Eigenwilliges Informel: Neue Galerie Gladbeck würdigt Gerhard Hoehme

Mehr als 100 Jahre nach seiner Geburt rückt die Neue Galerie Gladbeck einen eigenwilligen und prägenden Künstler der Nachkriegszeit ins Blickfeld: „Relationen“ nennt sich die neue Ausstellung mit Werken von Gerhard Hoehme.

Gerhard Hoehme, Set your teeth on edge, 1981.
Acryl auf Leinwand, PE Schnüre,
178 x 174 x 25 cm.
© VG Bild-Kunst Bonn.
Foto: Kunstpalast, Horst Kohlberg, Artothek.

1920 in Greppin bei Dessau geboren und 1989 in Neuss gestorben, gehörte Hoehme zu den ersten Malern, die nach 1945 einen Neuanfang suchten. Seine Begegnungen mit den Pariser Informel-Künstlern Jean Fautrier und Jean Dubuffet –aber auch mit Persönlichkeiten wie Paul Celan und Pierre Boulez – führten ab 1952 zu seiner Hinwendung zur informellen Malerei, deren Vokabular er im Lauf der Fünfziger Jahre erweiterte und mit einer höchst subjektiven schöpferischen Kraft durchdrang. Bedeutsam wurde seine skulpturale, raumgreifende Malerei, die mit collageartigen Elementen über das Tafelbild hinausging und die er „Raumbeule“ oder „Farbpfahl“ nannte.

Hoehme kam 1952 nach einem kurzen Malereistudium auf Burg Giebichenstein in Halle an die Kunstakademie Düsseldorf, gründete gemeinsam mit Pierre Wilhelm 1957 die „Galerie 22“ und zählte zur Künstlervereinigung „Gruppe 53“ in Düsseldorf. 1959 war er Teilnehmer der documenta II in Kassel. Von 1965 bis 1984 leitete er an der Kunstakademie Düsseldorf als Professor eine Klasse für Malerei. Zu seinen Schülern gehören Sigmar Polke und Chris Reinecke.

Die Ausstellung legt einen Akzent auf das Spätwerk Hoehmes. 17 Werke stammen aus dem Bestand der Gerhard und Margarethe Hoehme-Stiftung. Unterstützt wird die Schau vom Museum Kunstpalast Düsseldorf und von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst.

Die Ausstellung in Gladbeck ist bis 20. März 2022 zu sehen. Die Neue Galerie Gladbeck hat mittwochs bis sonntags von 15 bis 20 Uhr unter Einhaltung der 2G-Regel geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Info: https://www.galeriegladbeck.de/




Der Künstler und seine Frau – die kleinen Bilder, die Emil Schumacher „für Ulla“ malte

Emil Schumacher, Für Ulla-1/1996, 1996, Gouache auf braunem Papier, 14,6 x 16 cm. © (Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2019/Emil Schumacher Museum Hagen)

Man könnte sie leicht übersehen. Kaum so groß wie ein Blatt Schreibmaschinenpapier sind die Bilder, und auch in ihren Rahmen bleiben sie schmächtig. Es bedurfte eines speziellen Regals für Kleinformate, um sie im Magazin wiederauffindbar unterzubringen. Jetzt aber hängen sie ganz prominent in der Ausstellung. „Für Ulla“ heißt die Serie von Gouachen, die Emil Schumacher für seine Frau malte und die 1996 erstmalig in Jena gezeigt wurde, als der Maler dort die Ehrenbürgerwürde der Universität erhielt.

Emil Schumacher, Für Ulla-7/1996, 1996, Gouache auf braunem Papier, 15 x 22,6 cm. © (Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2019 / Emil Schumacher Museum Hagen)

Zum 100. Geburtstag

Warum Hagens berühmter Informel-Künstler 1996 für seine Frau eine Reihe von Bildern auf Packpapier schuf, ist bis ins Letzte nicht beantwortet. Weder standen runde Geburtstage an (Ulla war 77), noch begründeten andere Anlässe ein solches Geschenk. Und Emil Schumacher, der seine Werke eher mit leichter Hand datierte und signierte, steuerte auch nichts Erklärendes bei. Aber die Bilder sind „für Ulla“. Das steht drauf. Anlass dafür, sie jetzt zu zeigen, ist der 100. Geburtstag Ulla Schumachers.

Emil Schumacher, Für Ulla-15/1996, 1996, Gouache auf braunem Papier, 14,6 x 16 cm. © Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2019 / Emil Schumacher Museum Hagen)

Sehr persönlich

Die Motive dieser „Suite“ sind abstrakt, wie man es bei Emil Schumacher ja gewohnt ist. Doch der Begriff deutet Bezüglichkeit an, und in der Tat laden viele Bilder dieser Reihe zu assoziativer Vergegenständlichung ein. Landschaften mag man erkennen, Tiere, vor allem Pferde. Und Kreise können Räder sein, Sinnbilder der Reise wie der Wiederkehr, und alles ergibt Sinn. Zwar ginge es zu weit, hier ein strenges System der Chiffrierung erkennen zu wollen, doch sicherlich hat Ulla Schumacher diese Bilder so genau verstanden wie kaum ein anderer Mensch. Emil, unabweisbar dieser Eindruck, formulierte hier wie unter einem Brennglas das Gemeinsame, das gemeinsam Vertraute. Es ist eine Kunst der Intimität, vielleicht gar eine anhaltende Liebeserklärung. Dafür brauchte es keine Stichtagsregelung.

Emil Schumacher, Kirmes, 1948, 27 x 34,5 cm. (Bild: © VG Bild-Kunst, Bonn 2019 / Emil Schumacher Museum Hagen)

Biedere Familie

Und ein weiteres Mal ist man erstaunt über das biedere Leben, das dieser Künstler und seine Frau führten. Nichts ist bekannt über Ausschweifungen oder Exzesse, 60 Jahre waren sie verheiratet, und sie haben das als großes Glück empfunden, wie Rouven Lotz unterstreicht, wissenschaftlicher Leiter des Emil Schumacher Museums und Kurator dieser kleinen, hübschen Ausstellung. Und übrigens war das Jahr 1996 doch ein rundes, ein bißchen jedenfalls, weil sich die jungen Leute 60 Jahre vorher auf der Kirmes kennengelernt hatten, auf dem Kettenkarussell, in Hagen, wo sonst.

