Feine Töne, dicke Mauern – Klangkunst in Haus Kemnade

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Wenn sich das batteriebetriebene Motörchen in Gang setzt, dann lässt es an federndem Stab eine kleine Holzkugel über die Stahlsaiten des alten Klaviers tanzen, und einige unbeholfene Töne entstehen. Der Motor wird elektronisch ein- und ausgeschaltet, entsprechend schwingen oder schweigen die Saiten. Fünf historische Klaviere im Raum sind mit einer solchen technischen Installation ausgestattet, so dass, wenn im Wechsel sie erklingen, der Eindruck von Kommunikation entsteht.

Stephan Froleyks, Jahrgang 1962, der am Niederrhein und in Münster lebt, hat sich diese Klanginstallation ausgedacht, die die Besucher ins Grübeln bringen kann über Klang, Geräusch, Musik, über Signale jenseits der Stille. Zu sehen und zu hören ist sie bis zum 18. Oktober in Haus Kemnade in Hattingen. Acht Künstlerinnen und Künstler präsentieren in Museumsräumen, in denen Musikinstrumente der Sammlung Grumbt ausgestellt sind. Arbeiten unter dem Titel „Kemnade klingt!“.

In den Siebzigern war Kemnade bekennend multikulti

Für den Bochumer Kunstverein als Ausrichter ist dieses Projekt fast schon eine Nummer zu groß. Deshalb preist sein künstlerischer Leiter Reinhard Buskies voller Dankbarkeit die beiden privaten Hauptsponsoren, die Beckumer Marianne-Blumenbecker-Stiftung und die Herdecker Richard-Dörken-Stiftung. Und man erinnert sich, dass es in dem alten Wasserschloss schon oft „geklungen“ hat – seit den frühen 70er-Jahren nämlich, als hier das „Ausländer-Festival“ unvergeßliche multikulturelle Musikmarken setzte.

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Der Ruhrsandstein klingt – jedenfalls vor dieser Mauer, für die Denise Ritter einen speziellen Soundtrack geschaffen hat. Der O-Ton dafür kam aus dem Steinbruch Grandi in Herdecke. (Foto: Stadt Hattingen)

Zurück zum Kemnade-Sound von heute, der nun aus dem Museum kommt und entschieden minimalistischer ist als das vielfältige Festivalgeschrammel von einst. Sparsamkeit prägt das Bild, was weniger einem Arte-povera-Konzept als der ökonomischen Notwendigkeit geschuldet zu sein scheint. So müssen in Simone Zauggs Installation „Luegit vo Bärg u Tal“ Aluleitern die Alpen geben. Oben auf ihnen sind Lautsprecher mit Bewegungsmeldern installiert, und wenn diese Bewegung melden, weil ein Ausstellungsbesucher, was ausdrücklich erlaubt ist, eine Leiter erklommen hat, dann erklingt nämliches Volkslied aus der Konserve, gesungen von der Berner Künstlerin (Jahrgang 1968) persönlich. Der Titel, man ahnte es, ist Schweizerdeutsch und lautet übersetzt in etwa „Blick vom Berg ins Tal“. Wenn zeitnah mehrere Leitern erklommen werden, wird der Gesang polyphon. Dann grüßen sich gleichsam die Alpengipfel, und das klingt schön und seidig durch den Raum und ist leider schnell wieder vorbei. Bis der Bewegungsmelder wieder anschlägt.

Vielstimmiges produziert auch Mathilde ter Heijnes Anordnung von Transistorradios. Leise beginnend ballen historische Brandreden verschiedener Politiker sich schließlich zu einem aufwühlenden Crescendo. Man erkennt die Absicht, doch die Optik des Werks enttäuscht, bietet nicht mehr als kümmerliche Gerätschaften und Strippengewirr auf einigen Quadratmetern Museumsboden. Auch wenn dies fraglos eher eine Veranstaltung für die Ohren ist, wäre etwas visuelle Sinnlichkeit nicht zu verachten.

Grillen im Lautsprecher machen Geräusche

In der Arbeit des Wahlberliners Nik Nowak (Jahrgang 1981) sieht man die Klangerzeuger gleich gar nicht. Dabei sind sie zugegen, und originell sind sie zudem. Nowak nämlich fängt – in zugesichert artgerechter Haltung! – typische Geräusche von Grillen ein, die er verstärkt und durch Frequenzbearbeitung für das menschliche Ohr hörbar macht. Die Grillen sitzen derweil unsichtbar in ihrem Terrarium – in einem zackigen, feindselig wirkenden Lautsprecher-Kubus aus schwarzem Schaumstoff.

Torsten Bruch (Jahrgang 1973) zeigt zwei Videoarbeiten, in denen zum einen vier Chinesen „Die Gedanken sind frei“, zum anderen eine Strophe für Strophe wachsende Kombo das Kinderlied „Laurentia“ singen. Das ist lustig und auch hintersinnig, aber nicht unbedingt eine Kunst, die größere Aha-Erlebnisse zeitigt.

