Flutendes Licht – Hasso Plattners Impressionisten-Sammlung als neue Dauerschau im Potsdamer Museum Barberini

Paul Signac: „Der Hafen bei Sonnenuntergang“, 1892, Öl auf Leinwand, 65 x 81 cm, Sammlung Hasso Plattner

Paul Signac sieht einen „Hafen bei Sonnenuntergang“: Das Licht flirrt in orangefarbenen Punkten übers seichte Wasser und geleitet das letzte Segelboot in sichere Gefilde. Pierre-August Renoir schaut auf den „Birnbaum“ in seinem Garten und lässt die trockenen Blätter des Herbstes in rötlichen Farben knistern.

Alfred Sisley stapft durch den frisch gefallen „Schnee in Louveciennes“ und scheint eine ganze Schippe glitzernder weißer Flocken auf die Leinwand verstreut zu haben. Und die im Abendlicht auf der gerade gemähten Wiese sich träge erhebenden „Getreideschober“ von Claude Monet glühen Lila und Rot, scheinen Feuer gefangen zu haben, vor Hitze zu dampfen und fast zu brennen. Es sind die wohl teuersten Getreidehaufen der Kunstgeschichte: Hasso Plattner hat sie kürzlich für 110 Millionen Dollar auf einer Auktion erstanden. Jetzt bringt der Stifter, Kunstmäzen, Sammler und Mitbegründer der Internet-Schmiede SAP seinen Monet in die neue Dauerausstellung „Impressionismus“ ein, mit der das Potsdamer Museum Barberini die Besucher über Jahre erfreuen möchte.

Allein 34 Werke von Claude Monet

Dass Hasso Plattner die Impressionisten besonders wertschätzt, konnte man ahnen. Schon die Eröffnung des von ihm mit einer beträchtlichen Geldsumme gesponserten Museums vor drei Jahren startete mit einem opulenten Überblick über die französischen Impressionisten. Und kurz bevor Corona die Kunst allerorten zum Stillstand brachte, legte das Barberini mit einer viel beachteten Monet-Ausstellung nach. Viele der dabei gezeigten Werke waren einem anonymen Privatsammler zugeordnet. Jetzt ist klar, dass sie Plattner gehören. Vor allem natürlich die 34 (!) Monets, die den Grundstock der 103 Bilder umfassenden Impressionisten-Schau ausmachen.

Alfred Sisley: „Schnee in Louveciennes“, 1874, Öl auf Leinwand, 54 x 65 cm, Sammlung Hasso Plattner

Lauter Genies der Kommunikation

Neben Monet sind fast alle Größen da: Renoir und Sisley, Pissarro und Signac, Caillebotte und Cézanne. Sogar ein Picasso hat sich in die Sammlung verirrt: als junger Künstler hat er (1901) den „Boulevard de Clichy“ als Meer aus Licht und Farbe eingefangen. Nur einer der ganz großen Künstler fehlt: Édouard Manet. Auch wenn auf Plattners Konto genug Geld ist: Es gibt derzeit keinen Manet zu kaufen, jedenfalls keinen, der den gehobenen Ansprüchen des Sammlers genügen würde.

Dabei hat Plattners Leidenschaft eigentlich einen ganz naiven Grund: „Die Gemälde beziehen uns als Betrachter unmittelbar mit ein. Wir spüren den Wind auf der Haut und die Temperatur des Wassers, wenn wir Monets Segelbooten auf der Seine zusehen. Das schafft keine andere Kunst. Die Impressionisten sind Kommunikationsgenies.“ Dass große Kunst immer auch große Kommunikation ist, der man sich nicht entziehen kann, weil sie einen emotional und intellektuell entzündet: geschenkt.

Erfreuen wir uns also an lichtdurchfluteten Landschaften und sinnlich erfahrbaren Farbräuschen, die uns die oft unerträgliche Realität als zauberhafte Fantasie zeigen (und verschönern) und uns die wahnhafte, von ausufernden Stadtlandschaften und ungezügelter Industrie verunzierte Welt in ein anderes, besseres Licht rückt.

Museum Barberini, Potsdam: „Impressionismus“. Neue Dauerausstellung. Katalog (Prestel Verlag): im Museum 30 Euro, im Buchhandel 39 Euro. Infos unter www.museum-barberini.de




Gütiger Genius: Wuppertal zeigt Camille Pissarro als Vaterfigur der Impressionisten

Dieser Mann mit dem Ehrfurcht gebietenden weißen Bart, den man da auf historischen Fotografien und gemalten Selbstporträts sieht, muss eine Leitfigur, ja ein Vorfahre beinahe biblischen Zuschnitts gewesen sein.

Und tatsächlich: Es ist kaum übertrieben, Camille Pissarro (1830-1903) als „Vater des Impressionismus“ zu bezeichnen. Als solcher firmiert er jetzt in einer sehenswerten Schau des Wuppertaler Von der Heydt-Museums.

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist's son, 1931)

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist’s son, 1931)

Lange Zeit blieben sie in den Pariser Salons verpönt, ja, das Wort „Impressionisten“ geriet gar zum Spottnamen, mit dem sich bornierte Kritiker das damals ungeahnt Neue der Freilichtmalerei vom Leibe hielten. Es waren ja „nur“ flüchtige Impressionen, nichts Ausgeführtes…

Einige Künstler wollten deshalb schon aufgeben, doch just Camille Pissarro hielt die Bewegung zusammen. Er beschwor die Kollegen, den Fehdehandschuh aufzunehmen und den Spottnamen zum Markenzeichen umzudeuten.