Traumberuf Telefonistin

Ulla Schumacher, als Ulla Klapprott 1919 in Hagen-Eppenhausen geboren, war gewiß nicht die andere Hälfte eines Künstler-Duos, wie beispielsweise Christos Frau Jeanne Claude. Auch eine Muse war sie nicht, eher schon Managerin ihres zur Zurückhaltung neigenden Gatten. Sie kümmerte sich um die Reisen, schuf und pflegte internationale Kontakte. „Sie war ein bißchen die Außenministerin für den Künstler“, sagt Rouven Lotz. In jungen Jahren hatte sie übrigens als Telefonistin gearbeitet, immer im Gespräch, immer online (wie man heute fast sagen könnte), ein Traumberuf für sie.

Ulla und Emil Schumacher, 1989. (Foto: Stefan Moses / Emil Schumacher Museum Hagen)

„Ach Emil, das wird schön“

Und Ulla war Emil Schumachers wichtigste Kritikerin. Der Maler legte größten Wert auf ihr Urteil, auch im Schaffensprozeß schon. Freunde der Familie berichten von einem unruhigen Künstler, der durch das Haus lief und seine Ulla suchte, damit sie im Atelier ihre Meinung kundtat. Wiederholt verbürgt ist ihr Ausruf „Ach Emil, das wird schön“, mit dem sie in aller Regel ja auch recht hatte und dem kreativen Prozeß gehörigen Schub verlieh.

Zeichnungen der frühen Jahre

Museumsleiter Lotz hat der „Für Ulla“-Suite einige Bilder aus dem Bestand beigesellt, etwas größer in aller Regel, die die enge Verbindung der Kleinformate zum damaligen aktuellen Schaffen Schumachers, frappierend mitunter, dokumentieren. Außerdem gibt es einen zweiten Raum mit frühen Werken, Zeichnungen aus den 30er und 40er Jahren, Alltagsszenen und Akte, auf denen die Dargestellte immer Ulla ist. Diese vergnügliche Reihe, die neben anderem auch deutlich macht, was für ein brillanter Zeichner Emil Schumacher war, beginnt – eben – auf der Kirmes in Hagen, 1936, am Kettenkarussell. Eine Zeichnung wie ein Holzschnitt, hartes Schwarzweiß, mit einer erotischen Figurine im linken oberen Bereich, erste Begegnung mit der Frau fürs Leben.

Emil Schumacher, Ulla, rauchend, 1947, Fettkreidezeichnung, 32,7 x 15,7 cm.(Bild: © VG Bild-Kunst, Bonn 2019 / Emil Schumacher Museum Hagen)

Immer wieder Ulla

Er hat sie, für ein Programmheft der Ruhrfestspiele, als „Irre von Chaillot“ gezeichnet (welche allerdings, ganz adrett und comme il faut, hinter einem Kaffeehaustischchen hockt), als Hausfrau und Mutter zu Hause, als rauchende Gesprächs- und Lebenspartnerin. Daran, daß Emil Schumacher die Seine gerne im Akt abbildete, war gewiß auch die lange Phase künstlerischer Abstinenz schuld, erläutert Lotz. In der Nazizeit hatte, wie hier und da bekannt, der Maler Emil Schumacher mit dem Malen aufgehört, weil seine Kunst nicht gelitten war. Er hatte als technischer Zeichner gearbeitet, um die Familie zu ernähren. Als ihn seine Frau nach 1945 ermunterte, doch wieder ein Künstler zu sein, mußte Emil üben. Auch Akte malen. Niemand konnte damals ahnen, daß er dereinst in Kunstrichtungen Furore machen würde, die man mit Informel oder abstraktem Expressionismus bezeichnete. Die frühen Bilder mit der abstrakten „Für Ulla“-Suite in räumlich-inhaltlichen Zusammenhang zu bringen, ist eine kluge, ja fast schon schöpferische Entscheidung.

Langes Leben

Rund 60 Jahre dauerte die Ehe der Schumachers; Emil starb 1999, 87-jährig immerhin, ohne Vorzeichen „als glücklicher Maler“ auf Ibiza. Seine Frau folgte ihm zehn Jahre später, 90-jährig. Die Baustelle des Hagener Schumacher-Museums hat sie noch besichtigt, die Eröffnung leider nicht mehr erlebt.

Nicht so viele Familiengeschichten!

Schluss jetzt! Wenn man über Schumachers schreibt, droht das immer zur Familiengeschichte zu werden, garniert mit unzähligen Anekdoten. Doch hier gilt’s der Kunst! Sie sei ausdrücklich anempfohlen, die anrührende „Für Ulla“-Sonderschau wie auch das Dauerhafte im Hagener Schumacher-Museum mit seinen stattlichen Großformaten.

  • Emil Schumacher: „Für Ulla“ – Ursula Schumacher zum 100. Geburtstag
  • 24.11.2019 bis 9.2.2020
  • Emil Schumacher Museum Hagen, Museumsplatz 1
  • Geöffnet Di-So 12-18 Uhr
  • Tel. 02331 207 31 38, www.esmh.de



Strukturen, Wörter, Schläuche – die informelle Bilderwelt des Malers Gerhard Hoehme im Hagener Emil Schumacher Museum

Gerhard Hoehme, Hymne an Heraklit/Hommage à Heraklit, 1959, Öl und Polyester auf Leinwand, 140 x 160 cm, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher. ©VG Bild-Kunst, Bonn 2018

In den frühen Jahren der Bundesrepublik war er fast so etwas wie ein Star des gänzlich ungegenständlichen „Informel“. Er nahm an der documenta II teil und hatte 24 Jahre lang den Lehrstuhl für frei Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie inne. Doch mit der Pop Art verlor das Informel auch in Westdeutschland rasant an Bedeutung, und die letzte große Werkschau liegt zehn Jahre zurück. Mit einer uneingeschränkt sehenswert zu nennenden Ausstellung widmet sich jetzt das Hagener Emil Schumacher Museum dem Werk Gerhard Hoehmes.

Ein einziges Bild kokettiert noch mit dem Gegenständlichen. „Rote Zeichen“ von 1951 lässt hinten links einen Klavierspieler erkennen. Ohne ihn wäre das Instrument nicht zu identifizieren, wäre nur schwarze Fläche mit den titelgebenden Elementen. Gerhard Hoehme malte das Bild 1951, in dem Jahr, als er die DDR mit ihrer beengenden Kunstauffassung verlies und nach Düsseldorf zog. Seitdem zeigen seine Bilder auf unterschiedlichste Weise Strukturen, wirken Mal um Mal wie ein weiterer Entgrenzungsversuch. Wenn die Formulierung nicht in sich unsinnig wäre, befindet Museumsleiter Rouven Lotz, könne man bei Gerhard Hoehmes Werk von dem unablässigen Versuch sprechen, die Grenzen des Informel zu überwinden.

Gerhard Hoehme, Fensterbild S. Remo Str. 6 / Fenster und Baum III , 1968, Acryl auf Leinwand und Holz, 200 × 160 cm, Privatsammlung Meerbusch. © VG Bild-Kunst Bonn, 2018

In die dritte Dimension

Da das Informel aber keine Grenzen hat, hat Hoehme sich beizeiten daran gemacht, die traditionelle Präsentationsform des Tafelbildes zu überwinden. In seinen „Borkenbildern“ wird die rauhe Oberflächenstruktur durch Aufkleben von getrockneten Farbschnitzeln oder Leinwandstücken verstärkt, schiebt sich das an sich flache Bild gleichsam in die dritte Dimension. Spektakulär ist das Titelbild des Katalogs „Hommage an Heraklit“ von 1959, das, vollständig mit gelben Polyesterschuppen besetzt, tatsächlich eine Aura der Wertigkeit aufweist, wie sie eine Ehrbezeugung auch haben sollte.

Ost und West

Doch Hoehmes Oeuvre weist beiweitem nicht die Linearität auf, die etlichen seiner informellen Weggefährten eigen ist. Auf der einen Seite bearbeitet er sein Material mit rohen Methoden, ist nahe dran an der „art brut“ eines Jean Dubuffet; auf der anderen kann der Informel-Künstler nicht von Buchstaben, Schriften und ganzen Texten in seinen Bildern lassen. Das sieben Quadratmeter große Diptychon „Berliner Brief“ von 1966 ist eine launige Montage von Wörtern aus West (links) und Ost. Im bunten Westen lesen wir „Berliner Kindl“, „Mampe“ oder „BP“, aber wiederholt auch „Bestattungen“; im farblich zurückhaltenden, aber doch hellgründigen Osten beispielsweise „Kampftruppen der Arbeiterklasse“ oder „Internationalismus“, aber auch, verschwimmend, „Haus Vaterland“. Was mag es bedeuten, wenn der Künstler Berlins angesagteste Vergnügungsadresse der Vorkriegszeit in der DDR montiert? Methodisch jedenfalls scheint er da einem Klaus Staeck sehr viel näher zu sein als einem Emil Schumacher.

Gerhard Hoehme, Berliner Brief, 1966, Acryl, Collage, Graphit- und Farbstift auf Leinwand, 200 × 360 cm (zweiteilig), MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher. © VG Bild-Kunst Bonn, 2018

Vogelperspektive

Die Wörter dieses „Berliner Briefs“ stehen quasi in Augenhöhe vor dem Betrachter, und damit unterscheidet er sich von fast allen anderen Arbeiten Hoehmes, die, wären sie nach der Natur entstanden, aus der Vogelperspektive auf die Erde blicken. Hoehme war im Krieg Kampfpilot gewesen, und die Globalsicht wurde für ihn stilprägend. „Die Anfänge der informellen Malerei (…) lagen fast alle im letzten Kriege – also in einer Zeit der Kollektivschicksale, der Unterdrückung und Tötung des Individuums…“ beschrieb er es 1974. Da konnte die Kunst nicht so tun, als sei nichts geschehen; da aber auch erweist sich das Informel als unerwartet politisch.

Die Essenz

Mit Nägeln, Fäden, Schnüren, Schnittbögen und Trouvaillen hat Hoehme gearbeitet, hat Kästen wie den „Gewitterkasten“ mit düsterer Andeutung gefüllt, hat seine Motive in Fensterrahmen gestellt („Fensterbilder“) – stand also gewissen „Moden“ im künstlerischen Tagesbetrieb keineswegs ablehnend gegenüber.

Doch wirklich typisch für ihn wurden die Kunststoffschnüre, die in unterschiedlichsten Gestaltungen aus etlichen Bildern herausragen. Suchen sie den Kontakt zum Betrachter, bedrohen sie ihn? Oder sind sie in der Lage, gleichsam die Essenz abzusaugen? „Epiphanie des Informel“ ist der Name der Ausstellung, entlehnt dem Titel eines Bildes: Unten an den Kunststoffschnüren, die aus ihm herausragen, kleben große Kunstharzbrocken, abgeleitete, ausgehärtete Materie, wenn man so will. Wenn Epiphanie als Gotteserscheinung übersetzt werden kann, dann mag da ein Zusammenhang bestehen. Aber wer weiß? Auch wenn der Kaiser kam, sprach das begeisterte Volk in Griechenland von einer solchen.

  • „Gerhard Hoehme – Epiphanie des Informel“. Bis 17. Februar 2019
  • Emil Schumacher Museum Hagen, Museumsplatz 1, 58095 Hagen
  • www.esmh.de
  • Geöffnet Di – So 12 – 18 Uhr
  • Katalog 72 Seiten, 60 Abb., 14 € im Museum, 18 € im Buchhandel.



