F. C. Delius zieht Bilanz – diesseits und jenseits der Ideologie

Wenn ein Büchnerpreisträger seinen neuen Band „Als die Bücher noch geholfen haben“ nennt, so klingt das nach Resignation – und man möchte inständig hoffen, dass er es nicht so meint.

Tatsächlich scheint es, als hätte sich Delius hier noch einmal seines langen literarischen Weges vergewissern wollen. Zeitlich hebt es an mit dem eher unscheinbaren, doch recht glückhaften Auftritt des schüchternen jungen Schriftstellers beim Treffen der damals noch maßgeblichen „Gruppe 47“ im schwedischen Sigtuna.

Das ebenfalls ausgiebig geschilderte Nachfolgetreffen in Princeton/USA nutzte dann der junge Peter Handke ganz gezielt für seine furiose Generalattacke auf die „Beschreibungsimpotenz“ der deutschen Gegenwartsliteratur, also seiner lästigen Konkurrenz. Auch so hochfahrend konnte man sich damals also den Eintritt in die Kreise der Hochliteratur verschaffen. Im grob gewobenen Vergleich steht der bescheidene Delius jedenfalls nicht schlecht da. Auch so eine Marktstrategie.

Nicht nur im Vorfeld der APO-Jahre galt, dass Literatur, wenn sie den Namen verdient, vor platten Ideologien bewahrt – ein Credo, das Delius auch durch die teils dogmatisch erstarrende Nach-68er-Zeit beibehalten hat, als manche gar den „Tod der Literatur“ ausrufen oder die Literatur wenigstens in linke Dienste nehmen wollten. Auch in diesem Punkt möchte Delius sanft darauf hingewiesen haben, dass er damals nicht auf der falschen Seite gestanden hat. Was er sich freilich bis heute vorwirft, ist, dass er nicht vehementer gegen dröhnende Ideologen Einspruch erhoben hat. Wohl auch eine Frage des Temperaments.

Breit ausgemalt wird noch einmal der Konflikt mit dem eigentlich sehr literatursinnigen Verleger Klaus Wagenbach, der in den frühen 70er Jahren unter Einfluss von Baader-Meinhof-Apologeten geraten sei und daher sein Politprogramm für krude Stadtguerilla-Thesen geöffnet habe. Hier sitzt wohl noch ein Stachel: Derart ausführlich schlägt Delius noch einmal die Schlacht von vorvorgestern, dass es sich wie eine noch ausstehende, finale Abrechnung mit dem Wagenbach jener Jahre liest. Ganz so, als wollte Delius nun endlich seinen geistigen Nachlass ordnen und dabei seine damalige Rolle ein für allemal festhalten.

Doch beileibe nicht nur Wagenbach ist damals in den Strudel der Ideologie geraten. Zitat Delius: „Ein unerforschtes Gebiet: Wie sich die Sprache der Studentenbewegung zwischen 1967 und 1970 ins Offensive, vom Fragen zum Behaupten gewendet, vom Konkreten und Sinnlichen abgewendet, radikalisiert und es sich im Abstrakt-Allgemeinen bequem gemacht hat.“ Jeder, der damals in bissige Polit-Debatten verstrickt war, wird diesen Ansatz seufzend bestätigen. Es waren giftige Jahre, in denen am Streit um die „richtige“ Linie nicht selten Freundschaften oder Beziehungen zerbrachen.

Für einen Schriftsteller, der sich als Teil der Linken begriff, die literarischen Kriterien aber keineswegs preisgeben mochte, müssen jene Zeiten eine stete Gratwanderung, ein schwieriges Lavieren gewesen sein. Zumal Delius sehr frühzeitig – bereits ab 1963 – mit Autorenkollegen in der DDR (Günter Kunert, Wolf Biermann, später Heiner Müller, Thomas Brasch usw.) Freundschaft geschlossen hat, deren Texte er unter schwierigen Bedingungen im Westen zugänglich machte, wenn es nur irgend möglich war. So einer konnte den Moskauer Doktrinen nicht mehr auf den Leim gehen.

