Letzte Fragen, laut und lustig – „The Return of Das Goldene Zeitalter“ im Dortmunder Theater

Premiere von „The Return of Das Goldene Zeitalter“ im Dortmunder Theater. Viel Bild, viel Ton – und irgendwann stimmt das Ensemble Liedzeilen aus einem berühmten Song der Puhdys an: 

„Jegliches hat seine Zeit / Steine sammeln, Steine zerstreu’n / Bäume pflanzen, Bäume abhau’n / Leben und sterben und Streit.“

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

„The Return of Das Goldene Zeitalter“ – Szene mit Uwe Schmieder und Merle Wasmuth (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Das Lied entstand Mitte der 70er Jahre in der DDR und erklang auch im Film „Die Legende von Paul und Paula“ mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder. Autor des Films und Songtexter war Ulrich Plenzdorf. Die Zeilen sind schön, wahr und uneingeschränkt zitierfähig; wenn man sie indes, wie es nun auf der Bühne des Dortmunder Schauspiels geschieht, Mal um Mal gesungen hört, fragt man sich schon, wo der Rest geblieben ist. Denn recht eigentlich ist das Lied mit der Anfangszeile „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt“ ja ein Liebeslied voller Verletzlichkeit, ein Lied des unausweichlichen Abschieds und der Trauer darum, mit diesen sich zum Teil mehrfach wiederholenden Zeilen:

Meine Freundin ist schön. / Als ich aufstand, ist sie gegangen. / Weckt sie nicht, bis sie sich regt. / Ich hab‘ mich in ihren Schatten gelegt.

Ich habe mich gefragt, warum ich diese Zeilen nicht in Dortmund gehört habe, in dem drei Stunden mächtigen, pausenlosen Eigenprodukt „The Return of the Goldene Zeitalter“ von Alexander Kerlin und Kay Voges, wo die Steine-Zeilen, wie gesagt, wirkmächtig eingebaut sind. Gewiß, es steht Autoren frei, Zitate nach Belieben auszuwählen, und das haben die beiden auch getan. Aber trotzdem. Etwas Wichtiges fehlt.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Kaum wiederzuerkennen: Caroline Hanke und Björn Gabriel (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Freudloser Kreislauf

Während noch der Zuschauerraum sich füllt, geschieht schon etwas auf der Bühne. Wie aufgezogen steigen Figuren, mit blonden Perücken und blauen Mädchenschuluniform einheitlich ausstaffiert, rhythmischen Schlägen folgend eine Treppe herab, verschwinden hinter einer Tür, tauchen am oberen Treppenrand wieder auf und wiederholen ihren Abstieg; das Bild wird später in einem Video erklärt, es ist quasi die Bühnenadaption eines Kinderspielzeugs, einer Art Achterbahn, bei der Spielfiguren mechanisch zum oberen Punkt transportiert werden, um von dort eine vielfach geschwungene Bahn herabzusausen.

Unten angekommen, geht es von vorn los, ein endloser Kreislauf, Sinnbild – wenn man es denn auf die Theaterbühne stellt – eines in endlosen Wiederholungen im Grunde ereignislos dahingehenden Lebens. Dem indes steht der Titel der Veranstaltung entgegen. Das einem Zitat von Heinrich Heine entlehnte „Goldene Zeitalter“ liegt nach Meinung des Dichters noch vor uns und keineswegs in mythischer Vergangenheit. Es gibt also so etwas wie ein Menschheitsziel; darüber läßt sich trefflich philosophieren.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Hier nimmt die Legende von Adam und Eva ihren Anfang. In den Stoffpuppenkostümenstecken Caroline Hanke und Eva Verena Müller (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Video und Klanggewummer

Die Dortmunder Produktion im Großen Haus, wie könnte es anders sein, bietet zu diesem Zweck wieder reichlich Videoarbeit auf, manch zwerchfellreizendes Klanggewummer und viele, viele Wiederholungsschleifen, gleichzeitig aber auch eine Menge Schauspielerarbeit und ansehnliche, muntere Ideen.

Es wird nicht langweilig in den gut drei Stunden, die das Ganze dauert. Und das zwiespältige Angebot, den Saal nach Belieben zu verlassen und, gerne auch mit Kaltgetränken, wieder aufzusuchen, wird von der großen Mehrheit der Zuschauer nicht genutzt. Diese neue Sitte, „pausenlos“ zu spielen und dem Publikum das beliebige Kommen und Gehen zu gestatten, ist sowieso eher eine Unsitte, eine Selbstentwertung des Theaters, die hoffentlich bald wieder verschwindet. Aber wer weiß.

„Ich war – ich bin – ich werde sein“

Reflektorisches denn also zum großen Menschheitsgeneralthema, kräftig gewürzt mit den Zitaten großer Geister, mit etwas Lokalkolorit und mit Alltagserfahrungen der Überforderung und der Ernüchterung. Einer von vielen Heiterkeitserfolgen sind burlesk nachgespielte Tagesschauszenen am Küchentisch, die in der Diktion der griechischen Tragödie – Ortsmarke Theben – die Enttäuschungsträger der letzten Zeit zelebrieren: den ehemaligen Limburger Luxus-Bischof Tebartz-van Elst, den Steuerhinterzieher Uli Hoeneß, den Pädophilen Sebastian Edathy und noch einige mehr.

