Jung sein war für sie keine Frage des Alters: Zum Tod der Schauspielerin Helga Uthmann

Für viele war sie der „Inbegriff von einer Schauspielerin“ und so mancher schaute sich ein Stück nur an, um sie zu erleben: Die Kammerschauspielerin Helga Uthmann ist gestorben.

Als Journalistin hat man Termine, auf die man sich freut und solche, zu denen man sich schleppt. Helga Uthmann zu treffen, war jedes Mal wie ein Lichtstrahl. Stets sorgsam gekleidet, die Haare hoch gesteckt, so zuvorkommend, so freundlich, so lebensfroh und interessiert an ihrer Umwelt, an ihrem Gegenüber. Und so aufgeregt.

Das Theater Dortmund trauert um Helga Uthmann. (Screenshot www.theaterdo.de)

Das Theater Dortmund trauert um Helga Uthmann. (Screenshot www.theaterdo.de)

Jahrzehnte auf der Bühne waren wie weggewischt, wenn Helga Uthmann plötzlich selbst im Zentrum des Interesses stand. Kein Regisseur, kein Text, keine Vorgaben. „So privat zu sein! Grauenhaft! Ich möchte weglaufen“, rief sie einmal an einem Theaterabend, der ihr gewidmet war. Und das von einer Frau, die allein am Schauspiel Dortmund 30 Jahre lang zum Ensemble gehörte.

Niemals eine Diva

Doch Helga Uthmann wollte nie Diva oder Grande Dame sein. „Theatermama“ nannten sie manch jüngere Kollegen liebevoll. Sie selbst sprach gern von sich als der „komischen Alten“. Und komisch sein, das konnte Helga Uthmann. Wenn sie lachte, dann mit dem ganzen Gesicht, dem ganzen Körper, der ganzen Seele. Ein Lachen, dem sich keiner entziehen konnte.

Es passte zu ihr, diesem so sympathischen Menschen, dass ihr Werdegang buchstäblich auf der Straße anfing, beim Theaterspiel unter Freunden. „Ich war die böse Schwiegermutter. Die Prinzessin fand ich ungeheuer langweilig“, erzählte sie mir einmal in einem Interview. Glamour, Allüren – Fremdworte für sie.

„Ich komm‘ schon noch“

Helga Uthmann legte keine aalglatte Karriere hin. Nach der Folkwangschule blieben viele ihrer Kollegen in Essen – sie ging an das Kleine Theater in Mülheim. Und erlebte eine anstrengende, eine prägende Zeit, in der vom Soufflieren bis zum Wände anmalen alles dazu gehörte – fast wie in einer freien Gruppe. Selbst die ersten Auftritte vor dem Publikum fand sie abschreckend: so fremd, so ausgeliefert. Und doch dachte sie bei sich: „Ich komm‘ schon noch“.

Bemerkenswert an Helga Uthmanns Weg ist, dass er immer auch einer jenseits der Zeit war: Am Anfang lagen ihr die jungen Rollen nicht und sie freute sich über jedes Jahr des Älterwerdens – später ab schien sich ihre Lebensspirale andersherum zu drehen. „Ich werde innerlich immer jünger. Ich bin noch 30″, sagte sie mir, als sie vom Papier her 75 war.

Diese unbändige Spiellust

Wer sie in Mathias Franks Inszenierung von Peter Turrinis „Josef und Maria” mit Claus Dieter Clausnitzer erlebt hat, weiß, was das für die Bühne bedeutete: so voller Lebenslust, so kraftvoll und bezaubernd das Sein umarmend war sie da zu sehen, dass die Zuschauer nur so in das Stück pilgerten. Sie wollten erleben, wie diese beiden vermeintlich Alten plötzlich Tango tanzten, Wange an Wange, jede Widrigkeit des Lebens verlachend. Jung sein ist keine Frage des Alters.