Radikal und doch gefällig – Werkschauen der Informel-Künstler Karl Fred Dahmen und Peter Brüning in Duisburg und Hagen

Karl Fred Dahmen: „Terrestrische Intention II“ (1958), Mischtechnik auf Leinwand 176,5 x 216,5 cm.  Sammlung Ströher, Darmstadt (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

In den letzten Jahren werden seine Bilder karg. Wolkige Hellgründigkeit dominiert, sparsame Schraffuren und Texturen ordnen die Flächen. Die allerletzte Arbeit von Karl Fred Dahmen, „Ohne Titel (Letztes Bild)“ von 1980/81 gar könnte man, läßt man den rotbraunen Balken am unteren Bildrand außer Betracht, „leer“ nennen, was natürlich nicht stimmt, aber der Dominanz der Flächigkeit Rechnung trägt.

Er hatte nicht immer so gemalt. Das Museum Küppersmühle präsentiert in seinen wunderbaren, lichten, großzügigen Räumen nun gut 110 Werke dieses Großmeisters des Informel aus rund drei Schaffensjahrzehnten.

Karl Fred Dahmen: „Komposition III“ (1952),  Öl auf Rupfen/Papier 60,5 x 80 cm.  Karl Fred Dahmen, Nachlassverwaltung, Van Ham Art Estate, Köln (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017 / Foto: Saša Fuis Photographie, Köln)

Tod mit 41 Jahren

Auch das Hagener Emil Schumacher-Museum widmet sich mit einer Sonderausstellung einem Großen des deutschen Informel. Dort sind auf einer ganzen Etage Werke von Peter Brüning zu sehen, der in etwa zur selben Zeit lebte und arbeitete wie Dahmen, jedoch schon 1970 mit gerade einmal 41 Jahren einem Herzinfarkt zum Opfer fiel.

Dahmen war 12 Jahre älter als Brüning, doch künstlerisch standen sie sich nahe. 1953, es war die Zeit der Künstlervereinigungen, gründeten sie zusammen mit Gerhard Hoehme die „Gruppe 53“, ein rheinisches, wenn man so will, Pendant zum „Jungen Westen“. Vorher, 1951, werden sie sich vermutlich auch bei ihren Paris-Reisen begegnet sein. Sechs Jahre nach Ende des Krieges waren deutsche Jungtouristen, Künstler zumal, an der Seine wohl noch eine Seltenheit. Also auf in die Museen, erst nach Duisburg, dann nach Hagen.

Zum 100. Geburtstag

Karl Fred Dahmen, nun gut, ist einer jener Namen, die ganz sicher fallen, wenn vom frühen deutschen Nachkriegs-Informel die Rede ist – neben Karl Otto Goetz zum Beispiel, Fred Thieler, Bernard Schultze, Emil Schumacher und natürlich den Zero-Leuten Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker. Doch den Prominentheitsgrad der Letztgenannten hat er nie erreicht. Man kennt ihn am ehesten noch aus den Katalogen der Kölner Auktionshäuser, wo regelmäßig Arbeiten angeboten werden, eher im fünf- als im sechsstelligen Bereich, was ja nicht wenig Geld ist. Aber Spitzenlose sind es eben auch nicht.

So muß man es durchaus verdienstvoll nennen, wenn das Stifterehepaar Ströher, das die Küppersmühle finanziert, zusammen mit dem Versteigerungshaus van Ham und etlichen prominenten Leihgebern nun, zum 100. Geburtstag des Künstlers, diese große Retrospektive auf die Beine gestellt hat. Van Ham, zur Erläuterung, hütet treuhänderisch einen Großteil des Dahmen-Nachlasses.

Karl Fred Dahmen: „Ein Tag“ (1964), Mischtechnik auf Leinwand 165 x 145 cm,  Privatsammlung Köln (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017 / Foto: Robert Häusser, Mannheim)

Von Landschaften inspiriert

In Karl Fred Dahmen nur den abstrakten Künstler zu sehen, den die sichtbare Welt nicht interessiert und der mit Verve sein Inneres auf die Leinwand wirft – nun, das würde es nicht ganz treffen. Dahmens Bilder sind Kompositionen, die von den Landschaften seiner Umgebung inspiriert sind. Die aufgelassenen Braunkohletagebaue seiner Heimatstadt Stolberg nahe Aachen sind da eine starke, oft verwendete Bildwelt, ebenso Schrottplätze und rottende Industrieruinen.

Es ist dies eine Form der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen, die in Hinterlassenschaften wie, eben, Schrottplätzen und Müllhalden ihren vielleicht authentischsten Ausdruck finden. Letztlich geht es ihm, wie Kuratorin Ina Hesselmann unterstreicht, immer um die „Aufsicht auf die Städte“ – seien die Früchte der künstlerischen Produktion nun Strukturbilder, Mauerbilder, Montagebilder oder Objektkästen.

Karl Fred Dahmen in Stolberg (1958) (Foto: Ann Bredol-Lepper, Aachen)

Schaffenskrise in Bayern

Wie nahe Dahmen mit seinen vermeintlich abstrakten Arbeiten an der visuellen Wirklichkeit ist, wird besonders deutlich, als er 1967 als Dozent für Malerei nach Bayern übersiedelt. Dort übernimmt er die vorher von Georg Meistermann geleitete Klasse, wird im Folgejahr zum Professor ernannt. Das Ehepaar Dahmen kauft sich in Niederham im Chiemgau, nahe München, einen verwunschenen, alten Bauernhof, und die neue Wohnung stürzt den Künstler in die Krise. Statt kaputter Industrielandschaften nur noch Lieblichkeit, wohin das Auge fällt.

Geschundene Kreatur

Doch Dahmen arrangiert sich. Zukünftig herrscht in seinen Arbeiten die Farbe Grün vor, und bald schon fällt sein Augenmerk auf das Leiden der Tiere im ländlichen Raum, das er in der Folge ausgiebig thematisiert. In seinen dreidimensionalen Objektkästen, die er seit den 60er Jahren mit Trouvaillen füllt und anschließend bearbeitet, landen nun auch Tierhaare vom Bauernhof, Stricke oder auch üble Instrumente, die das Vieh gefügig machen. Bemerkenswerteste Arbeit in diesem Kontext ist sicherlich das archaisch-schroffe „Ambienteobjekt“ mit dem Titel „An die geschundene Kreatur“ von 1972/74, eine von Stricken umschlungene Achse mit eisernen Rädern, gemacht, um von Tieren gezogen zu werden doch auch fixiert an einem grünen Objekt im Hintergrund. Eigentlich ist das eine Rauminstallation, und dankenswerterweise ist sie in Duisburg zu sehen.