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Haus Kemnade beherbergt unter anderem die Musikinstrumentensammlung Grumbt. Einige dieser Instrumente erklangen für Tommy Finkes Musikstück. (Foto. Stadt Hattingen)

Schließlich trifft man im Inneren des alten Wasserschlosses auf die Klanginstallation von T.D. Finck von Finkenstein. Er hat, ist zu erfahren, im Haus Klänge alter Instrumente gesammelt, diese im Studio überarbeitet und zu einem recht süffigen Soundtrack mit lockerer Rhythmusunterlage verrührt. Wir erleben also das Werk eines Musikers, und da kann es nicht mehr erstaunen, dass sich hinter dem barocken Namensungetüm der in Bochum recht bekannte Musiker Tommy Finke verbirgt, der ab der kommenden Spielzeit im Dortmunder Schauspielhaus als musikalischer Leiter die Nachfolge Paul Wallfischs antreten wird.

Draußen vor der Burg hat Dodo Schielein, 1968 in München geboren, eine Art Akustik-Parcours geschaffen; „music for ears/Musik für zwei Ohren“ hat er ihn genannt, eine „Handlungsanweisung“ (Untertitel). Die real existierenden Handlungsanweisungen finden sich auf wetterfesten Informationstafeln am Wegesrand, und mit Kemnade hat das nur wenig zu tun. Schielein lehrt die Menschen, sich der akustischen Wahrnehmung ihrer Umwelt bewusst zu werden oder auch sie zu beeinflussen, indem sie beispielsweise die Hände zu Ohrmuscheln formen.

Der Ruhrsandstein klingt

Und schließlich ist da noch Denise Ritter (Jahrgang 1971), die von langen Pausen unterbrochen das alte Kemnader Gemäuer mit einem speziellen Soundtrack beschallt. Ihr geht es um eine intensivere Wahrnehmung von Stein, Gebäude, Naturraum und Umgebung in ihrer engen Bezüglichkeit – und ein wenig auch im Unterschied zu dem, was heutzutage in dem alten Gemäuer geschieht. Der Mix aus Museum, Naherholungsziel, Standesamt, Baudenkmal und Gaststätte scheint ihr eine „kuriose Nutzung“ zu sein, wiewohl alternativlos. Der Sound – im Studio nachbearbeitet – kommt aus dem Steinbruch „Grandi“ in Herdecke, der als einer der letzten noch Ruhrsandstein abbaut – das lokale Material, aus dem auch Kemnade einst errichtet wurde. Wie immer man dies findet: Indem sie den Ausstellungsort akustisch reinszeniert, ist Denise Ritters Arbeit die einzige, die sich dezidiert mit ihm befasst.

Politisch-kritische Valeurs sind bei den ausgestellten Arbeiten nicht sehr ausgeprägt, sieht man einmal von Bruchs „Die Gedanken sind frei“ singenden Chinesen oder Mathilde ter Heijnes gesammelten Reden ab. Eher beschleicht einen wiederholt das Gefühl, es mit etwas blutleeren Fingerübungen zu tun zu haben, mit fein hergebastelten Arbeitsproben. Allerdings haben sparsam ausgeführte, konzeptionelle Arbeiten wie diese es auch besonders schwer, zu bestehen, sind sie doch der Möglichkeit beraubt, Ideenarmut hinter bombastischer Inszenierung zu verstecken. Jedenfalls bleibt der Kemnader Schau das Verdienst, eine tonlose Sammlung von Musikinstrumenten um etliche Töne zu bereichern. Für einige Zeit jedenfalls.

  • Haus Kemnade, An der Kemnade 10, 45527 Hattingen
    Tel. 02324 – 30268
  • Anfahrt: A 43, Abfahrt Witten-Herbede, Richtung Hattingen
  • Bushaltestelle: Hattingen, Haus Kemnade [Linie CE31]
  • Öffnungszeiten:
    Do. – So., 11 – 17 Uhr (Nov. – April)
    Do. – So., 12 – 18 Uhr (Mai – Okt.)



Eine Lehrerin im Jahre 1852

Gelegentlich hört man Eltern kleiner Jungen klagen, dass nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der folgenden Grundschule ihr Sprössling fast ausschließlich dem Wirken von Erzieherinnen ausgesetzt sei. Dabei gibt es Lehrerinnen an Schulen noch gar nicht so lange.

