WDR 4: Radio für Senioren – aber ganz anders als früher

Webcam-Blick ins Studio: vorn rechts Moderator Jürgen Mayer, hinten in der Mitte Moderatorin Cathrin Brackmann, links Nachrichtenfrau Katja Latsch, alle coronagerecht durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt. (Screenshot: WDR)

Wir erinnern uns, nicht allzu gern: Die Hörfunkkette WDR 4 stand mal für vieles, was einem musikalisch und vom zugehörigen Lebensstil her zuwider war. Da gab’s bestenfalls elmargunschige Beruhigungs-Stimmen (wobei der alte Knabe wirklich gut und anheimelnd geklungen hat), ansonsten dudelten – horribile dictu – schier endlos deutsche Schlager oder Operetten-Auszüge. Radio für Senioren also. Echt ätzend.

Im Westen weiß man längst, dass es bei WDR 4 seit einiger Zeit ganz anders zugeht. Es wird ungleich lockerer geplaudert. Vor allem aber hauen sie dort Stones, Cream, Kinks, Who, Deep Purple und Konsorten raus, die ganze Pop- und Rock-Chose seit den glorreichen Sechzigern bis in die Achtziger. Wir sind uns doch sicherlich einig, dass es auf diesem Sektor nie bessere Musik gegeben hat, oder etwa nicht? Ruhe da hinten! Unverschämtheit!

Aber Moment mal: Sollte das etwa immer noch bzw. wieder Radio für Senioren sein – nur eben für eine andere Generation in Ehren ergrauter Menschen? Jaja, meinethalben. Is‘ ja auch egal. *räusper* *hüstel* *grumpf*

Wieso ich ausgerechnet jetzt auf all das komme? Nun, heute, morgen und übermorgen (Donnerstag bis Samstag, 29. bis 31. Oktober) absolvieren sie bei WDR 4 einen speziellen Pop-Marathon. Wie bei populären oder Popularität anstrebenden Medien üblich, haben die Hörer(innen) abgestimmt, rund 130.000 an der Zahl. Resultat: die 444 beliebtesten Musiktitel („Top 444″), die nun – einer hübsch nach dem anderen – allesamt abgespielt werden, im munteren Wechsel flott anmoderiert von Cathrin Brackmann und Jürgen Mayer oder Stefan Vogt und Carina Vogt. Per Webcam dürfen die sicherlich ergriffen Zuhörenden währenddessen Live-Blicke ins Studio werfen – aus zwei verschiedenen Perspektiven, aber nur mit den Ton-Anteilen, die auch über den Sender gehen. Man soll und möchte ja zwischendurch auch nicht das womöglich halbprivate Geplänkel der WDR-Leute im Ohr haben.

Übrigens hat das Ganze mit dem Revier zu tun. Normalerweise entstehen die Sendungen für WDR 4 nämlich im Landesstudio Dortmund. Die Aktion mit den 444 Pop-Titeln ist freilich eigens in die Kölner Zentrale gezogen.

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P. S.: Soeben (Donnerstag, 13.30 Uhr) war Platz 358 an der Reihe, beim Aufstieg bis zum Spitzenreiter ist es also noch lange hin. Wenn alle 444 Titel verklungen sind, kann man die komplette Playlist herunterladen und mit dem eigenen Geschmack vergleichen.

 

 




Von der „Spieluhr“ bis zum „Ohrenbär“: Die Entwicklung des Kinderrundfunks mit Dortmunder Impulsen

Gastautor Heinrich Peuckmann über die Entwicklung des Kinderrundfunks, zu der auch einige Ideen und Konzepte aus Dortmund beigetragen haben:

Als Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der WDR-Lokalsender Radio Dortmund an der Lindemannstraße eingerichtet wurde, gab es unter Kulturschaffenden große Vorbehalte. Das wäre ein trojanisches Pferd, wurde geurteilt, denn erst käme der harmlose öffentliche Rundfunk und in seiner Nachfolge der Privatsender mit seinen oberflächlichen und verdummenden Programmen.

Screenshot der „Ohrenbär"-Homepage www.ohrenbaer.de

Screenshot der „Ohrenbär“-Internetseite www.ohrenbaer.de

Ich war damals Sprecher des Schriftstellerverbandes und die Autoren beschlossen, nachzuhaken, was denn der Dortmunder WDR-Sender für uns zu bieten hätte. Hintergrund vor allem meines Optimismus war die Information, dass Erdmann Linde Sendeleiter des Lokalfunks werden würde, und den kannte ich schon lange als großen Freund der Literatur.