Die Geschichte von Adam und Eva und dem Apfel der Erkenntnis wird – nebst Kain-und-Abel-Exkurs -, als langgezogene Zweipersonennummer in weichen Stoffpuppenkostümen präsentiert, und auf dem Gipfel des Ganzen muß Uwe Schmieder in gänzlicher Nacktheit über die vorderen Zuschauerränge klettern und die Selbstvergewisserung seiner Existenz Mal um Mal triumphierend herausschreien. Bis zum dann doch herbeigesehnten Ende muß das Ensemble dann „Internationale Solidarität“ skandieren (das „Hoch die…“ wurde gestrichen), und selbst als der Eiserne Vorhang unten ist, ist es noch nicht vorbei, flimmern klangunterlegte Videosequenzen des just Vergangenen über das dunkle Metall. Solidarität? Wofür? Womit? Auch als langjähriger, hartgesottener Theatergänger ertappt man sich bei dem Gedanken, ob das alles wirklich sein muß.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Eva Verena Müller als hinreißend quengelige grüne Raupe (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Nicht ohne Heiner Müller

Wenn Autoren so wie hier den Kosmos ihres Erkennens zelebrieren, führen sie natürlich auch dessen Grenzen vor. Und die sind nicht unendlich. Brecht muß immer wieder fürs Zitiertwerden herhalten, später auch Frank Castorf und Leander Haußmann und natürlich Heiner Müller, einer der letzten Welterklärer des Theaters, an dessen Lippen die Nachkommenschaft ergeben hängt. Auch am Begriff der Urheberschaft arbeitet sich das Stück ab, die, was nicht zu leugnen ist, in einem gewissen, wenn nicht gar dialektischen Verhältnis zur Veränderung der Welt dergestalt steht, daß sie in dem Maß an Bedeutung verliert, in dem die Welt sich tatsächlich im Sinne des Urhebers verändert. Konkreten Anlaß bietet das Aufführungsverbot, das der Suhrkamp-Verlag als Rechteinhaber gegen  Castorfs „Baal“-Inszenierung am Münchner Residenztheaters ausgesprochen hat, weil der in des Meisters geheiligten Zeilen zu viel Fremdtext eingebaut habe. Na gut.

Ein gänzlich humorfreier Feuerwehrmann fordert den Brandschutz ein („Alle reden vom Theater – aber wer redet vom Brandschutz?“), Joseph Beuys’ berühmte „Ja, ja, ja – nee, nee, nee“-Klangskulptur gelangt zum Vortrag, und es geschieht auf bunter Bühne einiges noch mehr; indes bleibt bei alledem doch unbeantwortet, was die Welt im Inneren zusammenhält. Beziehungsweise, welche Energie den Fortschritt vorantreibt. Könnte es vielleicht die Liebe sein? Liebe zwischen zwei Menschen, um die es den Puhdys in ihrem Lied geht und die man hier konsequent ausblendet? (Und die, das nur am Rande, wesentliche Antriebskraft des Theaters ist?) Es lohnt, darüber nachzudenken.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Videoeinblendung mit (von links) Uwe Schmieder, Eva Verena Müller, Björn Gabriel und Merle Wasmuth (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Jedenfalls hat dieses Stück, dessen Untertitel „100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“ pfiffig klingt, aber trotz des Zählwerks mit seinen roten Zahlen am rechten Bühnenrand ein bißchen anmaßend ist, nicht geringen Unterhaltungswert. Zudem ist es wirklich ein Eigenprodukt und nicht die Verwurstung literarischer Vorlagen nach den Ideen eines selbstherrlichen Regisseurs.

Die Schauspieler-Riege – Björn Gabriel, Caroline Hanke, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Merle Wasmuth – zeigt unbedingten Einsatz, ohne indes darstellerisch ihre Möglichkeiten ausschöpfen zu müssen. Und die Verwendung von Videotechnik schließlich, die man ja nicht uneingeschränkt lieben muß, ist hier über weite Strecken durchaus überzeugend.

Doch blieben etliche Plätze im Zuschauerraum bei dieser Uraufführung unbesetzt. Wer allerdings gekommen war, zeigte sich erwartungsgemäß begeistert.

Nächste Termine: 

Samstag, 7. März, Donnerstag, 30. April.
www.theaterdo.de




Kraftvolle „Hamletmaschine“ in Dortmund

Die Hamletmaschine

Hamlet (Sebastian Graf) salutiert vor Heiner Müllers Text. Foto: Birgit Hupfeld

Schwarz gewandete Totengräber weisen dem Publikum den Weg zu den Plätzen. „Willkommen in der Maschine“, raunt es bassig.

Im Vordergrund liegen schwarz gekleidete Menschen auf- und übereinander, im Hintergrund steht ein Totengräber am golden glitzernden DJ-Pult. Heiner Müller ist tot – aber was passiert mit seinem Text, seinen Ideen? Sie bleiben, werden aber neu gesampelt und mit neuen Unter- und Obertönen versehen – so die musikalische Umschreibung der Idee hinter der „Hamletmaschine“, die am Sonntag im Studio des Dortmunder Schauspiels Premiere hatte.

