Wenn Dichter baden gehen

Jeder Autor, der einmal ohne den geringsten Einfall auf ein leeres Blatt Papier gestarrt hat (jaja, heutzutage ist es der Bildschirm), der weiß: Auch der munterste Geist braucht gelegentlich Erholung an den Stränden ordinärer Lebenslust. Angeregt durch die Ferienzeit und eine kleine Ausstellung im Düsseldorfer Heine-Institut würdigen wir die „Dichter in Badehosen“.

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. (Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California)

Aber was heißt hier Badehosen? Schon Johann Wolfgang Goethe, der Übervater des deutschen Bildungsbürgers, riss sich gerne sämtliche Kleider vom Leibe, um sich frei zu fühlen. Bei einer Reise durch die Schweiz 1775 hatten es ihm seine Freunde Friedrich Leopold und Christian von Stolberg vorgemacht, „die guten harmlosen Jünglinge“. Goethe notierte, dass er sich „halb nackt wie ein poetischer Schäfer oder ganz nackt wie eine heidnische Gottheit“ in Schweizer Seen tummelte – leider nicht weit genug von der Zivilisation entfernt. Entrüstete Anwohner sollen mit Steinen geworfen haben.

Heinrich Heine, Goethes junger und von ihm nie adäquat beachteter Düsseldorfer Kollege, reiste häufig an die Nordsee, um, bevor es ihn nach Paris verschlug, seine zarte Gesundheit zu stärken. Im Juli 1826 auf Norderney lernte er sogar schwimmen – wir wissen nicht, welches Outfit er dabei trug. Aber: „Das Meer war so wild, dass ich oft zu versaufen glaubte“, schrieb er mit jungenhaftem Stolz an seinen Hamburger Verleger Julius Campe. Die Brandung verschaffte Heine ein Hochgefühl. „O wie lieb ich das Meer“, schwärmte er im folgenden Herbst in einem Brief an seinen Dichterfreund Karl Immermann, „… und es ist mir wohl, wenn es tobt.“

Ganze Gedichtzyklen Heines sind vom Meer inspiriert, er besang „Poseidon“ und das „Seegespenst“, den „Untergang der Sonne“ und den „Gesang der Okeaniden“. Man kann also nicht sagen, dass der Müßiggang am Strand die Kreativität vernichtet. Ganz im Gegenteil. Hermann Hesse, ein früher Verfechter der Freikörperkultur, schrieb liebevolle Betrachtungen über seine „Jahre am Bodensee“ (1904-1912), in der Nähe des Wassers entstanden Romane und schwelgerische Verse: „Seele, Seele, sei bereit!“

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Hesses Freund Wilhelm Schäfer, ein vollbärtiges Mannsbild, liebte die Sommerfrische in Süddeutschland und der Schweiz. „Auch der See, in der Nähe kristallgrün, ging wie blaue Seide in die Tiefe hinein …“, schrieb er 1931 in „Wahlheimat“. Seine volksverbundene Prosa gefiel später leider auch den Nazis. Geplagt von Finanzsorgen und Schnaken, verbrachte der Rechtsanwalt Heinrich Spoerl 1931 einen dreiwöchigen Urlaub am Starnberger See, badete nur bis zur Taille („der See ist ziemlich kühl“) und hatte die Idee zu einer heiteren Pennälergeschichte, die als verfilmter Roman eine Legende wurde: „Die Feuerzangenbowle“.

Thomas Mann, der im Schutze eines Strandkorbs mitunter sogar den feinen Sommeranzug ablegte und im Badetrikot mit Sockenhaltern in der Sonne saß, stattete seine berühmtesten Helden mit Meeresliebe aus. „Tonio Kröger“ ließ er die „geheimnisvoll wechselnden Mienenspiele“ sehen, „die über des Meeres Antlitz huschen“. Und Hanno, Sprößling der „Buddenbrooks“, liebt „dieses zärtliche und träumerische Spielen mit dem weichen Sande, der nicht beschmutzt, dieses mühe- und schmerzlose Schweifen und Sichverlieren der Augen über die grüne und blaue Unendlichkeit hin …“

Auch Manns Bruder Heinrich, der, wie viele verfolgte Intellektuelle, an der südfranzösischen Ferienküste vorübergehend den Naziterror vergessen konnte, fand große Worte für das Stranderlebnis: „Das Meer, sein tiefer Atem, seine windige, … ersterbende Bläue und dieser Glanz von abendlich feuchtem Gold …“. Ein anderer Emigrant, der kämpferische Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht, hatte schon 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, dem Schwimmen ein Gedicht gewidmet: „Der Leib wird leicht im Wasser“, schrieb er da, und es ist, als befreite das Baden den Denker von den drückenden Problemen der Zeit: „Natürlich muss man auf dem Rücken liegen / so wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen. / … / Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut / wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.“

Info:
Angeregt wurde dieser Text von einer Treppenhausaustellung im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14: „Dichter in Badehosen“ bis 11. September 2016, Di.-So. 11 bis 17 Uhr (Sa. 13-17 Uhr).

Büchertipps:
Heinrich Heine: „O wie lieb ich das Meer – Ein Buch von der Nordsee“, herausgegeben von Jan-Christoph Hauschild, Hoffmann und Campe. 128 Seiten. Vergriffen, aber antiquarisch und als E-Book ab etwa drei Euro über das Internet erhältlich.
Hermann Hesse: „Jahre am Bodensee – Erinnerungen, Betrachtungen, Briefe und Gedichte“. Herausgegeben von Volker Michels mit Bildern von Siegfried Lauterwasser. Insel Verlag. 238 Seiten. 28 Euro.