Hoffnungsträger Erdmann Linde

Im Sender haben wir uns dann getroffen, im Kellerraum, der später für die Journalisten zur Mensa werden sollte und das, was Linde und sein Team den Autoren damals anboten, war mehr als beachtlich.  Eine große Kultursendung („Schöner Sonntag“) sollte es geben, vor allem aber eine Kinderhörfunkreihe, die dann „Die Spieluhr“ heißen sollte. Jeden Abend sollte im Lokalsender eine kleine Kindererzählung von etwa 10 Minuten Länge laufen, eine Einschlafgeschichte für die Kleinen.

Dieses Angebot war insofern etwas Besonderes, als die öffentlichen Sender damals gerade dabei waren, ihre Kindersendungen entweder heftig zu beschneiden oder ganz einzustellen. Das Dortmunder Angebot lief dem damaligen Trend also komplett entgegen.

Jürgen Hoppe plante, redigierte und las auch noch selbst vor

Erdmann Linde und sein Team haben in der Folge wirklich Wort gehalten, vor allem Jürgen Hoppe, der mit großem Engagement „Die Spieluhr“ allein bestritt. Er prüfte die eingesandten Texte, redigierte, wo es nötig war und las die Geschichten selber vor. Jahrelang hat er das getan, Tag für Tag, eine unglaubliche Leistung.

„Die Spieluhr“ fiel auf, auch weit über den Dortmunder Sendebereich hinaus. Als der Sender Freies Berlin (SFB) später eine eigene Kinderreihe etablierte, griff er deutlich auf das Dortmunder Konzept zurück. „Ohrenbär“ wurde diese Reihe genannt, die es nun schon seit dreißig Jahren gibt, heute vom RBB produziert. Die tägliche Sendung wird mit Musik aus „Peter und der Wolf“ eingeleitet, in der Regel sind es siebenteilige Kindergeschichten, die von bekannten Schauspielern vorgelesen werden.

Jedes Tageskapitel ist in sich abgeschlossen und von Kapitel zu Kapitel entwickeln sich die Charaktere bis zur Konfliktlösung. Für uns Dortmunder Autoren war der Umstieg von der „Spieluhr“, die bald mit dem gesamten Lokalsender verschwand, auf den „Ohrenbär“ kein Problem, die Texte mussten nur unwesentlich länger werden und sie sollten keine Ortsangaben enthalten.

Neue Reihe „In der Kirche ist viel los“

Es war also eine erstaunliche Entwicklung, die sich damals vollzogen hat. Mit großer Skepsis der Autoren hat sie begonnen, wurde dann zu einem regionalen Erfolgsprogramm und wandelte sich im nächsten Schritt zu einer großen Kindersendung, die nun in der halben Republik gehört wird. Denn der „Ohrenbär“ wird zwar vom RBB produziert, wird aber vom NDR und vom WDR-Kinderradiokanal („KiRaKa“) im Internet übernommen. Beim WDR läuft die Sendung jeden Abend in der Zeit von 18.45 – 18.55 Uhr.

Ich bin seit langer Zeit und immer noch als Autor dabei. Von mir wird vom 24. September an eine Woche lang eine weitere Reihe gesendet werden. „In der Kirche ist viel los“ lautet der Titel meiner insgesamt 23. Ohrenbärgeschichte, die von der Schauspielerin Leslie Malton gelesen wird. Sie ist eine wirklich gute Schauspielerin. Es sind lustige, traurige oder spannende Episoden, die im Umfeld einer Kirche spielen und die ganz nebenbei ein bisschen über das Christentum aussagen. Kinder wissen immer weniger über den Mythos, sie sind deshalb auch immer weniger in der Lage, historische, philosophische oder künstlerische Hintergründe zu begreifen, bei denen man eben doch religiöse Bezüge erkennen muss.

Bloß keine Pädagogik mit dem Zeigefinger

„Ohrenbär“ liefert keine aufgesetzte Pädagogik, das wäre ja auch tödlich für diese Sendereihe, aber im Hintergrund wird, quasi nebenbei, doch ein bisschen an Infos mitgeliefert, allerdings komplett umgesetzt in Handlung und nicht irgendwie belehrend erklärt. Eine schöne Konzeption. Und weil  das so ist, literarisch anschaulich und doch angereichert mit Informationen, ist „Ohrenbär“ nicht allein eine Sendung für Kinder geblieben.

In der Ohrenbärredaktion, von Sonja Kessen sehr umsichtig und liebevoll bis ins kleinste Detail betreut, war man am Anfang überrascht von der beachtlichen Anzahl auch erwachsener Zuhörer, hat es aber schnell als Bestätigung der Arbeit verstanden. Am besten ist es sowieso, wenn die Kinder die Sendung zusammen mit ihren Eltern hören. Die Eltern sind dann ihren Kindern nahe, sie teilen mit ihnen die Emotionen, entwickeln gemeinsam Empathie und haben ein schönes Gesprächsthema.