Weiß ist der Winter

Übrigens gibt es neben grünen Arbeiten auch etliche mit ausgeprägter Weiß-Dominanz. Sie reflektieren den Winter, und wenn Stricke heraushängen, handelt es sich um „Galgenbilder“. Erfreut nimmt man wahr, daß es auch dem älter werdenden Künstler nicht an Obsession fehlte.

Karl Fred Dahmen: „Maskuline Legende“ (1972), Objektkasten 133 x 56 x 11 cm Frankfurter Privatbesitz (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017  Foto: Saša Fuis Photographie, Köln)

Ein bißchen Kunstgewerbe

Allerdings sind die meisten Bilder, fast oder vollständig quadratisch und mit geschätzt zwei bis drei Quadratmetern Gesamtfläche auch noch recht gut aufhängbar, von oft geradezu unerträglicher Wohlproportioniertheit. Alles ist aufs Wunderschönste komponiert, lieblich möchte man fast sagen. Spannungen zwischen Bildelementen oder, in den Kästen, dem Gemalten und den Fundstücken, fehlen. Man weiß um des Meisters Ringen, doch das böse Wort „Kunstgewerbe“ bricht sich in den Gedanken des Betrachters Mal um Mal Bahn. Und man ahnt, warum damals so plötzlich Schluß war mit dem ganzen Nachkriegs-Informel, damals, als die Pop-Art über den Atlantik schwappte und uns mit ihrem provokanten Auftritt sprachlos machte. Doch wäre dies das Thema einer anderen Geschichte.

Peter Brünings Muster

So wenden wir uns nach Hagen, wo Karl Fred Dahmen übrigens 1966 den Karl Ernst Osthaus-Preis erhielt und sich dem Westdeutschen Künstlerbundes anschloß. Jetzt aber sind hier Bilder von Peter Brüning zu sehen. Einige „gegenständliche“ Baumbilder von 1954 lassen mit ihren prallen Stämmen das Vorbild Fernand Léger erahnen, doch schon wenige Jahre später ist der junge Künstler – 1956 war er gerade einmal 27 Jahre alt – in der Abstraktion unterwegs, wälzt flächige, düstere Kompositionen mit Ölfarbe auf Hartfaserplatten, erschafft eher Muster als Strukturen.

Bildhafter wird es Ende der 50er Jahre, wenn glühendes Rot und tiefes Schwarz das Bildgeschehen dominieren. Den „Kompositionen“ gesellen sich als Bildtitel nun die (Plural?) „Ohne Titel“ hinzu, wilder wird das Ganze, und wenn die beherrschende Farbe Blau ist, dann denkt man nun auch an Emil Schumacher. Oder wenigstens an Yves Klein.

Ein Bild, das jetzt in Hagen hängt: „Komposition 91/62“ (1962) von Peter Brüning, Öl und farbige Kreide auf Leinwand, 170 x 200 cm groß, Düsseldorfer Privatbesitz (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen/Katalog)

Landschaftswahrnehmungen

In den 60er Jahren wiederum entstehen äußerst luzide, durchsichtige, weißgründige Arbeiten, die der Künstler mittlerweile durchnumeriert. Pflanzen? Menschen? Man weiß es nicht. Landschaften sind dies sicher nicht, Landschaftswahrnehmungen indes gewiß.

Welt der Zeichen

Richtig landschaftlich wird es erst in Peter Brünings letzten Schaffensjahren. Mitte der 60er Jahre klopft die Pop-Art an die Tür, und voller Humor übernimmt der Künstler in erstaunlicher Gegenständlichkeit und Schärfe kartographische Symbole und Linienführungen, etwa für sein „Blow-up“-Bild einer imaginären Landkarte mit dem Titel „Légende 9/66“ von 1966.

1968/69 schließlich hat Brüning das Offset-Plakat eines Industriegebiets um utopische Regenwolken (oder sind es Ufos?) ergänzt und das Ganze „Super-Rhein-Land“ genannt. Nun ja: Wenn er auch bisher schon vor allem Landschaft gemalt haben sollte, wie der Katalog nahelegt, ist dies ja kaum mehr als die konsequente Fortsetzung einer alten Idee. Doch wüßte man gerne, wohin sich Peter Brüning weiterentwickelt hätte, wenn er nicht ein Jahr später schon gestorben wäre.

„In den aus heutiger Sicht in Hinblick auf Natur und Gesellschaft visionär wirkenden Darstellungen einer von den Erscheinungsformen der modernen Industrie veränderten, geprägten und gleichzeitig gefährdeten Landschaft, in denen – wie Brüning es ausdrückte – ,die Zeichen unsere zweite Natur werden‘, ist er ein klar vorausschauender Seismograph seiner Zeit“, schreibt Rouven Lotz, wissenschaftlicher Leiter des Emil Schumacher-Museums, zutreffend zu dieser Ausstellung.

Artige Tapetenmuster

Gewiß, auch Brünings Bilder sind für uns Heutige sehr artig, sehr wohlkomponiert, in keiner Weise übertrieben. „Tapetenmuster“, wie böse Menschen sagen. Passiert man auf dem Rückweg einige späte große Arbeiten Emil Schumachers in der ersten Etage, so wird einem dieser Mangel an Dramatik und Unbedingtheit geradezu schmerzlich bewußt. Doch der große Hagener hatte auch mehr Zeit, sich zu vervollkommnen.

Baustelle Küppersmühle

Zweimal sehenswertes Informel, ganz ohne Frage. Und es ist auch wohltuend, wenn Kunst einmal nur aus „richtigen“ Bildern besteht – wiewohl Weitungen des Kunstbegriffs auf gesellschaftliche Prozesse und ihre möglichst unorthodoxe Vermittlung sicherlich auch ihren Reiz haben (können). Am besten fährt man selber hin und schaut, ob es gefällt. In Duisburg kann man dann übrigens noch einen Blick auf die Baustelle werfen, wo der Anbau der Küppersmühle munter an Gestalt gewinnt.