Als Balzac im Zug saß – Heinrich Peuckmann auf den Spuren des ruhmreichen Romanciers

Er war ein Lebemann, ein Draufgänger und zugleich hat er der Nachwelt ein beeindruckendes literarisches Erbe hinterlassen. Die Rede ist von Honoré de Balzac.

Dem französischen Schriftsteller (1799-1850) hat Heinrich Peuckmann sein neues Buch gewidmet. Er greift dazu eine Episode aus der Biographie des bereits zu Lebzeiten populären Romantikers heraus und legt ein pointiertes Portrait des Literaten vor.

peuckmannbalzac

1847 begab sich Balzac auf eine lange Zugfahrt von Paris nach Wierzchowia in der heutigen Ukraine, um dort seine Geliebte, die reiche Großgrundbesitzerin Evelina Hanska, zu besuchen. Sie hatte schon Jahre vorher den Kontakt zu Balzac aufgenommen, doch seine Hoffnung, sie würde ihn nach dem Tod ihres Gatten heiraten, hatten sich (zunächst) nicht erfüllt. Umso mehr hoffte Balzac nun, dass der bevorstehende Aufenthalt endlich zum Ziel führen wurde.

Seine Heimat Paris hatte er aber nicht nur der Liebe wegen Hals über Kopf verlassen, einmal mehr waren seine Geldgeber dem chronisch verschuldeten Balzac auf den Fersen. Sich in damaliger Zeit auf eine Zugreise zu begeben, war für jeden Gast strapaziös, erst recht für einen Mann wie Balzac, den man heute wohl als Workaholic bezeichnen würde. Tag und Nacht arbeitete er an seiner Romanreihe „Menschliche Komödie“ und ruinierte sich nicht zuletzt durch seinen massenhaften Kaffeegenuss die Gesundheit. So litt er unter häufigen Hustenanfällen, die ihn auch auf der mehrwöchigen Reise plagten, wie es Heinrich Peuckmann eindrucksvoll schildert.

Balzacs Gedanken kreisen während der Fahrt aber nicht nur um das eigene literarische Schaffen, er ruft sich auch die Begegnungen mit seiner geliebten Evelina in Erinnerung und denkt zudem gern an die vielen anderen Frauengeschichten, die ihn schon als jungen Erwachsenen in die höchsten Adelskreise führten. Die Eindrücke und Erlebnisse in dieser gesellschaftlichen Umgebung hat er in zahlreichen Werken verarbeitet und dabei den Menschen gern mal den Spiegel vorgehalten. Trotzdem oder auch gerade deshalb erreichte er bereits zu Lebzeiten eine hohe Popularität, wie es auch auf der Zugreise deutlich wird. In Peuckmanns Buch trifft Balzac zahlreiche Zeitgenossen, die ihn schätzen und auch ihre Bewunderung zum Ausdruck bringen.

Das Verhältnis zu Dichtern und Denkern seiner Zeit beschäftigt Balzac stets auf Neue. Das belegen die Zwiegespräche mit Victor Hugo oder Heinrich Heine. Nicht immer sind es die großen philosophischen Diskurse über die Zukunft der Welt, manchmal auch ganz praktische Überlegungen. Heine empfiehlt Balzac, doch mehr Theaterstücke zu schreiben. Mit schnell verdientem Geld könne er sich doch von seinen Schuldnern loseisen.

Wenn Balzac sich in Kindheit und Jugend versetzt, kommt er nicht um das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter herum, die ihn nicht leiden konnte und ihn zu einer Amme gab. Mit dieser Entscheidung haderte Balzac wohl bis zum Tod.

Dass Heinrich Peuckmann intensiv für das Buch recherchiert hat, zeigt sich nicht nur an den vielen Details aus dem Leben Balzacs, sondern auch bei der Beschreibung der Zugfahrt in der Pionierzeit der Eisenbahnen. In Köln mussten die Fahrgäste zu Fuß eine Rheinbrücke passieren, um danach ihre Fahrt mit einem anderen Zug fortzusetzen. In Madgeburg stand zur Überquerung der Elbe eine Fähre für die Bahn parat.

Zu Ehren kommt auch ein Begriff, der heute längst in Vergessenheit geraten ist. Der Name Perron für Bahnsteig/Treppe war seinerzeit in aller Munde. Manche Selbstverständlichkeiten in jener Zeit geben zum Schmunzeln Anlass, unter anderem, wenn es Balzac es ertragen muss, dass eine Frau Hühner und Ziege mittransportiert.

Dieses Mal ist es zwar kein Krimi, den Peuckmann vorlegt, dennoch hat das Buch einen Spannungsbogen. Ob Evelina schließlich zur Heirat bereit ist, diese Frage lässt der Autor nicht unbeantwortet.