Neues Design der Hörfunk-Nachrichten auf WDR 2: Das Dudeln höret nimmer auf

Zugegeben: Auf die Hörfunkwelle WDR 2 komme ich sowieso nur noch selten zurück. Schon die Musik missfällt mir, sie besteht größtenteils aus dem allgegenwärtigen Hitparaden-Mainstream.

Überhaupt biedert man sich dort zunehmend dem angeblichen Mehrheitsgeschmack an. Nur gut, dass es noch WDR 5 und WDR 3 bzw. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur gibt. Selbst WDR 4, wo sie früher hauptsächlich Schlager abnudelten, liegt mir mit seiner Rock- und Pop-Nostalgie inzwischen näher.

Tja. Welche Frequenz soll man denn nun einstellen? (Foto: BB)

Tja. Welche Frequenz soll man denn nun einstellen? (Foto: BB)

Aber das wollte ich gar nicht hauptsächlich erzählen, es ist nur der dauerhafte Hintergrund meines Ärgers. Vielmehr geht es um dies:

Bei den heutigen Morgennachrichten auf WDR 2 habe ich meinen Ohren nicht getraut. Das konnte doch nicht wahr sein, oder?

Da gab’s eine unsägliche Neuerung, die offenbar schon am letzten Wochenende eingeführt wurde, nämlich ein „Musikbett“, das den Hauptnachrichten jetzt permanent unterlegt wird. Das undefinierbare, absolut identitätsfreie Muzak-Gedudel oder auch Gesäusel wird also gnadenlos durchgezogen; ganz egal, welcherlei Nachricht gerade verlesen wird. Mord und Totschlag? Terrorattentate? Katastrophen? Völlig einerlei. Das Dudeln höret nimmer auf.

Immer wenn Sprecherin oder Sprecher die Stimme zwischen zwei Nachrichten senken und Luft holen, kommt einem diese erbärmliche, fluchwürdige Klanguntermalung plötzlich lauter vor. Zwischendurch wabert sie in einer enervierenden Endlosschleife.

Wer hat sich das nur einfallen lassen? Nun ja, man muss wohl nur schauen, wer an der Spitze des WDR-Hörfunks steht. Die Dame heißt Valerie Weber, kam vom Privatfunk (Antenne Bayern) und schickt sich seit einiger Zeit nachdrücklich an, unsinnige Gepflogenheiten aus den dortigen Sphären zu übernehmen. In manchen Punkten fällt es bereits schwer, WDR 2 noch zweifelsfrei als öffentlich-rechtlichen Kanal zu erkennen.

Was will man denn mit der neuen Aufmachung der Nachrichten bezwecken? Soll diese läppische Maßnahme jetzt Hunderttausende von zusätzlichen Hörer(inne)n anlocken? Oder soll sie auch nur das Stammpublikum bei Laune halten? Rätsel über Rätsel. Nur auf der Chefetage glaubt man die Lösung ganz genau zu kennen. Also wird nach Gusto umgemodelt und durchregiert.

Eines der Grundübel der Berufswelt ist ja ohnehin, dass neue Chefs/Chefinnen immer meinen, sie müssten das Rad noch einmal erfinden. Dann doktern und wurschteln sie haltlos am Vorhandenen herum – bis der nächste Boss wieder eine Kehrtwende ausruft. Beim Radio wird dann das Stations-Design abermals geändert. Nur zur Substanz geht’s wohl leider nicht mehr zurück.

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Nachtrag am 11. Juni: Offenbar setzt WDR 2 das Wabern jetzt – nach wenigen Tagen – „nur“ noch als akustische Trennung zwischen zwei Nachrichten ein und nicht mehr als permanenten Klangteppich. Das macht die Sache zwar nicht grundsätzlich besser, deutet aber auf eine Experimentierphase hin.

Und noch ein Nachtrag (14. Juni): Kann es sein, dass vormittags ein durchgehendes Musikbett läuft, nachmittags ein zwischendurch gedämpftes? Um das zu verifizieren, müsste man wenigstens einen ganzen Tag die Nachrichten auf WDR 2 durchhören. Das möchte ich mir nicht antun.




Radio mit und ohne Rausch(en)

Vor langer Zeit hatte ich mal so eine Phase. Es muss wohl in den frühen 1980er Jahren gewesen sein. Damals habe ich mich flammend für Kurzwellenradio interessiert.