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Allerdings war Geduld gefragt, bis der Kunstmarkt endlich dafür bereit war. Auch der immens fleißige Pissarro lebte lange Zeit mit Frau und acht Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Erst um 1890 waren die meisten Impressionisten finanziell aus dem Gröbsten heraus.

70 Pissarro-Gemälde, rund 70 seiner Arbeiten auf Papier und 30 Gemälde seiner Freunde und Zeitgenossen (u. a. Cézanne, Courbet, Degas, Van Gogh, Manet, Monet, Rodin, Seurat, Signac) bietet das Museum auf. Ohne die Jackstädt-Stiftung, die die Ausstellung mit einem namhaften Betrag gefördert hat, wäre ein solcher Aufwand undenkbar. Städte allein können sich so etwas nicht mehr leisten.

Raum für Raum wird beim Rundgang deutlich, wie Pissarro, der stets offen für neue Strömungen blieb, sich phasenweise an anderen Künstlern orientiert und mit ihnen ausgetauscht hat – in Farbstimmungen und Komposition, teilweise auch bis in Feinheiten der Pinselführung hinein. So hat er etwa mit Cézanne und Renoir intensive künstlerische Zwiesprache gehalten. Museumsleiter Gerhard Finkh, der die Schau selbst kuratiert hat, entwickelt solche Einsichten nicht durch direkte Gegenüberstellung, sondern vertraut auch auf Spürsinn und Entdeckerfreude des Publikums.

"Bauernmädchen mit Strohhut" (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington - Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Camille Pissarro: „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington – Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Pissarro wurde auf der damals dänischen Antillen-Insel St. Thomas (heute zu den britischen Virgin Islands) geboren und war dänischer Staatsbürger. Frühe Bilder aus den 1850er Jahren sind romantische Inselansichten mit karibischem Flair. Ab 1855 studierte er Kunst in Paris, wo er sich dauerhaft niederlässt. Hernach hing Pissarro, der sich in der Nachfolge Camille Corots sah, einem dunkel getönten Realismus an, der seinerzeit auch nicht allzu marktgängig war. Man liebte es damals weithin akademisch und heroisch.

Das recht umfangreiche Frühwerk Pissarros ist größtenteils in den Wirren des deutsch-französischen Krieges 1870/71 verloren gegangen, vielfach wohl durch Plünderung. Nur rund 50 von 1400 Bildern aus seiner Anfangszeit sind noch erhalten. Über den Verbleib der meisten Werke weiß man so gut wie nichts.

Mit einer Straßenansicht von 1871, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses von Auguste Renoir entstanden ist, beginnt sozusagen die impressionistische Zeit.

"Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu" (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN - Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Camille Pissarro: „Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu“ (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN – Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Ein großartiger Raum zeigt Bildnisse einfacher Menschen, denen sich Pissarro zeitlebens zugewandt hat. Er gleitet dabei nie in Genremalerei ab, sondern versteht es, die Würde dieser Menschen nicht nur zu wahren, sondern zu verdichten. Ein Blick in eine Metzgerei gehört ebenso zu diesen Darstellungen wie eine fegende Magd oder das famose Porträt „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881). Es sind Bilder, vor denen man lange verweilen kann.

Eine weiterer Saal ist pointillistischen Experimenten gewidmet. Auch diese mühselige Punkt-für-Punkt-Malerei hat Pissarro zeitweise verfolgt, sie aber bald wieder beiseite gelassen. Ein pointillistisches Bild von Brügge hat er später sogar übermalt.

Überhaupt zeigt die Ausstellung auch Um- und Irrwege, ja sogar ausgesprochene Schwächen des Künstlers, die freilich auch nur nebenher abgehandelt werden. Ersichtlich hat er auf dem Gebiet des Stilllebens wenig und auf dem der Aktdarstellungen noch weniger vermocht.

Camille Pissarro: "Boulevard Montmartre bei Nacht" (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Boulevard Montmartre bei Nacht“ (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Doch wie sind ihm mit der Zeit die Landschaften geglückt! Wie trefflich hat er (zuweilen auch für anarchistische Publikationen) Szenen des entbehrungsreichen Landlebens vor Augen geführt. Industriell geprägte Hafenansichten und schließlich die Boulevards von Paris sorgen für unvergessliche Schlussakkorde der Schau. Über Wochen, manchmal über Monate hat der inzwischen arrivierte Künstler sich Freiraum von der Familie gegönnt, in Hotels logiert und vom Zimmer oder Balkon aus Plätze und Straßen gemalt, bevorzugt rings um den Louvre. Waren alle Blickwinkel erschöpft, stieg er im nächsten Hotel ab.

Camille Pissarro: "Aveneue de l'Opéra" (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Aveneue de l’Opéra“ (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Es sind freilich keine triumphal strahlenden, auftrumpfenden Bilder, sondern es ist eher ein verhaltenes Leuchten, ein stiller Glanz, der die Arbeiten auszeichnet. Wie einem denn überhaupt dieser Mann – trotz geschichtlicher Distanz – auch menschlich sympathisch werden kann, wenn man ahnt, wie vielen Künstlern (vor allem Van Gogh in dessen größter Krise) er geholfen hat und wie er sich auch für die Malweisen jüngerer Künstler begeistern konnte. Ja, er war nicht nur ein Künstler von hohen Graden, sondern offenbar auch so etwas wie ein gütige Vaterfigur.

„Pissarro. Vater des Impressionismus.“ Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 14. Oktober 2014 bis zum 22. Februar 2015. Geöffnet Di/mi 11-18, Do/Fr 11-20, Sa/So 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Katalog 25 Euro, DVD 15 Euro. www.von-der-heydt-museum.de