Corona: Aufregung oder Apokalypse?

Wie soll man das Thema sonst bebildern, als mit dräuenden Wolken? (Foto: Bernd Berke)

Kann sich jemand erinnern, dass jemals derart rigorose Maßnahmen wegen einer Epidemie ergriffen worden sind?

Hat es das in den letzten 50 oder 60 Jahren schon einmal gegeben, dass ganze Städte und Regionen (in China, in Italien und wer weiß wo demnächst noch) so strikt vom Rest der Welt abgeriegelt wurden wie jetzt, dass beispielsweise alle grenzüberschreitenden Züge (vorerst zwischen Österreich und Italien) gestoppt oder Flüge (aus und nach China) verboten werden? Dass Schiffe über Wochen hinweg nicht verlassen werden dürfen? Dass Zigtausende, ja insgesamt Millionen in Quarantäne leben?

Mit der offenbar rapiden Ausbreitung der Corona-Viren haben die – vielleicht schon verspäteten? – Vorsichtsmaßnahmen (und die darob entstehende Panik) offenbar eine neue Eskalationsstufe erreicht. Sind Rinderwahn oder SARS dagegen nur „Vorübungen“ zur Apokalypse gewesen? Welchen Anteil hat die Realität, welchen haben die aufgeregten Medien? Man liest allerdings auch, dass nicht nur die Zahl der Todesopfer, sondern auch schon die Zahl der „Geheilten“ ansteige. Ein Lichtstreif.

Igelt sich bald jedes Land ein?

Oder kann all das noch viel drastischer werden? Doch wohl nicht so wie in jenen schrecklichen Zeiten der Pest, denen eine archäologische und kulturgeschichtliche Ausstellung in Herne (noch bis zum 10. Mai 2020) nachgeht? Als diese Schau eröffnet wurde, hat noch niemand gewusst, was da womöglich auf uns zukommt.

Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie das noch weitergehen mag. Igelt sich bald jedes Land, jede Gegend ein? Woher sollen dann die Nachschublieferungen kommen, seien es medizinische Güter oder Lebensmittel? Die Weltmärkte würden zusammenbrechen, es gäbe eine ökonomische Krise sondergleichen. Schon jetzt knicken die Börsenkurse ein.

Globalisierung und Rassismus

Daraus könnte ein großer, ja schließlich ein weltweiter Versuch werden, ob und wie weit die Globalisierung vorübergehend gebremst werden muss. Und wie selbstverständlich spielt Rassismus auch hier hinein: Schon soll es tätliche Angriffe auf Chinesen in Europa gegeben haben. Es müssen mal wieder Menschen herausgegriffen und als Schuldige „dingfest gemacht“ werden.

Apropos irrationale Umtrieb: In letzter Zeit haben sich – vor allem im ökopolitischen Umfeld – auch sektenartige oder zumindest quasi-religiöse Formationen gebildet. Ist es nur eine wahnwitzige, literarisch induzierte Phantasie, wenn man sich vorstellt, wie wegen der Seuche Menschen durch die Straßen ziehen, sich selbst als sündhaft geißelnd? Wie damals, zu Zeiten der Pest…

Autoritäre vs. demokratische Staaten

Auch treten jetzt autoritär regierte Länder (China, Iran) in einen unfreiwilligen Wettbewerb mit einstweilen demokratisch verfassten Staaten (Italien etc.): Wer wird eine solche Krise besser bewältigen? Wie demokratisch kann es überhaupt zugehen, wenn der Notstand herrscht? Und übrigens: Wie kommt es bloß, dass bisher praktisch in ganz Afrika und Südamerika noch kein Ausbruch der Seuche verzeichnet wird? Liegt es daran, dass man dort nicht so streng registriert und dass man dort überhaupt auch noch einige andere Sorgen hat?