Beileibe kein "Magisches Auge": Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Beileibe kein „Magisches Auge“: Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, auch ich selbst schaue ungläubig zurück: An etlichen Abenden saß ich fiebrig vor dem Weltempfänger, ja, ich schmiegte mich manchmal geradezu an den Lautsprecher oder in die Kopfhörermuscheln, um auch nur ja die schüttersten Signale aus der Ferne zu hören. Fein und feiner wurde die ganze Frequenzen-Skala durchgekurbelt, nein: behutsam abgetastet. Oh, du verheißungsvolles Rauschen im Äther!

Alsbald ging der Wahn so weit, dass ich gar zahlendes Mitglied in einem Kurzwellenclub wurde und intensiv die Verbandszeitschrift las, die Monat für Monat neue Frequenzen vermeldete und einen auch über höchst wandelbare Phänomene wie Sonnenflecken unterrichtete, die den Empfang beeinflussten. Das wuchtige Jahrbuch „Sender und Frequenzen“, überwiegend für den Kurzwellenempfang gedacht, lag ohnehin – über und über angefüllt mit Notizen – als tabellarische Bibel neben dem Receiver.

Stationen wie das omnipräsente Radio Moskau oder auch Radio Peking und das noch viel abstrusere Radio Tirana hat man bei all dem hassen gelernt. Mit ihrer lautstarken, viel- und falschzüngigen Propaganda überdeckten sie auf fast allen Frequenzbändern den Empfang anderer Sender. Doch auch der BBC World Service, die Voice of America oder die Deutsche Welle waren nicht das, was man hören wollte.

Wie gern hätte man statt dessen häufiger Botschaften etwa aus südamerikanischen, afrikanischen oder kleineren ostasiatischen Ländern empfangen. Doch der Erfolg war – trotz ziemlich kostspieliger Weltempfänger (von Grundig und Sony) – bescheiden, weil solche Sender, vor allem aus Geldmangel, nahe an der geringsten Schwundstufe operierten. Und wie groß war die Enttäuschung, wenn die spanische Grußformel „estimados oyentes“ (verehrte Hörer) nicht etwa auf lateinamerikanische Herkunft hindeutete, sondern doch wieder ein Fremdsprachenprogramm aus der Moskauer Ideologieküche war.

Dennoch blieb ich mit Ausdauer und Leidenschaft bei der Sache, obwohl die Resultate – aus heutiger Sicht – kümmerlich waren. Bei der Sendersuche überwogen allemal Quietschen, Pfeifen, Rauschen und Britzeln. Man hat es damals kaum anders gekannt. Nicht zuletzt haben Störsender zum tosend tinnitösen Geräuschchaos beigetragen.

Wie hat man aber innerlich geglüht und jubiliert, wenn man eine bislang noch ungehörte Station auf dem Radar hatte und obendrein zur vollen Stunde zweifelsfrei die Stationsansage hörte. Die Weltkarte lag stets in Reichweite und man hat eifrig Markierungen angebracht, wenn die akustische Terra incognita wieder etwas geschrumpft war. Man fühlte sich wie Magellan persönlich. Naja, vielleicht übertreibe ich etwas. Sehnsucht nach Ferne und Abenteuer hat aber gewiss mitgespielt. In ungemein gezähmter Form.

Hin und wieder habe ich mir auch die Mühe gemacht, an Radiosender zu schreiben und ihnen Empfangsberichte zu schicken. Angeblich waren die Leute dort sehr interessiert an solchen Rückmeldungen. Freudig erhielt man dann Bestätigungen aus Kanada oder Australien, einschließlich der sogenannten QSL-Karten, die als kleine Trophäen galten. Heute stellen Kurzwellensender immer mehr Programme ein.

Warum ich das alles erzähle? Seit einiger Zeit habe ich ein Internet-Radio. Zigtausend Stationen aus allen denkbaren Weltecken empfängt man damit vollkommen rauschfrei; aber nicht nur ohne Rauschen, sondern eben auch ohne jeglichen Rausch.

Abgesehen von einer ersten Erprobungszeit, bleibt das Radio nun zu allermeist unbenutzt. Die Leidenschaft von ehedem ist dahin, weil die öde Perfektion schier unendlicher Möglichkeiten herrscht. Sofern man will, kann man Sender aufrufen, die z. B. den ganzen Tag nur Beatles-Songs spielen. Oder vermeintlich exotische Klänge jeder Tönung, die freilich in einen globalen Datenstrom einfließen, als wäre alles einerlei.

Ein Zurück zur Kurzwelle gibt es allerdings auch nicht mehr. Das Gefiepe tut man sich nicht mehr freiwillig an. Internet killed the radio.

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Postskriptum:

Während ich die vorherigen Zeilen schrieb, ahnte ich dunkel, dass ich dasselbe Themenfeld schon einmal beackert habe. Und siehe da, es ist etwas über fünf Jahre her. Teilweise gleichen sich die Formulierungen, waren sie seinerzeit nicht sogar satz- und streckenweise prägnanter?