Heinrich Peuckmann: „Die lange Reise des Herrn Balzac“. Lychatz Verlag, 124 Seiten, 19,95 Euro




Letzte Fragen, laut und lustig – „The Return of Das Goldene Zeitalter“ im Dortmunder Theater

Premiere von „The Return of Das Goldene Zeitalter“ im Dortmunder Theater. Viel Bild, viel Ton – und irgendwann stimmt das Ensemble Liedzeilen aus einem berühmten Song der Puhdys an: 

„Jegliches hat seine Zeit / Steine sammeln, Steine zerstreu’n / Bäume pflanzen, Bäume abhau’n / Leben und sterben und Streit.“

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

„The Return of Das Goldene Zeitalter“ – Szene mit Uwe Schmieder und Merle Wasmuth (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Das Lied entstand Mitte der 70er Jahre in der DDR und erklang auch im Film „Die Legende von Paul und Paula“ mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder. Autor des Films und Songtexter war Ulrich Plenzdorf. Die Zeilen sind schön, wahr und uneingeschränkt zitierfähig; wenn man sie indes, wie es nun auf der Bühne des Dortmunder Schauspiels geschieht, Mal um Mal gesungen hört, fragt man sich schon, wo der Rest geblieben ist. Denn recht eigentlich ist das Lied mit der Anfangszeile „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt“ ja ein Liebeslied voller Verletzlichkeit, ein Lied des unausweichlichen Abschieds und der Trauer darum, mit diesen sich zum Teil mehrfach wiederholenden Zeilen:

Meine Freundin ist schön. / Als ich aufstand, ist sie gegangen. / Weckt sie nicht, bis sie sich regt. / Ich hab‘ mich in ihren Schatten gelegt.

Ich habe mich gefragt, warum ich diese Zeilen nicht in Dortmund gehört habe, in dem drei Stunden mächtigen, pausenlosen Eigenprodukt „The Return of the Goldene Zeitalter“ von Alexander Kerlin und Kay Voges, wo die Steine-Zeilen, wie gesagt, wirkmächtig eingebaut sind. Gewiß, es steht Autoren frei, Zitate nach Belieben auszuwählen, und das haben die beiden auch getan. Aber trotzdem. Etwas Wichtiges fehlt.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Kaum wiederzuerkennen: Caroline Hanke und Björn Gabriel (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Freudloser Kreislauf

Während noch der Zuschauerraum sich füllt, geschieht schon etwas auf der Bühne. Wie aufgezogen steigen Figuren, mit blonden Perücken und blauen Mädchenschuluniform einheitlich ausstaffiert, rhythmischen Schlägen folgend eine Treppe herab, verschwinden hinter einer Tür, tauchen am oberen Treppenrand wieder auf und wiederholen ihren Abstieg; das Bild wird später in einem Video erklärt, es ist quasi die Bühnenadaption eines Kinderspielzeugs, einer Art Achterbahn, bei der Spielfiguren mechanisch zum oberen Punkt transportiert werden, um von dort eine vielfach geschwungene Bahn herabzusausen.

Unten angekommen, geht es von vorn los, ein endloser Kreislauf, Sinnbild – wenn man es denn auf die Theaterbühne stellt – eines in endlosen Wiederholungen im Grunde ereignislos dahingehenden Lebens. Dem indes steht der Titel der Veranstaltung entgegen. Das einem Zitat von Heinrich Heine entlehnte „Goldene Zeitalter“ liegt nach Meinung des Dichters noch vor uns und keineswegs in mythischer Vergangenheit. Es gibt also so etwas wie ein Menschheitsziel; darüber läßt sich trefflich philosophieren.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Hier nimmt die Legende von Adam und Eva ihren Anfang. In den Stoffpuppenkostümenstecken Caroline Hanke und Eva Verena Müller (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Video und Klanggewummer

Die Dortmunder Produktion im Großen Haus, wie könnte es anders sein, bietet zu diesem Zweck wieder reichlich Videoarbeit auf, manch zwerchfellreizendes Klanggewummer und viele, viele Wiederholungsschleifen, gleichzeitig aber auch eine Menge Schauspielerarbeit und ansehnliche, muntere Ideen.

Es wird nicht langweilig in den gut drei Stunden, die das Ganze dauert. Und das zwiespältige Angebot, den Saal nach Belieben zu verlassen und, gerne auch mit Kaltgetränken, wieder aufzusuchen, wird von der großen Mehrheit der Zuschauer nicht genutzt. Diese neue Sitte, „pausenlos“ zu spielen und dem Publikum das beliebige Kommen und Gehen zu gestatten, ist sowieso eher eine Unsitte, eine Selbstentwertung des Theaters, die hoffentlich bald wieder verschwindet. Aber wer weiß.

„Ich war – ich bin – ich werde sein“

Reflektorisches denn also zum großen Menschheitsgeneralthema, kräftig gewürzt mit den Zitaten großer Geister, mit etwas Lokalkolorit und mit Alltagserfahrungen der Überforderung und der Ernüchterung. Einer von vielen Heiterkeitserfolgen sind burlesk nachgespielte Tagesschauszenen am Küchentisch, die in der Diktion der griechischen Tragödie – Ortsmarke Theben – die Enttäuschungsträger der letzten Zeit zelebrieren: den ehemaligen Limburger Luxus-Bischof Tebartz-van Elst, den Steuerhinterzieher Uli Hoeneß, den Pädophilen Sebastian Edathy und noch einige mehr.

Die Geschichte von Adam und Eva und dem Apfel der Erkenntnis wird – nebst Kain-und-Abel-Exkurs -, als langgezogene Zweipersonennummer in weichen Stoffpuppenkostümen präsentiert, und auf dem Gipfel des Ganzen muß Uwe Schmieder in gänzlicher Nacktheit über die vorderen Zuschauerränge klettern und die Selbstvergewisserung seiner Existenz Mal um Mal triumphierend herausschreien. Bis zum dann doch herbeigesehnten Ende muß das Ensemble dann „Internationale Solidarität“ skandieren (das „Hoch die…“ wurde gestrichen), und selbst als der Eiserne Vorhang unten ist, ist es noch nicht vorbei, flimmern klangunterlegte Videosequenzen des just Vergangenen über das dunkle Metall. Solidarität? Wofür? Womit? Auch als langjähriger, hartgesottener Theatergänger ertappt man sich bei dem Gedanken, ob das alles wirklich sein muß.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Eva Verena Müller als hinreißend quengelige grüne Raupe (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Nicht ohne Heiner Müller