Übrigens hat Delius als Lektor beim Rotbuch-Verlag auch die spätere Nobelpreisträgerin Herta Müller erstmals hierzulande herausgebracht. Das ist denn doch ein bemerkenswerter Befund: Gerade linke Literaten und Lektoren haben damals offenkundig ungleich mehr für Autoren aus dem Osten (und somit indirekt für den Fall der Mauer) bewirkt, als die notorischen „Kommunistenfresser“.

Es ist überhaupt eine „Lehre“ dieses Buches: Wer sich den Sinn für literarische Qualität bewahrt und als Kompass nutzt, der widersteht so mancher falschen Lockung. Delius benennt auch einige andere, die auf solche Weise unbeirrbar Kurs hielten; unter den Generationsgenossen vor allem Nicolas Born und Peter Schneider, dazu verehrte Vorbilder von großer geistiger Unabhängigkeit wie etwa Susan Sontag oder Walter Höllerer.

Die Lektüre dieser Delius-Rückblicke setzt ein ausgeprägtes Interesse für Zeit-, Literatur- und Verlagsgeschichte mit ihren Kollektiv-Experimenten speziell der 1970er Jahre voraus. Der Autor breitet auch noch einmal seine langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit dem Siemens-Konzern (nach der fiktiven Festschrift „Unsere Siemens-Welt“, um die es einen erbitterten Satirestreit gab) und mit dem damaligen Kaufhauskönig Helmut Horten aus.

Zuweilen weiß man nicht so recht, was Delius bei seinen „biografischen Skizzen“ (Untertitel) angetrieben hat. Mal lesen sich die Kapitel wie bloße Reminiszenzen für die archivarische Schublade, anderes klingt nach Rechtfertigung und Apologie, wieder anderes nach Materialiensammlung für ein Lesebuch zum Zeitgeist und zum Werkhintergrund des Autors. An manchen Punkten wäre eine präzise Nennung der Zitatstellen dokumentarisch hilfreich gewesen.

Offen klafft schließlich die Frage, ob die Bücher heute weniger oder gar nicht mehr helfen. Der letzte Text des Bandes ist Delius’ Dankrede zum Büchnerpreis, in der denn doch den Worten wieder alles Gewicht gegeben wird: „…am Ende entscheiden in der Literatur (…) allein die Sätze, der Satz. Die Energie und die Unruhe, die sich zwischen zwei Punkten entfalten.“ Es möge so bleiben immerdar.

Friedrich Christian Delius: „Als die Bücher noch geholfen haben“. Biografische Skizzen. Rowohlt Berlin. 304 Seiten. 18,95 Euro.




Sprache gegen die Diktatur in Schutz nehmen – Herta Müllers neues Buch „Der König verneigt sich und tötet“

Von Bernd Berke

Mit sprachlichen Reibungsflächen hat die 1953 geborene Autorin Herta Müller viele schmerzliche Erfahrungen gemacht. Aufgewachsen in einem gespenstisch schweigsamen, banatschwäbischen Dorf (deutschsprachige Minderheit in Rumänien), kam sie mit 15 Jahren aufs Gymnasium in der nahen und doch so fernen Stadt. Dort erst lernte sie nachträglich Rumänisch; noch dazu als Mädchen vom Lande den schnoddrigen städtischen Jargon mitsamt der ganz anderen Gestik.

Hinzu kam die verfälschende Zerrspiegel-Sprache des Ceausescu-Regimes, die in alle Beziehungen sickerte und gegen die man sich im Namen der wahren Empfindung tagtäglich wehren musste.

Als Herta Müller nach vielen Geheimdienst-Verhören, nach mancher Drangsal und Drohungen 1987 ins deutsche Exil ging, lernte sie westliche Sprechweisen und Wortfärbungen kennen. Ihr Befund, der uns zu denken geben sollte: Von existenziellen Leiden und Ängsten haben wir hierzulande meist kaum einen Schimmer, deshalb reden wir zuweilen so sorglos und unverantwortlich daher.

