Nur Kunst, Liebe und Tod – Horst Bieneks Tagebücher

Der 1930 im oberschlesischen Gleiwitz geborene Horst Bienek konnte sich nach dem Krieg in die „Sowjetische Besatzungszone“ absetzen, ein Volontariat in Potsdam ergattern und erste Prosa-Texte veröffentlichen.

Im September 1951 nimmt ihn Bertolt Brecht in seine Meisterklasse am Berliner Ensemble in Ost-Berlin auf und der junge Autor beginnt mit einem Tagebuch, in dem er fortan seine Gedanken und Erlebnisse akribisch festhalten will.

Bert Brecht erwiderte seine Bewunderung nicht

Er beobachtet Brecht bei den Proben („…er klatschte in die Hände, kicherte, schnaubte; es war köstlich.“) Seine Begeisterung und Bewunderung für Brecht, das epische Theater und die ketzerische Lyrik, wird Bienek zeitlebens bewahren. Leider wurde sie nicht erwidert. Denn weder Brecht noch Helene Weigel machten einen Finger für ihn krumm, als ihn die Stasi im November 1951 wegen angeblicher Spionage verhaftete und zur Zwangsarbeit in ein sowjetisches Gulag verfrachtete. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass Bienek im Rahmen politischer Abkommen 1955 entlassen und in die Bundesrepublik abgeschoben wurde.

Netzwerker in der Literaturszene

Es dauerte Jahre, bis Bienek künstlerisch wieder Fuß fasste, als Kultur-Redakteur beim Hessischen Rundfunk, Herausgeber verschiedener Zeitschriften und Verlagslektor bei dtv zu einem gefragten und einflussreichen Netzwerker in der Literaturszene wurde und schriftstellerisch die Traumata seines Lebens bearbeiten konnte.

Die Tagebücher, 1951 mit großen Hoffnungen begonnen, weisen denn auch eine große Leerstelle auf. Erst 1959 holt Bienek die Hefte wieder hervor, wird dann aber bis zu seinem Tod kein Blatt mehr vor den Mund nehmen und jedes noch so intime Detail seines ruhelosen und obsessiven Lebens aufschreiben.

Völlig ungeschütztes Schreiben

Die jetzt unter dem Titel „Es gibt nur die Kunst, die Liebe und den Tod. Dazwischen gibt es nichts“ veröffentlichten Tagebücher sind eine editorische Großtat, die dem Leser viel abverlangt. Denn Bienek schreibt völlig ungeschützt und oft polemisch über seine Begegnungen mit Kritikern wie Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser, seine Freund- und Feindschaften mit Kollegen wie Wolfgang Koeppen und Hans Magnus Enzensberger; er diskutiert mit Ingeborg Bachmann und Max Frisch und gibt freizügige Einblicke in seine sexuellen Vorlieben, beschreibt seine Ausflüge in die Schwulen-Bars, seine wüsten Ausschweifungen, die ihn vom Schreiben abhalten und in schummrige Klappen und dunkle Parks führen. Erst als AIDS unter seinen schwulen Freunden wütet, schränkt er seine sexuellen Obsessionen etwas ein.

„Ein flackernder Blick ins Leere“

Michael Krüger, sein Lektor und Verleger, beschreibt ihn als rastloses und „verletztes Kind“, das nur unter großen Schmerzen vom Verlust der Heimat („Die erste Polka“), von Verhaftung und Tortur im Gulag („Die Zelle“) erzählen und in zeitlos gültige Romane verwandeln konnte. Am 7. Dezember 1990 ist Bienek in München nach langem Siechtum an AIDS gestorben. „Das letzte Bild, das ich von ihm habe“, schreibt Krüger im Nachwort, „ist sein abgemagerter, geschrumpfter Körper, ein flackernder Blick ins Leere, ein Würgen, als wollte er noch etwas Wichtiges sagen. Er hat es für sich behalten müssen.“

Horst Bienek: „Es gibt nur die Kunst, die Liebe und den Tod. Dazwischen gibt es nichts.“ Die Tagebücher 1951-1990. Hrsg. von Daniel Pietrek u.a., mit einem Nachwort von Michael Krüger, Hanser Verlag, München. 1712 S., 58 Euro.