Wenn Autoren so wie hier den Kosmos ihres Erkennens zelebrieren, führen sie natürlich auch dessen Grenzen vor. Und die sind nicht unendlich. Brecht muß immer wieder fürs Zitiertwerden herhalten, später auch Frank Castorf und Leander Haußmann und natürlich Heiner Müller, einer der letzten Welterklärer des Theaters, an dessen Lippen die Nachkommenschaft ergeben hängt. Auch am Begriff der Urheberschaft arbeitet sich das Stück ab, die, was nicht zu leugnen ist, in einem gewissen, wenn nicht gar dialektischen Verhältnis zur Veränderung der Welt dergestalt steht, daß sie in dem Maß an Bedeutung verliert, in dem die Welt sich tatsächlich im Sinne des Urhebers verändert. Konkreten Anlaß bietet das Aufführungsverbot, das der Suhrkamp-Verlag als Rechteinhaber gegen  Castorfs „Baal“-Inszenierung am Münchner Residenztheaters ausgesprochen hat, weil der in des Meisters geheiligten Zeilen zu viel Fremdtext eingebaut habe. Na gut.

Ein gänzlich humorfreier Feuerwehrmann fordert den Brandschutz ein („Alle reden vom Theater – aber wer redet vom Brandschutz?“), Joseph Beuys’ berühmte „Ja, ja, ja – nee, nee, nee“-Klangskulptur gelangt zum Vortrag, und es geschieht auf bunter Bühne einiges noch mehr; indes bleibt bei alledem doch unbeantwortet, was die Welt im Inneren zusammenhält. Beziehungsweise, welche Energie den Fortschritt vorantreibt. Könnte es vielleicht die Liebe sein? Liebe zwischen zwei Menschen, um die es den Puhdys in ihrem Lied geht und die man hier konsequent ausblendet? (Und die, das nur am Rande, wesentliche Antriebskraft des Theaters ist?) Es lohnt, darüber nachzudenken.

The Return of DAS GOLDENE ZEITALTER

Videoeinblendung mit (von links) Uwe Schmieder, Eva Verena Müller, Björn Gabriel und Merle Wasmuth (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Jedenfalls hat dieses Stück, dessen Untertitel „100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“ pfiffig klingt, aber trotz des Zählwerks mit seinen roten Zahlen am rechten Bühnenrand ein bißchen anmaßend ist, nicht geringen Unterhaltungswert. Zudem ist es wirklich ein Eigenprodukt und nicht die Verwurstung literarischer Vorlagen nach den Ideen eines selbstherrlichen Regisseurs.

Die Schauspieler-Riege – Björn Gabriel, Caroline Hanke, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Merle Wasmuth – zeigt unbedingten Einsatz, ohne indes darstellerisch ihre Möglichkeiten ausschöpfen zu müssen. Und die Verwendung von Videotechnik schließlich, die man ja nicht uneingeschränkt lieben muß, ist hier über weite Strecken durchaus überzeugend.

Doch blieben etliche Plätze im Zuschauerraum bei dieser Uraufführung unbesetzt. Wer allerdings gekommen war, zeigte sich erwartungsgemäß begeistert.

Nächste Termine: 

Samstag, 7. März, Donnerstag, 30. April.
www.theaterdo.de




Winterreise im Mai – Katja Riemann und Arne Jansen bei den Ruhrfestspielen

Das Thermometer in Recklinghausen zeigte gut 25 Grad, auf dem Festspielhügel herrschte gepflegte Festival-Atmosphäre. Die Gastronomie gut besucht, das Publikum eigentlich sommerlich heiter gestimmt. Auf dem Programm aber steht eine Winterreise, im Festspielhaus rieseln die Schneeflocken.

Mit einer Schneekugel beginnt die Uraufführung von „Winter – ein Roadmovie“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Die Schneekugel – das unscharfe Symbol einer verkitschten, heilen Welt. Im Laufe der Jahre geliebt, verpönt, belächelt, derzeit Kult. Auf einer großen Leinwand sind sowohl Heinrich Heine als auch Franz Schubert in solch einer Kugel zu sehen. Die künstlichen Flocken rieseln zu den Klängen der Black Eyed Peas.

Erst dann beginnt die eigentliche Reise, auf die Schauspielerin und Sängerin Katja Riemann und der virtuose Jazz-Gitarrist Arne Jansen das Publikum in diesem Jahr mitnehmen. In ihrem Roadmovie verbinden sie den Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert mit Heinrich Heines „Deutschland, ein Wintermärchen“. Wie derWesten berichtet, ist die Idee zu diesem ambitionierten Projekt im letzten Jahr beim Brunch im Festspielhaus entstanden. 2011 waren Katja Riemann und Arne Jansen erstmals gemeinsam mit einem Projekt auf der Bühne. „Doitschlandlied“ war der Titel ihrer ersten gemeinsamen Konzeption, die so großen Anklang fand, dass die Frage nach einer Fortführung der erfolgreichenen Zusammenarbeit einfach im Raume stand.

„Winter – ein Roadmovie“ ist anders als das „Doitschlandlied“. Es ist elegischer, melancholischer, leiser. Das Thema Deutschland bleibt, weitet sich aber auf Europa aus. Die Werke Heines als auch Schuberts spiegeln nicht nur deutsche Geschichte wider, sie zeigen auch eine früh entstandene Sehnsucht nach einem geeinten Europa. In Zeiten der Eurokrise sind beide Werke aktueller denn je. Riemann und Jansen zeigen dies akzentuiert und punktgenau. Bearbeitet haben die beiden ihr Roadmovie mit akribischer Sorgfalt, spürbarer Hingabe, aber auch mit Respekt und Demut für die zugrunde liegenden Werke. Und so ist auch die diesjährige konzertante Vorlesung des Duos trotz des frostigen Themas mitten im Sommer wieder ein Erfolg.