Man konnte sich regelrecht vorstellen, dass Helga Uthmann auch schon mal vor einer Vorstellungen laut brüllte: „Ich hab‘ Lust! Ich hab‘ Lust!“

Und doch sagte Helga Uthmann vor fünf Jahren, ihre Kraft lasse nach, sie wolle kürzer treten. Jürgen Kruses Ruf ans Schauspiel Köln ist sie trotzdem noch einmal gefolgt, als der sie anbrüllte: „Und wenn Du 130 wärst – Du spielst!”

Sie ist leider nicht 130 geworden.

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Menschen, der so wundervoll warmherzig war, so groß im Leben und auf der Bühne. Für Helga Uthmann war es ein Kompliment, wenn jemand sie bodenständig nannte. Oder, wie sie es sagte: „Ich muss auch mal dreckige Hände haben und in der Erde wühlen.“




Das Geld frißt alle anderen Werte auf – Carl Sternheims Komödie „Die Kassette“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Carl Sternheims böse Komödie „Die Kassette“ hat nicht nur bei der Berliner Uraufführung 1911 für einen Skandal gesorgt. Noch 1960 wurde Rudolf Noelte wegen seiner Inszenierung fristlos entlassen. Jetzt ist die dramatische Zeitbombe auch in Dortmund geschärft worden.

Es geht um die zerstörerische Macht des Mammons. Jene Wertpapiere über 140 000 Mark (damals ein noch viel größeres Vermögen), die in der ominösen Kassette liegen, verätzen jede Liebesbeziehung und unterminieren die bürgerliche Wertordnung samt kulturbeflissener Verbrämung.

Oberlehrer Heinrich Krull (wohlbeleibter Bilderbuch-Spießer: Gerhard Fehn) wird zwischen weiblichen Fronten zerrieben. Seine zweite Frau Fanny (zwischen Domina-Attitüde und Nervenschwäche: Stephanie Japp) verlangt, er möge die betagte Elsbeth Treu (Helga Uthmann) niederhalten. Doch Elsbeth ist die Erbtante, besitzt die Kassette – und somit die Macht, den gierigen Krull wie alle anderen zu nasführen. Ein rechtes altes Aas, nutzt sie dies weidlich aus.

Die Mechanik zwischen den Figuren

Regisseur Harald Demmer gewinnt dem Text etliche groteske (und ein paar alberne) Facetten ab. Manchmal wirkt’s etwas arg exaltiert, aber unterhaltsam ist’s schon. Seelenvolle Menschen erlebt man hier nicht, wohl aber die Mechanik, die zwischen ihnen herrscht. Durchs Bühnenbild (Oliver Kostecka) weht ein Hauch von 50er Jahren und frühem „Wirtschaftswunder“. So rückt uns das Thema noch ein Stück näher.

Besonders Krulls Tochter Lydia (Wiebke Mauss) tut sich als naive Göre hervor – mit schriller Blockflöte, gesanglichen Mißtönen und drolligen Hopsern. Doch schließlich steht sie als graues, von Migräne geplagtes Häuflein Elend herum, geschwängert vom Fotografen Seidenschnur (Michael Masula), der es mit jeder treibt und sogar sein Foto-Stativ wie eine Erektion aufpflanzt.

Fast allen ergeht’s hier ähnlich wie Lydia: Ihre anfangs geschwollenen Selbstbehauptungs-Gesten knicken immer mehr ein, schnurren kläglich in sich zusammen. Fanny stakst am Ende so gebrochen daher, als führe ihr Weg geradewegs in die Psychiatrie.

Sichtbar wird das Gewaltpotential der Geldgeilheit. Jede lüsterne Bewegung kann sich plötzlich ins Rabiate wenden. Im einen Moment lasziv geherzt, im nächsten brutal zu Boden gestoßen. Wie Marionetten zappeln sie zwischen Geld und Eros. Liebster Bettgenosse ist aber stets die Kassette.

Die mal plüschigen, mal stählernen Floskeln wilhelminischer Zeit, die Sternheim so gezielt eingestreut hat, quellen in grandioser Lächerlichkeit hervor. Am Schluß wird’s liturgisch wie bei einem Gottesdienst des Geldes. Diese Meßdiener hole der Teufel!