Vom medizinischen (Un)wissen, von der fieberhaften Suche nach Ursachen und Wirkungen ganz zu schweigen. Wo liegen überhaupt die Ursprünge der Seuche, die nunmehr eine Pandemie genannt wird? Wo war der allererste Ansteckungsherd, wie sehen die möglichen tierischen Zwischenwirte aus? Wie lange dauert die Inkubation, wie ist der wahrscheinliche Verlauf, wann klingt die Krankheit wieder ab, wann darf ein Patient als kuriert und „erholt“ gelten? Hängt alles mit China zusammen – oder wird sich erweisen, dass es weitere Ausbruchszentren gibt?

Heldentum der Mediziner

Und weiter: Wie hoch liegt die mutmaßliche Todesrate? Betrifft es wirklich vor allem über 80 Jahre alte oder sonstwie vorher geschwächte Menschen? Zynische Frage: Wären sie vielleicht auch an einer „normalen“ Grippe gestorben, wie denn überhaupt die Grippewellen einer durchschnittlichen Saison rund 25.000 Menschenleben kosten können?

Fragen über Fragen. Und keine ist bisher abschließend geklärt.

Ein zeitgemäßes Heldentum zeigt sich freilich, wenn man den Begriff schon verwenden will: beim ärztlichen Personal, das gleichsam an vorderster Front und unter hohem persönlichen Risiko die mysteriöse Krankheit bekämpft. Darüber hinaus gebührt großer Respekt all jenen, die die Gegenmaßnahmen vernünftig organisieren; den Forschungsteams, die in aller Welt an möglichst wirksamen Gegenmitteln arbeiten. Und so manchen anderen, die wir vergessen haben.

Und nun lasset uns hoffen. Und handeln, so gut es eben geht.




Perfekt, freudlos – das Folkwang-Museum zeigt italienische Malerei der 20er Jahre unter dem Titel „Unheimlich real“

Antonio Donghi: „Donna al caffè – Frau im Café“ von 1931 (Foto: Museum Folkwang / Archivio Fotografico – Fondazione Musei Civici di Venezia / Franzini C.)

Sie lachen nicht. Sie zeigen kaum eine Gefühlsregung. Und wenn doch einmal Leben in den Gesichtern ist, so sind es grimassierende Gaukler wie im Bild „Maschere – Masken“ von Cesare Sofianopulo. Die Ausstellung, die nun bis 13. Januar im Essener Folkwang-Museum zu sehen ist, heißt „Unheimlich real“, und natürlich ist der Titel eine Spiel mit dem umgangssprachlichen Doppelsinn des Wortes.

In der Tat kann einem unheimlich werden zwischen diesen unbeteiligten, teilnahmslosen, jedoch mit großer Meisterschaft und Detailverliebtheit in realistischer Manier auf die Leinwand geworfenen Gestalten. Fehlende Zugewandtheit eint sie, sie ist fast das stärkste Band zwischen ihnen. Atmosphärisch betrachtet reihen sich sogar die Bilder ein, auf denen gar keine Menschen zu sehen sind. Freudlose Zeiten?

Giorgio de Chirico: „Piazza d’Italia (Souvenir d’Italie) – Italienischer Platz (Souvenir aus Italien)“ von 1924-25 (Bild: Museum Folkwang / MART – Archivio Fotografico e Mediateca)

Kunst im Faschismus

In gewisser Weise: ja. 1922 hatte der Faschist Mussolini in Italien die Macht übernommen, die Moderne mit ihrem Hang zur Abstraktion, die es in Italien nie leicht gehabt hatte, schwächelte, Künstler suchten das Konkrete, Gegenständliche, eben das Reale. Es mag durchaus auch sein, daß man bei den Machthabern nicht anecken wollte, wenngleich der „Kunstsinn“ eines Adolf Hitler bei Mussolini, so weit bekannt, keine Entsprechung fand.

Was aber wollte diese Kunst recht eigentlich erzählen? Ich will gerne an dieser Stelle schon, abweichend von den dramaturgischen Usancen des Artikelbaus, bekennen, daß ich eine letztendliche Antwort nicht weiß. Sicherlich wäre es zu kurz gegriffen, in der durchgängigen Freudlosigkeit der Bilder so etwas wie Kritik an den politischen Verhältnissen erkennen zu wollen.