Auch im Hattinger Rathaus hatten nur Männer das Sagen. (Foto Pöpsel)

Auch im Hattinger Rathaus hatten nur Männer das Sagen. (Foto Pöpsel)

Beispielhaft berichtet zu diesem Thema Gerhard Solbach im Märkischen Jahrbuch über die erste Lehrerin in Hattingen, und die kam erst vor gut 160 Jahren in den Schuldienst. Im „Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Arnsberg“ vom 9. Oktober 1852 wird in der Abteilung Personal-Chronik erwähnt: „Die Schulamts-Candidatin Caroline Weyland aus Iserlohn ist zur Lehrerin an der evangelischen Elementar-Schulanstalt zu Hattingen, Kreis Bochum, provisorisch ernannt worden.“

220 Kinder in einer Klasse

Diese Elementar-Schule war bis 1858 in einem der Fachwerkhäuser am historischen Kirchplatz untergebracht. Die Klassen waren bereits seit den 40-er Jahren überfüllt. Einer der Lehrer habe zeitweise 220 Schulkinder in einer Klasse unterrichten müssen, und deshalb beantragte der Schulvorstand, eine weitere Klasse einrichten zu dürfen und die Zuweisung einer sechsten Lehrkraft. Diese Stelle bekam jenes erwähnte Fräulein Weyland mit ihrer Ernennung am 21. Juli 1852. Sie war damit die erste Lehrerin in Hattingen, und in anderen Gemeinden der Region ging es mit der Zulassung von Frauen in den Schuldienst ähnlich zu.

Caroline Weyland hatte ihre Ausbildung in der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth erhalten, der von dem evangelischen Theologen Theodor Fliedner begründeten Lehranstalt bei Düsseldorf. Die neue Lehrerin erhielt 120 Taler im Jahr als Gehalt – eine Summe, die für männliche Lehrer mit Familie zu gering gewesen wäre. Für ein unverheiratetes Fräulein hielt man die Summe jedoch für ausreichend, und so argumentierte der Schulvorstand auch ganz offen, dass man eine Lehrerin erbeten habe, weil sie billiger war. Allerdings versprach man dem Fräulein, dass sie bei Bewährung im Amt mit einer „angemessenen Gehaltserhöhung“ in einigen Jahren rechnen könne.

Auch Caroline Weyland hatte bis zu 120 Kinder in einer Klasse zu unterrichten. Zeitgleich mit ihrer Anstellung war auch für die unteren vier Klassen die Trennung nach Geschlechtern eingeführt worden. Die vom Schulvorstand versprochene Gehaltserhöhung bekam sie aber trotz Gesuch nicht bewilligt, weil der Schulvorstand davon ausging, dass „sich die Volksschullehrer in der Stadt durch Privatunterricht viel Geld verdienten“, wie Gerhard Solbach in seinem Aufsatz schreibt. Das sei aber wohl sehr übertrieben gewesen.




Fast alltäglich – eine Stadt ohne Buchhandlung

Ennepetal ist eine Stadt mit gut 30.000 Einwohnern am Südrand des Ruhrgebietes, eine mittlere Kleinstadt, viel mittelständische Industrie, ein großes Gymnasium mit 1.400 Schülern, ein privates Theater, drei Talsperren, und als Attraktion die heilklimatische Kluterthöhle. Bis Ende März dieses Jahres hatte Ennepetal auch eine richtige Buchhandlung, gut sortiert und angesehen, doch das ist Vergangenheit.

Das ist Vergangenheit: Die Buchhandlung in Ennepetal. (Foto: Pöpsel)

Das ist Vergangenheit: Die Buchhandlung in Ennepetal. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Die Buchhandlung hat am 31. März für immer geschlossen, in ihren Räumen befindet sich seit Anfang Mai der Kinderkleider-Laden des örtlichen Kinderschutzbundes – ein ehrenhaftes und ehrenamtliches Geschäft, aber eben keine Buchhandlung. Deren Inhaberin hatte sich monatelang bemüht, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden, sie wollte sogar die Einrichtung (fast) verschenken, doch wer in die Bilanz der letzten Jahre geschaut habe, der habe sich schnell abgewandt. Eigentlich eine inzwischen fast alltägliche Entwicklung in deutschen Städten.

Nun muss ich gestehen, dass ich Kunde bei Frau Bäcker war, aber dass ich manchmal – zwar nicht bei amazon – aber bei Weltbild bestellt habe. Das passt in das Bild vom allgemeinen Wehklagen: Jeder trauert dem verschwundenen stationären Buchhandel nach, aber als Kunde ist man nicht konsequent treu geblieben.

Nicht nur lokale Buchhandlungen gehen diesen Weg. Die Geschäfte in den Innenbereichen der Klein- und Mittelstädte bluten langfristig aus, und das haben letztlich stets die Kunden so entschieden. Sie bestellen immer öfter bei Zalando oder amazon, und wenn sie doch einmal „in die Stadt“ gehen, dann um Leute zu treffen, einen Kaffee zu trinken, etwas zu erleben. Diesem Bedürfnis entsprechen nicht alle Städte, und wenn sie es hinbekommen, wie zum Beispiel die Städte Hattingen oder Gevelsberg, dann ist dort auch deutlich mehr Leben zu spüren.

Die Ennepetaler haben zum Glück die beiden etwa gleich großen Nachbarstädte Schwelm und Gevelsberg ganz in ihrer Nähe, und da gibt es immerhin noch fünf Buchhandlungen. Noch.




Steinzeit in Hattingen: Die Blut-Ablaufrinne im Opferstein – wohl nur ein Mythos

So ein kleines Museum findet man selten, so ein schönes aber auch nicht. Das „Bügeleisenhaus“ in der Hattinger Altstadt gehört dem Heimatverein, und dort wird die Ausstellung „Steinzeit in Hattingen“ gezeigt.