Herzlicher Beifall für ein beachtliches Ensemble.

Termine: 14., 26. Feb., 12., 25. März.Karten: 0231/50 27 222.




Bitteres Märchen zwischen Kloake und Herrgottswinkel – Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. „Bis zu den Achselhaaren“ langt das Mariedl in die Kloschüsseln hinein. Verstopfungen zu beseitigen, das ist ihr dreckiger Job. Sie ist mächtig stolz, daß sie alles ohne Gummihandschuhe erledigt.

Menschen mit niedriger Ekelschwelle werden in Werner Schwabs Stück „Die Präsidentinnen“ öfter ein würgendes Gefühl in der Kehle spüren. Der Text suhlt sich in Fäkalien. Und er schraubt seine absonderlichen Ferkeleien, wie beim früh verstorbenen Fließbandschreiber Schwab (1958-1994) üblich, mit gedrechselten Formulierungen ins Existentielle hoch. Aber es sind doch nur Worte, Worte, Worte. Völlig synthetisch und daher im Grunde klinisch sauber.

In Dortmund, wo Johannes Zametzer inszeniert, spielt das Ganze dennoch im dunklen Keller der Armut – vor einer Kohlenhalde und Haufen schmutziger Wäsche (Ausstattung: Tobias Wartenberg).

Gegen die drei Personen (neben besagter Mariedl die vereinsamten Rentnerinnen Grete und Erna) ist das Hexentrio aus Shakespeares „Macbeth“ ein harmloses Kränzchen. Hier salbadern Figuren aus einem bitterbösen Märchen, debile und aufgedunsene Verzweiflungs-Clowns, die zumal den analen Kern handelsüblicher Volkstümelei (wenn Hosen rutschen und gebrunzt wird, gilt das allemal als Brüllwitz) in lauter Redespiralen umkreisen. Diese Sprache rotiert so besinnungslos wie die Waschmaschinentrommel auf der Bühne.

Fatale Fixierung aufs Hinterteil

Von Psychologen haben wir gelernt, daß allzu spezielle Fixierung auf den Hintern und seine Funktionen mit seelischer Verstopfung und Autoritätshörigkeit zu tun haben kann. Triviale Träume, die aus des armseligen Dasein herausführen sollen, und die Frömmelei eines verklemmten Katholizismus österreichisch-süddeutscher Spielart sind denn auch weitere Zutaten zur elend komischen Mixtur zwischen Kloake und Herrgottswinkel.

Man muß solch einen Text wohl nur zügig abschnurren lassen, dann setzt er schon frei, was in ihm steckt. Und man kann ihm ohne großen Schaden inszenatorisch so manches überstülpen – zwischen Anklängen an Thomas Bernhard, Beckett, Kroetz und Komödienstadl ist einiges möglich. Regisseur Zametzer baut vornehmlich auf Wahnwitz und Groteske, hinter denen man schaudernd die Abgründe ahnt.

In Dortmund läßt man das Stück nicht als Nebensache hingehen, sondern bietet das vielleicht beste Frauentrio des Hauses auf: Barbara Blümel als bigotte Betschwester Erna mit der schrillen Pelzkappe, die die keusche Liebe des gottesfürchtigen polnischen Fleischers „Wottila“ (!) herbeiphantasiert; Helga Uthmann als breitärschig-selbstgefällige Grete mit Turmfrisur und derben Sexualphantasien. Und Felicitas Wolf als von Pusteln und Kratzspuren übersäte Klo-Reinigerin Mariedl.

Mit ihrem teuflisch lieblichen Herz-Jesulein-Tonfall zerrt Mariedl am Ende all die Sehnsüchte der anderen zur nackten Wahrheit herab. In wilder Rache schneiden ihr die beiden die Zunge heraus. Die ungeschönte Wirklichkeit ist eben manchmal schwerer zu ertragen als ein stinkender Abort.