Arne Jansen ist ein Ausnahme-Gitarrist. Selbst wenn er sich zurücknimmt wie an diesem Abend, sein großes Talent trägt die konzertante Begleitung und begeistert durchgehend. Die Riemann zeigt sich vielseitig. Dass sie eine gute Sängerin ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen – bei dieser Aufführung traut sie sich auch an instrumentale Ergänzung mit Blockflöte und Melodica. Die Texte fordern ihr ganzes schauspielerisches und gesangliches Können, sie ist eine Schauspielerin, die noch Mut zum Drama und zum Deklamieren hat. Souverän steht sie diese sicher anstrengende Reise durch, schafft es dabei nonchalant, das Publikum einzubeziehen und mit diesem in einen angenehm unaufgeregten Dialog zu treten. Unaufdringlich unterstützend wirken kleine Film-Einspieler auf der Leinwand, jeder für sich ein kleines Kunstwerk.

Die Ruhrfestspiele dümpeln in diesem Jahr zwar gewohnt erfolgreich, aber auch unspektalulär vor sich hin. Wie schon im letzten Jahr sind es die Aufführungen im kleinen Haus, die Mut und Kreativität zeigen, so wie jetzt die Winterreise im Mai. Intendant Frank Hoffmann verbindet die Ruhrfestspiele gerne mit dem Anspruch, sie seien ein Ort der Kreativität, deren dort uraufgeführte Werke von Recklinghausen aus einen erfolgreichen Weg durch die Theater und Bühnen der Republik finden. Zumindest „Winter- Ein Roadmovie“ dürfte diesen Anspruch erfüllen.

Die Ruhrfestspiele Recklinghausen zeigen noch bis zum 16. Juni ein breitgefächertes Programm.




Westfalen – das Land der wenigen Dichter

Seien wir ehrlich: Eine literarische Traditionslandschaft von hohem Rang ist Westfalen leider nicht. Zum Vergleich: Schwaben kann mit Wieland, Schiller, Hölderlin, Mörike, Hegel und etlichen anderen prunken – und wen haben „wir”?

Seit kurzem gibt es eine neue, umfangreiche Internetseite zur westfälischen Literatur – und selbst da muss man sehr intensiv suchen, um aufs Feld ganz großer Dichtung zu gelangen. Über 2000 Autoren sind verzeichnet, doch selbst Fachleute dürften die allermeisten kaum kennen.

Vielleicht liegt’s, wie Goethe gesagt hätte, am Fehlen von „Basalten und Schlössern”. In klassischen Zeiten blühte die Literatur vor allem im Umfeld des Adels. Westfälische Autorenschaft entwickelte sich hingegen vor allem in Kirchen- und Juristen-Kreisen. Vielfach lief es freilich auf Heimatdichtung mit engerem Horizont hinaus. Nach der Industrialisierung kamen entschieden linke Positionen hinzu – bis zum zeitweise wirksamen Dortmunder Werkkreis Literatur der Arbeitswelt (ab 1961).

Ein Kritiker, ein
Sozialist und ein
erschlagener Bischof

Doch in der NS-Zeit neigten manche Schriftsteller auch zu schrecklichen Blut- und Boden-Ergüssen; allen voran Josefa Berens-Totenohl, die in Meschede-Grevenstein aufwuchs.

Es ist lehrreich, auf www. literaturportal-westfalen.de die Funktion „Schauplätze” aufzurufen. Hier kann man – Ort für Ort – erfahren, wo Autoren gelebt und wo Dichtungen gespielt haben. Beispiele:

In Altena wurde 1893 Friedhelm Sieburg geboren, der als „Großkritiker” der FAZ von sich reden machte. Er war sozusagen der Reich-Ranicki der 50er und frühen 60er Jahre.

Der Romantiker Karl Leberecht Immermann hat sich über Arnsberg so geäußert: „…die Gegend um Arnsberg ist die schönste, die ich je gesehen habe…” Später wurde vor allem der von hier stammende Sozialist Wilhelm Hasenclever (1837-1889) bekannt, der für die Rechte der Arbeiter kämpfte und schrieb.

Dortmund könnte sich rühmen, dass der kürzlich verstorbene Peter Rühmkorf 1929 hier geboren wurde. Doch der große Lyriker wurde Hamburger aus Passion. Immerhin: Der Dadaist Richard Huelsenbeck (1892-1974) hat in Dortmund seine Jugend verbracht und liegt hier begraben. Nicht zu vergessen Max von der Grün („Irrlicht und Feuer”), Inbegriff engagierter Arbeiterdichtung in der Nachkriegszeit.

In Gevelsberg haben keine großen Autoren gelebt, aber hier wurde anno 1225 Engelbert I. (Kölner Erzbischof) durch den Grafen Friedrich von Isenburg ermordet. Dieser ungeheuerliche Vorfall war ein nachwirkendes literarisches Motiv – für den mittelhochdeutschen Dichter Walther von der Vogelweide wie für die Vorzeige-Westfälin Annette von Droste-Hülshoff.

Größter literarischer Sohn von Hagen war der Lyriker Ernst Meister (geboren 1911 in Haspe, gestorben 1979 in Hagen), eine prägende Gestalt deutscher Dichtung.