Das Bügeleisenhaus in Hattingen. (Foto: Stadt)

Zugegeben, die Zahl der Objekte ist begrenzt. Einen schönen Mammutzahn, Werkzeuge und kleine Waffen kann man sich ansehen, und in einem Sonderraum wird die Geschichte eines Steins vorgestellt, der in einem Hattinger Park liegt und schon Gegenstand eines Romans und zahlreicher Ortslegenden wurde. Er hat einen länglichen Einschnitt, der von den Hattingern lange Zeit als „Blut-Ablaufrinne“ in diesem „Opferstein“ gedeutet wurde. Geologen erklären die Besonderheit jedoch ganz anders, nämlich als Spur einer misslungenen Stein-Teilung.

„Zwischen Fund und Dichtung“ heißt deshalb auch die kleine Ausstellung in einem Fachwerkhaus, das allein schon den Besuch lohnt. Fast alle Besucher staunen besonders über die schrägen Fußböden, die teils bis zu 15 Zentimeter Höhenunterschied in einem Raum aufweisen. Das „Bügeleisenhaus“ gehört übrigens auch zu den 200 Orten in Nordrhein-Westfalen, die am 3. Oktober zum „Türöffner-Tag“ kostenlos zugänglich sein werden. Die Aktion wurde von den Machern der „Sendung mit der Maus“ ins Leben gerufen und wendet sich dementsprechend vor allem an Kinder.

„Zwischen Fund und Dichtung – Die Steinzeit in Hattingen/Ruhr“. Bis zum 9. Dezember 2012, Museum im Bügeleisenhaus, Haldenplatz 1, Hattingen. Freitags und samstags16 bis 18 Uhr, sonntags 14 bis 18 Uhr, Eintritt 2 Euro.




Das Ruhrgebiet war gegen Nazis nicht immun: Schon 1932 füllte Hitler die Westfalenhalle

Die Neonazis beunruhigen Dortmund – zu Recht. Ein kleiner historischer Abstecher zeigt nämlich, dass das Ruhrgebiet keineswegs immun war gegen die Nazis um Hitler.

Die alte Westfalenhalle (Foto: Stadtárchiv Dortmund)

Vor gut 85 Jahren, Mitte Juni 1926, kam der Anführer der Nationalsozialisten zum ersten Mal ins Ruhrgebiet. Wegen seiner persönlichen Kontakte zu den Hattinger „Parteigenossen“ begann Hitler seine Rundreise in der Stadt Hattingen. Im Lokal „Märker“ traf er sich mit den örtlichen NSDAP-Mitgliedern, und auf der Treppe vor dem Lokal entstand ein Erinnerungsfoto, auf dem zum ersten Mal auch die Mädchengruppe der NSDAP Hattingen zu sehen ist. Anschließend fuhr Hitler weiter nach Bochum, Elberfeld und Essen, wo er jeweils vor großen Versammlungen seine umjubelten Reden hielt. Die Polizei hatte darauf bestanden, dass diese Kundgebungen als „Mitgliederversammlungen“ aufgezogen wurden, was den Ortsgruppen natürlich entgegen kam. An den Eingängen mussten die Zuhörer Personalausweis, den Partei-Mitgliedsausweis und eine Einlasskarte vorzeigen, und dennoch waren die Versammlungen überfüllt. Wer noch nicht Mitglied war, wurde gleich an der Kasse aufgenommen. Allein für Bochum schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl im Evangelischen Gemeindehaus auf etwa 1000.

Im März 1932 war Hitler wieder einmal im Ruhrgebiet, und diesmal sprach er in der Westfalenhalle vor mehr als 18.000 begeisterten Anhängern. Es ging um die Reichspräsidentenwahl, in der Hitler später gegen den Amtsinhaber unterlag.

Bei den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932 erhielt die NSDAP entgegen ihren Erwartungen „nur“ 33,1 Prozent der Stimmen. Sie verlor reichsweit 34 Mandate, allerdings lagen die Verluste der Nazis im Ruhrgebiet unter dem Reichsdurchschnitt. Es gibt also im Revier keinen Grund, von einer besonderen Resistenz auszugehen.




Kriegsende an der Ruhr: Bei Hattingen gab es „Friendly Fire“

Immer im Mai wird in Deutschland an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Im Ruhrgebiet erlebten die Menschen diese Befreiung, die es ja objektiv war, in den Wochen von Anfang bis zum 18. April, als die im sogenannten Ruhrkessel eingeschlossenen Soldaten der Wehrmacht kapitulierten. An einige Details dieser Militäraktionen soll hier erinnert werden.

