Als das „Milljöh“ noch frisch und lebendig war – Zeichnungen von Heinrich Zille im Kölner Kollwitz-Museum

Von Bernd Berke

Köln. Über Heinrich Zille rümpfen viele Kunstkenner die feinen Nasen.Gar zu lieblich erscheinen aus heutiger viele seiner „Milljöh“-Studien.

So kommt es.‘ daß weite Teile seines populären Werkes nicht in Museen vorgezeigt werden, sondern in Privatsammlungen vor sich hin schlummern. Das Kölner Kollwitz-Museum macht nun eine Ausnahme und holt rund 180 Zille-Zeichnungen aus solchem Schattendasein.

Zilles Gesamtwerk war für Jahrzehnte schmerzlich halbiert, die Bestände fast zu gleichen Teilen auf den Osten und Westen Deutschlands verstreut. Seit der Vereinigung ist der umfassende Zugang problemlos möglich. Davon profitiert auch die im Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum getroffene Auswahl, die Köln in konzentrierter Form erreicht und die einmal wieder den Zeichner würdigt. Zuletzt waren weitaus häufiger Zilles Fotografien gezeigt worden.

Besonderes Augenmerk gilt hier nicht den detailliert ausgeführten Arbeiten, sondern den meist vor Ort entstandenen, flüchtigen Skizzen, also der noch ganz lebensfrischen Phase im Werkprozeß.

Zudem sind vorwiegend Arbeiten der Jahrhundertwende zu sehen. Später, nach dem Ersten Weltkrieg, produzierte Zille praktisch nur noch en masse für Illustrierte – in eingefahrenen Bahnen, mit ausformulierten bildnerischen Floskeln und einem recht starren Typen-Arsenal.

Deftiges Treiben in Kneipen und Schaubuden

Den Skizzen aber sieht man noch an, dass der künstlerische Autodidakt Zille einen wachen Sinn für bildkräftige Situationen und knorrige Charaktere hatte. Es macht den Reiz dieser Ideenfindungen aus, daß sie eben noch nicht so pittoresk und pausbäckig wirken wie so viele „fertige“ Bilder.

Zille interessierte sich vor allem fürs deftige Treiben in proletarischen Kneipen („Budiken“), billigen Varietés und lärmerfüllten Schaubuden. In den Vierteln der armen Leute erschrak er über unvorstellbar beengte und schmutzige Lebensverhältnisse. Mit seiner Lithographie-Serie „Des Lebens satt“ (um 1899) wies er auf eine erschütternde Folge der desolaten Zustände hin: Manche Menschen sehen keinen Sinn mehr und wollen nur noch „ins Wasser gehen“. Ein kleines Mädchen versucht verzweifelt, die Mutter vom Sprung von der Spree-Brücke abzuhalten. Ein Aufschrei. Solchen Bildern merkt man das ratlose Mitleiden an.

„Fleischkrieg in der Markthalle“ (um 1908) zeigt den Ansturm der Mittellosen auf die Metzgerstände. Ein spektakuläres, nahezu filmreifes Bild. Gelegentlich verwendet Zille auch Extremformate bis hin zu einer Vorwegnahme der Breitwand. Das Elend in „Cinemascope“…

Angesichts der Kölner Bilder ahnt man es schon hie und da, im späteren Werk wird es überhand nehmen: Zilles Bilder sind gelegentlich so überschaubar „erzählerisch“ angelegt, daß man sie der wackeren Gebrauchskunst zurechnen muß. Da bleibt kaum ein Rätsel mehr übrig und somit auch kein Zauber, sondern manchmal nur noch folkloristische Ver-kitschung.

Die so bitter notwendige, nüchterne Feststellung der Tatsachen scheint schließlich eine Art selbstzufriedener Resignation sich zu ziehen: Seht her, so sieht sie aus, unsere niedliche Not! Veränderbar erscheinen die geschilderten Verhältnisse jedenfalls nicht mehr.

Heinrich Zille. Bis 5. April im Kollwitz-Museum, Köln, Neumarkt 18-24 (Neumarkt-Passage). Tel. 0221/227-2363. Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Katalog 48 DM.

 




Häßliche Armut, Schönheit der Kunst – „ArmutsZeugnisse“ im Dortmunder Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn Künstler die Armut darstellen, können sie leicht in eine Falle tappen. Denn jedes bißchen „Zuviel“ an schöner Linie, an ausgeklügelter Form und Ästhetik wird diesem Thema nicht mehr gerecht. Die Ausstellung „ArmutsZeugnisse“ im Dortmunder Ostwall-Museum enthält viele Beispiele für Balancen und Abstürze auf dem schmalen Grat.

Der vom Dortmunder Fritz-Hüser-Institut für Arbeiterliteratur konzipierte (und von einigen Unternehmen gesponserte) Überblick belegt, daß Armut nach der Jahrhundertwende und in den 20er Jahren ein zentrales Feld der Kunst gewesen ist. In der NS-Zeit wurde das Thema unterdrückt, und im Wirtschaftswunder-Optimismus der 50er Jahre wollte niemand mehr daran erinnert werden.

Zu Zilles Zeiten war’s noch nicht so kompliziert

Erst mit den Krisen der 80er Jahre kam das soziale Menetekel erneut auf. Doch nun werden kaum noch direkte Darstellungen riskiert. Auf abstrakten Farb- und Formenwerten – so etwa bei Felix Droese – lasten nun Inhalt und Ausdruck. Dies erweist sich zuweilen als Überfrachtung. Gelegentlich müssen Schriftzüge im Bild das Thema erst benennen. Andere Künstler retten sich in distanzierte Ironie. Ist Armut am Ende gar nicht mehr künstlerisch zeigbar?

Zu Zeiten eines Heinrich Zille und einer Käthe Kollwitz, mit denen der Rundgang beginnt, schien alles einfacher zu sein. Zille gewährt Einblicke ins vielzitierte Milljöh, die jedoch jetzt als eine Art Folklore verkostet werden könnten. Und schwächere Arbeiten der Kollwitz wirken aus heutiger Perspektive leicht bittersüßlich, wie auf bloße Rührung angelegt. Das kann man von George Grosz und Otto Dix nicht behaupten. Sie zeigen die grotesken Fratzen und Phantome der Armut mit anklagender, immer noch schmerzhafter Deutlichkeit. In der Neuen Sachlichkeit weicht derlei Vehemenz dann wieder einer unterkühlten Glätte.

Auf interessante Nebenwege führt ein Raum mit Eigenbesitz des Hüser-Institutes. Hier sieht man Bilder der sogenannten „Vagabunden“ um Hans Tombrock. Generell gilt: Ein karger Holzschnitt sagt über Hunger, Ausbeutung und Wohnungsnot oft mehr als ein Ölbild. Denn schon mit der Farbe kann die Beschönigung beginnen.

Ein spezielles Exponat sind Teile jener gerichtlich umstrittenen „Klagemauer“, die ein Obdachloser vor Jahren auf der Kölner Domplatte errichtet hat. Das Erscheinen dieser Vielzahl von Papp- und Papierstücken (mit handschriftlichen Aufrufen gegen Elend und Krieg) in einem Museum zeigt nochmals den Zwiespalt: Dokumente eines Notstandes, in der Freizeit konsumierbar.

„ArmutsZeugnisse“. Dortmund. Museum am Ostwall. 5. Nov. bis 31. Dezember, Di-So 10-17 Uhr. Eintritt 4 DM (ermäßigt 1 DM). Katalog 38 DM.