Infos:




Kunst ist verbindlich – Emilio Vedova und Georg Baselitz in der Duisburger Küppersmühle

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Emilio Vedova und Georg Baselitz auf der Documenta in Kassel, 1982. (Foto: Benjamin Katz/MKM)

„Männerfreundschaft“ wäre vielleicht ein zu starkes Wort. Aber Georg Baselitz, der damit berühmt wurde, dass er seine geschundenen Helden gerne kopfüber auf die Leinwand setzte, und Emilio Vedova, der wohl bedeutendste Vertreter eines italienischen abstrakten Expressionismus, kannten und schätzten sich. Mehrfach auch waren Arbeiten von beiden in den selben Ausstellungen zu sehen, etwa auf der Biennale in Venedig 2007. Nie aber gerieten diese Doppelpräsentationen so üppig wie jetzt die in der Duisburger Küppersmühle.

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Emilio Vedovas „Compresenze ’82 – 2“ von 1982, 300 x 190 cm groß, Dispersion, Pastellfarbe, Kohle, Nitrolack und Sand auf Leinwand (Foto: Fondazione Emilio e Annabianca Vedova/Vittorio Pavan/MKM)

Politisches Verständnis

Warum Georg Baselitz, Jahrgang 1938 und der figürlichen Darstellung doch lebenslang verbunden, gerade am Schaffen Vedovas so viel Interesse entwickelte, erschließt sich nicht automatisch. Denn Vedova, 19 Jahre älter als Baselitz und 2006 verstorben, war ein recht typischer Vertreter des Nachkriegs-Informel, gehörte zur Generation von Emil Schumacher, K.O. Goetz oder Fred Thieler auf deutscher Seite.

Doch in der Tat kaufte Baselitz im Jahre 1957, da war er gerade 19 Jahre alt, sich seinen ersten Vedova, das Gemälde „Manifesto Universale“. Woher kam das Interesse? Vielleicht aus einem entschieden politischen Verständnis von Kunst bei beiden, aus einem obsessiven Verhältnis zu Politik und Geschichte, Mythischem und Menschlichem. Beide, ein Indiz vielleicht, ließen sie ihre Arbeiten selten ohne präzise Titel, mochte sich die Bezüglichkeit in den Werken auch auf den ersten Blick nicht darstellen.

Petersburger Hängung

Recht zentral und in gemäßigt ungleichmäßiger „Petersburger Hängung“ begrüßt in Duisburg eine neue Werkreihe von Baselitz das Publikum: „Ma grigio“ (wörtlich „mein Graues“), überwiegend dunkle bis sehr dunkle, farbarme Bilder, die ein Andreaskreuz aus Unterschenkeln zeigen, deren Füße in hochhackigen Schuhen stecken. Das Motiv ist, sieht man von der Dunkelheit der Bilder ab, fast ein wenig neckisch und hat mit einem Hakenkreuz wohl eher nichts zu tun. Wären die Beinchen kreuzförmig angeordnet, sähe das anders aus, so aber herrscht doch die Assoziation „laufen“ vor.

Der Künstler hat den Bildern goldene Rahmen verpasst, und er hat ihnen auch Titel gegeben, die manchmal recht ausführlich und leider auf Italienisch sind: „Oggi è una giornata molto grigia“ („Heute ist ein sehr grauer Tag“) zum Beispiel. Manchmal aber auch geht es um direkte Begegnungen mit Künstlerkollegen, „Lucio getroffen“ zum Beispiel bezieht sich, so Walter Smerling, Chef des Duisburger Hauses, auf den minimalistischen Leinwandschlitzer Lucio Fontana. Auch Vedova sei latent präsent, und die Choreographie der Hängung von „Ma grigio“ folge der Idee eines Besuches in einer Vedova-Ausstellung.

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Georg Baselitz: Kleines Straßenbild 19 (von 28), 1979, aus der 28teiligen Serie, je 70 x 50 cm groß, Tempera und Öl auf Leinwand. (Foto: Sammlung Ströher/Georg Baselitz/Kunstmuseum Bonn/MKM)

Der Künstler kopfüber

Man liegt aber sicherlich auch nicht falsch mit der Annahme, dass das Museum Küppersmühle, das Georg Baselitz seit langen schon intensiv verbunden ist, eine besonders originelle Form für die Präsentation von dessen später, neuer Arbeit suchte und fand. Weitere ausgestellte Baselitz-Zyklen sind unter anderem in 12 Bildern „Ciao America“ von 1988 – große Blätter, denen eigen ist, dass sie sich mit zunehmender Ordnungszahl immer mehr mit Vögeln füllen, sowie die 28-teilige, angenehm informell wirkende, den Pinselduktus des Künstlers eindrucksvoll hervorhebende Reihe „Kleines Straßenbild“ (1979).

Eine Serie von Zeichnungen zu „Straßenbild“ bezieht den kopfstehenden Künstler mit ein. Auch ein „Adler“ (1972) ist zugegen, jener nämlich, der stets dem Absturz nah lange im Bundeskanzleramt hing. Festredner Gerhard Schröder, einst Bundeskanzler, wird sich gefreut haben, den Vogel einmal wiederzusehen.

Homogenes Oeuvre

Und Vedova? Seine Bilder stammen aus den 50er, 80er und 90er Jahren, sie zeigen eine frappierende Homogenität. Die formelle Befreiung der späten Jahre, die Fabrizio Gazzari von der Fondazione Vedova in Venedig beschwört, soll nicht bestritten sein, offenbart sich aber auf den ersten Blick nur dem geschulten Auge. Im Gegenteil ist man erstaunt, dass Schwarzweiß-Arbeiten, die man wegen des angegilbt wirkenden Untergrundes für besonders alt halten könnte, aus der Mitte der 90er Jahre stammen. Sie sind, so die Erklärung, „Pastell auf Schaumplatte“; das Trägermaterial dieser Platten ist von vornherein beige-gelblich und an einigen Stellen auch, schaut man genauer hin, so eingerissen, dass Montageschaum hervorquillt.