Richtig ist andererseits, daß diese Kunst eine starke formale Rückwärtsgewandtheit prägt, ebenso aber auch, daß surreale Überhöhungen des „Realismo magico“ diesen konservativen Duktus häufig ad absurdum führen. Zu den wenigen auch bei uns bekannten Künstlern dieser Ausstellung gehört Giorgio de Chirico, dessen „Piazza d’Italia (Souvenir d’Italie)“ von 1924/25 mit seinen oft bemühten kompositorischen Elementen wie Säulenfassaden und zentralgestellten Skulpturen vergleichsweise vertraut wirkt.

Cesare Sofianopulo: „Maschere – Masken) von 1930 (Bild: Museum Folkwang / Nicola Eccher)

Fast allegorisch

Häufig setzen kraftvolle Details gleichsam allegorische Akzente, wie im Titelbild der Ausstellung „“Ritratto della moglie sullo sfondo di Venezia – Die Frau des Künstlers vor venezianischer Kulisse“ (1921) von Ubaldo Oppi: Gondeln, Segelschiff und Stadtkulisse sowie ein merkwürdig streng drapierter Vorhang, der auf dem Balkon fast etwas fehl am Platze wirkt. Doch das könnte alles eben auch noch ganz „real“ sein, unzweifelhafte Allegorien wie Cagnaccio di San Pietros „L’alzana – zwei Treidler“ von 1926 bilden eher die Ausnahme. Zwei kräftige Männer ziehen hier ein Schiff, dessen Bug das Bild einer Pietà ziert – kraftvoll mit geballten Fäusten vorwärts strebend der eine, schlaf und einem Gefesselten gleich der andere. Doch arbeitete Cagnaccio di San Pietro auch in anderen Genres, man begegnet ihm mehrfach in dieser Ausstellung, er ist keineswegs so etwas wie ein „konsequenter Allegoriker“.

Ubaldo Oppi: „Ritratto della moglie sullo sfondo di Venezia – Die Frau des Künstlers vor venezianischer Kulisse“ von 1921 (Bild: Museum Folkwang / Carlo Baroni, Rovereto)

Futurismo und Neue Sachlichkeit

Zeitgleich mit der hier ausgestellten italienischen Malerei feierte im Deutschland der 20er Jahre die „Neue Sachlichkeit“ Erfolge, die sich jedoch, schaut man auf die Bilder ihres heutzutage wieder stark nachgefragten Protagonisten Karl Hofer, von der schnöden Wirklichkeit fern hielt und ihr Heil in schmucken, nur sehr ungefähr verorteten Personenarrangements suchte. Eine zeitlich-thematische Abgrenzung zu Marinettis „Futurismus“ findet sich leider nur in den erläuternden Texten am Eingang der Ausstellung.

Es wäre schön gewesen, diese naiv fortschrittsgläubige, dem Faschismus manchmal bedenklich nahe Kunstrichtung, mit der es 1920 ja keineswegs ein Ende hatte, im ästhetischen Vergleich zur ausgestellten „unheimlich realen“ Material zu sehen. Unvergeßlich bleibt in diesem Zusammenhang die große Futurismus-Ausstellung, die der 2007 viel zu früh verstorbene Leiter des Dortmunder Ostwall-Museums Ingo Bartsch 2002 unter dem Titel „Auch wir Maschinen, auch wir mechanisiert“ ausrichtete. Bartsch bemaß die Zeit des italienischen Futurismus von 1915 bis 1945.

Carlo Carrà: „Vasi sul davanzale / Blumentöpfe auf dem Fensterbrett“ von 1923 (Bild: Museum Folkwang / Courtesy Galleria dello Scudo, Verona)

Die Wärter

Viele Portraits, von Frauen zumal, Landschaften, Stilleben – diese in neun Themengruppen sehr ordentlich sortierte Ausstellung ist unbedingt sehenswert und ein Spitzlichtlein im diesjährigen Museumsbetrieb des Reviers, zu dem wir ausnahmsweise auch mal Düsseldorf und Köln zählen wollen.