Man kann sich Heiner Müllers Stück aus dem Jahr 1977 vorstellen wie eine Collage aus Monolog-Fragmenten, gesprochen von zwei Figuren, die ebenso Hamlet und Ophelia sind wie die Schauspieler, die Hamlet und Ophelia spielen. Das neunseitige Stück ist trotz seiner Kürze eine gigantische Referenz-Maschine, ein hoch verdichteter Text über Kapitalismus und Sozialismus, Familie und Krieg, die kranke Gesellschaft und die Möglichkeiten des Theaters in ihr. Regisseur Uwe Schmieder, Ensemble-Mitglied am Dortmunder Schauspiel, mixt diesen Text nun neu zusammen, ergänzt ihn um weitere Texte Heiner Müllers und inszeniert diese Hamlet-Müller-Maschine mit dem und für den 50-köpfigen Dortmunder Sprechchor. Das Ergebnis ist Kraft, Rhythmus, pure Energie.

Der Dortmunder Sprechchor. Foto: Birgit Hupfeld

Der Dortmunder Sprechchor. Foto: Birgit Hupfeld

Das Publikum wolle „immer nur verstehen, nie eine Erfahrung machen“, ärgert sich Regisseur Schmieder im Programheft – eindeutig verstehen lässt sich Heiner Müllers Text allerdings auch nach eingehender Beschäftigung kaum, zumindest nicht endgültig. „Es gibt keine Lösung! Das ist die Lösung!“, ruft der Sprechchor den Zuschauern minutenlang eindringlich zu.

Die „Hamletmaschine“ ist die Wutrede eines Suchenden, so versteht sie Schmieder und so bringt er sie auf die Dortmunder Studiobühne. Die Regie setzt auf ein sinnliches Erlebnis, das einen durchrüttelt und involviert. Zwischen Bühne und Publikum gibt es keine klare Abgrenzung, kaum ein Entrinnen für die Zuschauer (Bühne: Jennifer Schulz, Udo Höderath, Birgit Rumpel). Der Musiker am DJ-Pult erzeugt live mit allerlei Gerätschaften Klänge, elektronisch und mechanisch: Es wirkt, als setze Ole Herbström mit seinen Obertönen und Vibrationen, Einspielern und Klangeffekten die Maschine immer wieder neu in Gang.

Ophelia (Merle Wasmuth) mit Mitgliedern des Sprechchors. Foto: Birgit Hupfeld

Ophelia (Merle Wasmuth) mit Mitgliedern des Sprechchors. Foto: Birgit Hupfeld

Dem Zuschauer bieten sich immer wieder Anknüpfungspunkte, in den Text und seine Themen einzutauchen – sei es die Kritik am Kapitalismus („Heil Coca Cola!“), seien es die Gedanken zu Aufständen und Revolutionen, die Heiner Müller mit Blick auf den ungarischen Volksaufstand 1956 schrieb und die Schmieder assoziativ mit der Ukraine heute verknüpft.

Packend Merle Wasmuth als Ophelia: Wie eine soeben dem Fluss entstiegene Wasserleiche, mit noch nassen Haaren und verlaufener Wimperntusche, ist sie bald die über-empfindsame, hysterische, vom Schmerz an der ewigen Wiederkehr des Bösen gepeinigte Welt-Mutter, um dann mit Hamlet-Darsteller Sebastian Graf nonchalant über das Theater heute zu scherzen: „Die Schauspieler haben ihre Gesichter an den Nagel in der Garderobe gehängt. In seinem Kasten verfault der Souffleur. Die ausgestopften Pestleichen im Zuschauerraum bewegen keine Hand.“

Der Sprechchor, den das Schauspiel als „17. Ensemblemitglied“ bezeichnet, ist in der Tat genau das: ein elementarer Bestandteil dieser Inszenierung. Die pure Präsenz der 50 Mitglieder macht einen Gutteil dieses kraftvollen Theaterabends aus. Der Chor singt, schreit, weint und klagt, die Mitglieder kriechen und kauern auf dem Boden, sie tanzen im Stroboskop-Licht und marschieren im Rhythmus des Textes. Vor allem aber sprechen sie wie aus einem Mund, sorgfältig und exakt einstudiert – eine enorme Leistung mit enormer Wirkung.

Nächste Termine hier

(Der Text erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm)




Ein deutscher Alptraum – Heiner Müllers „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum uraufgeführt

Von Bernd Berke

Bochum. „Mach’s leicht!“ soll der Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) dem Regisseur Leander Haußmann geraten haben. Haußmann war schon zu Lebzeiten Müllers ausersehen, dessen Stück „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum zur ersten Bühnengeburt zu verhelfen. Nun hat der gewaltige, ungeheuerliche Text das Scheinwerferlicht erblickt. Und siehe da: Er birgt unverhoffte Spiellust, zugleich aber unaufhörlichen Schmerz.

Die alptraumartige Collage zur deutschen Historie erfaßt – einem reißenden Strom vergleichbar – Bruchstücke der germanischen Sagenwelt und schwemmt auf ihrem Weg in die Gegenwart z.B. auch Wagner, Nietzsche, Hitler und Ulbricht mit sich. Heerschau unter den Gespenstern und Untoten der Geschichte. Und so viel Mord, daß das Blut in Bochum gelegentlich mit der Schöpfkelle ausgeteilt wird. Absurde Menschenopfer allenthalben, ob in Stalingrad oder an der deutschen Mauer. „Gott ist ein Virus“, der die der Welt schon in den Griff bekommen werde, heißt es im zynischen Prolog.

Dreieinhalb Stunden Chaos

Ein bunter Harlekin (Steffen Schult) geleitet uns durch das dreieinhalbstündige Chaos. Mal mit verzweifeltem Witz, mal kleinlaut verzagend. Haußmann hat sich – Müllers Ratschlag folgend – nicht der Düsternis hingegeben, sondern den Text mit einer Unzahl von szenischen EinfäIIen geradezu übersät. Vielerlei Spielformen werden in diesem Unter-Welttheater erprobt. Manche Figuren bewegen sich wie mechanische Marionetten oder agieren in verfremdender Zeitlupe, dann wieder wird heftiger Theaterdonner oder auch unbändiger Unsinn entfesselt. Auch wenn es im Detail noch nicht durchweg „stimmt“: So muß man eine solche Collage anpacken, sie verträgt es durchaus.

Mit Nebelmaschine, Schneekanone und höllischem Krach werden wir – nach einer blutrünstigen Ansprache Josef Stalins (Gennadi Vengerov) – in den Zweiten Weltkrieg versetzt, die nahezu nackte Bühne ist alsbald ein Schlachtfeld mit rieselndem Schutt und raunenden Geistern. Bewegende Bilderfolgen hat Haußmann für die spukhaften Verwandlungen und das Gleiten geschichtlicher Zustände gefunden. Da mutiert der kroatische SS-Mann von 1945 zum kroatischen Gastarbeiter anno 1960, oder die drei hinterbliebenen Frauen Bertolt Brechts zum Hexentrio à la Shakespeares „Macbeth“.

Die Sequenz mit den resoluten Brecht-„Witwen“ (Margit Carstensen, Traute Hoess, Irene Christ) gehört, ebenso wie eine abstruse DDR-Party der 50er Jahre, zu den Glanzpunkten. Doch stets kann solche Komik in ihr brutales Gegenteil umschlagen. Wenn etwa zum Brecht-Gedicht von den „finsteren Zeiten“ plötzlich ein seltsames elektrisches Reptil über den Bühnenboden schnürt, so ist dies grausiger, als man sagen kann. Haußmann entkräftet das Vorurteil, er kaspere nur mit dem Theater herum. „Mach’s leicht!“ Das hat er getan. Aber er hat es sich nicht leicht gemacht.

Hitler säuselt eine jiddische Melodie

Gesungen wird viel. Auf der Ziehharmonika werden die Hymnen von BRD und DDR intoniert, der besiegte Hitler (Heiner Stadelmann) säuselt gar eine jiddische Melodie, später gibt es „Kein Bier auf Hawaii“. Gipfel ist ein realsozialistisches Traktoristenlied, das zum Putzen des eisernen „Schollenfressers“ ermuntert. An ihren Liedern sollt ihr sie erkennen. Es klingt oft zum Verrücktwerden komisch…

Tags darauf wurde Heiner Müllers 1969 uraufgeführter „Prometheus“ (Regie: Marold Langer-Philippsen)“ nachgereicht. Man mag in der Anverwandlung des antiken Mythos‘ dies mitlesen: Kultur- und Lichtbringer Prometheus wird letztlich von einer Staatsmacht (Göttervater Zeus) an den Felsen geschmiedet.

Prometheus (Steve Karier) steckt in einer kafkaesken Zwangs-Apparatur, die karge Bühne mit metallischem Gerüst wirkt wie eine apokalyptische Werkshalle. Durch die dauernde Gefangenschaft der Hauptperson hat das Stück einen engen Radius, man müßte also desto mehr auf die Sprache achtgeben. Hier aber werden die Worte der ersten halben Stunde mit diktatorischem Gleichschritt buchstäblich zerstampft. Da mögen sich – in wechselnden Rollen – Joana Schümer, Andreas Edelblut und Samuel Zach noch so stilwillig mühen, die Sache ist damit schon weitgehend hinüber.

Termine: „Germania 3″ am 30. Mai, 11., 16. und 26. Juni / „Prometheus“ am 30. Mai, 8., 14. und 15. Juni. Karten: (0234) 3333-111.




Heiner Müller: Am Bösen kann der Autor wachsen

Von Bernd Berke

Listig-verschlagen blickt der Dramatiker Heiner Müller den Leser vom Umschlag seines neuen Buches „Krieg ohne Schlacht“ an. Dreht man den Band herum, bläst Müller einem von der Rückseite her einen Schwall Zigarrenrauch ins Gesicht. Sieht so aus, als wolle er uns sagen: „Rutscht mir doch den Buckel herunter!“

Vielleicht hat er Anlaß zum Zorn. Gar manche haben den wohl wirksamsten Theaterautor der verflossenen DDR seit der Wende ins Zwielicht gestellt. Ähnlich wie Christa Wolf, so hat man auch ihm im nachhinein zu große Nähe zur SED unterstellt. Jetzt erzählt der Mann, der nach eigenem Bekunden ursprünglich aus Neid Sozialist geworden ist, sein „Leben in zwei Diktaturen“ (Untertitel).

Der erste Teil erstreckt sich über 360 Seiten, im Anhang werden Original-Dokumente abgedruckt. Der Haupttext ist aus Gesprächen mit Müller entstanden. Dennoch sind es meist lange Monologe. Da kann Müller glänzen, seine enorme Belesenheit samt Kenntnissen der Theaterwelt und ihrer Akteure erstrahlen lassen. Klare Einsichten stehen neben stammtischverdächtigem Geschwätz.

Aus der NS-Zeit, die Müller als Kind in Sachsen und Mecklenburg erleben mußte, gibt er nur kurze Anekdoten zum besten — mit trockenem bis sarkastischem Witz. Rasch ist das Buch in der Gründungsphase der DDR angelangt. Eine Leitlinie sind Müllers Stücke von „Die Umsiedlerin“ bis zur „Hamletmaschine“. Doch die politischen Passagen interessieren derzeit brennender. Leider verfällt Müller auch hier vielfach in Geschichten-Erzählerei nach dem Muster: Wie ich einmal bei Erich Honecker war und er mir die Hochzeit mit einer Bulgarin genehmigt hat…

Müller berichtet, wie er sich anfangs gar zu große Illusionen über die DDR gemacht hat. Er gibt auch „taktische Fehler“ zu. Seine Beschreibung gerät zum Lehrstück, weil sie die Widersprüche eines Autorenlebens in der DDR grell hervortreten läßt. Mal wurde Müller aus dem Autorenverband ausgeschlossen, dann wieder gehätschelt, oft wurden Aufführungen seiner Stücke unterbunden, dann sah er sich wieder geehrt.

Was hat Literatur mit Moral zu tun?

Wer sich durch solch ein Leben zwischen Zuckerbrot und Peitsche anders als mit moralischen Zugeständnissen lavieren kann, der werfe den ersten Stein. Müller nimmt für sich in Anspruch, daß Literatur überhaupt nichts mit Moral zu tun habe. Immer wieder zeigt er sich fasziniert vom „Bösen“ (RAF-Terrorismus, Massenmörder Charles Manson), an dem man als Autor nur wachsen könne. Auch Brecht sei erst ein ganz Großer geworden, als Hitler zur Macht kam. So hätten auch ihn, Müller, noch die schlimmsten Vorgänge in erster Linie als Stoff interessiert, aber fast nie im Kern seines Wesens berührt.

Manches ist ärgerlich: Müller gesteht, schon 1944 über die sowjetischen Gulags Bescheid gewußt zu haben. Warum hat er daraus so spät Konsequenzen gezogen und anfangs noch Stalin-Hymnen verfaßt? Höchst anfechtbar auch Müllers Meinung, die Stasi, die eben die Stimmung der Bevölkerung am besten gekannt habe, habe letztlich die DDR aufgelöst oder dies zugelassen. Außerdem stellt er Honecker & Co. eher als Gefangene des Systems denn als deren Betreiber dar.

Inzwischen hat Müller Abschied genommen von jeglicher Utopie. Überrascht erfährt der Leser, welchen „Kollegen“ Müller offenbar am meisten schätzt: Ernst Jünger, den viele für einen Verherrlicher des Krieges halten. Doch gerade dieses Thema, so Müller, habe Deutschlands Linke total versäumt: den Krieg in seiner nackten Wahrheit darzustellen. Da spricht ein „Preuße“.

Heiner Müller: „Krieg ohne Schlacht — Leben in zwei Diktaturen“. Kiepenheuer & Witsch. 426 S., 49,80 DM.




Kraftakt mit Trabi – Wuppertal stemmt Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ im Schnelldurchgang

Von Bernd Berke

Wuppertal. Rekordverdächtige Wuppertaler Bühnen: Nach nur zwei Wochen Probenzeit hat man einen „Brocken“ wie Heiner Müllers rabiat-genialische Geschichtscollage „Germania Tod in Berlin“ auf die Bretter gebracht. Und man dürfte zu den ersten Theatern gehören, die einen leibhaftigen „Trabi“ szenisch einbeziehen.

Man kann sich das in etwa vorstellen: Die Theaterleute waren – wie wir alle – fasziniert von den unglaublichen Vorgängen in der DDR, sie wollten aber nicht allzu lange sprachlos bleiben, weil sie (wie das Programmheft verrät) Angst hatten, daß Wiedervereinigungs-Schwätzer nationalistischer Prägung nun wichtige Positionen (verbal) besetzen. Her also mit einem deutsch-deutsch deutbaren Stück; hurtig also in den Kostüm- und Requisitenfundus und schnell das Passende hervorgeholt: ein Stoffbär mit Zinnenkrönchen aus Papier? Als Symbol für Berlin geeignet! Ein Hakenkreuz-Emblem? -Kann doch, auf die Jacke des „Alten Fritz“ gepappt, für die furchtbare Kontinuität deutscher Geschichte stehen!

Jeder Vergleich mit Frank Patrick Steckels Bochumer Inszenierung vor Jahrsfrist wäre ungerecht. Steckels Bearbeitung war bis in die Feinheiten durchdacht, sie trieb aus Entsetzen Scherz und aus Scherz Entsetzen hervor. Dagegen bleibt Holk Freytags handstreichartige Einrichtung des Stückes noch ganz im Bann der November-Euphorie, sie läßt die blutvolle deutsche Historie zwischen Nibelungen-Sage und Zweistaatlichkeit in nur eineinhalb Stunden vornehmlich als Farce abrollen und kommt erst spät darüber hinaus, Müllers Text einige kabarettistische Lichtlein aufzusetzen.

Breitwandeffekt im Theaterfoyer

Gespielt wird im Foyer, mit Breitwandeffekt. Von überall her, auf Treppen und provisorischen Podesten, tauchen die Figuren auf. Manche Szenen werden da ganz verschenkt, weil sie schon räumlich zu sehr auseinanderdriften. Was, wiederum mit Zeitdruck erklärbar, am besten gelingt, sind Szenen mit flüchtigem Sketch-Charakter, so z. B. ein unverhoffter „Gorbi“-Auftritt oder die Darstellung der grotesk-kindischen Nibelungen-Schlagetots. Insgesamt aber gilt: Bei dieser Parforce-Tour ist der Zuschauer ohne vorherige Kenntnis des Stücks verloren. Die Widersprüchlichkeit der Vorlage, die zwisehen Stalinismus und Antistalinismus oszilliert und mal Klitterung, mal Vision ist, wird letztlich verfehlt. Gcsetzt, der Text wäre ein Steinbruch, so hat man nur einiges Geröll und Kiesel hervorgeholt.

