Das Leben ist wie ein bleicher Traum – Hamm zeigt Heinrich Vogelers Frühwerk im Umkreis des Jugendstils

Von Bernd Berke

Hamm. „Schöner wohnen – edler leben“. Dieser Slogan könnte für die neue Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum werben. Der umfassende Überblick zum Frühwerk des Heinrich Vogeler (1872-1942), konfrontiert mit Schöpfungen anderer Künstler aus dem Jugendstil-Umkreis, wirkt wie die Feier eines stilvollen, aber auch bis zur Erstarrung stilisierten Lebens.

Vogeler, begütert aufgewachsener Bremer Kaufmannssohn, bewies – als Maler, als Architekt, mit Alltags-Entwürfen – einen Hang zum Komfort. Der hochbegabte Autodidakt betätigte sich als umtriebiger Universalkünstler. Vom Mobiliar bis zum Besteck, von der Buchillustration bis zum Schmuckstück erstreckte sich sein weites Feld.

Der Zeitgeist zur letzten Jahrhundertwende wollte es so: Man verabschiedete sich vom Historismus und griff (statt auf die Geschichte) lieber auf natürliche Formen zurück. Zumal aus dem reichen Repertoire der Pflanzenwelt erwuchsen die typischen Ornamente des Jugendstils. Einem solchen Bildvokabular konnten sich weder Vogeler noch Peter Behrens oder Henry van de Velde ganz entziehen. Die beiden Letzteren fanden freilich, wie die Ausstellung zeigt, alsbald zu funktionaleren Formen.

Auf drei Etagen verteilen sich die rund 300 Exponate in Hamm: Im Erdgeschoß findet man Malerei, im ersten Geschoß „Design“ und ganz oben Belegstücke zum architektonischen Schaffen.

Traumzeit regiert in der malerischen Abteilung: Hier sieht man sich satt an blumig umrankten, oft ätherisch oder gar etwas mondsüchtig dreinschauenden, zarten jungen Frauen. Diese bleichen, beinahe transparenten Wesen blicken in die Welt, als könnte ihre unnennbare Sehnsucht sie im nächsten Moment himmelwärts davontragen.

Märchenhaftes Mischwesen aus Fee und Fisch

Prägnantes Beispiel ist „Melusine“ (um 1910), dreiteiliges, an einen Altar gemahnendes Prunkbild: Ein Mädchen – halb Fisch, halb Fee – thront traumverloren inmitten einer märchenhaften Naturkulisse. Kitschverdächtig monumental, füllt das symmetrisch aufgebaute Gemälde „Sommerabend“ (1905) eine Wand. Hier gefriert weltenthobenes Dasein zwischen Flora und musikalischer Ergötzung zur vollends idyllischen Szenerie.

Mit seinen zwei Ehen hatte Vogeler wenig Glück. Frauen aus Fleisch und Blut konnten schwerlich dem hehren Ideal genügen, das in solchen Bildern aufscheint. Gelegentlich streifte Vogeler weiblichen Modellen gleich ein „Reformkleid“ über, auf daß sie seine Weltsicht rein verkörperten. Eine Männerphantasie, wenn auch eine sanftmütige.

Die schönsten Blüten trieb seine Kunst der Buchillustration. Der mit dem Dichter Rilke befreundete Vogeler schuf vor allem für die Insel-Bücherei wundervolle Zierden und Girlanden rund um die Literatur. Über erstaunlich zweckmäßige, weit weniger verspielte Möbel und Alltagsgegenstände arbeitet sich der Besucher zum architektonischen Rüstzeug Vogelers vor. Regionaler Bezug: Für den Hammer HNO-Arzt Emil Löhnberg, einen Anhänger der Gartenstadt-Bewegung, entwarf Vogeler ein schmuckes Fachwerk-Sommerhaus im sauerländischen Willingen, dessen Grundzüge heute noch als Flügel eines Hotels erhalten sind.

Angesichts der Hammer Schau ist es kaum zu glauben, daß Vogeler in den 30er Jahren nach Moskau zog, wo er zu einem Vorläufer des unsäglichen „Sozialistischen Realismus“ wurde. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Gustav-Lübcke-Museum, Hamm (Bahnhofstraße 9). 25. Oktober bis zum 10. Januar 1999, tägl. 10-18, mittwochs 10-20 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 49 DM.