Wenn nur die Wärter nicht wären, also: diese Museumswärter. Persönliche Umstände brachten es mit sich, daß ich die Ausstellung nicht in der relativ unbeschwerten Atmosphäre eines Presserundgangs erkunden durfte, sondern ganz normal als zahlende Kundschaft. Und als solche mußte ich miterleben, wie ein älterer Herr, der sich ein Bonbon oder ähnliches in den Mund steckte, derb (anders kann man nicht sagen) darauf hingewiesen wurde, daß „das Essen“ in der Ausstellung verboten sei. Kein Essen in Essen also (Brüllwitz). Dunkel meine ich mich zu erinnern, daß das Publikum in früheren Zeiten von der Essener Bewachungsfirma Kötter bewacht wurde, die das sehr viel relaxter machte.

  • Unheimlich real – Italienische Malerei der 1920er Jahre“.
  • Bis 13. Januar 2019. Eintritt 8 €, Katalog im Museum 32 €, im Buchhandel 39,90 €
  • www.museum-folkwang.de



Bevor wir den Rochen kochen, müssen wir ihn erst einmal haben – meine kurze Affäre mit einem Kochbuch à la française

Franzosen, man weiß es, geben im Schnitt deutlich mehr fürs Essen aus, als der gemeine Deutsche. Das wird wohl auch so bleiben, trotz mancher Gourmet-Modewellen diesseits des Rheins.

Da schwimmt ja ein Rochen - aber leider in einem holländischen See-Aquarium. Den darf man natürlich nicht mitnehmen. (Foto: Bernd Berke)

Ah, da schwimmt ja ein Rochen – aber in einem holländischen See-Aquarium. Den darf man natürlich nicht mitnehmen. (Foto: Bernd Berke)

Überdies sind unsere Nachbarn immer wieder für exquisite und – nun ja – auch für etwas abgehobene Kochkünste zu haben, worin sie sich wiederum von den Italienern unterscheiden, die sich nicht halb so viel darauf einbilden, was in ihren Töpfen und Pfannen gedeiht – und die auch nicht so ein zuweilen blasiertes Getue darum machen.

Weltweit das „Einfachste“

Drum hätte ich eigentlich misstrauisch sein sollen, als ich jetzt das in der FAZ-Sonntagszeitung heiß empfohlene Kochbuch des französischen Maître Jean-François Mallet bestellt habe. Zwar nennt es sich vollmundig „Simplissime – Das einfachste Kochbuch der Welt“ und verheißt lauter Rezepte mit jeweils höchstens sechs Zutaten, doch diese haben es fürwahr an und in sich.

Um nur mal eben zwei Zutaten zu nennen, wie sie in diesem Buch typisch sind: Für ein angeblich simples Gericht benötigt man Seeteufelbäckchen, für ein anderes nichts Geringeres als Rochenflügel. Alors!

Immerhin: Rochen reimt sich im Deutschen auf Kochen, doch ansonsten geht’s weniger simpel zu. Nach meinem bescheidenen Verständnis handelt es sich bei den genannten Zutaten um nahezu museumswürdige Raritäten. Geht doch mal los und besorgt das im Supermarkt nebenan – oder auch etwas weiter entfernt. Sofern man nicht gerade mitten in einer (möglichst französischen) Metropole lebt und spezialisierte Markthändler kennt, dürfte es schwerfallen. Na gut, mit etwas Sucherei geht es in Hamburg wohl auch.

Fischbäckchen oder Fischstäbchen?

Dabei fängt das Buch im Vorspann so ermutigend an. Man brauche zum Nachkochen nur die folgenden Utensilien, heißt es: fließendes Wasser, Herd, Kühlschrank, Pfanne, Topf, scharfes Messer, Salz, Pfeffer und Olivenöl. Zugegeben, einen Schneebesen und zwei bis elf andere Sachen benötigt man wohl auch noch. Aber dann kann’s angeblich auch schon losgehen.