Soso, da lässt also das Gedächtnis fürs eigene Tun und Lassen merklich nach. Oder ist es nicht eh so, dass man im Kern immer wieder über dasselbe schreibt, nämlich über den Kreislauf seiner kleinen Obsessionen und Antriebe? Oder über das Erlöschen der einen oder anderen Neigung. Immer wieder, aber immer ein bisschen anders. Man steigt ja wohl nicht zweimal in denselben Redefluss.




Radio-Legende: Als Carmen Thomas jede Woche mit dem Ü-Wagen aufkreuzte

Wer erinnert sich noch an diesen markanten Zeitpunkt der Radio-Geschichte? Es war vor beinahe 40 Jahren, am 5. Dezember 1974, als es erstmals hieß: „Hallo, verehrte Hörerinnen und Hörer. Hier meldet sich der Ü-Wagen, hier meldet sich Carmen Thomas.“

Zur Premiere der WDR-Sendung „Hallo Ü-Wagen“ wurde über Nikolausbräuche geredet – und darüber, ob man die Kinder über den Weihnachtsmann „belügen“ dürfe. Es waren halt die 70er Jahre, als manche meinten, alles in Frage stellen zu müssen.

Alle sollten mitreden dürfen

Carmen Thomas, die die Sendung bis 1994 moderierte, gehörte jedoch nicht zu den erbitterten Polit-Aufklärerinnen jener Jahre. Eher im Gegenteil. Bei ihr konnte alles zum Thema werden – und praktisch alle sollten mitreden dürfen. Mal angemessen ernst, mal leicht und locker.

Vom Live-Publikum umlagert: Carmen Thomas (links) in einer frühen Ausgabe von "Hallo Ü-Wagen". (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XWH72RhFo8I)

Vom Live-Publikum umlagert: Carmen Thomas (links) in einer frühen Ausgabe von „Hallo Ü-Wagen“. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XWH72RhFo8I)

Carmen Thomas hielt die jeweiligen Experten stets dazu an, verständlich zu reden und möglichst jedes Fremdwort zu erklären, damit auch „ganz normale Menschen“ einbezogen wurden. Wie gesagt, es waren die 70er, und da musste es schon basisdemokratisch sein. Warum auch nicht? Viele Themen wurden erst dadurch richtig spannend, dass Menschen dabei waren und ernst genommen wurden, die sonst nirgendwo öffentlich zu Wort kamen. Velleicht fehlt uns eine solche Sendung heute…

Millionen hörten zu

Jeden Donnerstag machte Carmen Thomas mit dem Ü-Wagen „Violetta“ in einer anderen Stadt von Nordrhein-Westfalen Station. Durchweg folgte sie dabei den Themenwünschen der Hörer. In aller Regel passte die Örtlichkeit zum Gesprächsgegenstand. So stand man zum Beispiel an einem Obdachlosenasyl, als es um Nichtsesshafte ging. Die erste Liebe wurde beim Standesamt beredet, der Umgang mit Sterbenden am Friedhof.

Die ebenso großflächige wie kurzweilige Live-Sendung lief donnerstags von 9.20 bis 12 Uhr auf der populären Hörfunkwelle WDR 2 und hatte zu ihren besten Zeiten ein Millionenpublikum. Es war vermutlich die meistgehörte deutsche Radiosendung aller Zeiten. So mancher heftige Streit wurde da ausgefochten – und die Fachleute behielten beileibe nicht immer die Oberhand.

Als erste Frau eine Sportsendung moderiert

Das Themenspektrum der insgesamt rund 1500 (!) Sendungen umfasste buchstäblich Gott und die Welt. Da ging es um Arbeitslosigkeit, Brustkrebs oder Krankenpflege ebenso wie um den Orgasmus oder auch um Urin als ganz besonderen, segensreichen Saft – ein Thema, das Carmen Thomas später fast schon penetrant weiter verfolgte.

Mit dem Ü-Wagen wurde Carmen Thomas zur Pionierin des Mitmach-Radios, so wie sie zuvor (ab 3. Februar 1973) die erste Sportmoderatorin des deutschen Fernsehens war. Männliche Fußball-Betonköpfe verzeihen ihr bis heute nicht den läppischen Versprecher „Schalke 05“ (statt Schalke 04) im „Aktuellen Sportstudio“ (ZDF) von 21. Juli 1973. Die „Bild“-Zeitung hat einmal ihre Moderation schon vor Ausstrahlung der Sendung „verrissen“, so dass Carmen Thomas die blamable Ausgabe live in die Kamera halten konnte. Dafür hat sich das Boulevardblatt schäbig revanchiert.

Aus der Begabung gutes Geld gemacht

Zurück zum „Ü-Wagen“: Als Carmen Thomas die Sendung abgab, schoben die WDR-Gewaltigen sie auf die seltener gehörte Welle WDR 5 ab, noch dazu auf einen schlechteren Platz, samstags von 11.05 bis 13 Uhr. Da konnte sich die Thomas-Nachfolger Jan Seemann und Julitta Münch noch so sehr mühen – die Traumquoten von einst waren da nicht mehr zu holen. Am 18. Dezember 2010 kam die letzte reguläre Ausgabe ins Programm.

Mit Coaching (also vor allem Medientraining) hatte Carmen Thomas schon gegen Ende der 70er Jahre begonnen und dabei auch selbst jede Menge gelernt, wie sie heute sagt. Außerdem war’s ein weiteres „Standbein“ für alle Wechselfälle des Journalistinnen-Lebens.

Clever, wie sie nun einmal ist, hat sie aus ihrer Begabung zum Umgang mit Menschen später auch gutes Geld gemacht, indem sie 1998 in Engelskirchen eine Moderations-Akademie gründete. Hier berät sie auch Größen aus Politik und Wirtschaft über Möglichkeiten, ihre Wirkung zu steigern. Dies mag beim ersten Hinhören nicht mehr gar so basisdemokratisch klingen. Doch Carmen Thomas legt Wert auf die Feststellung, dass sie noch heute Menschen und Institutionen beratend zur Seite steht, wenn es eher der guten Sache als dem Konto nützt.

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Hier eine Liste aller „Ü-Wagen“-Themen von 1974 bis 1994 (bitte scrollen):
http://www.moderationsakademie.de/alle-themen-aus-20-jahre-hallo-u-wagen-mit-carmen-thomas/

Eine Reminiszenz an die „Ü-Wagen“-Sendung:

Ein Rückblick auf Carmen Thomas in den 70er Jahren:




„Westzeit“ bei WDR 2: Das eine oder andere Risiko auf dem Boulevard

Von Bernd Berke

Boulevard ist nicht gleich Boulevard. Es gibt Prachtstraßen, aber auch heruntergekommene Zeilen. Achtung, kurvige Überleitung: Auch im Radio ist nicht jedes Boulevard-Programrn gleich.

Die seit 2. Januar täglich aus Dortmund landesweit gesendete „Westzeit“ (WDR 2, Hörfunk) hatte einen ziemlich schlechten Start erwischt, wie man jetzt – nach zweieinhalb Wochen – deutlicher erkennt: Das bunte Magazin ist teilweise besser, als es anfangs zu werden drohte.

Sicher: Vieles gerät nach wie vor herzlich belanglos und ist kaum geeignet, daß man länger konzentriert hinhört (was auch nicht das Ziel dieser Sendeform ist). Besonders gewisse Rubriken könnten kritische Revision vertragen. Ärgerlich ist etwa das Gebaren der Psychologin, die immer erst verständnisvoll „Mhh, mh!“ murmelt, den Ratsuchenden dann doch recht barsch das Wort abschneidet und schließlich – oh Wunder! – meist eine psychologische Behandlung empfiehlt. Auch wenn beim „Radio-Flirt“ gestammelt und gekichert wird, fühlt man sich nicht gerade königlich unter halten. Und warum muß eigentlich allüberall Jörg Kachelmann das Wetter verkünden? Hat der Mensch ein Monopol auf Wind und Wolken?

Doch allmählich zeigt sich, daß in der „Westzeit“ auch originelle und ernste Themen eine Chance haben. Auch sie werden freilich oft im (inzwischen leider funküblichen) Kurzweil-Tempo abgehandelt. Ab und zu schaut auch schon mal eine waschechte Nachricht heraus. Oder man riskiert Dinge, die ein Privatradio nie wagen wurde. Im Prinzip gut so! Doch das geht gelegentlich daneben, wie etwa bei jener Live-Schaltung zu einer Pferde-Operation. Das Leben des Tieres war nicht mehr zu retten, man hörte seine letzten Röchler durchs Beatmungsgerät. Das wird manchen Zuhörern Tränen in die Augen getrieben haben.

Sabine Brandi, die in der letzten Woche als Moderatorin an der Reihe war, hat ihre Sache recht gut gemacht. Auch ihr rutscht schon mal der muntere Tonfall aus, doch sie fängt sich geschickt. Die stets Kalauern aufgelegte Flapsigkeit, die Manfred Breuckmann vor sich herträgt (Ungefähr so: „Gestern hab‘ ich beim Inder Knoblauch gegessen. Kommen Sie dem Radio nicht zu nahe.“) dürfte nicht jedermanns Geschmack sein.