Der braune Sud kann ständig überkochen – Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Ist das nicht nett, wenn man beim Theaterabend an Tischen Platz nehmen darf und wenn dann noch Sekt gereicht wird? Doch diesmal ist es auch hinterhältig. Denn was tut man mit seinem Sekt. wenn auf der Bühne der Gerichtspräsident Rudolf Höller mit eben jenem Getränk auf den Geburtstag des „Reichführers SS“, Heinrich Himmler, anstößt? Am liebsten würde man das Zeug wegschütten.

Der unverbesserliche Altnazi Rudolf Höller bildet mit seinen altjüngferlichen Schwestern Vera und Clara das infernalische Trio in Thomas Bernhards Stück „Vor dem Ruhestand“, das jetzt in Dortmund unter der Regie von Catharina FIeckenstein Premiere hatte.

Die drei Geschwister leben zwischen verlogenem Plüsch mit Piano im Kultur-Eckchen (Bühnenbild: Tobias Wartenberg). In solchem Ambiente gedeiht und überwintert sie prächtig: die deutsche Seele, die einst ihr bisschen Schamgefühl „mannhaft überwunden“ und Menschen in die Gasöfen geschickt hat. Massenmord und Beethoven, das paßt hier aufs Schrecklichste zusammen.

Rudolf Höller begeht auch kurz vor seiner Pensionierung noch Himmlers Geburtstag. Dafür wirft er sich in seine alte SS-Uniform, die Vera eigens gebügelt hat. Im Vorjahr mußte seine an den Rollstuhl gefesselte Schwester Clara sich gar kahlscheren lassen und eine gestreifte Jacke aus jenem KZ anziehen, dessen Kommandant Höller einst war. Da lebt er auf, erinnert sich an alte Zeiten. Und da zeigt sich, daß all der braune Sud im Justizalltag immer nur knapp unter der Oberfläche gebrodelt hat und nun überquillt. Nur eines bedauert Rudolf: Daß er seine Gesinnung nicht öffentlich bekunden darf. Doch bald, sehr bald. werde es so weit sein. Wer würde da, zumal in diesen Zeiten, nicht erschrecken? Doch die Sache mit den Neonazis, die ist wohl eine ganz andere.

Bernhards Stück führt den Nazismus als Ausfluß eines zutiefst autoritären Charakters vor. Und der äußert sich in einer absurd-bodenlosen Theatralik. Die in sich kreisende Sprache spiegelt sehr genau innere Zwänge und Ausweglosigkeiten.

In Dortmund vertraut man dem Text sehr, man fügt ihm nichts Überraschendes zu. Es ist fast, als wolle man sich von Bernhards Worten zum Gelingen hintragen lassen. Das klappte zur Premiere noch nicht so gut, es gab einige Verhaspler. Zudem knirscht es noch etwas im dramatischen Getriebe, wird in mancher Szene allzu deutlich forciert bzw. zurückgenommen. Weder grotesk noch lakonisch, sondern nachdrücklich wird gespielt, als müsse man den Text nur noch unterstreichen.

Heinz Ostermann als Rudolf wälzt sich wohlig im Sessel, suhlt sich geradezu in der Vergangenheit. Gemütlichkeit, die jederzeit gefährlich werden kann. Explosiv auch das Doppeldeutige an seinem „Ruhestand“: Er ist dem Tode näher, und zugleich kann er nun alle Hemmungen fahren lassen. Helga Uthmann als Vera, inzestuös mit Rudolf verkettet, hält als eine Art BDM-Betriebsnudel im grellroten Kleid und mit „germanischen“ Zöpfen die verrottete Zwangsgemeinschaft aufrecht. Und Barbara Blümel als wortkarge, über lange Strecken bitter verstummte Clara: welch große Erschöpfung, welch gestauter Haß!

Nur an eines darf man nicht denken: Wie Claus Peymann das Stück im Januar 1980 nach Bochum mitbrachte. Es waren Sternstunden. Solche kann es nicht alle Tage geben.

Weitere Aufführungen: Heute (28. Januar), 12. und 17. Februar, jeweils 20 Uhr.