Doch die weit überwiegende Mehrzahl der Rezepte ist in unseren Breiten nicht alltagstauglich. Das wird schon beim flüchtigen Durchblättern klar. Also habe ich, was ich eigentlich ungern tue (nicht nur wg. der Ökobilanz), das Buch als Retoure auf den postalischen Rückweg gebracht. Vielleicht gar kein Zufall, dass „retour“ ein französisches Wort ist?

Mag ja sein, dass man sich bestimmte Fischbäckchen und dergleichen demnächst via Frischdienst „just in time“ liefern lassen kann (womit sich die Ökobilanz abermals verschlechtern würde), doch darauf möchte ich mich nicht einlassen. Wie bitte, dann sollte ich doch Fischstäbchen essen? Ich bin imstande und tu’s. Sapristi!




„Bella Italia“ wird zwar behauptet, aber leider nicht gezeigt

Grandiose Erwartungen weckt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum mit seiner Ausstellung „Bella Italia“: Fotos und Gemälde aus den Jahren 1815 bis 1900 bekommt man in abgedunkelten Räumen zu sehen, aber die versprochenen „Bella Italia“-Gefühle kommen nicht auf.

Ostern auf dem Petersplatz um 1870 (Foto aus der Ausstellung)

Was sieht man? Offensichtlich hat der Sammler Dietmar Siegert seine sicherlich wichtige und wertvolle Kollektion alter Fotografien dem Museum für diese Ausstellung angedient, und dort hat man nun um die Bilder herum diese Ausstellung konzipiert. Entsprechend zufällig wirkt die Zusammenstellung, und wer dem Thema angemessene Gemälde in ausreichender Zahl erwartet hatte, der wird mit einigen kleinformatigen Italien-Motiven aus dem Bestand der Wuppertaler Ständigen Ausstellung (oder aus dem Depot) abgespeist.

Die Bilder sind geographisch gehängt, zeigen also Szenen aus dem alpinen Norden über Venedig und Florenz, Rom und Neapel bis Sizilien. Schrifttafeln an den Wänden zitieren zahlreiche deutsche Dichter und andere Italien-Reisenden mit ihren Berichten über das Land und behaupten eine Sehnsuchtslandschaft, die sich in den Fotos nicht wieder finden lässt – allenfalls in den Gemälden spiegelt sich der romantische Anspruch. Auch der Anspruch im Katalog, den Fokus auf „das Italienbild der Deutschen im 19. Jahrhundert“ gelegt zu haben, zeigt sich nur in den Zitaten, nicht in den Exponaten.

Lohnt sich ein Besuch? Eigentlich nur für Freunde und Fachleute der Fotografiegeschichte. Italienfreunde fahren besser selber in das Land.

Bella Italia. Fotografien und Gemälde 1815-1900. Von der Heydt-Museum Wuppertal. Bis 9. September. Eintritt 7 Euro.




Die anderen siegen, ohne zu singen, wir siegen nicht, weil wir nicht singen

Ich hab’s, diverse Politiker haben’s auch, die BILD hat’s und wer hat’s übersehen? WIR konnten ja gar nicht den Titel des Europameisters gewinnen, weil WIR nicht richtig singen können – oder wollen – oder ethnisch so wenig vaterländisch sein mögen, dass WIR zwar Fußball spielen für UNS, also Schland, aber die vaterländische Tradition des kollektiven Chorgesanges nicht mittels Muttermilch in uns aufgenommen haben.

Wutentbrannt stürzten sich bereits vor der schmählichen Niederlage gegen Italien diverse User ganz ohne  Netikette auf Özil, Klose, Kedhira oder Podolski, weil deren Lippen unbewegt blieben, während eine ganze Nation bewegend die Brust schwellen ließ und das weinerliche Singdings vom Inselfelsen Helgoland in jedes sich bietende Wohnzimmer bzw. über jeden sich bietenden Rudelguck-Platz jodelte. Deutschland sucht den Superstar der Hymnen, Schlandlied walle wehrhaft, elf Sänger sollt Ihr sein.