Unheimliche Macht der Gegenstände

In ihrem neuen Buch „Der König verneigt sich und tötet“ gibt Herta Müller Auskunft über Quellflüsse und Antriebe ihrer LIteratur, vor allem der Romane „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ und „Herztier“.

Basis des Bandes sind Vorträge im Rahmen von Poetik-Dozenturen. Doch sie lesen sich absolut nicht wie eine branchenübliche Nabelschau vom Schreibtisch-Rand, sondern durchaus dringlich verdichtet.

Kein Wunder, dass diese Autorin für sprachliche Nuancen so hellhörig ist. Doch letzten Endes traut gerade sie, die mit ihren Wörtern fast immer genau ins Herz der Dinge trifft“ der Sprache nicht über den’Weg. Selbst feinfühlige Literatur könne das Leben und Leiden nur ansatzweise erhaschen, und nur in ganz raren, glückhaften Schreib- und Lese-Augenblicken könne sie einen womöglich produktiven „Irrlauf“ (so Müllers Ausdruck) im Kopfe in Gang setzen. Als mächtiger erweisen sich allemal unscheinbare Gegenstände (ein Nachthemd, ein Möbelstück), die sich im Gedächtnis einnisten, dort in nervöser Verzweiflung sprachlos kreisen und nicht mehr weichen wollen.

Wider den byzantinischen Größenwahn

Mit dem Titel gebenden König ist auch der fürchterliche Ceausescu gemeint, der im geradezu byzantinisehen Größenwahn alles nach seinem fratzenhaften Bilde formen wollte. Herta Müller lässt ahnen, wie verstörend es für alle weitere Lebenszeit gewesen ist, unter ihm und seinen Bonzen das Dasein gefristet zu haben. Mit anhaltender Verzweiflung schildert sie etwa, wie schon Fünfjährige im Kindergarten dem System vollends verfallen waren und vielstrophige Lobeshymnen auf Ceausescu singen wollten. Ganz zu schweigen davon, dass Menschen aus dem Freundeskreis der Autorin entweder zu Verrätern wurden oder ihre Dissidenz mit dem Leben bezahlten. Auch als Leser erfasst einen da heißkalte Wut.

Doch der schreckliche „Monarch“ (der vom Westen mit Samthandschuhen angefasst wurde, weil er zu Moskau Distanz hielt) wird nach und nach in ein engmaschiges Bilder-Geflecht verstrickt; wird beispielsweise überblendet mit dem König beim Schachspiel, was wiederum zum armseligen Leben des (von den Kommunisten enteigneten) Großvaters führt und sich überhaupt biographisch kunstvoll verästelt.

Es ist, als schlüge jeder Bereich (Wort)-Wurzeln im anderen. Daraus erwachsen eine unvergleichliche poetische Durchdringung – und eine tiefe, untröstliche Traurigkeit.

• HertaMüller: „Der König verneigt sich und tötet“. Hanser Verlag, 199 S., 17,90 Euro.

• Mit einer Lesung von Herta Müller beginnt am Montag, 3. November (19.30 Uhr im Theater Fletch Bizzel, Humboldtstraße 45) das Dortmunder Literaturfestival LesArt. Infos/Karten: 0231/50 27 710.

 




Ist Sprache nur mit Schuld beladen? – Kontroverse Debatte über Schreiben in gewaltsamer Zeit

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Kann man der rechten Gewalt mit Worten Einhalt gebieten? Darf man dabei hoffnungsvolle Gegen-Begriffe wie „Solidarität“ und „Utopie“ noch ganz unschuldig verwenden, als seien sie nicht vom zerfallenen Kommunismus in Mißkredit gebracht worden? Um solche gewichtigen Fragen drehte sich jetzt eine prominent besetzte Autorendiskussion beim Jahrestreffen des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums in Düsseldorf.

Motto des Abends und der gesamten Tagung der Autorenvereinigung: ein vieldeutiger Satz von Roland Barthes, der da lautet „Sprache ist niemals unschuldig“. Moderator Klaus Bednarz (ARD-„Monitor“) wählte als Einstieg in die Debatte über „Schreiben in gewalttätiger Welt“ eine Brecht-Geschichte vom „Herrn Keuner“. Der begegnet der Gewalt, indem er sie zwar nicht bejaht, aber zuwartet, bis sie endlich entkräftet von selbst verschwindet – und erst dann aufatmend „Nein!“ zu ihr sagt.

Haben die Begriffe „rechts“ und „links“ noch Sinn?

Daran entzündete sich die Kontroverse. Günter Grass befand, so sei es in Deutschland ja stets. Nachher, wenn es vorüber sei, seien immer alle dagegen – gegen die NS-Diktatur, gegen das SED-Regime usw. Die duldsame Brecht’sche List im Umgang mit der Gewalt sei gefährlich. Man müsse hier und heute widersprechen. Er, Grass, lasse sich auch von niemandem Worte wie „Utopie“ ausreden. Er werde wütend, wenn man sich – wie es gegenwärtig Mode sei – über eine so wichtige Sache wie „Betroffenheit“ lustig mache oder wenn man schlankweg behaupte, die Begriffe „rechts“ und „links“ hätten gar keinen Sinn mehr.

Herta Müller („Niederungen“, „Der Fuchs war damals schon der Jäger“), die die Ceausescu-Diktatur in Rumänien durchlitt, bezog vehement die Gegenposition: „Das Wort ,Utopie` kann ich nicht mehr hören. Wenn jemand ,Solidarität‘ sagt, muß ich kotzen.“ Unter Ceausescu seien derlei Worte mörderisch mißbraucht worden. Also sei die Sprache mit Schuld beladen.

Und was bleibt? Herta Müller: Nur die Verantwortlichkeit in jeder einzelnen Situation. Die großen übergreifenden Gedankengebäude hätten keinen Wert mehr. Für solche Sätze gab’s Beifall vom zahlreich erschienenen Publikum in der Düsseldorfer Kunsthalle.

Die Demagogen auf der Straße zur Rede stellen

Der zuletzt über die Maßen gelobte junge Lyriker Durs Grünbein (ehemals DDR) meinte, nicht Literatur sei derzeit Schauplatz des Meinungskampfes, sondern die Straße. Vielleicht müßten Autoren sich auf die Straße begeben, um dort die Demagogen zu stellen. Ähnlich wie Herta Müller, die als Beispiel die furchtbare Bedeutung des Wortes „Abholen“ zur NS-Zeit nannte, sah auch Grünbein viele Ausdrücke ideologisch „kontaminiert“ und verseucht. Selbst ein so harmlos klingendes Wort wie „Treuhand“ sei auch Nazi-Deutsch gewesen. Den Schriftstellern selbst dürfe man nie trauen, man müsse ihnen vielmehr „alles zutrauen“. Schöngeister seien oft zu Tätern geworden. Der Diktator und Massenmörder Pol Pot habe Lyrik geliebt…

Autor Dieter Wellershoff wehrte sich gegen den geballten Sprachzweifel. Sprache könne immer noch „Ort der persönlichen Wahrheit“ sein, sie sei nicht von vornherein mit Schuld behaftet.

Doch wie begegnet man nun als Schreibender der akuten rechten Gewalt? Sind radikale Skinheads überhaupt mit (literarischer) Sprache erreichbar? Da blieb man recht ratlos, denn die Aufklärungs-Versuche all der zurückliegenden Jahre scheinen ja bei etlichen Leuten wirkungslos verpufft zu sein. Überdies speist sich Gewaltsamkeit längst nicht nur aus Sprache, sondern aus Bildern und Verhältnissen. Durs Grünbein: Schon das heftige Zuschlagen einer Autotür enthalte verkapselte Gewalt, unsere übertechnisierte Umwelt mache uns aggressiv…

Nach solchen Gedankenflügen vernahmen Podium und Publikum am Schluß ziemlich verblüfft die Wortmeldung eines Exil-Afghanen, der die Frage nach Worten wie „Solidarität“ ganz praktisch entschied: „Wir Ausländer in Deutschland brauchen Solidarität!“ So einfach ist das.