Das doch recht kleine Hilchenbach wächst auf der literarischen Landkarte zur veritablen Größe heran – wegen Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817). Goethe war es, der (nach einem Treffen in Elberfeld) ein Manuskript von Jung-Stilling unter dem Titel „Heinrich Stillings Jugend” herausbrachte. Der Hilchenbacher beschreibt darin das einfache, schlichte Leben Siegerländer Bauern, Eisenschmelzer und Schmiede.

Auf Schloss Cappenberg, wo der preußische Reformer Freiherr vom Stein lebte, fand sich häufig der romantisch-patriotische Dichter Ernst Moritz Arndt ein. Zudem spielt eine Ballade von Annette von Droste-Hülshoff („Die Stiftung Cappenbergs”) dort.

Unna steht in den literarischen Annalen wegen Philipp Nicolai (1556-1608), der hier ein paar Jahre Stadtpfarrer war und berühmte Kirchenlieder wie „Wachet auf, ruft uns die Stimme” schuf. Vor allem aber verdankt Unna Heinrich Heine einigen Ruhm. In „Deutschland. Ein Wintermärchen” (1841) fügte Heine die unsterblichen Zeilen: „Dicht hinter Hagen ward es Nacht . . . / Ich konnte mich erst / Zu Unna im Wirtshaus erwärmen . . .”

Einem Studiengenossen aus Westfalen schrieb Heine Verse ins Stammbuch, die auf ein literarisches Defizit der Region hindeuten könnten:

„Mein Fritz lebt im Vaterland der Schinken, / Im Zauberland, wo Schweinebohnen blühen, / Im dunklen Ofen Pumpernickel glühen, / Wo Dichtergeist erlahmt und Verse hinken . . .”

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INFO:

  • http://www.literaturportal-westfalen.de/
  • Der Netz-Auftritt steht unter Regie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und wurde maßgeblich von der Stiftung Westfalen-Initiative finanziert.
  • Angeblich gibt es für keine andere deutsche Region eine ähnliche Netz-Präsenz.
  • Man kann auf einer Zeitleiste suchen, aber auch nach Autoren- oder Orts-Alphabet („Schauplätze”).
  • Außerdem lässt sich nach Verlagen, Archiven usw. fahnden.
  • Anmerkung: Münsterland, Bielefeld/Ostwestfalen und Lippe-Detmold fallen in diesem Beitrag unter den Tisch. Einfach mal so.



Brückenpläne an der Loreley – ein Risiko für den Status des Unesco-Weltkulturerbes?

Das Rheintal bei St. Goarshausen ist ein Inbegriff deutscher Romantik – auch für Japaner und Amerikaner. Nun ist die liebliche Gegend ins Gerede gekommen. Denn ausgerechnet im nahen Umkreis des berühmten Loreley-Felsens, den Heinrich Heine lyrisch besungen hat, möchte das Land Rheinland-Pfalz eine neue Brücke über den Rhein errichten.

Heines unsterbliche Loreley-Zeilen („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten”) gelten in dieser Hinsicht nicht: Spätestens seit dem Dauerstreit um die Dresdner Waldschlösschenbrücke weiß man nämlich nur zu gut, dass solche Vorhaben schnell die Unesco als Hüterin des Weltkulturerbes auf den Plan rufen. Denn es könnte ja sein, dass die schönen Landschaftsbilder durch derlei Bauten empfindlich beeinträchtigt werden.

Seit 2002 genießt das mittlere Rheintal den prestigeträchtigen, auch touristisch bedeutsamen Welterbe-Status. Die Aufnahme in die Liste galt seinerzeit als kulturpolitischer Erfolg des Mainzer Ministerpräsidenten Kurt Beck, der mittlerweile bekanntlich auch SPD-Parteichef ist.

Im Februar (der genaue Termin ist bislang Geheimsache) wird sich eine Unesco-Kommission aus Paris ein Bild von der Lage an der Loreley machen. Die Mainzer Landesregierung will offenbar keinesfalls das Welterbe riskieren und hat im Vorfeld alle verlangten Papiere eingesandt.

Christian Schüler-Beigang, im Mainzer Bildungsministerium fürs Thema Welterbe zuständig, zur WR: „Wir halten uns strikt ans Unesco-Verfahren.” Anders als in Dresden, wo man die UN-Kulturorganisation praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt habe, beziehe Rheinland-Pfalz die Unesco-Fachleute von Anfang an mit ein. Ohne eine Einigung werde es keine konkreten Planungen geben. Schon vor Vergabe des Welterbe-Siegels habe die Landesregierung deutlich gemacht, dass eines Tages eine Brücke nötig sein könne. Besonders die regionale Wirtschaft fordert den Bau dringlich. Bisher gibt es auf rund 100 Kilometern Rheinlänge (zwischen Koblenz und Mainz) keine einzige Rheinbrücke.

Auch Svea Thümler, Sprecherin des Mainzer Wirtschaftsministeriums, versichert: „Wir haben die Unesco frühzeitig in alle Entscheidungen eingebunden. Wir haben aus den Fehlern von Dresden gelernt.” Aus Finanzgründen bevorzuge man eine Brücke, werde notfalls aber einen Tunnel bauen – vielleicht mit Zuschüssen des Bundes? Ein Tunnel wäre nämlich mit etwa 72 Millionen Euro rund 30 Millionen teurer als eine Brücke und brächte das Land ziemlich in die Bredouille.