Hingegen intonierten die schwarmintelligenten Mitglieder der Squadra Azzura gläubig ein donnerndes „Italia, Italia“ übers Feld und – gewannen, zumindest gegen die fortgesetzt böswilligen Verschmäher deutschen Hymnengutes.

Also, wir haben’s: Es war nicht die Unfähigkeit eines Trainers, modernen Fußball als siegbringendes Heilmittel zu erkennen, es war nicht die Unfähigkeit vieler Spieler, schnelles, zielgerichtetes Bewegen in Richtung gegnerisches Tor bzw. in Richtung ballführende Spieler als siegbringendes Mittel zu erkennen, es war nicht die seit Jahren siechend humpelnde Fußball-Philosophie in den Vereinen der Republik (einen nehme ich natürlich aus, den großartigen Deutschen Meister), die wieder einmal eine iberische Mannschaft ins Ziel brachte und nicht uns, die wir ja eigentlich dahin gehören. Nein, es war der eklatante Mangel an sängerischer Inbrunst, erzeugt von ganz sicher zu starker germanischer Nichtherkunft einiger Balltreter.

Nun denken (tun die das?) Politiker darüber nach, Singpflicht einzuführen. Damit WIR wieder singend ans Siegen kommen. So einfach kann Fußball sein: Viel Singen, wenig Rennen!

Übrigens, wie machen diese noch viel schwarmintelligenteren Spanier das bloß? Die singen nie. Können sie auch schlecht, weil ihre Ahnen es versäumten, der auch nicht sonderlich anregenden Hymne einen gescheiten Text zu verpassen – so etwa „Spanien, Spanien über alles …“, was in Sachen Fußball ja so weit von der Realität derzeit nicht entfernt wäre. Sie singen nie, sie siegen ständig – das geht doch nicht zusammen, kann den gesangsfördernden Politikern das mal jemand erklären?

Einwurf fürs Team der Antarktis, das nach der EM wieder verstärkt in den Blickpunkt rückt. (Foto: Bernd Berke)

Einwurf fürs Team der Antarktis, das nach der EM wieder verstärkt in den Blickpunkt rückt. (Foto: Bernd Berke)




Piccoli als Papst: Man muss wohl etwas katholisch denken

Ein Film, der mit einer Beerdigung beginnt – das ist normalerweise ein „Tatort“. Bei „Habemus Papam“ wird jedoch ein Papst beerdigt, und zwar Johannes Paul II. Die bekannten Dokumentaraufnahmen führen in einen Spielfilm ein, in dem es um einen fiktiven Papst geht, der von den Kardinälen im Konklave gewählt wird, der sich aber vor der Größe der Aufgabe fürchtet und flieht. „Ein Papst büxt aus“ heißt deshalb in Deutschland der (misslungene) Nebentitel.

Michel Piccoli als Papst. (Foto: Prokino)

Michel Piccoli spielt diesen erwählten alten Kardinal Melville, und natürlich spielt er ihn sehr gut. Das jedoch reicht leider nicht, um die etwas eindimensionale Geschichte über mehr als 100 Minuten zu tragen. Liebe und Sex und Kinder und alle daraus möglicherweise resultierenden Spannungen können bei diesem Thema nicht vorkommen. Da hilft auch der ganz und gar ungläubige Psychoanalytiker nicht weiter, den die Kirchenführer hinzuziehen, und entsprechend zieht sich die Handlung in die Länge. Sicher finden sich einige amüsante Szenen in Nanni Morettis Film, aber eben nur einige.

In Entstehungsland Italien war der Streifen ein großer Kinorenner. Vielleicht, weil die Hauptstadt Rom und der Vatikan eine so herausragende Rolle spielen, aber sicher auch, weil man wohl etwas katholisch denken muss, um uneingeschränkt Gefallen an einem Kirchenthema wie diesem zu finden.




Geschichten vom Herrn Kaum (3)

AUSSPARUNG AUF ITALIENISCH
6. September 2011 / gegen 21 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit

Als Herr Kaum und Frau Kaum-Wenig bei Impruneta kurz auf die Autobahn fuhren, um sie bei Firenze Sud gleich wieder zu verlassen, stockte es vier, fünf Wagen davor beharrlich mit einem – beim wohl anzunehmenden Versuch der Zahlung der Maut.
Kurzerhand sprang da nach einigen wenigen Minuten die Anzeigeampel der Nebenspur auf Grün und alle inzwischen Wartenden fuhren frei und ohne Entgelt durch, selbst wenn sie von weit her, etwa vom Brennero her gekommen wären.




Drastische Szenen – niederländische Malerrebellen im Rom des Barock

Von Bernd Berke

Köln. Daß Nymphen in Flüssen baden, war um 1620 als Gemäldemotiv zur Genüge bekannt. Daß aber das gemeine Volk an die Stelle mythologischer Figuren trat und gar mitten in einer Ideallandschaft am Ufer „dringende Geschäfte“ verrichtete, das war ziemlich neu und schockierend.

Einige lebensfrohe Niederländer waren es, die solche Malsitten im Rom der Barockzeit einführten und von den dortigen Wächtern des akademischen Stils sogleich beschimpft wurden. Die holländischen Kunst-Ketzereien aus der Zeit von 1620 bis 1680 sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu besichtigen.

Hauptfigur der sogenannten „Bamboccianti“ war Pieter van Laer, der in seiner Italien-Zeit einen mehr oder weniger lockeren Kreis von gleichgesinnten Rebellen um sich scharte. Die Sammelbezeichnung „I Bamboccianti“ (etwa: dicke Kinder, Wichte) zeugte von Derbheit, bezog sie sich doch auf den verwachsenen Körper van Laers.

Teilweise drastisch war freilich auch, was van Laer und Kumpanen auf die Leinwand brachten. So malte Michelangelo Cerquozzi, einer von van Laers italienischen Stil- und Geistesverwandten, nicht etwa die Beweinung Christi, sondern (unter Anspielung auf das herkömmliche Bildschema) die Beweinung eines toten Esels durch Bauernvolk. Auch herrscht geradezu diebische Freude an rabiaten und schmerzhaften Vorgängen: Mit Vorliebe werden immer wieder Kurpfuscher beim Zähneziehen auf öffentlichen Plätzen oder auch räuberische Überfälle dargestellt, letztere gelegentlich überdramatisiert und kolportagehaft. Auch körperliche Ausscheidungen scheinen es den „Bamboccianti“ angetan zu haben. Da uriniert schon mal ein Pferd, oder es tauchen – immerhin in diskreten Rückenansichten – Männer auf, die sich an Hinterhofwänden erleichtern.

Interessant und doppelbödig wird die Sache, wenn man bedenkt, daß die Niederländer durchaus im Sinne ihrer heimischen Bildtradition malten, die für einen ganz anderen, weit weniger auf große Gebärden und Repräsentation ausgerichteten Markt stand. Gerade weil sie ihre volkstümlichen Szenen, als sie nach Rom kamen, in italienische Idyllen-Landschaften verpflanzten, und so das „Hohe“ mit .dem „Niederen“, das Bildwürdige mit dem vermeintlich Unwürdigen vermischten, war man ihnen dort gram. Aber auch der Markterfolg, den die Niederländer mit ihren Kleinformaten hatten, dürfte Neid bei den Vertretern der „reinen akademischen Lehre“ ausgelöst haben.

Manche der „Bamboccianti“-Bilder sind zwar mit Könnerschaft und Delikatesse gemalt, doch gar viele leben allein vom (Schock)-Effekt. Vor allem in der „zweiten Generation“ sinkt manches volkstümliche Sujet zur nur noch pittoresken Darstellung von Armut und zum kraftlosen Genre ab.

Außerdem hatte es schon vor den „Bamboccianti“ einen gegeben, der mit harten Licht- und Schatten-Effekten die Schocks im Grunde viel weiter getrieben hatte: Caravaggio (1573-1610). Diesem (unerreichten) Vorbild waren die Niederländer in Rom sichtbar verpflichtet.

„l Bamboccianti“. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (direkt am Bahnhof/Dom). 28. August bis 17. November, di-do 10 bis 20 Uhr, fr-so 10-18 Uhr, Katalog 52DM.