Zur aktuellen deutsch-deutschen Lage tragen weder Stück noch Inszenierung überragende Erkenntnisse bei. Es sei denn, man wertet die Tatsache als wichtig, daß die Texte beider Nationalhymnen prima auf die Melodie der jeweils anderen passen, wie hier sangbar demonstriert wird.

Das junge Ensemble, wiederum die kurze Probenzeit in Rechnung gestellt, schlägt sich gleichwohl tapfer. Außerdem ist vielleicht gerade dies eine Inszenierung, die sich im Lauf der nächsten Wochen noch verändern und entwickeln kann. Nur: Die Zeit hätte man sich durchaus vorher nehmen dürfen. Das Theater muß nicht mit Zeitungen konkurrieren wollen, auch wenn ein gewisser Peter Zadek das einst gefordert hat. Riesenbeifall gab’s. Es war halt ein geneigtes Premierenpublikum.




Manege frei für die blutige Geschichte der Deutschen – Frank-Patrick Steckel inszeniert in Bochum Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“

Von Bernd Berke

Bochum. Heiner Müllers fragmenthafte Szenen-Collagen wie „Germania Tod in Berlin“ sind große Herausforderungen an das Theater: Jede Szene hat ihren speziellen Charakter und muß, soll sie ihre Kraft entfalten, mit je besonderen Mitteln auf die Bühne gebracht werden. Da wird denn rasch deutlich, wie groß die Ideenfülle eines Regisseurs ist und wieviel Phantasie er wirksam freisetzen kann.

In Bochum, wo am Samstag mit dem „Germania“-Stück die Schauspielsaison recht verheißungsvoll eröffnet wurde, zeigte sich, daß Frank-Patrick Steckel in dieser Hinsicht aus dem Vollen schöpft. Mittel des Straßen- und Clownstheaters setzt er ebenso ein wie Formen der Pantomime und des Tanzes (Choreographie: Gerhard Bohner).

Zu Beginn eine Toncollage (Ronald Steckel): Marschtritte und der verzerrte „Heil“-Schrei einer ekstatischen Masse. Ein knallroter Vorhang (Bühnenbild: Johannes Schütz), auf dem Tuch die verblassenden Worte des Kommunistischen Manifestes von Karl Marx, am unteren Ende gar nicht mehr lesbar, ungültig sozusagen. Der Vorhang spannt sich um einen halbrunden Platz mit Sand. Manege frei für die blutige deutsche Geschichte.

Der Tod (Agnès Moyses) ist ein machtvoller Magier: Seine weißen Handschuhe leuchten aus der Vorhangspalte hervor, dann schwingt er die Sense zu seinem Tanz um einen abgerissenen Arm, dessen Hand sich noch um ein Gewehr krampft. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wie in einem schlechten Endlos-Witz betritt er auch später immer wieder auf die Bühne, wortlos die Ernte des deutschen Elends einbringend.

Dieses im allfälligen Kriegswahn gipfelnde Elend, das sich – Heiner Müller zufolge – fortzeugt von Germanen und Nibelungen über Preußen und die NS-Zeit bis ins Jetzt, betrifft die Deutschen insgesamt, also auch die DDR. Am Tresen der DDR-Kneipe anno ’53 (Stalins Tod) ist in der Bochumer Inszenierung eine notdürftig überklebte Ecke abgeblättert, darunter sieht man wieder das Hakenkreuz. Auf die DDR-Straßenszenen (1949) senkt sich symbolisch eine bedrohliche Kanone mit Sowjet-Stern. Solche Verweise sind legitim, sie bringen Irritationen in die Handlung, die ja auch schemenhafte Hoffnung auf einen „besseren“ als den real existierenden DDR-Sozialismus erkennen läßt.

Anders als Hans Peter Cloos, der letzte Woche in Wuppertal Heiner Müllers „Leben Gundlings“‚mit starkem Endzeit-Akzent auf die Bühne brachte, „ködert“ uns Steckel anfangs mit stellenweise bravourös überbordender Komik, er läßt einen da kaum zur Besinnung kommen. Die Straßen- und Clownsszenen sowie die brodelnde Groteske aus dem „Führerbunker“ (mit schwangerem Goebbels, masturbierendem Wolfsmenschen) enthalten freilich – erst unterschwellig, dann schreiend deutlich – auch schon jenen Stoff, aus dem der Tod gewirkt ist und der die Szenen nach der Pause in zunehmende Düsternis hüllt. Ein Ereignis ist dabei das getanzte „Nachtstück“, die Selbstzerfleischung eines Puppenmenschen (Frank Prey).

Im vielköpfigen Ensemble gab es keine besonderen Schwachpunkte. Den größten Sonderbeifall erhielt Armin Rohde für seinen Auftritt in der Clownsszene. Herausragend übrigens auch die Arbeit der Kostümbildnerin Andrea Schmitt-Futterer, die manche Figuren so treffend ausgestattet hat, daß sie lange im Gedächtnis bleiben werden.




