliterarische Sprache. Die Tatsache, dass es sich nicht um einen dramatischen, sondern um einen Prosa-Text handelt, kommt der Aufführung sogar zugute: So sprechen die Akteure in der dritten Person übereinander statt miteinander. Dies ruft eine eigentümliche Distanz hervor, die genau den Nerv dieser Beziehung trifft. Längst haben Lucienne und der Oberst aufgehört miteinander zu reden. In ihrer Hilflosigkeit wenden sie sich an Tochter (Susanne Burkhard) und Schwiegersohn (Klaus Zwick), doch Antworten bekommen sie hier nicht. Eher werden ihre Schrullen belächelt, ihre Problemchen nicht für voll genommen. So zeigt das Stück auch etwas über den Umgang mit dem Alter heute. Passend dazu bedeckt Herbstlaub das Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer.

Margot Gödrös und Hartmut Stanke – beide selbst in vorgerücktem Alter – verkörpern Hürlimanns Paar extrem überzeugend und äußerst charmant. Und so macht sich auch im Publikum Erleichterung breit, als sie sich am Schluss doch wieder versöhnen. Ausgerechnet im Gartenhaus, wo noch die Modelleisenbahn das verstorbenen Sohnes aufgestellt ist, finden sie wieder zueinander. Indem sie sich mit der Miniaturwelt beschäftigen, schrumpft auch die Trauer auf ein erträgliches Maß. Die Züge rattern wieder durch die Schweizer Berge, das Leben geht (noch eine Weile) weiter.

www.theater-oberhausen.de




Fröhlicher Ritt durch Ibsens traurigen Text – Carsten Bodinus inszeniert „Die Wildente“ in Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Die kleine Hedvig hakt sich mit den Beinen an die Treppe und schaukelt kopfüber. Ein Bild der kindlichen Unschuld, bedroht von Sturzgefahr. Von Zeit zu Zeit dringen Stimmen wie aus der Tiefe herein und rufen ihren Namen. Sind’s böse Geister?

Ja, etwas gespenstisch ist es schon, wenn man, wie Regisseur Carsten Bodinus am Theater Oberhausen, Henrik Ibsens „Wildente“ völlig vom ersten Akt befreit. Schnapp! Damit ist die gesellschaftliche Sphäre getilgt, verschwunden also die Einbettung des Geschehens. Bodinus hat das Stück auf familiäre Vorgänge verengt, hat ein Psychodrama der Lebenslügen daraus gemacht – und dessen Parodie geliefert.

Fotograf Ekdal (beleibter Gemütsmensch: Gerhard Fehn) lebt in den Tag hinein. Der Faulpelz faselt von einer lukrativen Erfindung, die er „demnächst“ machen werde. Seine treusorgende Gattin Gina (Elenor Holder) hält ihm alle banalen Sorgen vom Hals, der pflegeleichte Opa (Dieter Oberholz) süppelt nur ein bißchen, und die fast 14jährige Tochter Hedvig (Jacqueline Roussety) ist kreuzbrav. Umgeben von lauter sanften Sand-Farbtönen (Bühne: Robert Ebeling) sonnen sie sich im kleinen Glück. Gemeinsam spielen sie ein naiv-harmonisches Blockflötenliedchen. Trautes Heim, niedliches Theater.

Doch Ekdal verdankt sein halbwegs auskömmliches Dasein nur dem Ortspatriarchen, Grubenbesitzer Werle (Hartmut Stanke). Der schanzt Gina insgeheim Geld zu, denn er hat mal was mit der Frau gehabt und dabei wohl auch Hedvig gezeugt. All das erfährt Ekdal von Werles verbittertem Sohn Grcgers (Germain Wagner).

Ein Fall von Tugend-Terror

Miesmacher Gregers stakst schwarz gewandet durch die Szenerie. Er verkörpert das bedingungslose „Rechtschaffenheits-Fieber“, wie es bei Ibsen heißt. Hartnäckig verfolgte Idee: Wenn Ekdal alles wisse, könne er endlich dem reinen Ideal zustreben, seine „gefallene“ Frau gnädig verzeihend zu sich emporheben. Heute würde man so etwas Tugend-Terror nennen.

Die Sympathie des Regisseurs wendet sich denn auch Ekdal zu. Eine Parteinahme fast wie im Kindertheater. Geradezu liebevoll geht Bodinus mit der Männerfigur um, die ihrer Illusionen so schändlich beraubt wurde. Als Ekdal schon zornbebend seine Familie verlassen will, hält er inne angesichts einer leckeren Mahlzeit, die seine Frau rasch bereitet hat. Er ist hin- und hergerissen zwischen Idealismus und Appetit. Man muß ihn einfach bedauern.