Bewegungs-Bilder aus unterirdischer Endzeit – Pina Bauschs Tanzabend II („Viktor“) uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die Erde ist nur mehr ein „umgestürzter Hafen“; Büchners mächtiges Einsamkeits-Wort aus dem „Woyzeck“ wird gesprochen. Die Bühne für Pina Bauschs „Tanzabend II“ („Viktor“) ist Todesstätte. Oder: Katakomben, Ort des allerletzten Überlebens.

Erdwälle ringsum, meterhohe Aufschüttungen; drei Stunden lang wird von droben Erdreich heruntergeschippt. Begräbnis? Wir Zuschauer – eine imaginäre vierte Erdwand liegt hinter unseren Rücken – sind mit drunten, wo „das Ungeordnete“ geschieht, wo das Unbewußte sich Bahn bricht in Wiederholungs-Ritualen aus Kindheit, Alltag und Wahnsinn. Immer wieder werden autistisch in sich selbst rasende Bewegungsabläufe von Hereinkommenden abgebremst, unterbrochen oder allmählich ruhiggestellt, wie von einem Wachpersonal.

Pina Bauschs Körpertheater, dessen „Sprache“ die Beherrschung des Tanzes voraussetzt, unternimmt, dabei oft über Gebühr sich selbst zitierend, einmal mehr alle Anstrengungen, uns fremdeste, uner-„hörte“ Bewegungs-Bilder vor Augen zu stellen. Auch hier wieder Gesten flüchtigen Begehrens, Entblößungs-Posen der Selbstverliebtheit und sexueller Herrschaftsanmaßung, die in einer Flut von Wiederholungssequenzen ausgestellt werden. Nicht auf eine wörtlich zu fassende „Aussage“, sondern auf die Bildlichkeit selbst kommt es da an. Keine zusammenhängende Geschichte, sondern die Entäußerung untergründig wirkender Bewegungs-Strukturen. Um diese Muster herum öffnen sich für den Zuschauer äußerst weite Assoziationsfelder, öffnet sich verstörende Leere, die sich – wenn überhaupt – erst in Kopf und Bauch des Betrachters füllt, die aber auch hilflos, ratlos und aggressiv machen kann.

Der Beginn (am Ende wird diese Szenenfolge wiederholt, ohne an Geheimnis verloren zu haben): Eine Frau betritt die Bühne, im knallroten Kleid, armlos wie eine antike Statue, sie lächelt „wissend“ und herausfordernd ins Publikum. Ein grelles, unerträgliches Bild, eine wohlkalkulierte „Zumutung“, ärger als eine spätere, ausdrückliche Publikums-Beschimpfung („Haut alle ab!“). Dann Teppiche: in den einen rollt man achtlos eine Frau ein, vor dem zweiten wird ein leblos liegendes Paar getraut. Die Hände werden zum Ringtausch zueinander gezwungen, die Gesichter zwecks Kuß zueinander gebogen.

Überhaupt: Tote, Halblebendige. Da versichert sich einer seines Lebensrestes, indem er – Beckett grüßt – seinen bloßen Atemhauch übers Mikrophon abläßt. Die Endzeit ist da: Zwei Steine wie Scheuklappen haltend, irrt eine Frau über die Bühne, regelmäßig hüstelnd, dann markerschütternd schreiend. Eine andere dient (sie speit Sprudel aus, den man ihr eingeflößt hat) als Waschbrunnen, weitere werden begossen wie Pflanzen. Lebendiger scheinen da jene Dinge, die mehrmals in einem irrwitzigen Vermarktungskreislauf „versteigert“ werden.

Das irritierende Stück mit seinen Bildüberblendungen entstand nach einer Rom-Reise des Ensembles. Gruppen-Prozesse haben da sicher eine Rolle gespielt, die der Zuschauer schwerlich nachvollziehen kann. Vor allem italienische Musik der 30er Jahre, „billig“ kreischend wie in einem drittklassigen Lokal, erfüllt den Raum.