Unterwegs zur gesteigerten Geistigkeit: Jawlensky im Kunstmuseum Bonn – vorerst nur via Internet

Alexej von Jawlensky: „Mädchen mit niedergeschlagenen Augen“, 1912. Öl auf Pappe (Kunstmuseum Bonn/Foto: Reni Hansen)

Ja, geht das denn überhaupt: eine reine Online-Presskonferenz zu einer neuen Ausstellung, in deren Rahmen die Bilder lediglich virtuell gezeigt werden? Probe aufs Exempel: jene Jawlensky-Schau, die jetzt im Kunstmuseum Bonn vorerst nur via Internet zu sehen ist. Womöglich bleibt es auf Monate hinaus bei dieser Beschränkung.

„Alexej von Jawlensky. Gesicht – Landschaft – Stillleben“ lautet der komplette Titel. Die Auswahl umfasst rund 80 Bilder des russischen Künstlers aus den Schaffensphasen zwischen 1901 und 1937. In den letzten Jahren seines Lebens konnte Jawlensky (1864-1941) – wegen einer sich stetig verschlimmernden arthritischen Lähmung – nur noch unter größten Mühen malen und musste die Kunst schließlich ganz aufgeben.

Alexej von Jawlensky: „Murnau – Das Tal“, um 1910. Öl auf Karton. (Privatsammlung Düsseldorf/Foto: Bernd Fickert)

In seiner russischen Heimat hatte Jawlensky mit realistischen Gemälden im Gefolge eines Ilja Repin begonnen. Auch als er 1896 nach Deutschland kam, wirkt seine Malweise noch recht traditionell, Bilder wie „Helene im spanischen Kostüm“ (1901/02) sind noch sichtlich vom Impressionismus inspiriert. Freilich zeigen sich nach und nach auch Einflüsse von Van Gogh, Cézanne, Matisse und der Gruppe „Blauer Reiter“. Der Bonner Kurator und stellvertretende Museumsdirektor Volker Adolphs erblickt etwa in einer Jawlensky-Landschaft dieser Zeit einen „gebändigten Van Gogh“, außerdem Anklänge an Gauguin.

Jawlenskys Malerei wird flächiger und farbstärker, entfernt sich zusehends von Gegenständlichkeit. Ob man nun von Klangfarben oder Farbklängen sprechen will, Jawlensky erweist sich jedenfalls immer deutlicher als „großer Kolorist“ (Adolphs), der die Farbwerte mit geradezu musikalischer Wirkung einzusetzen versteht.

Anfang August 1908 kamen Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin aus München zu einem Malaufenthalt nach Murnau. In Bonn sieht man beispielsweise eine Serie von Jawlenskys späteren Landschaftsbildern aus dem bayerischen Flecken. Es sind einerseits scheue Blicke aus dem Fenster, andererseits ungemein kühne Abstraktionen der Grundelemente des Gesehenen. Der Künstler ist unterwegs zu gesteigerter Innerlichkeit und Geistigkeit.

Alexej von Jawlensky: „Dame mit Fächer“, 1909. Öl auf Karton. (Museum Wiesbaden/Foto: Bernd Fickert)

Großartige Bilder sind (wie gesagt: einstweilen nur online zu betrachten) im Kunstmuseum versammelt, beispielsweise die mondäne „Dame mit Fächer“ (1909), die – selten genug bei Jawlensky – nicht frontal dargestellt wird und im ganzen Duktus an japanische Bildgestaltung erinnert. Das „Stillleben mit Heiligenbild“ (um 1912) wirkt wie ein Altar und verweist aufs spätere Werk, dem zunehmend Spiritualität eignet. Darauf deuten auch kontemplative Arbeiten wie „Mädchen mit niedergeschlagenen Augen“ (1912) voraus. Dieses  Mädchen ist ganz in seine Innenwelt versunken und scheint zugleich Höheres zu schauen.

Derlei Tendenzen streben hin zu den berühmten, unfassbar variantenreichen Serien der U-förmigen Kopfbilder, von denen Jawlensky insgesamt rund 1300 (!) in immer wieder anderen Farb-Kombinationen geschaffen hat. Die fortwährende malerische Meditation mag auf ihre Weise die russische Ikonen-Tradition aufgreifen, ist aber formal entschieden modern. Ein überaus konzentriertes Inbild wie „Der Wissende“ (1936) lässt in einer Gesichtsform alle menschliche Passion, ja einen ganzen Kosmos aufscheinen.