Befremdet zeigt man sich in Mainz über eine frühzeitige Stellungnahme von Prof. Michael Petzet, dem Präsidenten von Icomos (Deutscher Rat für Denkmalpflege), der die Unesco berät. Der einflussreiche Petzet lehnt nicht nur jegliche Brückenlösung ab, sondern auch einen Tunnel. Er empfiehlt, die Fährdienste zu erweitern. Aber würde deren Kapazität ausreichen?

Giulio Marano von Icomos kann sich nicht vorstellen, dass Rheinland-Pfalz gegen den Willen der Unesco die Brücke baut: „Sie werden die Pläne im Konfliktfalle wohl aufgeben.” Es seien ohnehin nur lokale Wirtschaftsinteressen im Spiel. Mainz habe sich nicht auf Vorschläge einlassen wollen, die Brücke an anderer Stelle des Rheins zu errichten.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, ist skeptisch: „In Dresden hätten wir auch nicht gedacht, dass sich alles so zuspitzt. Jetzt bloß nicht wieder Fakten schaffen wie an der Elbe!” Seltsam sei doch in beiden Fällen, dass man Brückenpläne erst aus der Schublade geholt habe, als das Welterbe bescheinigt war.

Schon Dresden, so Zimmermann, habe dem Ruf Deutschlands schwer geschadet. Europa und Deutschland seien bislang beim Welterbe eher bevorzugt worden: „Für manche Länder auf anderen Kontinenten wäre es ein gefundenes Fressen, wenn wir unsere Stätten nicht sorgfältig pflegen würden.” Noch so ein peinlicher Vorgang – und man müsse gar keine Anträge mehr bei der Unesco stellen. „Die würden dann sowieso gleich abgelehnt.”

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INFO:

Seit Heines Gedicht ein mythischer Ort

  • Kulturelles Welterbe ist das mittlere Rheintal. Die Loreley ist der berühmteste Ort dieser Region.
  • Die Loreley ist ein 120 Meter hoher Schieferfelsen bei St. Goarshausen.
  • Durch Heinrich Heines Loreley-Gedicht (1824) wurde die auf dem Felsen sitzende Jungfrau, die Schiffer ins Verderben zieht, zum Mythos.
  • In Dresden (Waldschlösschenbrücke im Elbtal) droht im Sommer 2008 schlimmstenfalls die Aberkennung des Welterbes.
  • Deshalb wurde jetzt in Dresden ein neuer, optisch gemilderter Brücken-Entwurf vorgelegt.
  • Ob man dort die Bedenken der Unesco zerstreuen kann, ist fraglich, denn die vierspurige Brückenbreite bleibt erhalten.



Mit Herzblut für die wahre Freiheit – Einer unserer allergrößten Dichter: Vor 150 Jahren ist Heinrich Heine in Paris gestorben

Von Bernd Berke

Vielleicht treffen sie sich jetzt dort droben: Wolfgang Amadeus Mozart und Heinrich Heine. Falls ja, dann können der Komponist und der Dichter einander Hochachtung, aber auch wechselseitiges Mitleid bekunden. Allenthalben werden sie rituell gefeiert, weil sich biographische Daten „runden“. Heute vor 150 Jahren starb Heine nach langjährigen Leiden in seiner Pariser „Matratzengruft“.

Wie überaus betrüblich: Einer, der dem göttlich guten Leben im Diesseits derart zugetan war, musste so elendiglich enden. Nur zu verständlich, dass Heine zuletzt allen atheistischen Anwandlungen abschwor und um Gottgläubigkeit rang. Nur ahnungslose Schandmäuler können ihm dies verübeln.

Seine Werke gehören unverbrüchlich zur Weltliteratur. In Frankreich zählen die Bücher von „Henri“ ebenso zum ehernen Bestand wie bei uns – und mancher Japaner oder Russe kann wahrscheinlich das „Loreley“-Gedicht im deutschen Original aufsagen.

Sein Witz war kühn und treffsicher

Das berühmte „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ konnten nicht einmal die Nazis verschweigen. Allerdings schrieben sie die Zeilen einem „unbekannten Dichter“ zu.

Heine war Rheinländer jüdischen Glaubens, als junger Mann ließ er sich allerdings christlich taufen, denn: „Der Taufzettel ist das Entréebillet zur europäischen Kultur.“ Antijüdische Vorurteile gegen Heine steigerten sich schon bei einigen seiner Zeitgenossen zu erschreckenden Hasstiraden. Die üblen Klischees des 19. Jahrhunderts führten letztlich auch zur Bücherverbrennung von 1933.

Der Heißsporn Heine hat sich zu seiner Zeit mit nicht lauteren Mitteln gewehrt: Als der Dichter August Graf von Platen ihn mit antisemitischen Untertönen angriff, machte sich Heine öffentlich über dessen Homosexualität lustig – damals ein ungeheurer Skandal und wohl der schlimmste deutsche Dichterstreit überhaupt.

Nachwirkung zwischen Karl Kraus und Nietzsche

Heines Nachwirkung ist stets eine Streitfrage gewesen. Selbst ein ungemein kluger, doch hitziger Kopf wie Karl Kraus hat Heine als Vorläufer eines unverbindlich plaudernden Stils missverstehen wollen. Kraus-Zitat: „Ohne Heine kein Feuilleton. Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt hat.“ Heine habe „der deutschenSprache so sehr das Mieder gelockert (…), dass heute alle (…) an ihren Brüsten fingern können.“ Friedrich Nietzsche bezog die Gegenposition: „Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind …“

Die Vaterstadt Düsseldorf hat sich mit Heine schwer getan. Schier endlos währte das Gezerre darum, ob die Uni seinen Namen tragen sollte 1989 war es so weit. Ehrenbürger ist er bis heute nicht.