Zu sonderlichem Feinsinn versteht sich die Inszenierung nicht. Sie gleicht einem fröhli- chen Ritt durch Ibsens Text und bekümmert sich nicht groß darum, ob er das wohl aushält. Im großen und ganzen macht es freilich Spaß, dabei zuzusehen. Denn gespielt wird mit blanker Lust und achtbarem Können. Nur: Es ist nicht immer Ibsen, was da gegeben wird, sondern auch schon mal Klamotte.

Gelegentlich scheint der Umgang mit der Vorlage allzu sorglos. Oder ist es etwa doch Hinterlist, wenn diese Aufführung gewisse Schwächen und Eigenheiten des Stückes auf fast schon unerhörte Art hervortreibt? Die symbolische Überfrachtung der auf Ekdals Dachboden gehaltenen Wildente und des Blindheits-Motivs ward selten so deutlich. Und wie hohl tönen hier die pathetischen Männersprüche!

Weitere Termine: 3., 19. und 25. Februar. 0208/85 780.




„Virginia Woolf“: Routine beim teuflischen Ehedrama

Von Bernd Berke

Hagen. In einem festen Ensemble, das über viele Jahre zusammengewachsen ist und das alle Höhen und Tiefen des Bühnenlebens gemeinsam durchlitten hat, kennen sich die Schauspieler im Idealfall so gut, daß sie auch in feinsten Nuancen aufeinander reagieren können. Bei einem psychologisch durchtriebenen Stück wie Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ können solche Feinheiten entscheidend sein.

In Hagen, wo das Vierpersonen-Ehedrama am Samstag Premiere hatte, steht keine stationäre Sprechtheater-Truppe zur Verfügung. Man behilft sich hier mit dem Engagement von Gastschauspielern.

Ein Quartett erfahrener Profis steht diesmal auf der Bühne, das durchaus geschickt über manche Untiefen hinwegzuspielen, ja stellenweise zu fesseln vermag. Doch diese Darsteller können nicht vollends vergessen machen, daß sie aus sehr verschiedenen Arbeits-Zusammenhängen nach Hagen gekommen sind.

Albees Stück handelt vom maßlosen Geschlechterkampf zweier amerikanischer Ehepaare im provinziellen Professoren-Milieu. Die in den Dialogen geradezu diabolisch gut „gebaute“ Seelenzerfleischung hat seit der Uraufführung (1962) auch Patina angesetzt. Allzu sehr bleibt das Psychodrama freudianischen Konzepten von seelischer Verdrängung und Widerständen haftet. Überdies scheinen mir manche Details – nach den zahllosen „Beziehungs“-Diskussionen der 70er und 80er Jahre – überholt. Diese beiden Dekaden scheinen jedoch an Peter Schützes Inszenierung nahezu spurlos vorübergegangen zu sein. Er bringt das Drama solide, aber höchst konventionell auf die Bühne. Auch Wolf-Reinhard Wusts realistisches Bühnenbild im Möblierungsstil der frühen 60er steht für ein Wieder-sehen, nicht für eine neue Sicht.

Nun muß man ja in Hagen, wo Sprechtheater noch im Einführungs-Stadium steckt, das Publikum auch nicht gleich mit wüsten Avantgarde-Experimenten verprellen. Etwas mehr entschiedener Deutungswille der Regie hätte freilich nicht geschadet. So sehen wir denn gehobenen Boulevard, eingängige Ästhetik à la Tourneetheater. Und doch bleibt das Stück interessant, bedient es doch auch fulminant voyeuristische Bedürfnisse nach ebenso intensiver wie für den Zuschauer schadloser „Teilnahme“ an fremden Ehekrächen.

In Hartmut Stanke (gedemütigter, dann erbarmungslos zurückschlagender Pantoffelheld George) hat die Aufführung den besten Akteur. Barbara Vesterling (Martha) steht an routinierter Präsenz kaum nach. Komische Seiten entlockt Christoph Hemrich seiner Rolle als Nick. Anne-Mylène Biehl hat hingegen Mühe, Nicks Frau Putzi so piepsig-naiv darzustellen wie nötig.

Freundlicher Beifall. Freilich: Edward Albees im Programmheft abgedruckter Wunsch, die Zuschauer sollten nach einer „Woolf“-Aufführung derart betroffen sein, daß sie ihre geparkten Autos nicht mehr finden, wird sich in Hagen kaum erfüllen.