Lizenz zur Wiederbelebung: William Boyds James-Bond-Roman „Solo“

James Bond, und das kommt selten vor, ist ein wenig ratlos. Der Auftrag, den er von M, seinem Pfeife schmauchenden Vorgesetzten, erhalten hat, klingt dem Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten allzu vage. Wie er es bewerkstelligen könnte, den im afrikanischen (Fantasie)-Staat Zanzarim ausgebrochenen Bürgerkrieg zu beenden, ist dem britischen Agenten ein völliges Rätsel.

Keinen Schimmer hat er, wie er die gefährlichen Frontverläufe überwinden und in die abtrünnige Region des Landes gelangen soll, um dort den einflussreichen Stammesführer und militärischen Kopf des Aufstandes zu kontaktieren und, wenn nötig, auszuschalten.

Solo

Bond hat weder eine Waffe dabei noch Verbündete, die ihm zur Hilfe eilen könnten. Er besitzt keine Informationen über die Hintergründe des Blutvergießens und weiß nicht, welche Interessen Großbritannien in dem Konflikt vertritt. Aber gerade dann, wenn alles ziemlich verwirrend und aussichtslos erscheint, läuft 007, der Agent, der bekanntlich gern Wodka Martini (geschüttelt, nicht gerührt) trinkt, noch stets zur Hochform auf.

Gut in Form ist auch der Autor William Boyd. Das ist vonnöten. Denn wer, sechzig Jahre nach der Veröffentlichung des ersten James-Bond-Romans, von den Nachlass-Verwaltern des verstorbenen Ian Fleming auserkoren wird, die legendäre Buchreihe um einen weitere offizielle Folge zu erweitern, muss mit allen kriminalistischen Tricks und literarischen Wassern gewaschen sein. Dass William Boyd in „Solo“ mit einer gehörigen Portion Selbstironie an die Machart und die Klischees der Ian-Fleming-Thriller anknüpft und doch einen eigenen, literarisch raffinierten Ton und eine ausgeklügelte, politisch aufgeladene Story findet, ist kein geringes Verdienst.

Bond und Boyd: das passt. Denn Boyd hat einen Hang zum Fintieren. Mit einer Ausstellung und einer Biografie über den frei erfundenen Maler „Nat Tate“ hielt er viele zum Narren; in „Ruhelos“, „Einfache Gewitter“ und „Eine große Zeit“ spielte er furios mit Elementen der Spionageliteratur. Dass der in Ghana geborene Brite, der heute in London und Südfrankreich lebt, für seinen James-Bond-Roman nach Afrika zurückkehrt, liegt auf der Hand: Mit dem permanenten Chaos der postkolonialen Revolutionen kennt er sich bestens aus; auch damit, dass der von Stammesfehden geschundene Kontinent immer wieder für Stellvertreterkriege herhalten muss und zum Spielball wirtschaftlicher Interessen der Großmächte wird.

Wir schreiben das Jahr 1969: Der Mensch hat den Mond betreten, in den westlichen Metropolen rebellieren die Studenten, die Dritte Welt kämpf um ihre Freiheit, in England herrscht der Bombenterror der IRA. Und um den Hunger nach Öl – als Schmiermittel des Fortschritts – zu befriedigen, sind alle Mittel recht. Nicht einfach für den passionierten Frauenhelden und notorischen Zyniker Bond, sich in der politisch aufgeladenen Gemengelage zurechtzufinden. Um in dieser heute fast schon archaisch anmutenden, internetfreien Kampfzone Erfolg zu haben, braucht Bond viel Glück und Verstand, ein paar seltsame Zufälle und natürlich das eine oder andere willige Bond-Girl.

Boyd lacht sich geradezu ins Fäustchen, wenn er die alten Macho-Klischees aufwärmt und Bond durch ein Gewitter aus Sex und Gewalt taumeln lässt. Doch irgendwann verliert der schwer verletzte Agent den Überblick und wirft alle Regeln über Bord: Was ihm in Afrika an Verrat widerfährt, weckt Rachegefühle. Und so macht er sich auf, um – solo – ein paar offene Rechnungen zu begleichen. Einige überraschende Wendungen warten auf ihn – und die Erkenntnis, dass sich hinter schönen Fassaden oft hässliche Menschen verbergen. Das ist wahrlich nicht neu, aber immer wieder spannend.

William Boyd: „Solo“. Ein James-Bond-Roman. Aus dem Englischen von Patrizia Klobusiczky. Berlin Verlag, 365 Seiten, 19,99 Euro.

(Das Hörbuch ist bei Osterwold-Audio erschienen, als ungekürzte Lesung von Dietmar Wunder: 8 CDs, 19,99 Euro)




Geschüttelt, nicht gerührt: Vor 50 Jahren ward der Bond-Kult geboren

Die geneigte Leserin, der überzeugte Leser, sie ahnen ja schon lange, dass es bei meinen Beiträgen eher mal um Kultur des allgemeinen Alltags geht, da aber auch dann und wann um Kult und alles, was damit in Zusammenhang steht. Und Kult sind sie ja nun mal, die heuer 50 Jahre alt gewordenen 007-Filme, die James Bond-Streifen, die Mütter aller modernen Action-Blockbuster.

