Wenn Dichter baden gehen

Jeder Autor, der einmal ohne den geringsten Einfall auf ein leeres Blatt Papier gestarrt hat (jaja, heutzutage ist es der Bildschirm), der weiß: Auch der munterste Geist braucht gelegentlich Erholung an den Stränden ordinärer Lebenslust. Angeregt durch die Ferienzeit und eine kleine Ausstellung im Düsseldorfer Heine-Institut würdigen wir die „Dichter in Badehosen“.

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. (Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California)

Aber was heißt hier Badehosen? Schon Johann Wolfgang Goethe, der Übervater des deutschen Bildungsbürgers, riss sich gerne sämtliche Kleider vom Leibe, um sich frei zu fühlen. Bei einer Reise durch die Schweiz 1775 hatten es ihm seine Freunde Friedrich Leopold und Christian von Stolberg vorgemacht, „die guten harmlosen Jünglinge“. Goethe notierte, dass er sich „halb nackt wie ein poetischer Schäfer oder ganz nackt wie eine heidnische Gottheit“ in Schweizer Seen tummelte – leider nicht weit genug von der Zivilisation entfernt. Entrüstete Anwohner sollen mit Steinen geworfen haben.

Heinrich Heine, Goethes junger und von ihm nie adäquat beachteter Düsseldorfer Kollege, reiste häufig an die Nordsee, um, bevor es ihn nach Paris verschlug, seine zarte Gesundheit zu stärken. Im Juli 1826 auf Norderney lernte er sogar schwimmen – wir wissen nicht, welches Outfit er dabei trug. Aber: „Das Meer war so wild, dass ich oft zu versaufen glaubte“, schrieb er mit jungenhaftem Stolz an seinen Hamburger Verleger Julius Campe. Die Brandung verschaffte Heine ein Hochgefühl. „O wie lieb ich das Meer“, schwärmte er im folgenden Herbst in einem Brief an seinen Dichterfreund Karl Immermann, „… und es ist mir wohl, wenn es tobt.“

Ganze Gedichtzyklen Heines sind vom Meer inspiriert, er besang „Poseidon“ und das „Seegespenst“, den „Untergang der Sonne“ und den „Gesang der Okeaniden“. Man kann also nicht sagen, dass der Müßiggang am Strand die Kreativität vernichtet. Ganz im Gegenteil. Hermann Hesse, ein früher Verfechter der Freikörperkultur, schrieb liebevolle Betrachtungen über seine „Jahre am Bodensee“ (1904-1912), in der Nähe des Wassers entstanden Romane und schwelgerische Verse: „Seele, Seele, sei bereit!“

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Hesses Freund Wilhelm Schäfer, ein vollbärtiges Mannsbild, liebte die Sommerfrische in Süddeutschland und der Schweiz. „Auch der See, in der Nähe kristallgrün, ging wie blaue Seide in die Tiefe hinein …“, schrieb er 1931 in „Wahlheimat“. Seine volksverbundene Prosa gefiel später leider auch den Nazis. Geplagt von Finanzsorgen und Schnaken, verbrachte der Rechtsanwalt Heinrich Spoerl 1931 einen dreiwöchigen Urlaub am Starnberger See, badete nur bis zur Taille („der See ist ziemlich kühl“) und hatte die Idee zu einer heiteren Pennälergeschichte, die als verfilmter Roman eine Legende wurde: „Die Feuerzangenbowle“.

Thomas Mann, der im Schutze eines Strandkorbs mitunter sogar den feinen Sommeranzug ablegte und im Badetrikot mit Sockenhaltern in der Sonne saß, stattete seine berühmtesten Helden mit Meeresliebe aus. „Tonio Kröger“ ließ er die „geheimnisvoll wechselnden Mienenspiele“ sehen, „die über des Meeres Antlitz huschen“. Und Hanno, Sprößling der „Buddenbrooks“, liebt „dieses zärtliche und träumerische Spielen mit dem weichen Sande, der nicht beschmutzt, dieses mühe- und schmerzlose Schweifen und Sichverlieren der Augen über die grüne und blaue Unendlichkeit hin …“

Auch Manns Bruder Heinrich, der, wie viele verfolgte Intellektuelle, an der südfranzösischen Ferienküste vorübergehend den Naziterror vergessen konnte, fand große Worte für das Stranderlebnis: „Das Meer, sein tiefer Atem, seine windige, … ersterbende Bläue und dieser Glanz von abendlich feuchtem Gold …“. Ein anderer Emigrant, der kämpferische Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht, hatte schon 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, dem Schwimmen ein Gedicht gewidmet: „Der Leib wird leicht im Wasser“, schrieb er da, und es ist, als befreite das Baden den Denker von den drückenden Problemen der Zeit: „Natürlich muss man auf dem Rücken liegen / so wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen. / … / Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut / wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.“

Info:
Angeregt wurde dieser Text von einer Treppenhausaustellung im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14: „Dichter in Badehosen“ bis 11. September 2016, Di.-So. 11 bis 17 Uhr (Sa. 13-17 Uhr).

Büchertipps:
Heinrich Heine: „O wie lieb ich das Meer – Ein Buch von der Nordsee“, herausgegeben von Jan-Christoph Hauschild, Hoffmann und Campe. 128 Seiten. Vergriffen, aber antiquarisch und als E-Book ab etwa drei Euro über das Internet erhältlich.
Hermann Hesse: „Jahre am Bodensee – Erinnerungen, Betrachtungen, Briefe und Gedichte“. Herausgegeben von Volker Michels mit Bildern von Siegfried Lauterwasser. Insel Verlag. 238 Seiten. 28 Euro.




Auf dem Berg der Wahrheit – Ein Spaziergang auf den Spuren von Hermann Hesse

Eigentlich ist er nur ein Hügel und sein richtiger Name ist Monte Monescia, doch das weiß heute kaum einer mehr. Weithin ist er als Monte Verità bekannt, als Berg der Wahrheit, ein legendenumwobener Hügel, über den Villendächern des einstigen Fischerdorfes Ascona im schweizerischen Kanton Tessin thronend.
Blick auf den Lago Maggiore

 

 

 

 

Anfang des 20 Jahrhunderts sammelten sich auf diesem Berg reformbeseelte Künstler, Pazifisten und Gründer der sogenannten Alternativbewegung. Schon früh – 1907 – fand auch Hermann Hesse den Weg auf den Monte Verita. Bis heute unbestätigten Gerüchten zufolge soll er sich dort von seinen Alkoholproblemen entzogen haben. Schnell zeigte er sich inspiriert von der dortigen Künstlerkolonie, die in gewissem Maße das Hippieleben der 60erJahre vorwegnahm. Man lebte spartanisch in Hütten oder einfachen Steinhäusern, aus dem Granit der Tessiner Berge gebaut.

 

 

 

 

 

Besonders dem Propheten Gusto Gräser, einem langhaarigen bärtigen, stets in eine Tunika gewandetem Mann, schloss sich Hesse an. Gräser lebte zeitweilig in einer Höhle, seiner Waldgartenwelt nahe des Dorfes Arcegno im Tal hinter dem Monte Verita. Unklar ist, ob Hesse ihn dort nur besuchte oder auch mit ihm in dieser Höhle lebte.

So könnte sie ausgesehen haben, die Höhle von Gräser

Zu Arcegno behielt Hesse eine enge Bindung, die über seinen Tod hinaus wirkte. Bis heute leben dort die Nachlaßverwalter seines literarischen Werkes. Sein ältester Sohn Heiner, 2003 verstorben und heute sein Enkel Silver. Arcegno gilt dem Wanderer im Tessin als Ausgangspunkt für die „Suche nach dem Schluss vom Ende der Welt“ und ist auch der einzige Ort aus dieser Gegend, dem Hesse ein explizites Werk widmete, in dem es aufschlussreich heisst:
„Hier ist mein heiliges Land,
hier bin ich hundertmal
Den stillen Weg der Einkehr in mich selbst
Im Sinnbild einsamen Geklüfts gegangen.“*