Mit Herzblut hat Heine einige der schönsten romantischen Gedichte geschrieben. Doch sein flackernder, treffsicherer Witz und seine oft kühnen Formulierungen (er reimte schon mal „ästhetisch“ auf „Teetisch“) ließen wehe Idyllen und Schauermärchen der Romantik weit, weit hinter sich.

Gemischte Gefühle fürs aufkommende Proletariat

Er hat nicht nur höchst sprach- und formbewusste, sondern aufsässige Texte geschrieben – mit satirischer Stoßrichtung gegen schläfriges Biedermeier, starres Preußentum und aggressiv dumpfen Nationalismus (nationale Einigung ja, aber bitte unter freiheitlichen Vorzeichen). Ach, wüsste man doch, was der Erz-Journalist Heine zum jetzt so akuten Streit um Karikaturen und Pressefreiheit gesagt hätte!

Mit gemischten Gefühlen sah Heine das Proletariat heraufkommen. Er begriff die Notwendigkeit dieser Entwicklung, fürchtete aber auch die Barbarei der neuen Klasse – eine Schreckensvision, die im Realsozialismus grässliche Gestalt annahm. Im Grunde blieb Heine Monarchist, freilich ein aufgeklärtes Königtum, das per Verfassung alle (bürgerlichen) Menschenrechte wahren sollte.

Mit Potentaten und Zensoren in Berlin hatte er ebenso Probleme wie mit kaufmännischen „Pfeffersäcken“ in Hamburg, wo sein reicher Bankiers-Onkel Salomon und sein Verleger Campe lebten – zwei Menschen, mit denen er oft um Geld gestritten hat.

Welch eine Befreiung muss Paris bedeutet haben, damals die konkurrenzlose Weltmetropole mit rauschendem Kultur- und Gesellschaftsleben, an dem Heine ausgiebig teilnahm. Hier traf er prägende Gestalten jener Zeit – von Richard Wagner bis Karl Marx, von Hector Berlioz bis Balzac und George Sand.

„Dicht hinter Hagen ward es Nacht.. .“

Seinen Büchern kann man entnehmen, dass er trotz alledem wehmütig an seiner Heimat gehangen hat. Er hatte „das Vaterland an den Sohlen“ – wären es doch nur befreite Lande gewesen! „Denk ich an Deutschland in der Nacht…“

Der Rheinländer Heine hat die geradlinige westfälische Wesensart sehr geschätzt. In Göttingen sang und trank er mit Studienfreunden aus hiesigen Breiten.

Die Zeilen, die jeden Westfalen rühren, stammen aus der ansonsten eminent politischen Dichtung „Deutschland. Ein Wintermärchen“ und schildern Heines Reise nach Hamburg (1843), die durch Westfalen führte:

„Dicht hinter Hagen ward es Nacht, / Und ich fühlte in den Gedärmen / Ein seltsames Frösteln. Ich konnte mich erst / Zu Unna, im Wirtshaus, erwärmen…/ Den lispelnd westfälischen Akzent / Vernahm ich mit Wollust wieder.“

Und nun kommt’s:

„Ich habe sie Immer so lieb gehabt, / Die lieben, guten Westfalen, / Ein Volk so fest, so sicher, so treu, / Ganz ohne Gleißen und Prahlen (…) / Sie fechten gut, sie trinken gut, / und wenn sie die Hand dir reichen, / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sind sentimentale Eichen.“

Beileibe nicht nur wegen dieser Verse: Der Weltbürger Heine verdient unbedingt auch die westfälische Ehrenbürgerschaft.

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LEBENSDATEN

Kaufmannslehre und Romantik

  • Heinrich Heine (Bild) wird am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geboren.
  • Er erwirbt kein Reifezeugnis, sondern wechselt zur Handelsschule.
  • Ab 1815 Kaufmännische Lehrzeit in Frankfurt und Hamburg.
  • 1816 Unglückliche Liebe zur Cousine Amalie.
  • 1817 Erste Gedichte unter Pseudonym.
  • Ab 1819 Jura-Studium in Bonn, Göttingen, Berlin. Auch philosophische Vorlesungen, u. a. bei Hegel.
  • 1825 Examen, Promotion, protestantische Taufe.
  • 1826 Erster Teil der „Reisebilder“ (u.a. „Die Harzreise“, „Die Nordsee“).
  • 1827 „Buch der Lieder“ (zu Lebzeiten 13 Auflagen). Reise nach England.
  • 1828Norditalien-Reise
  • 1829 Umzug nach Berlin
  • 1837 Heine zieht nach Paris, berichtet von dort für deutsche Zeitungen.-•1835 Verbot der Schriften Heines im Dt. Bund.
  • 1836 „Die romantische Schule“
  • 1840 Streitschrift gegen Ludwig Börne (Folge: Duell mit einem Börne-Fan).
  • 1 841 Heirat mit der 18 Jahre jüngeren Mathilde, die er 1834 kennen gelernt hatte. Heine schrieb: „Sie hat einen sehr schwachen Kopf, aber ein ganz vortreffliches Herz.“
  • 1843 und 1844 Reisen nach Hamburg.
  • 1844 „Deutschland. Ein Wintermärchen“.
  • 1847 „Atta Troll“
  • 1848 Feb./März: Bürgerliche Revolution in Frankreich und Deutschland. Heine ist ab Mai für den Rest seines Lebens durch Krankheit ans Bett gefesselt („Matratzengruft“).
  • 1851 „Romanzero“
  • 1854 „Geständnisse“
  • 1856 (17. Februar): Heinrich Heine stirbt in Paris.