Berlin, Berlin – eine kleine Polemik

Seit ein paar Jährchen bin ich nicht mehr in Berlin gewesen. Mag sein, dass es auch daran liegt. Aber bestimmt nicht nur. Tatsache ist: Berliner Befindlichkeiten gehen mir auf den Geist. Doch die Gazetten quellen davon über.

Was interessiert’s mich, wen die Türsteher im Berghain reinlassen und ob der Schuppen überhaupt noch wichtig ist? Was geht’s mich an, wer im Café Einstein oder sonstigen Lokalitäten Platz nimmt? Was juckt es mich, ob der Prenzlauer Berg derzeit an- oder abgesagt ist und wohin sich die Hipness gerade mal wieder verlagert hat?

Der Autor der umliegenden Zeilen anno 2001 in Berlin. (Foto: privat)

Der Autor der umliegenden Zeilen anno 2003 in Berlin. (Foto: privat)

Ob Berlin sich anschickt, europäische oder Weltmetropole der Kunst, der Mode oder sonstigen Unsinns zu werden – piepegal! Wann dieser unselige Flughafen fertig wird – wurscht! Dass eingesessene Berliner zugereiste Schwaben und Touris nicht haben wollen – einerlei!

Da jetzt mal wieder der „Tag der deutschen Einheit“ ist, sei noch kurz angemerkt: Einen Streit, der es an Lächerlichkeit mit dem Disput ums millionenschwere Projekt einer „Einheitswippe“ in Berlin aufnehmen kann, müsste man erst noch erfinden. Man stelle sich vor: Die Wippe ist doch tatsächlich ins Wanken geraten…

Und überhaupt: Warum soll letztlich das ganze Land für ein irrsinniges Prestigeprojekt wie das Berliner Stadtschloss draufzahlen?

Von dem Ausblick (2001) war ick schwer beeindruckt, wa? (Foto: Bernd Berke)

Von dem Ausblick (2001) war ick schwer beeindruckt, wa? (Foto: Bernd Berke)

Um vollends polemisch zu werden: Erst hat die BRD West-Berlin als eingemauerte „Frontstadt“ mit durchgezogen, jetzt alimentieren alle die protzende Hauptstadt, deren Bewohner gleichwohl geglaubt haben, einen lebenslangen Anspruch auf günstigere Mieten zu haben als der ganze Rest der Nation.

Während Frankreich auf Paris zentrierte Strukturen wenigstens hie und da abbaut, eröffnen im staatlichen Kielwasser Hinz und Kunz Berliner Zentralen oder wenigstens Niederlassungen. In der Frankfurter (!) Allgemeinen Sonntagszeitung lese ich mehr über Berlin als über den gesamten Rest der Republik. Habe ich denn einen wuchernden Berliner Lokalteil bestellt? Nein.

Mich würde es gelegentlich auch mal interesseren, wie es z. B. in Bremen, Dresden, Kiel, Leipzig, Stuttgart, Nürnberg, Hannover, Rostock, Köln, Kassel oder Kaiserslautern zugeht. Von Hamburg und München ganz zu schweigen. Und vom Ruhrgebiet mal abgesehen, wenn’s nicht wieder die ewiggleichen Depressions-Arien der überregionalen Presse sind…

Aber nein. Statt dessen gibt’s stets die allerneuesten Trends aus Berlin-Mitte oder welchem Place-to-be-Hauptstadtteil auch immer. Und immerzu die ebenso atemlosen wie weitschweifigen Erwägungen, ob Berlin nun „arm aber sexy“ oder doch irgendwie Kiez-provinziell sei, ob und wie es als „einzige deutsche Weltstadt“ mit London, Paris und New York konkurrieren könne oder eben nicht. Wumpe!

Auch hier überkam mich der Weltstadt-Schauder. (Foto: Bernd Berke)

Auch hier überkam mich der Weltstadt-Schauder. (Foto: Bernd Berke)

Ganz ehrlich: Ich war schon damals gegen die ungemein kostspielige Verlagerung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin. Tatsächlich ist der Polit- und Medienbetrieb seither aufgeregter und großmäuliger geworden. Man durfte nichts anderes erwarten.

Apropos Medien. In Berlin selbst erscheinen ein paar Blättchen mit vergleichsweise lächerlich geringen Auflagen, die gleichwohl bundesweite Meinungsführerschaft beanspruchen: Tagesspiegel, Berliner Zeitung und taz sind hie und da lesenswert, jedoch im Grunde herzlich unbedeutend. Vom Fußball in der Kapitale wollen wir denn lieber gleich ganz schweigen. Der war fast immer zweit- bis drittrangig.

Als Trost für Hauptstadtbewohner bleibt einstweilen nur Frank Goosens aufs Ruhrgebiet gemünzter Sinnspruch: „Woanders is‘ auch scheiße…“




Albus und Debus lassen nicht locker: Das Ruhrgebiet muss endlich Hauptstadt werden !

Ein einflussreiches US-Magazin schmäht Berlin – und schon wird dort im vorauseilenden Gehorsam fieberhaft überlegt, ob man nicht eine neue Hauptstadt braucht. Zur Auswahl stehen München, Hamburg, Köln – und das Ruhrgebiet. Hossa!

Auf geht’s. Kanzlerin Merkel beauftragt den Berliner Sozialwissenschaftler John Fettersen mit der heiklen Angelegenheit. Dessen Gewährsfrau fürs Revier ist die zungenfertige (vulgo: geschwätzige) Mia Mittelkötter, mit je einem Bein im Sauerland und in Dortmund daheim. Fettersen muss die Dame brieflich intensiv nach etwaigen Vorzügen des Ruhrgebiets befragen.

Daraus entspinnt sich – wenn auch anders als jüngst bei Martin Walser („Das dreizehnte Kapitel“) – das Hin und Her eines Briefromans. Der heißt wortspielneckisch „In der Ruhr liegt die Kraft“ und ist eine gemeinsame Schöpfung der Kabarettistin Lioba Albus und des Journalisten Lutz Debus. Beide streuen auch ein paar autobiographisch inspirierte Prisen ins Geschehen ein.

Im Lauf der brieflichen Erörterungen werden jedenfalls Liebesbande geknüpft. Einmal entflammt, geht die mit einem Ex-Kartenkontrolleur frustig verheiratete Mia verbal dermaßen ran, dass selbst der erotisch heftig verklemmte Fettersen mählich auftaut. Ob sie sich wohl kriegen? Wir verraten nix. Allerdings wird der verkorkste Fettersen für seine Verhältnisse ziemlich gesprächig und flüstert Mia was von Jugendschwänken, beispielsweise mit Theodora und der Hure „Luna“, die er seinerzeit in Dortmund rund um Mallinckrodtstraße und Fredenbaumpark – nun ja. Je nun. War da was?

Ob das Ruhrgebiet wenigstens hier echte Chancen hat, neue deutsche Hauptstadt zu werden? Wenn’s nach Mia ginge, dann unbedingt. Hier, wo die Gefühle nur auf angenehmer Sparflamme köcheln („Ein Ruhri, der freut sich mehr so nach innen“), sind ohnehin alle Nationen beisammen, eine Mauer könnte man auch errichten, etwa rund um das Elendsmuseum Gelsenkirchen. Die regional ansässigen Bordellbetriebe bieten genug Entspannung für abgeordnete Biederleute aus CSU und anderen Fraktionen, die fern der Heimat kräftig was erleben wollen. Vom mitunter exquisiten Fußball und anderen dicken Pluspunkten gar nicht erst zu reden.

Kurzum: Warum sollte ein US-Präsident nicht eines Tages vor aller Welt ausrufen „Ich bin ein Dortmunder!“

Klingt unterhaltsam, nicht wahr? Ja. Da sind etliche Ansätze vorhanden. Auch gibt’s einige hübsche Portionen Lokalkolorit.

Aber: Auf einer nicht gerade geschickt layouteten 140-Seiten-Strecke, die einen schlankeren Satzspiegel verdient hätte, wirkt die eine oder andere Ausführung denn doch ein wenig umständlich.

Nicht alle Ideen und Gags sind vollends zur Güte gereift; zuweilen wird beherzt der nächstliegende Lachstoff versprüht, statt mehr aus dem Hinterhalt zu agieren.

Sieht ganz so aus, als hätte dieses allererste Buch im neuen Dortmunder FönNixe Verlag (Inhaber: just Albus und Debus) partout vor der Buchmesse fertig sein sollen. Hat ja auch geklappt. Ein gewisses regionales Interesse (wohl mit baldigem Verfallsdatum) dürfte dem Buch beschieden sein.

Nun gut. Die Geschichte, die gegen Schluss geheimdienstlich gefährlich zu werden droht, kulminiert (wo sonst?) im Dortmunder Stadion beim Match gegen Bayern München. Auch das erfreuliche Resultat auf dem Platz wird hier nicht verraten.

Lioba Albus/Lutz Debus: „In der Ruhr liegt die Kraft“. FönNixe Buchverlag, Dortmund. 140 Seiten. 11 Euro.

P.S.: Der Transparenz wegen sei’s gesagt, dass ich mit beiden Buchautoren via Facebook befreundet bin. Aber wie lange noch?