Auf den Spuren von Hermann Hesse auf dem Monte VeritaHermann Hesse verbrachte einen Großteil seines Lebens im Tessin, er wählte den bei Lugano gelegenen Ort Montagnola als sein eremitisches Ziel. Immer wieder jedoch kehrte er an den Monte Verità und nach Ascona zurück. Auffällig ist, dass der Monte Verità viele Künstler anzog und inspirierte, doch ihre bekanntesten Werke entstanden allesamt woanders. Eine bleibende, typische Kunst des Monte Verità gab und gibt es nicht. Dennoch finden sich viele Ansätze, die eine Interpretation zulassen, dass sich der Geist dieses sonderbaren Ortes in etlichen von Hesses Werken wiederfindet. So die Erzählung in den Felsen bei der man sofort an die besagte Höhle denken muss.

Informiert man sich über Gusto Gräser, den Mitbegründer des Monte Verita Projekts denkt man unwillkürlich an den Propheten Eduard van Vlissen aus dem Weltverbesserer. Ziemlich sicher spielt Demian, das frühe Hauptwerk Hesses, auf dem Monte Verità und die Vermutung liegt nahe, dass Gräser sich auch in der Figur des Max Demian widerspiegelt. Gräsers stets und ständig gepredigtes Credo war „Sei Du selbst“ – und im Demian heisst es als Quintessenz „Wir empfanden einzig dies als Pflicht und Schicksal: dass jeder von uns ganz er selbst werde.“ Schlussendlich aber war der Geist des Monte Verità ihm wohl auch eine Warnung und liess ihn zu einem Gegner jeder absoluten Menschheitsbeglücker-Theorie werden. Deren Heilsversprecher nannte er in späteren Werken gerne barfüßige Propheten, Kohlrabi-Apostel oder Körndlfresser, wie in der Erzählung Dr. Knölges Ende.

Und heute? Heute ist der Monte Verità eine Art Gemischtwaren-Angebot aus der reichen Palette esoterischer Lehren. Man kann anthroposophisch geprägte Regenbogenwege gehen und fernöstlichen Zeremonien beiwohnen. Für dezente 38 Schweizer Franken kann man eine japanische Tee-Zeremonie erleben und dabei Tee verkosten, der tatsächlich im hügeligen Mikroklima auf einer kleinen Teeplantage angebaut wird.

antroposophisch inspiriertAngebaut wird grüner TeeGive Peace a chance. Oder so.

Die Betreiber des Monte Verita sind mächtig stolz auf das Bauhaus-Haus, aber man darf ruhig der Meinung sein: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.Man kleidet sich als Besucher des Monte Verità gerne hell, licht und luftig, wandelt entrückt auf den Wegen, ganz in sich selbst versunken, sorgsam darauf bedacht, niemanden zu grüßen – wie sonst auf Spazierwegen in der freundlichen Schweiz üblich. Da wirkt das in den vierziger Jahren auf den Hügel geklotzte Hotel im Bauhaus-Stil – an sich nicht gerade ein Prunkstück der Bauhaus Architektur – in seinen strengen klaren Linien geradezu erholsam.

Zwischen Magie und Spießbürgertum, hier eher MagieEs ist ein Ort, der wie Ascona zwischen Magie und Spießbürgertum verharrt, ein Ort, der sein Versprechen auf Wahrheit niemals einlösen kann, ein Ort bornierter Manierismen. Ich zitiere derzeit zu gerne Dea Loher aus ihrem Roman „Bugatti taucht auf„: dieser schreckliche Monte Verità mit seinen traurigen, sich esoterisch spreizende Gebäuden und Anlagen ist nur der fürchterlichste, weil vollkommen belanglose Ausdruck dieser Langeweile und Abgehobenheit. Ich bin mir sicher, Hermann Hesse hätte sich dort oben auch nicht mehr wohlgefühlt. Wer Orte der Sehnsucht und Kraftquellen im Tessin sucht, frage lieber Einheimische und Ortskundige. Die findet man auf dem Monte Verita nämlich auch eher selten.

*Bei Arcegno, 1925 veröffentlicht Weitere Quellen: Wikipedia/ Ascona und sein Berg Monte Verita, ArcheVerlag Zürich, 1979 / Ständige Ausstellung Monte Verità in der Casa Anatta/Bilder alle von Britta Langhoff