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Bild aus dem Zyklus „Ma grigio“ von Georg Baselitz: „Mehr oder weniger leise gesungen“ (2015), 203 x 125 cm groß, Öl auf Leinwand. (Foto: Galerie Thaddaeus Ropac/Georg Baselitz 2016/Jochen Littkemann/MKM)

Die Fondazione Vedova und die Küppersmühle, das ist schon beschlossene Sache, wollen weitere Gemeinschaftsprojekte anstoßen, in sinnhafter Bezüglichkeit weitere Künstler präsentieren. Fast so etwas wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wie Walter Smerling im Termin nicht gänzlich humorfrei anmerkte. Gerhard Schröder, der Männerfreundschaften bekanntlich schätzt, hat sicher seine Freude daran.

  • „Baselitz – Vedova“
  • MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Philosophenweg 55
  • Bis 29. Jan. 2017
  • Geöffnet Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, Feiertage 11-18 Uhr
  • Eintritt Wechselausstellung 6,00 €, ganzes Haus 9,00 €
  • Katalog dt.-engl. 160 Seiten, 158 Abb., 34,00 €
  • www.museum-kueppersmuehle.de

 




Künstler auf der Suche – Hagener Museum zeigt frühe Bilder von Emil Schumacher

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Der junge Emil Schumacher im Jahr 1950 (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Als Emil Schumacher begann, ein berühmter Maler zu werden, war er immerhin schon 33 Jahre alt. Der Moment ist klar bestimmbar. Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, kündigte Schumacher seinen Job als technischer Zeichner in einer Hagener Batteriefabrik und wurde freier Künstler.

Dieser mutige Schritt – wie auch das Ende des Zweiten Weltkriegs – liegt jetzt fast 70 Jahre zurück und ist Anaß für eine Sonderausstellung im Hagener Schumacher-Museum, die dem Frühwerk gewidmet ist, Titel: „1945 – Wiedersehen in den Trümmern“.

Wenn ein Familienvater in schwerster Zeit eine solche Lebensentscheidung trifft, dann ist Druck da, Getriebenheit, Radikalität. Mit gleicher Radikalität hatte der 21-jährige Emil Schumacher 1933 sein Studium an der Dortmunder Kunstgewerbeschule abgebrochen, weil er sich nicht der Nazi-Ideologie unterwerfen wollte. Nun aber gab es so etwas wie eine zweite Chance, wenngleich ein Studium wohl nicht mehr in Frage kam.

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Entgrenzt: Schumacher-Bild Sodom (1957) im Format 132 x 170 cm (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

In den Jahren 1945 bis 1951, deren Schaffen die Hagener Ausstellung dokumentiert, erlebt man einen Künstler, der zum einen fraglos noch auf der Suche nach dem richtigen Weg ist, der andererseits bereits auffällt durch die tiefe Durchdringung von Themen und Sujets zum einen und großer handwerklicher Meisterschaft zum anderen. Wenn dieser Suchende Anfang der 50er Jahre scheinbar so plötzlich seinen unverwechselbaren „informellen“ Stil gefunden hat, ist das zwar nicht selbstverständlich, aber auch nicht verwunderlich. Viel Typisches war früh im Keim schon angelegt.

Schlüsselwerk für ein besseres Schumacher-Verständnis ist fraglos „Die brennende Stadt“ von 1946, eine Serie von schwarz gedruckten Holzschnitten, die der Künstler auf mehreren Blättern mit unterschiedlichen Farbigkeiten belegte.

Es sind Bilder des Grauens, Feuer, Rauch, Verwüstung und Verzweiflung, und die Farben machen es noch schlimmer. Es sind Schmerzensschreie wie Picassos „Guernica“ von 1937 – und sie markieren gleichzeitig Schumachers Abwendung vom Figurativen, hin zur grundlegenden elementaren Empfindung. In der Ausstellung wie im Katalog hat Kurator Rouven Lotz die Reihe der kolorierten Holzschnitte dankenswerterweise in räumliche Nähe zu dem Kolossalgemälde „Sodom“ von 1957 gerückt, stattliche 132 x 170 cm groß, das in Flächenentgrenzung, Farbe und Stimmung und unter Weglassung gegenständlicher Elemente doch dem „Bombenangriff“-Zyklus ganz nahe ist.

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Die Hütte in Hagen-Haspe – als es sie in den späten 40er Jahren noch gab (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Der „suchende“ Schumacher malte, zeichnete, druckte mit Holz und Linoleum, arbeitete mit gefundenen Materialien wie groben Geweben oder ausgestanzten Blechen. Immer wieder scheint das karge Leben der Nachkriegsjahre in seinen Arbeiten auf. Eine Zeichnung zweier alter Männer, die sich unterhalten, ist mit „1000 Kilokalorien“ unterschrieben; das war das Diskussionsthema jener Zeit, ganze 1000 Kalorien gab es pro Kopf.

Vier Bilder eines alten Mannes hängen an der Wand. Alte Männer prägten das Bild, der männliche Teil der Nachkriegsbevölkerung beschränkte sich weitgehend auf Greise und Kinder, die anderen waren großenteils im Krieg geblieben. Nutzlose Greise verkörperten gleichsam die trostlose Lage. Der eine Greis, den Schumacher immer wieder abbildete, war bei seiner Familie zwangseinquartiert worden und in diesem Sinn ein „dankbares Objekt“ für den jungen Maler. Wiederum beeindruckt bei diesen Blättern die souveräne Technik, die Sicherheit des Ausdrucks, gleichgültig, ob sie mit Farbstift, Tusche oder als Aquarell ausgeführt wurden.