Die Musikauswahl (viele „Oldies“) finde ich nicht schlecht, ihre Grenzen aber sind eng. Entdeckungen wird man hier nie machen können. Und es wird ganz schön viel „gedudelt“. Man vergleiche die Brutto-Sendezeit mit dem, was netto (nach Abzug der Musik) geliefert wird…




Stundenlang Geplänkel – die neue „Westzeit“ im WDR 2-Hörfunk

Das soll sie also sein – die vielbeschrieene „Hörfunk-Reform“ des WDR. Seit gestern wirken die Radiowellen 2 und 5 wie umgekrempelt.

Immerhin: Das „Morgenmagazin“ (WDR 2, Hörfunk) beginnt jetzt hundefrüh (kurz nach 5), ist aber noch halbwegs vertraut. Nur daß man jetzt den Trend zum Single mitmacht: Ein(e) Moderator(in) ist allein. Das verhindert manch pfiffigen Studio-Dialog, wie er früher üblich war.

Wenn man aber zwischen 9 und 12 Uhr die neue Sendung „Westzeit“ (WDR 2, Hörfunk) einschaltet, traut man den eigenen Ohren kaum. Man erkennt „seinen“ WDR gar nicht mehr wieder.

Zunächst hieß es Kurbeln und Suchen. Am Anfang bekam ich Regional-Kurznachrichten vom Niederrhein. Der Anruf bei der gepriesenen WDR-Infonummer (0130/2722) brachte erst die maschinelle Ansage „Kein ISDN möglich“, danach“ war ständig besetzt. Na, prima! Übrigens: Die korrekte WDR 2-Frequenz für Dortmund lautet 87.8 MHz.

Mit „Westzeit“ (live aus dem Landesstudio Dortmund) begibt sich der WDR drei Stunden lang auf den ach so bunten Boulevard – wie ein x-beliebiger Privatkanal. Die Hörer werden mit lauter nichtigen Kleinigkeiten gefüttert. Gestern waren das: Mini-„Frühstück“ mit Jürgen von der Lippe, Rätselecke, ungeduldig wirkende Psychologin im Studio („Rufen Sie an – Vorname genügt“). Dazu etwas Wetter-Geplänkel und viel, viel Musik mit vorgeprägter, strikt eingehaltener „Farbe“. Das bei weitem Interessanteste waren, nicht nur wegen des Schnees, die eingestreuten Verkehrshinweise.

Bisher tummelten sich ab 9.05 Uhr auf der gleichen Welle die allzeit betroffenen Minderheiten jeder Couleur (was sie nun auf WDR Radio 5 tun dürfen). Das ist zuweilen grausam gewesen. Doch die ebenso bodenlos gutgelaunte wie belanglose „Westzeit“ ist, zumindest in der gestrigen Verfassung, keine ernsthafte Alternative.




Start der „Fensterprogramme“ im WDR-Hörfunk: Seit gestern früh meldet sich „Radio Essen“ – mit vorwiegend leichter Kost und hohem Musikanteil

Von Bernd Berke

Essen. „Radio Essen“ läßt Dortmunder Putzfrauen über die Angst vor dem Krankfeiern reden, von Düsseldorf aus spricht Hanns-Dieter Hüsch sein „Wort zum Montag“, Münster berichtet über Volleyball, Bielefeld widmet sich dem Binnenschiff „Klara“ – und das alles zur selben Zeit.

Gestern um kurz nach 6 Uhr morgens. Die WDR-Hörfunk-Regionalisierung – Stichwort „Fensterprogramme“ – macht’s möglich. In drei Sendeblöcken begibt man sich zwischen 6.05 und 9 Uhr auf WDR 1 insgesamt 135 Minuten lang näher vor die Haustür der Bürger. So sind zum Beispiel die Frequenzen des Essener Programms u.a. fürs Revier (100,4 MHz), fürs Siegerland (88,2 MHz) und fürs Sauerland (90,3 MHz) eingerichtet.

Die „Fenster“ also sind seit gestern geöffnet. Weht nun auch frischere Luft? Oder kommt über die Ätherwellen Provinzmief ins Haus?

Direkt nach dem Start kann jedes Urteil nur vorläufig sein. Erste Reaktionen vor allem älterer Hörer bezogen sich gestern besonders auf die Musikbeitrage. Die meisten Anrufer wünschten sich mehr deutsche Schlager. Ohnedies war die Musikauswahl, verglichen etwa mit dem „Morgenmagazin“ in WDR 2, betulicher, weit weniger „rockig“. Der Musikanteil in den „Fensterprogrammen“ ist enorm hoch, er dürfte über zwei Drittel liegen.