Alexej von Jawlensky: „Abstrakter Kopf: Schicksal“, 1918. Öl auf Karton (Museum Wiesbaden/Foto: Bernd Fickert)

Zurück zur Eingangsfrage: Kann all das in einer Online-Pressekonferenz adäquat gezeigt werden? Natürlich nicht. Man bekam eher eine Art Diaschau zu sehen, weil noch dazu aus den Bonner Ausstellungsräumen wegen fehlender WLAN-Verbindung kein geführter Live-Rundgang übermittelt werden kann. Wie Museums-Intendant Prof. Stephan Berg erläutert, liegt dies an der Baulichkeit des Hauses mit seinem allzu massivem Mauerwerk. Erst kürzlich sei man mit Experten der (in Bonn benachbarten) Telekom durchs Museum gegangen. Auch sie mussten passen. Ohne gründlichen Umbau dürfte sich keine Abhilfe schaffen lassen. Einstweilen wird man sich mit Aufzeichnungen aus den Museumsräumen begnügen müssen.

Und so hoffen (nicht nur) die Museumsleute auf eine mittelfristig mögliche Wiedereröffnung, nach der man der Kunst wieder direkt begegnen kann. Prof. Berg hält dafür, dass die Museen wohl keine Corona-Hotspots sein könnten. Andernfalls müssten ja jetzt, da seit Wochen alle Kunsthäuser und sonstigen Kulturstätten geschlossen sind, die Fallzahlen deutlich gesunken sein…

Alexej von Jawlensky. Gesicht – Landschaft – Stillleben. Kunstmuseum Bonn, Helmut-Kohl-Allee 2. Ausstellung vorerst nur online (Einzelheiten dazu auf der Homepage). Schon jetzt verlängert bis zum 16. Mai 2021. Katalog im Buchhandel 34 Euro, Museumsausgabe 25 Euro.

www.kunstmuseum-bonn.de

  • Die Ausstellung ist in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden entstanden, das über reiche Jawlensky-Bestände verfügt und zum Austausch wichtige Werke von August Macke aus dem Kunstmuseum Bonn zeigt.
  • Die letzte Jawlensky-Einzelausstellung des Bonner Kunstmuseums liegt schon fast 50 Jahre zurück. Sie war 1971 zu sehen.

 




Die Musik der Farben – Bildertausch auf Zeit: Köln zeigt Werke der Gruppe „Blauer Reiter“ aus München

Von Bernd Berke

Köln. Der Presseandrang war gestern nicht ganz so groß, als hätten Bayern München und der 1.FC Köln ihre Kicker ausgetauscht. Doch ein hochkarätiger Bilderwechsel zwischen den beiden Metropolen beschäftigt die Szene schon seit Wochen. Geradezu atemlos wurde jeweils vermeidet, welche Kunstschätze wann, wie, wo und warum auf die Reise gingen.

Nun ist es so weit: Fast 1000 Werke von Pablo Picasso hängen (aus Beständen des Kölner Ludwig Museums kommend) im Münchner Lenbachhaus. Und 65 sonst in München verwahrte Gemälde der legendären Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ sind am Rhein zu sehen. Die Debatte wird nicht so bald verstummen: Offenbart der bloße Tausch schiere Ratlosigkeit, oder ist er kulturpolitisch beispielhaft?

Luftiger präsentiert als am angestammten Ort

Vergleicht man lediglich die Anzahl der Exponate, so muss man argwöhnen: Die Münchner haben die Kölner über den Tisch gezogen, fast wie beim Fingerhakeln. Doch zum Picasso-Konvolut zählen etliche kleinere Papierarbeiten, und außerdem kann man ästhetische Dinge ohnehin nicht aufrechnen.

Was also bietet Köln? Einen ordentlichen Querschnitt durch die Münchner Kollektion. Nicht jeder hiesige Kunstfreund fährt alleweil an die Isar. Was dort an farbigen Wänden hängt, wird in Köln auf keuschem Weiß und mit größeren Zwischenabständen präsentiert. Man kann sich also mehr aufs Einzelwerk konzentrieren als am angestammten Ort.