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Da war der Künstler erkennbar noch auf der Suche nach seiner malerischen Position. Papierfabrik Kabel, 1949 gemalt. (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Ja, diese 40er- und 50er-Jahre waren eine schlimme Zeit, obwohl das elterliche Haus in Hagen nicht Opfer von Bombardierungen geworden war und der junge Emil in seinem Dachzimmer malen, zeichnen und drucken konnte. Trotzdem lugt bei vielen Arbeiten auch Humor hervor, Lebenshunger und ein leise triumphierendes „Hurra, wir leben noch“. Die Kirmes zum Beispiel ist auf einem Linolschnitt von 1948 schwarz vor Menschen, und die Finger, die sich auf einem farbigen Linolschnitt über einem Kanonenofen wärmen, tun dies in recht neckischer Pose. Mit betonter Leichtigkeit und frecher Kombination von bunten Flächen und gegenständlichen Formen können etliche Bilder ihre Herkunft aus der frühen Nierentischzeit nicht verleugnen, aber warum sollten sie auch?

Man sieht, daß er ein brillanter Portraitist war, dessen Zeichnungen einem Kirchner oder Zille zur Ehre gereicht hätten; zum anderen zeigt sich ganz früh schon, insbesondere bei den harten Drucken, der souveräne Flächenkompositeur, als der der Hagener bald schon berühmt wurde.

In den Fünfzigern ging es steil bergauf mit Emil Schumachers Ruhm, waren seine Bilder unter anderem auf Biennalen in Venedig und Sao Paulo sowie auf der Documenta in Kassel zu sehen. Die vorzügliche kleine Hagener Schau mit ihren rund 60 Arbeiten – Eigenbestand und Leihgaben – macht höchst informativ, abwechslungsreich und manchmal auch vergnüglich klar, wie und wo dieses unverwechselbare Oeuvre seinen Anfang nahm.

„Emil Schumacher – 1945 – Wiedersehen in den Trümmern“, Emil Schumacher Museum Hagen, Museumsplatz 1. 22. Februar bis 7. Juni 2015. Geöffnet Dienstag bis Sonntag: 11 – 18 Uhr. Katalog mit Vorwort von Ulrich Schumacher und einem Beitrag von Rouven Lotz, 84 Seiten, 19,90 €. Eintritt 9 €. Tel.: 02331/207-3138. www.esmh.de




Wenn Mythos und Naturkunde sich vereinen – Hamm zeigt Informel-Sammlung Lückeroth als Schenkung

Von Bernd Berke

Hamm. Die Kunst des so genannten „Informel“ findet in Westfalen immer mehr museale Heimstätten: Jene gestisch bestimmte, oft gar nicht so „formlose“ Abstraktion der Nachkriegsjahre hat ihren Hort ohnehin schon in Dortmund und Witten, vielleicht ja irgendwann auch in Hagen (Stichwort: Schumacher-Museum). Und nun reiht sich das Gustav Lübcke-Museum in Hamm noch selbstbewusster als bisher in die Phalanx ein.

Glücklicher Umstand: Das finanziell nicht gerade auf Rosen gebettete Haus hat eine Schenkung mit 164 Bildern erhalten. Sie stammt aus dem Nachlass des Kölner Malers Jupp Lückeroth (1919-1993). Im Brotberuf Mathematiker bei einer Versicherung, hat Lückeroth über Jahrzehnte hinweg durch Tausch oder Kauf Bilder anderer Künstler erworben – aus kollegialer Bewunderung und zur eigenen Inspiration. Lange war die Kollektion im süddeutschen Raum zu sehen, dann gaben passender Eigenbesitz und gute Kontakte den Ausschlag für Hamm.

Kunstrichtung mit weitem Horizont

Jetzt zeigt das Museum ein erstes Konvolut von 103 Bildern des Zuwachses. Man erfährt, wie viele verschiedene Impulse mit dem Etikett „Informel“ versehen worden sind. Die Geburtsjahrgänge der Künstler reichen von 1889 bis 1930, so dass die biographischen Hintergründe ebenso heterogen sind wie Temperamente und Techniken.

Bekannte Namen sind in der Sammlung vertreten: Wols, Emil Schumacher, K. O. Götz, Bernard Schultze, Fred Thieler. Doch es sind auch etliche Künstler dabei, die vom manchmal darwinistischen Markt in die „zweite Reihe“ gestellt wurden, darunter Lückeroth selbst. So bekommt man einen recht breiten Überblick zur Szene, die sich seit Beginn der 50er Jahre vor allem an Rhein und Ruhr gruppierte.

Das Informel ist also ein weites Feld mit großem Deutungs-Horizont. Zuweilen finden sich durchaus noch gegenständliche Elemente, so etwa in Lückeroths „Holzrhythmus“, der farblich und strukturell gleich an Bäume denken lässt. Der studierte Mathematiker und Physiker befasste sich eingehend mit Einsteins Relativitätstheorie oder Entwicklungen wie dem Elektronenmikroskop, das eine ganz neue Sicht auf die Dinge erlaubte.

Zellhaufen und magnetische Felder

Manche Bilder wirken tatsachlich wie Zellhaufen, Zeit-und-Raum-Durchbrüche oder magnetische Kraftfelder. Die Serien der reliefartigen „Wellenbilder“ greifen bei Wattwanderungen entdeckte Spuren im Schlick, Jahresringe im Gehölz oder fossile Abdrücke im Gestein auf. Das Naturkundliche und das Mythische werden hier mitunter eins.

Lückeroth sammelte bevorzugt Bilder von Geistesverwandten, die oftmals im Surrealismus aufbrachen, durch die Passagen des „Informel“ gingen und teilweise bei strenger Geometrie ankamen. Derlei Ausprägungen und Überschreitungen machen die Schau bis ins Detail interessant. Zumeist sind es kleinere „Wohnzimmer-Formate“, in den bescheidenen 50er Jahren noch weithin üblich. Dennoch muss man sich Lückeroths Haus mit all diesen Werken nachträglich als wahre „Bilderhöhle“ vorstellen. Im Museum, aus dem Zusammenhang eines Lebens genommen, hängen die Werke nobel auf Abstand.

„Frühes deutsches Informel – Sammlung Lückeroth“. Hamm, Gustav Lübcke-Museum. Neue Bahnhofstraße 9. Bis 13. März 2005. Geöffnet Di-So 10-19 Uhr.