Für die alliierten Truppen bedeutete die Stadtlandschaft Ruhrgebiet eine gefährliche Herausforderung. Deshalb näherten sie sich mit ihren Panzerverbänden von mehreren Seiten. Bereits am 3. März 1945 hatten deutsche Soldaten die Rheinbrücken in Düsseldorf gesprengt, andere Übergänge folgten. Bei Wesel gelang es britischen und amerikanischen Pioniereinheiten am 23. und 24. März, den Rhein zu überqueren. Nacheinander werden die Städte Dorsten, Dülmen und Hamm befreit. Gleichzeitig näherten sich von Süden durch das Sauerland und das Bergische Land Verbände in Richtung Ruhr. Am 2. April hatten sich bei Siegen die von Norden kommende 2. US-Division und die aus Süden kommende 3. Division getroffen, so dass der geplante Kessel großräumig geschlossen und zugezogen werden konnte.

Bis zum 11. April zogen die südlichen Truppen der Alliierten etwa der heutigen B 54 folgend über Olpe, Meinerzhagen und Kierspe Richtung Hagen, Ennepe-Ruhr und Wuppertal. Wenn es Widerstand gab, wurde mit Panzerwaffen zurückgeschossen, so zum Beispiel in Schmallenberg-Oberkirchen oder in Ennepetal-Voerde. Dort hatte eine deutsche Panzerbesatzung einen amerikanischen Panzer in Brand geschossen. Als Folge gingen zahlreiche Häuser im Dorf durch Granatfeuer in Flammen auf. Unna war am 11. April „überrollt“ worden, wie die Menschen es ausdrückten, während Dortmund von der Wehrmacht kampflos geräumt wurde.

Von Osten aus erreichten die alliierten Soldaten Bochum und die Ruhr, während von Süden amerikanische, britische und belgische Einheiten über Schwelm und Sprockhövel Richtung Hattingen vorrückten. Diese erreichten am Abend des 15. April 1945 den Fluss, doch bevor es zur Teilung des Ruhrkessels durch den Zusammenschluss der alliierten Einheiten kam, lieferten sich die befreundeten Truppen noch ein Gefecht – „Friendly Fire“ genannt, weil man sich nicht rechtzeitig erkannte. Diese und andere Details finden sich in den zunächst als geheim eingestuften Tagesberichten der 8. US-Infanterie-Division, die als Kopien im Stadtarchiv Ennepetal liegen.

Drei Tage später, am 18. April, kapitulierte die deutsche Wehrmacht im Ruhrkessel. Etwa 350.000 Offiziere und Soldaten kamen in Kriegsgefangenschaft, die meisten lagerten zeitweise in den Rheinwiesen bei Düsseldorf. Die NS-Gauführung hatte sich kurz vor der Überrollung noch einmal in Hasslinghausen versammelt, dann schlug man sich in Zivil in die Büsche.

Am 25. April trafen in Torgau an der Elbe amerikanische und sowjetische Truppen zusammen, am 8. Mai kapitulierte Deutschland bedingungslos – der Krieg war in Europa beendet, im Fernen Osten dauerte er noch bis zur Kapitulation Japans am 2. September.

Wie die Befreier mit den NS-Funktionären umgingen, soll bei anderer Gelegenheit erzählt werden.




Die Weisheit passt in wenige Worte – Hattingen als Zentrum für Aphorismen: Autorentreffen und neues Archiv

Von Bernd Berke

Hattingen. Kleine Kunstform, großer Aha-Effekt. Auf solche Wirkungen zielen Aphorismen ab. Im Idealfalle sind es geistreich zugespitzte Weisheiten in wenigen geschliffenen Worten. Irgendwie passend, dass eine kleinere Stadt sich anschickt, zum Zentrum der knappen Sinnsprüche zu werden: Hattingen hat’s mit Kürze und Würze.

Schon zum zweiten Mal (nach 2004) treffen sich jetzt deutschsprachige Aphoristiker in der Ruhrstadt. Zudem wird heute im Hattinger Stadtmuseum ein Aphorismen-Archiv eröffnet. Es soll mit der Zeit wachsen. Kulturamtsleiter Dr. Jürgen Wilbert (61), selbst Aphorismen-Schmied aus Passion, darf als Ideengeber gelten. Zündfunke war eine Eingebung des Schriftstellers Elias Canetti: „Die großen Aphoristiker lesen sich so, als ob sie einander gut gekannt hätten.“ Wilbert folgerte: Ihre gegenwärtigen Nachfahren sollten einander tatsächlich kennen lernen – und zwar in Hattingen.

Randfiguren des Buchmarktes

Im Literaturbetrieb tun sich Aphoristiker schwer. Viele publizieren auf eigene Kosten, denn die Verlage setzen in erster Linie auf Romane. Jürgen Wilbert meint allerdings: „Von Romanen bleibt doch oft nur eine Wendung im Gedächtnis.“ Geniale Prosa kann damit zwar nicht gemeint sein. Doch mancher dickleibige Band schnurrt im Resultat vielleicht wirklich auf ein paar Kernsätze zusammen. So gesehen gäbe es keinen Grund, als Aphoristiker in Sack und Asche zu gehen.

