Gnadenlos hinsehen: Heinz Strunks Geschichten ohne Geld, Glück und Sprit
In diesem Buch begegnen wir wahrlich bizarren Personen und Zuständen. Vielfach stehen Fäulnis und Verfall menschlichen Lebens im Brennpunkt der Kurzgeschichten (besser noch: Miniaturen), die Heinz Strunk mit einer Mischung aus Abscheu und diabolischem Vergnügen schildert. Der Mann redet nicht um den heißen Brei herum, sondern steuert geradewegs drauflos und hat sich damit eine treue Anhängerschaft erschrieben.
„Kein Geld Kein Glück Kein Sprit“ steht als Titelschriftzug mit Durchstreichungen auf dem Cover. Warum nur habe ich statt Sprit zuerst immer Spirit gelesen? Naja, egal. Muss ich mit mir selbst ausmachen. Wobei Sprit ja Benzin oder Schnaps bedeuten kann. Der Titel wird jedenfalls in diversen Storys wortwörtlich und fast wie nebenbei aufgegriffen.
Schauen wir aufs Figureninventar:
Ein offenbar linkischer Nerd bewundert im Berliner Szenecafé zwei Frauen aus scheuer Distanz. Überraschend erweist sich später, dass er ein weltweit tätiger Dirigent ist. Alles eine Frage von Perspektive und Kontext? Ein einstiger Hörbuch-Sprecherkönig, ehedem allgegenwärtig, gerät nach und nach überall in fürchterliche Ungnade. Ähnlich abschüssig diese Story: Gealterter Filmstar wird von einer genusssüchtigen „Crew“ ins Luxushotel eingeladen, benimmt sich dort aber komplett daneben. Statt die Clique geistreich zu amüsieren, wie man es nach seinen medialen Auftritten zu hoffen wagte, sondert der Suffkopp allenfalls öde Peinlichkeiten ab.
Eine Frau hat permanenten Schluckauf und sinnt auf Suizid. Ein Rockstar trifft beim Festival die völlig abgehalfterte Lieblings-Band seiner Jugend – welch‘ hochnotpeinliches Backstage-Erlebnis. Sodann die Leiden eines früher dicklich-verweichlichten Jungen, der sich irgendwann brachial ermannen will und schließlich doch wieder in einer Hundehütte vegetiert.
Fragen sondergleichen: Wie empfindet jemand seinen ersten Tag unten im Grab, den ersten von so endlos vielen? Wie ergeht es einem 2,11 Meter langen Mann mit Glasknochen, der einen vierstündigen Flug auf viel zu beengtem Sitz absolviert? Es ist dies – unter gar manchen – wohl eine der verstörendsten Phantasien des Bandes. Obwohl: Da ist ja z. B. auch das greise Ehepaar, das (ohne jeden Bezug zur Außenwelt) in seiner einst prächtigen, nun aber schimmelig verfallenen Villa verfault. „Shit happens“ lautet der lapidare Befund des Erzählers.
So viele zu Tode Entkräftete finden sich hier, die einfach nicht ihrer fatalen „Bestimmung“ und misslichen Verhältnissen entkommen oder gar elendiglich aus besseren Zeiten abrutschen. Aufstiege gibt es hier nicht, etwaige Aufbrüche sind zweckloses Gezappel, letztlich geht es immerzu abwärts. Welch eine deprimierende Lektüre! Heinz Strunk beschönigt nichts, er beschreibt all die Not gnadenlos hinsehend, mit „bösem Blick“, abermals gewohnt schnoddrig und hart am Rande des Zynismus.
Etwas läppisch und albern erscheint nur die Geschichte, in der ein Mann im Yoga-Kurs unablässig furzen muss. Das scheint denn doch „Pennäler-Humor“ zu sein, wie man es früher zu nennen pflegte. Ansonsten gilt immer wieder: Bei Strunk unterhält man sich bestens, allen Abgründen zum Trotz.
Heinz Strunk: „Kein Geld Kein Glück Kein Sprit„. Rowohlt. 192 Seiten, 23 Euro.