Such nach dem „Geistigen in der Kunst“

Den größten „Auftritt“ hat Wassily Kandinsky, doch auch Franz Marc, August Macke, Alexej Jawlensky und Gabriele Münter sind prominent vertreten. Münter war es, die 1957 dem Lenbachhaus ihren privaten Kunstbesitz vermachte – bis heute der Löwenanteil der Sammlung.

Die Gruppierung „Blauer Reiter“ war in Bayern verankert. 1908 zogen Kandinsky und seine Gefährtin Gabriele Münter nach Murnau ins Voralpenland. Jawlensky und seine Freundin Marianne von Werefkin gesellten sich hinzu. Kandinsky wurde zur nervös treibenden Kraft bei der Suche nach dem „Geistigen in der Kunst“. Freischwebend wie Musik sollten Farben „erklingen“.

1911 gab es die erste gemeinsame Ausstellung. Als Kandinsky sich 1914 von Munter trennte, zerfiel die Gruppe schon. Auch künstlerisch hatte man sich verschieden entwickelt.

Die stille Sensation ist Gabriele Münter

Bei Kandinsky kann man den Weg von russischen Folklore-Anklängen bis in die Abstraktion verfolgen. Von Marc sieht man postkartenberühmte, kristalline Tierbilder („Der Tiger“), von Jawlensky grelle, dann meditative Köpfe, von Macke jene anmutigen Szenen im Zoo und vorm Hutgeschäft.

Die stille Sensation aber ist: Gabriele Münter! Ihr Gestus bleibt bei allem Neuerungswillen unaufdringlich. Ihre Bilder sind psychologisch durchtränkt und inniglich dingfromm. Keine brachiale, sondern eine sanftmütig lächelnde Avantgarde.

Museum Ludwig, Köln. 13. März bis 27. Juni. Di bis Do und Sa/So 10-18, Fr 11-18 Uhr. Katalog 31 Euro.

 




Glühende Landschaften der Seele – Dortmunder Ostwall-Museum wartet mit betörender Jawlensky-Ausstellung auf

Von Bernd Berke

Dortmund. Psychologen haben allerhand Farb-Therapien entwickelt, mit denen sie ihren Klienten heilsame Gefühle einflößen wollen. Doch die üppigsten Feste der Farbe werden nun mal in der Kunst gefeiert – und eins der schönsten begeht man nun im Dortmunder Ostwall-Museum: 150 Ölgemälde des Alexej von Jawlensky (1864-1941) und rund 30 Werke von Zeitgenossen werden aufgeboten, um die Sinne zu betören.

Museum-Kustos Tayfun Belgin stapelte gestern reichlich tief: Einen „kleinen Beitrag“ zur Jawlensky-Debatte wolle man leisten. Er selbst und die Sponsoren werden wohl wissen, daß sie der Stadt und dem Umland ein Ereignis ersten Ranges beschert haben.

Leidiges Thema seit dem Essener Reinfall mit gefälschten Jawlensky-Aquarellen: Bis zum stichhaltigen Beweis des Gegenteils hält Tayfun Belgin alle in Dortmund gezeigten Bilder für echt, man habe die Herkunftswege geklärt. Generelles Problem allerdings: Jawlensky sei „ein miserabler Buchhalter“ seiner eigenen Produktion gewesen.

Nun aber stracks zum Genuß! Grandios schon der Auftakt im Lichthof des Museums, das übrigens die zweitgrößte Jawlensky-Kollektion Europas aufweist. Hier geht es erst einmal realistisch zu. Man bestaunt opulente Porträts („Maria“, „Hélène im spanischen Kostüm“) aus Jawlenskys Frühwerk. Vergleichsbilder etwa von Ilja Repin und Anders Zorn runden den ersten Eindruck ab: Auch ein Jawlensky hat sich – natürlich – im Horizont seiner Zeit bewegt und sein Schaffen konventionell begonnen.