Ja, man kann es tatsächlich allerorten nachlesen, im Jahre 1962 lief – heute vor 50 Jahren – „James Bond jagt Dr. No“ in den Kinos an und legte die Basis für einen fünf Jahrzehnte währenden Dauererfolg, der bisher kaum eingebüßt hat, an Faszination für die Kinobesucher und an Gelddrucksicherheit für Anleger, die ihr Bares in eine Produktion schießen. Es war vor 50 Jahren, als vor staunenden Augen Ursula Andress breitwandfüllend dem Meer entstieg und von Sean Connerys Virilität in unwiderstehlichen Bann gezogen wurde. Jener Sean Connery, der dritte Wahl war, weil eigentlich Cary Grant am Zuge sein sollte, und wenn der nicht, dann – man lese und staune – Roger Moore, der dem Bond schlechthin später folgen sollte, und der Sean Connery noch heute als besten Bond-Darsteller aller Zeiten rühmt.

Eine Million umfasste das Budget der Produzenten Albert Broccoli und Harry Saltzman, das Hundertfach spielte der Erstling ein, was den Schotten Sean bis heute wurmt und sauer auf seine alten Mitstreiter macht, denn er fühlte sich im Nachhinein nicht ausreichend am Erfolg beteiligt. Und wenn der brummige Highlander sich vor Augen führt, dass die Reihe, die immer noch sein darstellerisches Branding trägt, inzwischen über 4 Milliarden Dollar klingeln ließ, beißt er im Stillen sicher in jede sich bietende Tischkante, dass er sich die behaarte Brust und seinen Duktus nicht hat als Gebrauchsmuster schützen lassen. Übrigens trug er schon damals ein Toupet, das half, sein früh gelichtetes Haupthaar aufzufüllen.

Broccolis Nachfahren steuern noch heute das Produktionsschiff der Gelddruckmaschine 007, schießen aber so rund 200 Millionen in einen Streifen, müssen nicht mehr Büros mit Pappkartons ausstaffieren und Kunstleder an die schalldichte Türe von Geheimdienstchef „M“ kleistern. Sie müssen auch ganz sicher nicht mehr händeringend nach einem gescheiten Regisseur fahnden, bis gnädiger (oder glücklicher) weise Terence Young sich bereiterklärt, den Ruhm zu ernten. Heute ist es der Ritterschlag Ihrer Majestät, der einen Teamchef am Bond-Set unversehens träfe.
Um beim Kult zu bleiben: „Miss Moneypenny“ (Lois Maxwell, deutsche Stimme Beate Hasenau), Chef „M“ (Bernard Lee, Siegfried Schürenberg), Tüftler „Q“ (Desmond Llewelyn), der seit „Liebesgrüße aus Moskau“ den schrulligen Erfinder spielte, dessen Werke von 007 Bond, James Bond regelmäßig zerlegt wurden und dies bis zu seinem Tod 1999 als dienstältester Darsteller des Teams durchhielt. Sie allein sind schon Legende.

Ach ja, und die Gegenspieler, um nur wenige zu nennen. „Dr. No“, das weiß man kaum mehr, wurde von Joseph Wiseman gespielt und vom großen Friedrich Joloff gesprochen, der auch gleich auf die Bösewichter bei Bond abonniert blieb. „Goldfinger“ mit dem unvergessenen Gert Fröbe, oder „Blofeld“ mit Donald Pleasence und später Telly Savalas oder „Le Chiffre“ in „Casino Royal“ mit Peter Lorre. Es ließe sich noch fortsetzen, denn kaum jemand, der was konnte, sagte Nein, wenn er um Mitwirkung gefragt wurde.

Ach, und noch mal ja. Es war ein Journalist und Ex-Geheimdienstler namens Ian Fleming, der die Figur ersann und selbst seine Bücher mehr als 100 Millionen Mal verkaufte, was an sich schon Erfolg genug gewesen wäre. Stattdessen aber begründete er mit seinen Eiskaltkriegs-Geschichten die erfolgreichste Spielfilmserie aller Zeiten mit 22 Folgen und sechs Hauptdarstellern, damit die Sache nicht so auffällig wurde mit dem Altersfortschritt. Schließlich sind Sean Connery und Roger Moore inzwischen schon weit jenseits der 80. Damit James immer schön frisch blieb, versuchten sich auch George Lazenby, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und Daniel Craig daran, den beiden wunderbar snobistischen Briten nachzueifern. Jedem gelang das mehr oder weniger, aber meist seiner jeweiligen Zeit gemäß.

Das Muster der Spannungs-Stories ist eigentlich simpel. Smarter Typ (Bond) jagt kruden Bösewicht (Blofeld, Goldfinger und Co.), schießt oder schlägt alles, was sich diesem Ansinnen in den Weg stellt, über jeden sich bietenden Haufen (Beispiel: Beißer in Moonraker)und vernascht nebenbei noch ein paar hübsche Mädels, deren Zahl inzwischen Legion ist und deren Darstellerinnen von Honore Blackman (Pussy Galore) bis Halle Berry (Jinx Johnson) reicht. Karin Dor war auch mal eine und zog sich fürs Fremdgehen den heiligen Zorn von Donald Pleasance zu – natürlich eine Sache für James. So einfach geht das. Und daher, fürs Einfache, einfach mal Glückwunsch zum 50. und darauf einen Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt.