Orgien, Harakiri und Kunstblut – Christian Krachts filmischer Roman „Die Toten“

Für alle, die es noch nicht wissen: Christian Kracht hat einen neuen Roman geschrieben. Über das aufstrebende Filmmilieu der dreißiger Jahre zur Zeit der NS-Machtübernahme. Titel: „Die Toten“. Ja, den Titel hat es schon mal gegeben. Bei James Joyce. Anspruch will eben formuliert sein.

Trailer ab. Es treten auf :

In den Hauptrollen:
Emil Nägeli, ein Schweizer Avantgarde-Regisseur, mit einem ausgewachsenen Vaterkomplex behaftet.
Masahiko Amakasu: Japanisches ex-Wunderkind, als Erwachsener vor allem durch sein Faible für deutsches Brauchtum und Mythen auffallend.

die-toten

In den Nebenrollen: eine dralle, blonde deutsche Schönheit namens Ida, ferner UFA-Tycoon Hugenberg, Charlie Chaplin, Siegfried Kracauer, Lotte Eisner, Ernst „Putzi“ Hanfstaengl und Heinz Rühmann (geschickter Schachzug, auf nickende Kennermienen der Leser und Kritiker abgestellt).

Schauplätze: das Berlin der Weimarer Republik
Japan vor einer Zeitenwende
Hollywood als vermeintlicher Rettungsanker
diverse Berge und Bauernhöfe

Handlung: Mit deutschem Geld soll in Japan ein Vampirfilm gedreht werden – sozusagen als Zelluloid-Achse, um die faschistoide zu unterstützen. Mit Vampiren, viel Blut und nicht ganz soviel Kultur gegen den amerikanischen Kulturimperialismus, der allerdings schon da ist – in Gestalt des gerade in Japan nahezu gottgleich verehrten Charlie Chaplin.

Dazu gibt’s Fressorgien, Besäufnisse und reichlich historische Ereignisse (die zwar nichts zur Sache tun, aber wenn sie sich schon zum Zeitpunkt der Handlung ereignen. Man will ja nicht umsonst recherchiert haben).

Trailer Ende.

Doch bevor es im Buch um den Plot geht, (sieht man mal vom in allen Details beschriebenen Harikiri eines japanischen Offiziers direkt zu Beginn ab) ist die Hälfte des Buches schon um. Denn zunächst geht es in epischer Breite um die Leiden des jungen Nägeli und des jungen Amasuko. Kann man ja nicht unter den Tisch fallen lassen. Problematische Vater-Sohn-Beziehungen oder frühe Traumata wie der Tod des weißen Nicht-Kuscheln-Wollen-Hasen geben literarisch ja auch richtig was her. Und erst die autoritäre Kadettenanstalt, die das kleine Genie Masahiko den Flammen überlässt.

Das alles taugt zwar nicht als Rahmenhandlung oder gar als roter Faden, ist auch komplett bedeutungslos für die weitere Handlung, aber gepflegtes Leiden ist schließlich auch wichtig. Und das alles schön parallel montiert. Es geht ja um den Film als Kunstform. Im Film ist Parallelmontage sehr gefragt. So kann man gleich ganz klug und beseelt schließen, ah ja, hier ist die filmische Kunstform ins Literarische übersetzt. Und gelitten wird später auch noch. Wenn auch eher kunstblutig. Aber vielleicht ist das ja der rote Faden. Irgendwie will man als Leserin den Kreis ja dann doch geschlossen kriegen.

Kommt man dann zum Plot, treffen sich Nägeli und Amakasu endlich in Japan, wird dummerweise die (gemäß Verlagsbeschreibung „…das Geheimnis des Films als Kunstwerk der Moderne feiernde“) begonnene Handlung schon wieder unterbrochen. Schade. Aber was will man machen, wenn die blonde Ida dem japanischen Genie den Kopf verdreht und auf ganz andere vampirische Art als die geplante saugt.

Dem Nägeli bleibt immerhin noch die „Augenblicklichkeit des Universums“ und die blonde Spielverderberin kriegt ihre Kunstblut-Strafe. Und nicht zu vergessen: die Toten. Die haben wir ja auch noch. Die mischen sich dauernd zwischenrufend ein. Sind wahrscheinlich sowas wie das Kinopublikum für edel leidende junge und ältere Herren. Dass hingegen der Roman der dramatischen Struktur des japanischen No-Theaters folgt, das braucht man gar nicht groß herauszufinden. Kracht ist so stolz drauf, dass er einen mit der Nase draufstößt. Aber schön, oder? Da haben wir doch so einiges, was die Nicht-Rahmenhandlung und den kleinen Plot zusammenhält.

Der Roman schafft das Kunststück, viel zuviel Information bei gleichzeitiger Inhaltslosigkeit zu liefern. Aber immerhin in schön gedrechselten Sätzen, beinhaltend eine wahre Fundgrube für die beliebte Sammlung „Schöne, fast vergessene Wörter“. Die „Ästhetisierung des Schrecklichen“ passt dazu, aber es bleibt eine elegante Spielerei.