Kommen die Sprüche etwa einer kurzatmigen „Häppchen-Kultur“ entgegen? Wilbert: „Nein, nein, es sind eben wohldosierte Worte!“ Zudem habe der Aphorismus einehrwürdige Tradition (siehe Infokasten). Die Zunft dürfe sich jedoch nicht in Selbstgefälligkeit wiegen, mahnt Wilbert. Das Treffen von rund 40 Satzdrechslern soll das Qualitäts-Bewusstsein schärfen. Gar mancher rasche Einfall erweist sich als spitzfindige Wortspielerei ohne sonderlichen geistigen Nährwert.

„Der Aphorismus zwischen Wortspiel und Erkenntnis“ heißt denn auch das Motto der Tagung, die gestern mit einem Vortrag des umtriebigen Vorzeige-Intellektuellen Roger Willemsen begonnen hat.

Diskussionsthemen sind u. a. die Abgrenzung zum Sprichwort sowie „Aphoristisches in der Werbesprache“. Beispiel aus einer Möbelreklame: „Für Ihr gesundes Sitzen stehen wir gerade.“ Klingt ja halbwegs pfiffig, aber ist’s ein Aphorismus reinen Wassers?

Kluge Sentenzen im Rap-Rhythmus

Man will freilich in Hattingen nicht nur fachlich unter sich bleiben, sondern öffentlich wirken. 16 Autoren schwärmen heute in sieben örtliche Schulen aus, um dort Gedankensplitter auszustreuen. Jürgen Wilbert: „Gerade Schüler sind für Aphorismen empfänglich, sie mögen ja kesse und lockere Sprüche.“

Vor allem ans jüngere Publikum wendet sich heute auch das Experiment mit dem„Apho-Rap“: Ein Rap-Sänger will kluge Sentenzen im tanzbaren Stakkato-Rhythmus li- vortragen. Weisheit fetzt…

Mit Aphorismus-Projekten hat sich Hattingen beim bundesweiten Wettstreit als einer U. von 365 Orten im „Land der Ideen“ hervorgetan. Nächster Schritt: Auch in der „Kulturhauptstadt 2010″ will man die gesammelten Geistesblitze leuchten lassen.

Heute ist Publikumstag beim Hattinger Treffen: Morgens stehen Lesungen in Schulen an. Ab 20 Uhr tritt im Stadtmuseum der Kabarettist Wendelin Haverkamp auf, ab 21 Uhr gibt es Freiluftaktionen auf dem Marktplatz, u. a. einschlägige Lichtkunst und den Aphorismen-Rap.

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HINTERGRUND

„Sprachkürze gibt Denkweite“

  • Große Vorläufer in der deutschsprachigen aphoristischen Literatur waren u. a„ Lichtenberg („Sudelbücher“), Goethe („Maximen und Reflexionen“), Jean Paul, Schopenhauer („Aphorismen zur LebensWeisheit“), Karl Kraus, Elias Canetti und Kurt Tucholsky.
  • Zitat-Beispiele:
  • „Sprachkürze gibt Denkweite.“ (Jean Paul)
  • „Vom Wahrsagen lässt sich wohl leben in der Weit, aber nicht vom Wahrheit sagen.“ (Georg Christoph Lichtenberg)
  • „Einer, der Aphorismen schreiben kann, sollte sich nicht in Aufsätzen zersplittern.“ (Karl Kraus)
  • „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“ (Erich Fried)

 




Begeistert von der Industrie – Bilder aus dem Nachlass von Gustav Deppe in Witten und Hattingen

Von Bernd Berke

Jeder hat seine eigene, vielleicht eher widerstrebende Haltung zur industriellen „Landschaft“ des Ruhrgebiets: Der Künstler Gustav Deppe (1913-1999) konnte sich jedenfalls kaum sattsehen an Strommasten, Zechentürmen, Kraftwerken oder gewaltigen Raffinerien. Eine Doppelausstellung in Witten und Hattingen vergegenwärtigt jetzt seine bejahende Sicht auf diese Welt aus Stahl und Beton.

Fast fühlt man sich an den berühmten Satz Rilkes erinnert, ein Künstler müsse vor allem zu rühmen wissen. Deppe jedenfalls zeigt keine hässlichen Verwerfungen und Verwitterungen, sondrn allemal ein großes Aufragen und Himmelwärtsstreben industrieller Anlagen. In der Wiederaufbauzeit haben diese Giganten gewiss Zukunftshoffnung verkörpert. Und womöglich ist hier auch ein ferner Nachhall des Futurismus zu vernehmen, der ja jede technische Errungenschaft freudig begrüßte.

Verwandlung in pure Energie

Mag sein, dass dies Deppes Mentalität entsprochen hat. Doch eigentlich gehört dieser Mann in einen etwas anderen Zusammenhang. Der gebürtige Essener, der lange Zeit in Bochum bzw. Witten gelebt hat und von 1953 bis 1977 an der Dortmunder Werkkunstschule (später Fachhochschule) unterrichtete, zählte 1948 zu den Mitbegründern der Gruppe „junger westen“; gemeinsam mit Emil Schumacher, Thomas Grochowiak und Heinrich Siepmann. Unvergessenes Verdienst: Diese Künstler machten, nach dem großen Kriege und der NS-Verfemung aller fortschrittlichen Strömungen, die Moderne hierzulande wieder heimisch – mal auf eher konstruktivistischen, mal auf informellen Wegen.

