Unterhaltung hat Vorrang im Dortmunder Spielplan – Neuer Schauspielchef Jens Pesel wagt vorerst keine Experimente

Von Bernd Berke

Dortmund. Jens Pesel, neuer Schauspielchef des Dortmunder Theaters, steckt beim Spielplan für seine erste Saison zurück: „Im Grunde könnte ich mir wagemutigere Stücke vorstellen.“ Doch das Publikum in Dortmund sei anders, nämlich wohl nicht so experimentierfreudig wie jenes an seiner vormaligen Wirkungsstätte Darmstadt. Außerdem, so Pesel gestern zur WR, ändere sich das Ensemble zur Saison 1992/93 mit elf neuen Kräften derart grundlegend, daß man erst einmal typische „Ensemblestücke“ spielen müsse, um die neue Schauspieltruppe gleichsam „zusammenzuschmieden“.

Pesel („Ich fühle mich auch für Entertainment zuständig“) legte gestern also einen recht konventionellen Spielplan vor: Den Saisonstart besorgt er selbst mit Brechts „Leben des Galilei“. Es folgt die „Lysistrate“ des Aristophanes. Hier führt Amelie Niermeyer Regie, die – vom Münchner Residenztheater kommend — in Dortmund möglichst an die Tradition einer Annegret Ritzel anknüpfen soll. Pesel wiederum läßt einen unterhaltenden Beitrag folgen: Philip Kings Farce „Lauf doch nicht immer weg“. Dimiter Gotscheff, soeben in Berlin mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet, bringt George Taboris „Goldberg-Variationen“ auf die Bühne. Weitere Pläne: Heiner Kipphardts „März“ und vermutlich Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“, wobei es statt Letzterem auch Goethes „Clavigo“ werden könnte – eine Spagat-Alternative, die von Besetzungsfragen abhängt.

„Wir machen das besser als Essen“

Pesel wollte eigentlich auch verraten, was im Schauspiel-Studio ansteht, doch da schnitt ihm Generalintendant Horst Fechner ganz sanft das Wort ab: Diese Dinge wolle man doch lieber später enthüllen. Beide versicherten, sie hätten sich ohne Probleme auf den Spielplan geeinigt. Fechner: „Herr Pesel spricht die gleiche Sprache wie ich.“ Die Zeichen stehen auf Versöhnlichkeit. Fechner unterstrich, daß man den Dortmundern im Theater vorrangig Entspannung bieten wolle: „Wir können das so gut wie das Fernsehen.“ Ein Erfolgsdenken sei gefragt, das an der Kasse überprüft werden könne.

Deutlichster Ausdruck des Erfolgswillens ist wohl ein Großprojekt des Musiktheaters, „La Cage aux folles“ (Ein Käfig voller Narren), das gleich zu Beginn der Spielzeit 92/93 einen Hauch von „Cats“ und „Starlight Express“ nach Dortmund bringen soll. Mindestens 35 Vorstellungen sind vorgesehen. Fechner rechnet schon jetzt mit einem derartigen Besucherandrang, daß eine Übernahme in die Saison 93/94 so gut wie beschlossen ist. Fechner will die Revierkonkurrenz abhängen: „Wir machen es besser als seinerzeit die Essener“. Und Dortmund setzt noch eins drauf: Als zweites Musical-Element steht die (etwas bescheidenere) Show „Girls, Girls, Girls“ auf dem Programm. Wenn das die Besucherringe nicht zufriedenstellt…

Butterfly und Barbier

Natürlich hat man auch „große Opern“ auf der Rechnung: Wagners „Ring“ wird mit der „Götterdämmerung“ komplett (und im Frühjahr 1995 auch zweimal als Zyklus hintereinander gegeben). Mozarts „Cosi fan tutte“, Puccinis „Madame Butterfly“ und Rossinis „Barbier von Sevilla“ runden das Repertoire ab. Immerhin verabschiedet man sich nicht gänzlich vom Zeitgenössischen. Mit Walter Steffens‘ Oper „Die Judenbuche“ (nach Annette von Droste-Hülshoff) steht gar eine Uraufführung ins Haus. Die Tanzsparte schließlich bietet ein „Faust“-Ballett mit Rock- und Pop-Anklängen sowie ein klassisches Handlungsballett zum „Don Quixote“-Stoff.




Dortmunds neuer Intendant Horst Fechner: Publikum fordern, aber nicht überfordern

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit einer entschiedenen Verjüngung des Schauspielensembles und behutsamen Korrekturen im Musiktheaterbereich will Dortmunds künftiger Generalintendant Horst Fechner in die Theaterspielzeit 1985/86 gehen.

Wie Fechner, derzeit noch Intendant in Kiel, gestem in Dortmund mitteilte, kann er die wohl spektakulärsten Neubesetzungen im Ballettbereich vorweisen. Mit Youri Vamos (als Leiter des Ballettensembles) und Joyce Cuoco (bisher: Staatsoper München) kämen Spitzenkräfte des Metiers. Fechner über das Engagement von Joyce Cuoco als Primaballerina: „Das ist ungefähr so, als wenn Borussia-Trainer Ribbeck Karl Heinz Rummenigge präsentieren könnte“.

In puncto Spielplan (dessen Entwurf vor öffentlicher Bekanntgabe dem Kulturausschuß vorgelegt werden muß) bekundet Fechner, das Publikum „zwar fordern, aber nicht überfordern“ zu wollen. Sowohl die gängige „Fledermaus“ als auch eine anspruchsvollere Produktion wie etwa „Elektra“ seien „notwendig und in Dortmund machbar“. Ausgehend von der gewachsenen Spielplan-Tradition Dortmunds, müßten auch Publikumsminderheiten bedient werden. Dies sei geradezu die Pflicht einer Bühne, die am Ort ein „Theater-Monopol“ halte.

Fechner denkt zum Beispiel an neue Formen des Musiktheaters für jugendliche Zielgruppen. Um eine „Wegwerfkultur“ zu vermeiden, will Fechner dafür sorgen, daß sich ein Repertoire von Aufführungen herauskristallisiert, die lange auf den Spielplänen bleiben.

Absurde Sparzwänge in Kiel: Zertanzte Ballettschuhe nicht ersetzt

Mit Sparzwängen in vielerlei Gestalt wird sich der neue „General“ auf jeden Fall herumschlagen müssen. Eine Einsparungsmöglichkeit, die bereits vertraglich unter Dach und Fach gebracht wurde: Der Austausch kompletter Opernausstattungen mit der Staatsoper Warschau, die für ihre hervorragenden Dekorationen und Kostüme bekannt sei. Außerdem werde man nicht umhin können, zumindest eine Opernproduktion ohne Inszenierungsaufwand, also konzertant anzubieten.

Generell gelte aber, daß Einsparungen in Sachen Ausstattungsetat enge Grenzen gesetzt seien. Übertriebener Sparwille in diesem Bereich könne nachgerade absurde Konsequenzen haben. So sei es in Kiel passiert, daß die Ballettschuhe, die die Primaballerina bei „Schwanensee“ zertanzt hatte, aus Etatgründen nicht ersetzt werden konnten.

Fechner will zunächst kaum selbst inszenieren. Er konnte aber bereits namhafte Gastregisseure für die ersten Produktionen gewinnen. So steht fest. daß Heinz-Lukas Kindermann, der jüngst in Berlin für die „Traumspiel“-Opernuraufführung sorgte, die Eröffnungspremiere der kommenden Saison gestalten wird. Roland Veite, beispielsweise schon am Musiktheater Gelsenkirchen und beim Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz tätig, sowie John Dew („Ring“-Inszenierung in Krefeld) werden ebenfalls in Dortmund arbeiten.