Die mehr oder weniger beschwingten Noten mögen zwar die Schar der Frühaufsteher munter machen, gehen aber eklatant auf Kosten der Wortbeitrage: Daß ein Ereignis wie die Eröffnung der Dortmunder U-Bahn-Strecken fehlte, ist eigentlich unverzeihlich. Überhaupt vermißt man im Essener „Fenster“ eine Nachrichten-Zusammenfassung aus der Region (Studio Bielefeld bietet sie an) sowie – an einem Montag nahezu unverzichtbar – Streiflichter vom regionalen Sport (Studio Münster bringt sie). Verwunderlich auch: Das Wort „Streik“, derzeit in aller Munde, kam überhaupt nicht vor. Erst mit dem alteingeführten „Echo West“ (10.05 bis 12 Uhr) wird man nachrichtlich besser bedient.

Man will die Hörer ganz offensichtlich nicht „überfordem“. Das Leichte dominiert: Es meldete sich via Essen Hajo Jahn aus Wuppertal, um eine Postkutsche samt Postillion aus dem Bergischen Land vorzustellen, es meldete sich Gisbert Baltes aus Siegen, um mit dem bei weitem längsten Wortbeitrag den Beginn der Elsper Karl-May-Festspiele zu würdigen. Allzu kurz geriet hingegen die Rundfrage zum umstrittenen Talsperrenbau in Brunskappel.

In der Tat: Das Ziel, steife Politiker-Statements zu vermeiden, hat man schon im ersten Anlauf erreicht. Dafür droht allerdings die Flucht in mancherlei Belanglosigkeit. Am schwächsten in der Premierensendung war der zweite Sendeblock: Nochmaliges Resümee der heimischen Wetterlage; dann die Ermunterung, im Studio anzurufen, schließlich ein Gelsenkirchener Elektroschweißer mit seinem Gedicht „Bei uns anne Bude“ und ein derart kurzes Interview mit ihm, daß es fast schon an Unhöflichkeit grenzte – das war’s zwischen 7.20 und 8 Uhr.

Den besten Ansatz ließ die eingangs erwähnte Befragung der Dortmunder Putzfrauen erkennen. Hier wurde tatsächlich etwas vom Alltag der Mensehen vermittelt. Schnickschnack ist hingegen das Zeitzeichen. Die Essener wählten die Anschläge eines Förderkorb-Signals. Reviertypische Akustik, deren Originalität sich in der dichten Abfolge der Zeitansagen jedoch schnell verbraucht…




Rundfunk-Premiere: Hörer sollen Themen selbst kommentieren – Idee aus dem WDR-Studio Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Hörer als Kommentatoren vor dem Rundfunkmikrophon – diese im WDR-Studio Dortmund aufgekommene Idee wird jetzt heiß diskutiert.

Bei Vorüberlegungen zum neuen Konzept der Sendung „Echo West“ (1. WDR-Hörfunk- Programm), die ab 1. Oktober im Rahmen der Regionalisierung um täglich eine Stunde verlängert wird, keimte der Gedanke: Warum, so fragten sich die Rundfunkleute, soll nicht einmal ein Stahlarbeiter zur Lage in der Stahlindustrie Stellung beziehen, warum soll nicht eine Hausfrau die Lebensmittelpreise aufs Korn nehmen oder ein Landwirt die unzuverlässigen Wettervorhersagen geißeln? Sollte die Idee verwirklicht werden, so wäre der WDR der erste Sender in der Bundesrepublzk, der die Zeitläufte von „Normalverbrauchern“ kommentieren läßt.

Claus-Werner Koch, Leiter von „Echo West“, wendet sich schon jetzt gegen Bevormundung durch die Funk-Profis: „Wenn s nach mir geht, können die Leute drei bis vier Minuten lang frei von der Leber weg reden“. Koch zum Ablauf: „Wenn zum Beispiel Stahlarbeiter demonstrieren, könnten wir hingehen und fragen: Wer hat Lust

zu sagen, wo der Schuh drückt? Ob der Kommentar dann auf der Straße oder im Studio gesprochen wird, ist Nebensache.“ Koch hält das alles „eigentlich nicht für eine große Sensation, sondern für selbstverständlich. Der Stahlarbeiter weiß doch in seinem Metier Bescheid“. Also könne er auch eine fundierte Meinung äußern.

Überhaupt solle „EchoWest“ (durchschnittliche Hörerzahl pro Tag derzeit bei einer halben Million) attraktiver, nämlich „hörernah“ gestaltet werden. Koch: „Wir bosseln noch daran“. Jedenfalls werde man das Team ab 1. Oktober öfter als bisher mit dem Mikrophon vor Ort antreffen, es solle mehr Aktionen geben, an denen sich die Hörer beteiligen können und jedes „Echo West“ solle einem Schwerpunkt-Thema gewidmet sein.