Geisterbahn preußischer Geschichte – Heiner Müllers „Leben Gundlings…“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Das Licht im Zuschauerraum ist noch nicht verloschen, da staksen auf der Bühne schon zwei laszive Krankenschwestern herum. Stehen die Handelnden der folgenden Szenen allesamt unter Kuratel, sind sie Insassen eines verrückten Hospitals? Wohl möglich!

Heiner Müllers „Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ ist ja eine drastisch-haßgesättigte Psychopathologie des Preußentums, seines Machtgebarens und seiner ohnmächtigen Intellektuellen.

Anfangs ist „Friedrich der Große“ noch klein und trägt kurze Hosen. Die Szenen, in denen sein Vater, Friedrich Wilhelm, dem Knaben jegliche Lust aus- und eiskalte Gewalt eintreibt, könnte man sich als bitterböse Komödie im täuschend leichten Konversationston denken; doch in Wuppertal, wo Hans Peter Cloos das Stück inszeniert hat, befinden wir uns gleich wieder mitten in der Endzeit. Sofort beginnt der (doch etwas nervzehrende) Minimalmusik-Teppich mit „Apokalypse“-Klängen; wie aus einem Volksempfänger ertönt kriegslüsternes Gekrächze, ein Alarmton schnarrt, als sei jetzt die atomare Katastrophe ausgebrochen.

Fortan steht alles „unter Verdacht“: Die Fässer auf der von Jean Haas gestalteten Bühne – sicherlich enthalten sie Gift oder Atommüll; die Kisten – bestimmt ist Munition darin. Ein in die Szenerie gestürztes Flugzeugheck entspricht solchen Ahnungen.

Zu ihren schrecklichen „preußischen Spielen“ erheben sich die Figuren aus dem dumpfen Schlaf der Historie. Wie Zombies bewegen sie sich, ihre Totschlag-Sätze kommen hart und fremd via Mikrophon und Lautsprecher. Später scheinen sie aus allen Ritzen hereinzudrängen. Türen und Durchgänge öffnen sich wie von Geisterhand und geben den Blick frei auf Schreckensszenen vor einer Zerrspiegelwand: Eine Geisterbahn voller Geschichts-Müll, sprich unerledigter Historie. Und dann ist in der Bühnenlandschaft noch jener Durchbruch nach oben, der für ein bedrohliches Aufsteigen dieser Geschichtsreste in die Gegenwart stehen könnte.

Regisseur Cloos ist in Frankreich inzwischen bekannter als bei uns. Vielleicht hat er in Paris auch Varieté schätzen gelernt. Häufig gibt es im „Gundling“ revuehafte Einschübe, Tänze gefrorener Erotik. Ein scharfkantiger, aber wohl bewußt eingesetzter Stilbruch auch, wenn da plötzlich Rockmusik ertönt.

Ein schwieriges Stück in einer oft chaotisch-bildversessenen, „unübersichtlichen“ Inszenierung – das war in Wuppertal, wo man bisher vom Theater kaum auf Heiner Müller eingestimmt war, nicht jedermanns Sache. Dutzende flüchteten, als die Figur „Heinrich von Kleist“ als Transvestit auftrat. Dabei hatte Cloos, ansonsten recht texttreu, diese Stelle eher noch entschärft.

Die Darsteller – die meisten absolvierten mehrere Rollen – agierten ansehnlich. Eike Gercken als kindlicher und erwachsener „Friedrich“ (eine Frau als König – warum eigentlich?) hatte den gichtgeplagten Gang des „Alten Fritz“ perfekt eingeübt und verlieh auch der gealterten Figur einen Stich ins Infantile. Horst Fassel (Friedrich Wilhelm/Irrenarzt/Lessing) fand zur passenden, schneidenden Bösartigkeit. Eine Verstärkung für das Wuppertaler Ensemble: Karin Neuhäuser. Ihr Auftritt im „Irrenhaus“ mit dem Mörderinnenlied war die bewegendste Szene des Abends.




Wo die Gewalt ihre Spuren zieht – Reinhild Hoffmann mit „Von einem, der auszog… / Horatier“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Quer über die gänzlich graue Bühne ist Draht gespannt. Wenn die Tänzerin Reinhild Hoffmann ihn mit den Füßen berührt, wird er zum bedrohlich schnarrenden „Saiteninstrument“.

Diese Töne sind fast die einzige Musik zum Bochumer Tanztheater-Abend „Von einem, der auszog…/Horatier“, den Reinhild Hoffmann als Choreographin und Tänzerin solo bestreitet. Sprachrhythmen („deutsche Urworte“, durchkreuzt von US-Sprachpartikeln) setzen einen weiteren, quasi-„musikalischen“ Akzent.

Die Grenzen zur Performance (Körper als „lebendes Kunstwerk“) werden von Reinhild Hoffmann oft überschritten. Überhaupt könnte man sich dem Auftritt mit Begriffen von Mischformen darstellender und bildender Kunst nähern – von „Spuren-Suche“ könnte man sprechen, zuweilen auch von „privater Mythologie“.

Textgrundlagen sind im wesentlichen das Grimmsche Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ sowie Heiner Müllers Text „Der Horatier“. Solch kühne Verknüpfung muß wohl auf verschlungenen Assoziationswegen zustande gekommen sein; sie verlangt jedenfalls nach Cäsur, sprich Theaterpause.