Meisterliche Behandlung von Farbwerten ist freilich schon erkennbar. Das Haar der „Blondine“ (1894) erstrahlt nahezu überirdisch. Farbe als geistige Erscheinung. Das Streben nach farblicher Harmonie bestimmt Jawlenskys Werk um die Jahrhundertwende. Im „Stilleben mit Samowar“ (1901) erklingen die Tonwerte wie zarte Musik, später wird die Skala kräftiger: Da ergießt sich glühendes Fühlen in ebenso glühende Farben. Außerordentlich die Perspektive im Bild „Schwarzer Tisch“ (1901). Am obersten Rand setzen Blumen und ein Teller sparsame Farbakzente, der Tisch scheint – seines festen Halts beraubt – auf den Betrachter zuzurutschen.

Im Schmerz richtet sich der Blick ganz nach innen

Jawlensky suchte nach einem Stil, mit dem er nicht so sehr die sichtbare Stofflichkeit erfassen, sondern vielmehr in die Innenwelt der Gefühle vordringen konnte. Zeitweise orientierte er sich an Van Gogh (deutlich in Jawlenskys „Stillleben mit Zitrone und Hyazinthe“, 1901) oder an den flirrenden Farbpunkten der Pointillisten. In Dortmund belegt eine Landschaft von Paul Signac diesen Einfluß.

Häufig wiederkehrendes Motiv auf Jawlenskys Landschaften (u. a. aus Murnau) sind jene Wegbiegungen, deren Verläufe wohl immer auch den Lebens-Weg bedeuten: Wege des Innehaltens, Wege der Sehnsucht. Auf dem Bild „Einsamkeit“ ist zwar keine menschliche Figur zu sehen, doch ein Telegrafenmast ragt 1 ganz allein vor einem von fernher leuchtenden Gebirge auf. Schwankende Häuser und Hügel lassen das Erschauern vor Natur und Dingwelt spürbar werden. Es sind Landschaften der Seele.

Die Dortmunder Schau sättigt nicht nur die Lust am Schauen, sie schickt sich überdies an, Fachfragen aufzuwerten. Beispielsweise: War Jawlensky Expressionist? Der direkte Vergleich der Jawlensky-Arbeit „Stilleben mit bunter Decke“ (1910) mit „Die roten Teppiche“ (1906) von Henri Matisse weist jedenfalls in eine andere Richtung.

Die obere Etage ist zum großen Teil den vielfach variierten Kopf-Bildern vorbehalten. Es gibt ganze Serien maskenhafter Häupter mit bannenden Blicken, aber auch kühl und konstruktiv „gebaute“ Köpfe, die gleichwohl träumerischen Ausdruck annehmen können.

Am Ende stehen Einkehr und schmerzliche Abwendung von der Welt: Der bereits schwer erkrankte Jawlensky nannte diese auf Grundlinien reduzierten Antlitze „Meditationen“. Sah man vorher oft beschwörend weit aufgerissene Augen, so sind diese nun stets geschlossen. Im Leid richtet sich der Blick nach innen.

Alexej von Jawlensky – Reisen, Freunde, Wandlungen. Museum am Ostwall, Dortmund. 16. August bis 15. November. Eintritt 13 DM, Katalog 49,80 DM.

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Zweifel an Jawlensky-Bild gesät

Dortmund. (bke) Vor einem halben Jahr hatte das Essener Folkwang-Museum eine Jawlensky-Ausstellung gezeigt, die etliche Fälschungen enthielt. Gestern weckte ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Zweifel an einem Bild, das ab 16.August in der Jawlensky-Schau des Dortmunder Ostwall-Museums zu sehen sein soll.

Es geht um die Arbeit „Heilandsgesicht: Die heilige Stunde – Letztes Schauen“, die aus einer Wiesbadener Privatsammlung nach Dortmund kommt. Hierbei handele es sich, so jedenfalls die FAZ, „um eine offensichtliche, bis hinein in die eigentlich zufällige Ausfransung von Pinselstrichen detailversessene Kopie des allerdings vom Kopisten nicht genau verstandenen“ Jawlensky-Bildes „Heilandsgesicht: Letztes Schauen“.

Ostwall-Kustos Tayfun Belgin, zuständig für die Dortmunder Schau, sagte gestern auf WR-Anfrage, er halte das Bild aus guten Gründen für echt. Jawlensky habe oft Kopien eigener Motive angefertigt und „leider manchmal auch schlechte Bilder“ produziert. Der FAZ-Beitrag erschöpfe sich in Behauptungen und bleibe Beweise schuldig.

(Meldung erschienen 11.8.1998)