Statt Herzblut spritzt einem auch dort nur Kunstblut entgegen und es ist einem ganz unglaublich egal, ob man Gewalt so beschreiben darf, weil diese Passagen so bemüht wirken, dass sie einen nur kalt lassen können. Christian Kracht ist sicherlich ein feinsinniger Autor, aber was nach der Lektüre dieses Romans bleibt, ist der Eindruck, inhaltsleere Manierismen eines klugen Kopfs gelesen zu haben.

Alles, was ich sehe, ist eine Klamotte, eine langweilige noch dazu. Garniert mit dem Muff deutschen Mythen, von denen einem auch nicht im Ansatz erklärt wird, warum sie so toll sind und schon gar nicht, welche Lehren man daraus für die Zukunft ziehen könnte. Irritierend.

Vielleicht ist die Entstehung des Romans mit einem drängenden Bedürfnis des Autors zu erklären, sich mit aller Macht und Gewalt um jeden Preis aus den Schubladen lösen zu wollen, in die man ihn hineingepresst hat: Wunderkind, Popliterat und was da nicht immer alles an überfrachteten Erwartungen zu lesen ist. Dieser Intention und dem ganzen Roman hätte dafür allerdings eine Rückbesinnung auf Krachts Begabung als Satiriker gut getan.

Christian Kracht: „Die Toten“. Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch, 212 Seiten, € 20.




Ernest Borgnine starb mit 95: Er konnte mit Nuancen Charaktere prägen

Wirklich nicht mit äußeren Erscheinungsmerkmalen gesegnet, die gemeinhin Hollywood-Stars glamourös erscheinen lassen, als Darsteller eher mal auf polternde, aber auch tapsig-liebenswerte Eigenschaften abonniert, der Kerl, dem man gern Zuverlässigkeit und Loyalität zuordnen würde, und er war stets von einem außergewöhnlichen Wiedererkennungswert: Ernest Borgnine, der sein bewegtes Leben als Sohn italienischer Eltern mit Namen Ermes Effron Borgnino begann, hat es mit 95 Jahren abgeschlossen und hinterlässt viel mehr Lücken, als man auf den ersten Blick meinen könnte, denn er war ein ganz großartiger Darsteller – im wahrsten Wortsinne.

1953 spielte er nicht nur seine erste nennenswerte Rolle in „Verdammt in alle Ewigkeit“, sondern blieb als tiefböser Seargent „Fatso“ Judson stets auf künstlerischer Augenhöhe mit Montgomery Clift oder Burt Lancaster, was für den damaligen Anfänger Borgnine keineswegs einfach gewesen sein mag. Kein Wunder, dass er mal gerade drei Jahre später für die Darstellung des Metzgers „Marty“ im gleichnamigen Film den Oscar in Händen hielt. Es war wohl kein Zufall, dass der Co-Produzent Burt Lancaster hieß. Ob er diese Rollen oder einen warmherzig-harten Kerl in „The Wild Bunch“ (Sam Peckinpah) oder den handfesten „Trucker“ Cobb im „Der Flug des Phoenix“ gab, immer war der rumpelige Zupacker mit der Zahnlücke, die sein einnehmendes Lachen freilegte, genau die Nuance anders, die seine Rolle von ihm erwünschte. Der „Phoenix“ wurde im übrigen von Robert Aldrich in Szene gesetzt, dessen ausgemachter Lieblingsdarsteller er war.

Und selbst so zeitgeistigen Streifen wie „Höllenfahrt der Poseidon“ (da war er der bullige Großstadtcop „Mike Rogo“, der mit stets verliebten Augen hinter seiner Frau „Linda“ schützend durch den durchgekenterten Ozean-Liner krabbelte) gab seine Art zu spielen cineastischen Mehrwert und gleichberechtigte Aufmerksamkeit neben Gene Hackman. Dabei gelang es ihm fast (das fast sage ich nur, weil es selbst in seinem Leben mal ein Fehlgriff gab) immer, sich und sein unverwechselbares Gesicht als Unikat zu bewahren – daher meine Vorliebe dafür, solche Menschen wie Ernest Borgnine Darsteller zu nennen.

Auch bei kleineren Aufgaben unterhielt er sein Publikum prächtig. So als Gast bei Tim Allens „Hör mal, wer da hämmert“ neben dem silberblickenden Jack Elam oder als Synchronstimme des „Meerjungfraumannes“ im „Spongebob“ – er blieb zwar nicht der ernsthafte Darsteller, der er sein konnte, aber hatte selbst viel Spaß und vermochte ihn auch noch im hohen Alter zu verbreiten.
Ermes Effron Borgnino hat meine Kinoerfahrungen eindeutig bereichert.