Die artige Avantgarde – Wuppertals Museum zeigt Ausstellung über Worpsweder Künstlerkolonie

Von Bernd Berke

Wuppertal. Idyllen, wohin man auch blickt: Die Bäuerin stillt am Ackersrande ihr Kind. Der Pfarrer hält eine Andacht im Freien – und alle lauschen demutsvoll. Die alte Märchenerzählerin spinnt Geschichten aus, die Kleinen bleiben ganz brav dabei. Es herrscht, so scheint es, tiefer Frieden im Land.

Der Eindruck von artigen, frommen und tugendsamen Zeiten läßt kaum den Gedanken aufkommen, daß die berühmte Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen, in der solche Bilder entstanden sind, bei den Zeitgenossen als ein Posten der Moderne gegolten hat. Paßt das denn zusammen: heile Welt der Ackerkrume und avantgardistischer Anspruch?

Unverfälschte Natur gesucht

Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Heinrich Vogeler, Fritz Overbeck und Hans am Ende wollten, nach dem Beispiel französischer Freiluftmaler, in möglichst unverfälschter Naturnähe leben und diesem Hochgefühl bildlichen Ausdruck verleihen. Eine in Bremen zusammengestellte, beachtliche Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum erinnert jetzt an diesen Künstlerkreis, der anno 1895 – vor genau 100 Jahren – mit seinen Beiträgen zur Mammut-Ausstellung im Münchner Glaspalast (1931 abgebrannter Prachtbau) den triumphalen „Durchbruch“ erfuhr.

Bemerkenswert: Hätten die Worpsweder damals in München nicht im Kontext von lauter konservativen Akademiemalern ausgestellt, sondern bei der freimütigen „Sezession“, so wäre wohl kaum eine Differenz aufgefallen. So aber bemerkten Kritik und Publikum den Unterschied sogleich und priesen ihn.

Weiterer Coup, um am Kunstmarkt zu reüssieren, waren die Riesenformate, die sogleich alle Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen und auf den ersten Blick imponieren sollten. Fritz Mackensens „Gottesdienst im Freien“ (1895) war beispielsweise so großflächig geraten, daß der Künstler das Bild in der wärmeren Jahreszeit lieber nicht im Atelier ließ, sondern draußen an eine Friedhofsmauer lehnte. In Wuppertal sieht man eine etwas kleinere Vorstudie.

In der eigentlichen Worpsweder Gruppenphase (1894 bis 1899) kamen bei manchen Kunstbetrachtern gewisse Untertöne ins Spiel. Mit „Worpswede“, so befanden sie, schließe man endlich wieder künstlerisch zum Konkurrenten Frankreich auf, dessen Impressionisten die Szene so lange und nachhaltig beherrscht hatten. Manche Leute suchten und fanden bei den Worpswedern etwas Kerniges und „Echtes“, nicht vom französischen Raffinement Verdorbenes. Am deutschen Wesen…

Jenseits der bloßen Idylle

Gegen solche Zuweisungen konnten sich die Worpsweder schlecht wehren. In Wuppertal werden ihre Arbeiten nicht – wie sonst so oft – als Hervorbringungen einer Gruppe behandelt, denn man will die individuellen Unterschiede nicht verwischen. Also wird jedem Künstler eine eigene Raumflucht gewidmet, so daß die stilistischen Eigenheiten jeweils klar hervortreten.

Es wird zum Beispiel deutlich, daß Heinrich Vogeler die entschiedenste Neigung zu floralen Jugendstil-Ornamenten entwickelte oder daß Hans am Ende eine verspielte Vorliebe für Windmühlen-Motive hegte. Auch die Gewichtung von Figuren und Landschaften handhabt jeder ein bißchen anders. Und es gibt herrliche Landschaftsbilder in dieser Schau – mit satten Herbstfarben, geheimnisvollen Mooren und wunderbarem Wolkenspiel. Es ist eben Kunst, die über bloß naive Idyllen hinausweist.

Die Worpsweder Maler. Vom 22. Oktober 1995 bis 14. Januar 1996 im Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Di bis So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 38 DM.