Zeitweise Neigung zum Informel

Einer gewissen Neigung zum Informel, zur abstrahierend-gestischen Malerei, gibt sich phasenweise auch Gustav Deppe hin. Gegen Ende der 50er Jahre mutieren die industriellen Bauten auf seinen Bildern gleichsam zu energetischen Feldern. Hier bildet Deppe nicht mehr die Objekte selbst ab, sondern das pure Strömen und Strahlen seiner eigenen Begeisterung. Doch bald kehrt er wieder zu erkennbaren Gegenständen zurück, die er freilich nie dokumentarisch auffasst. Menschengestalten kommen nirgendwo vor. Die Arbeitsweit interessiert nicht als soziale Umgebung, vielmehr werden ihre materiellen Bestandteile zum ästhetischen Ereignis stilisiert.

Übrigens hat Deppe die Technik nicht durchweg gemocht. 1986, nach dem Reaktorunglück in der Ukraine, beginnt für ihn gar eine andere Zeitrechnung: „Bild l nach Tschernobyl“ heißt ein Titel. Auch vor massenhafter Motorisierung hat es ihn gegraust. Mehrere von der Pop-Art inspirierte Bilder zeugen davon: Deppe dachte beim Wort „Auto“ vor allem an Schrotthaufen und blutende Körper.

Weitere Stationen in der Region

Im Wittener Haus Herbede und dem etwa zwei Kilometer entfernten Stadtmuseum Hattingen sind rund 100 Arheiten zu sehen. Es ist praktisch der gesamte Deppe-Nachlass, den der Wittener Kunstverein präsentiert und der von zwei Kunststudenten der Ruhr-Uni Bochum aufbereitet wurde. Nur hier und jetzt gibt’s das Konvolut komplett zu sehen. Für die weiteren Stationen wird der Bestand auf 60 Werke reduziert.

An beiden Orten bis 7. April, gemeinsamer Katalog 10 Euro (limitierteVorzugsausgabe mit Originalgraphik 25 Euro).

Galerie Haus Herbede (Witten, Von Elverfeldt-Allee): Mi/ Fr/Sa 16-18, So 11-17 Uhr. Eröffnung So., 24. Feb, 1 1 Uhr.

Stadtmuseum Hattingen (Marktplatz 1-3): Di/Mi 14-18, Do 15-20, Fr/Sa/So 11-18-Uhr. Eröffnung heute um 19. Uhr.

Weitere Stationen: Hagen (ab 26. April), Ennepetal (ab 2. Juni), Bochum (ab 8. Sept.).

 




DGB sucht nach neuen Wegen in der Kulturarbeit – Beispielhaftes Projekt mit Jugendlichen

Von Bernd Berke

Hattingen. Neue Wege in seiner Kulturarbeit mit Jugendlichen soll der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beschreiten – wenn es nach dem Team geht, das gestern in Hattingen den Abschlußbericht eines ungewöhnlichen Projekts vorgelegt hat, bei dem nicht – wie so oft – typische Gewerkschaftsthemen (35-Stunden-Woche usw.) nur noch umgesetzt wurden, sondern bei dem Erfahrungen und Bedürfnisse Jugendlicher den Anstoß gaben und Themen, Medien und Darstellung bestimmten.

Ilse Brusis, als Mitglied des DGB-Bundesvorstands an dem Modellversuch interessiert, nannte gestern den Hauptgrund für die Aktivitäten, an denen 12 Gruppen mit insgesamt rund 150 Jugendlichen beteiligt waren: Immer mehr Jugendliche gehen, so Frau Brusis, auf vorsichtige Distanz zur Gewerkschaft, die sie oft genug nur noch als Institution mit zahllosen bürokratischen Gremien erleben. Also müsse sich der DGB auch auf dem kulturellen Sektor etwas einfallen lassen, um attraktiver und lebendiger zu werden. Das Projekt (Kosten für drei Jahre: 380.000 DM) solle ein erster Schritt sein, die vorliegende Bilanz eine Anregung.

Von traditioneller Gewerkschafts-Kultur sind die meisten Gruppen in der Tat weit entfernt: Manchem altgedientem Gewerkschafter mag z. B. die Art nicht gefallen, wie sich eine Bergkamener Projektgruppe jugendlicher Bergarbeiter kritisch äußerte: Unter Anleitung eines Künstlers entwarfen sie eine Gipsfigurengruppe, die zeigt, wie lebenswichtige Solidarität unter Bergleuten zwar „vor Ort“ funktioniert, in der Freizeit aber nicht mehr. Da herrscht Vereinzelung. Die Bergkamener bauten auch ein bizarres „Traumauto“, einfach weil sie gerade alle den Führerschein machten und das Thema deshalb akut war. Und sie drehten einen Videofilm, der direkt in der Arbeitswirklichkeit ansetzt und u. a. einen „Kumpel“ unter Tage zeigt, der sich durch den Berg zur Freiheit vorarbeitet und plötzlich an einem Südseestrand steht.