In dem Geisterbahn-Märchen geht es letztlich um die innige Verwandtschaft von Dummheit und abgestumpfter Angstlosigkeit. Ein junger Spund mordet sich munter durch, bis er die Prinzessin erringt; über Leichen lacht er nur, statt sich zu gruseln. Heiner Müllers Horatier-Text beschreibt – am antiken Beispiel – eine unauflösbare Verquickung von (Kriegs)-Ruhm und Schuld. Kleinster gemeinsamer Nenner und Verbindungspunkt beider Texte ist wohl der dümmlich-gewaltbereite Marsch in Krieg und Gemetzel.

Und so beginnt denn auch der Abend: Reinhild Hoffmann, maskiert als bärtiger, scheinbar gemütlicher Greis. Doch da ist sein Brustpanzer, sein martialisches Stampfen. Der Panzer platzt ab, darunter kommt – historisch eingrenzender Aha-Effekt – ein Volksempfänger zum Vorschein. Kurz darauf steht Reinhild Hoffmann maskenlos und in aschgrauer Gefangenen-Montur vor uns. In einer atemberaubenden Folge sozusagen „gepanzerter“ Bewegungen – hastiges Kreuzzeichen, zackige Wehr-Ertüchtigung, aufschießender „Meldefinger“ eines Schulkinds – stellt sie Stühle auf, räumt sie an eine Art Konferenztisch, verkleidet sich plötzlich als Weihnachtsmann, der wiederum zum Messerwerfer wird und auf den Umriß einer Menschenfigur auf dem Tisch zielt. Abermals eine Alptraum-Metamorphose zur Gewalt, die sich hinter jeder Maskerade zu verbergen und überall ihre rituellen Spuren zu ziehen scheint.

Rätselhaft-schöne Traumszene: Aus Papierlagen, die auf ein Metallbett geschichtet sind, entsteht wie durch Zauber ein Prinzessinnen-Kleid. Schließlich barbusig, nimmt die Hoffmann eines der Messer und schneidet Brot – ein Friedens-Bild? Der Teil nach der Pause, viel näher am Text, ist deutlich schwächer, tendiert zur Illustration, die kaum über die Wirkung von Heiner Müllers Worten hinausgreift. Theater wie „aus der Wundertüte“: Nach und nach schlitzt Reinhild Hoffmann fünf Säcke auf – einzig spannende Frage jeweils: Was ist diesmal drin? Sie kippt den Inhalt (Erde, blutverwaschene deutsche Fahne, Schwerter, Haarnadeln) aus. Ratlosigkeit und Beifall hielten sich im Premieren-Publikum die Waage.




Theatermacher im nächtlichen Medienkäfig

Von Bernd Berke

Selbst hartgesottene Bühnenfans – andere dürften kaum ausgeharrt haben – verspürten da wohl eine gewisse Mattigkeit: Die erstmals anberaumte ARD-„Theaternacht“, jene Diskussion von Regisseuren, Darstellern und Kritikern zum Saisonauftakt, zog sich bis nachts gegen 1.40 Uhr hin.

Die Beteiligten (u.a. Hans Neuenfels, Arie Zinger, Heiner Müller, Eva Mattes, Ivan Nagel, Jürgen Flimm) saßen in einem Studio, das jedem Geschmack spottete – auf allerlei Gestühl vom Manager-Drehsessel bis zum „antiken“ Sofa, dazwischen eine Batterie von Monitoren. So viel zur ästhetischen Aufbereitung der Sendung, in der sich etwa die ausgeklügelten Bühnenbilder in den Filmeinspielungen (wichtige Szenen der letzten Theatersaison) wie Fremdkörper ausnahmen. Überhaupt wurde deutlich, daß die Theaterleute sich gleichsam in einem „Medienkäfig“ befanden, in dem ihre spontanere und direktere Art, mit der Wirklichkeit umzugehen, kaum Platz hat.

NDR-Redakteur Gerd Kairat und seine beiden Mit-Moderatoren, die Kritiker Hellmuth Karasek (geschmeidig-verbindlich) und Peter Iden (um Worte ringend und stets die Endzeit im düsteren Blick) hatten der Runde kein griffiges Thema vorgegeben. Da standen Stichworte wie Bedrohung (Tschernobyl), Liebe und Veränderung unvermittelt im Raum – und daraus sollte sich dann eine Diskussion entwickeln. Erstaunlich genug, daß tatsächlich eine in Gang kam, die sich jedoch gottlob auch wiederholt in anderen, konkreteren Bahnen bewegte.

Es wurden die Fragen angeschnitten, die eh die Theaterdiskussion bestimmen: Ob man die „heiße Ware“ der Gegenwartsdramatik veräußern oder sich an sperrigen Klassikern abarbeiten solle; ob man ganz einfach mit Lust spielen dürfe oder immer erst seine historische Position zu überdenken habe, usw.

„Gag“ am Rande: Eva Mattes sah sich genötigt, die Schauspieler gegen Heiner Müllers Vorwurf zu verteidigen, sie nähmen beim heutigen Theater „zu viel Raum“ ein. Vom „Spitzentrio“ des deutschsprachigen Theaters war Claus Peymann (grantig) nur per Monitor gegenwärtig, Peter Stein und Peter Zadek waren nicht erschienen: letzterer wohl mit gutem Grund, hätte er doch vermutlich wegen dringenden Verdachts auf Förderung des Boulevard-Trends auf der Anklagebank gesessen.