Weitere Projektgruppen: Junge Bergarbeiter in Gelsenkirchen spielten ein Stück über Südafrika, eine Jugendgruppe von Opel in Bochum absolvierte einen Theaterkursus. und in Herne erarbeiteten deutsche und türkische Jugendliche gemeinsam ein Stück über Ausländerfeindlichkeit. Prinzip war jeweils, daß den Beteiligten keine gewerkschaftlichen Thesen vorgegeben wurden.

Projektleiter Jürgen Krings vom „jungen forum“ der Ruhrfestspiele glaubt dennoch, daß das Mißtrauen „orthodoxer“ Gewerkschafter unbegründet sei, denn: „Hier werden gewerkschaftlich wichtige Fähigkeiten wie Miteinander-Reden ganz nebenbei entwickelt.“ Freiere kulturelle Arbeit nach Art dieses Projekts schaffe „ein Stück sozialer Heimat“. Zwei beteiligte Jugendliche aus Bergkamen bestätigten das. Die Gewerkschaft, so sagten sie gestern, sei ihnen durch das Kulturprojekt nähergerückt.




Mordgelüste – eine alltägliche Krankheit / Shakespeares „Macbeth“ beim Theaterpathologischen Institut in Hattingen

Von Bernd Berke

Hattingen. Die obszönen Hexen schänden ein Kreuz, ein bluttriefender Krieger dient als Lustobjekt, sein Kampfschwert desgleichen. Kein Zweifel: Wir befinden uns im „TPI“, im „Theaterpathologisehen Institut“ des Roland Reber zu Hattingen an der Ruhr.

D o c h Zweifel! Denn mit besagten Szenen hat die Truppe nur jene Erwartungshaltung ironisch zitiert, mit der ein Gutteil der Zuschauer zur „Schulenburg“ gepilgert sein mag. Schließlich war Shakespeares „Macbeth“ (Titelrolle: Reber) angesagt, dessen diverse Metzeleien um den schottischen Königsthron das Ensemble wahrlich mühelos in eine seiner berüchtigten Gewaltorgien hätte umsetzen können. Es kommt aber alles ganz anders, nämlich über weite Passagen so bieder, als müsse man ein kreuzbraves Publikum beschwichtigen.

Der TPI-Chef hat für dieses Projekt sein Ensemble um einige Bühnenlaien verstärkt. Das merkt man. Streckenweise ist die vollständig mit lehmigklumpigem Erdreich bedeckte, „L“-förmige Bühne Schauplatz von „Schülertheater“. Die tragenden Rollen sind hingegen diskutabel besetzt.

Der Untertitel lautet „Die vom Tod Befallenen“. Tatsächlich grassieren Mordlust und ihre Begleiterscheinungen hier als eine alltägliche Krankheit, fast einem Schnupfen vergleichbar. Das zynische Endlos-Spiel der Macht spielen nämlich ausnahmslos alle mit. Bereits Banquos Söhnchen bedroht den alten König Duncan (Thomas Rech als kümmerlich-lächerlicher „Papiertiger“) hinterrücks mit dem Schwert, was sein Papa, der im Grunde auch keine edleren Gedanken hegt, grad mal mit einer Backpfeife quittiert.

Keinesfalls ist Macbeth allein der große Usurpator. Höchstens ist er derjenige, der den tödlichen Intrigen noch die meisten Gelegenheiten zu ausgiebiger Theatralik abgewinnt – sei es, daß er alle Geschehnisse demonstrativ auf die leichte Schulter nimmt, sei es, daß er gestenreich vorgibt, monumentale Wahnsinnsanfälle zu haben. Am Ende findet er in Macduff, dem die Hexen unheilvollen Ehrgeiz einflüstern, einen mutmaßlich ebenbürtigen Nachfolger.

Bei genereller Zurückhaltung wirken einige Regieeinfälle desto greller – so der Auftritt eines öligen Muskelmanns, so verschiedene pyrotechnisch-circensische Effekte, so die Sturzflut von Tischtennisbällen, die zum Schluß eine Treppe hinabprasselt und das Geräusch des Beifalls vorwegnimmt. Schließlich Banquos Geist, der – was eigentlich verpönt sein sollte – körperlich erscheint. Solche Ideen liegen oft dicht an der Geschmacksgrenze (was der Aufführung gar nicht einmal zum Nachteil gereicht). Daß aber Macbeth’s Widersacher das Horst-Wessel-Lied anstimmen, kommt für meine Begriffe denn doch zu unvermittelt.

Warum diesmal „großes“ Theater beim TPI? Vermutlich wollte sich Reber – es ist seine erzwungenermaßen letzte Theaterproduktioft in Hattingen – einen beeindruckenden Abgang verschaffen, um andernorts Fürsprecher zu finden. Müßte er ganz aufgeben, wäre das Revier um einen kulturellen Reibungspunkt ärmer; man mag zu seiner Arbeit stehen, wie man will.