Zwischen Pandemie und neuen Perspektiven – die Pläne der Kunsthalle Bielefeld

„Kompromisslos modern“: Jacoba van Heemskerck: „Meer mit Schiffen“, 1915, Öl auf Leinwand (© Kunstmuseum Den Haag)

Mag ja sein, dass es Bielefeld „nicht gibt“, wie Scherzbolde unermüdlich behaupten. Auf jeden Fall aber gibt es die Kunsthalle Bielefeld. Und die bzw. ihr Team hat jetzt per Videokonferenz Pläne für die nähere Zukunft vorgestellt. Eine Essenz: Auch nach der Corona-Pandemie dürfte es dauerhaft mehr digitale Angebote geben als ehedem, beispielsweise Online-Führungen. Und: Mehr als zuvor werden immer mal wieder die eigenen Sammlungsbestände im Blickpunkt stehen.

Die Schweizerin Christina Vegh, erst seit rund einem Jahr als Direktorin des Hauses tätig und noch dabei, die Kollektion in ihrer ganzen Breite und Tiefe kennenzulernen, sieht darin auch für andere Museen eine Zukunftsperspektive. Gewiss werde es weiterhin Wechselausstellungen geben, doch im Sinne einer größeren Nachhaltigkeit und Ressourcen-Schonung werde auch andernorts zunehmend Eigenbesitz in den Vordergrund rücken. Wahrscheinlich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine finanzielle Frage. Derweil sorgt sich Frau Vegh bereits, dass das Medienecho eventuell leiser ausfallen könnte, wenn öfter Kunst aus eigenen Depots ans Tageslicht kommt. Gut möglich, denn die Presse bevorzugt seit jeher meist das Neue und Spektakuläre.

Flexibel genug, um Ausstellungen zu verlängern

Vorerst bleibt, wie alle deutschen Museen, auch die Kunsthalle Bielefeld geschlossen. Zum Glück war der Bielefelder Planungsrahmen so flexibel, dass die eigentlich schon „laufenden“ Ausstellungen bis zum 30. Mai verlängert werden können, darunter Monica Bonvicini mit ihrer Präsentation „Lover’s Material“ und Jeremy Deller mit „Wir haben die Schnauze voll“. Man ahnt hier schon, dass sie in Bielefeld appellative Titel schätzen. Übrigens hat es sich auch in Sachen Flexibilität ausgezahlt, dass mit Christina Vegh eine neue Leiterin angetreten ist: Ihre Planungen seien „noch nicht so zementiert gewesen“, wie sie sagt. Doch natürlich mussten auch Künstler(innen) und Leihgeber mitspielen.

„Lover’s Material“: Monica Bonvicini „In My Hand“, 2019 (© Monica Bonvicini and VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Photo: Jens Ziehe – Courtesy of the Artist and Mitchell-Innes & Nash, New York)

Bis September sollen – ob nun zunächst per Online-Führungen oder möglichst bald leibhaftig –  Jeff Walls künstlerische Statements zum Themenkreis Denkmal und Sockel zu sehen sein. Sie nehmen u. a. direkten Bezug auf Auguste Rodins „Denker“, dessen Bielefelder Sockelplatz freilich noch für einige Zeit vielsagend leer bleibt, weil die Skulptur noch auf Reisen ist. Unterdessen wurden Menschen im Raum Bielefeld via Medien gebeten, sich Gedanken übers Denken und den Denker zu machen. Das eingesandte Material wird noch gesichtet und dann ausgebreitet. Termin zum Vormerken: Am 17. März um 18 Uhr unserer Zeit wird Jeff Wall in einem live gestreamten Künstlergespräch den Ansatz seiner „Interventionen“ näher erläutern. Er wird aus Vancouver (Kanada) zugeschaltet. (Anmeldung beim Mitarbeiter Matthias Albrecht / siehe dazu den Link zur Homepage am Schluss dieses Beitrags).

Klassische Moderne – nicht nur aus den Niederlanden

Und was wird sich im Sommer 2021 zutragen? Ab 19. Juni und bis zum 5. September werden Werke der niederländischen Künstlerin Jacoba van Heemskerck (1876-1923) gezeigt, die Überschrift lautet ganz entschieden: „Kompromisslos modern“. Heemskerck war im frühen 20. Jahrhundert in Berlin präsent, und zwar in Herwarth Waldens „Sturm“-Galerie, die 1912 im Gefolge der legendären Zeitschrift „Der Sturm“ (seit 1910) gegründet wurde. Ausgehend vom Pointillismus, eignete sie sich das kubistische und expressionistische Formvokabular an und gelangte schließlich zu kunsthandwerklichen Glasarbeiten. Beeinflusst von anthroposophischem Gedankengut, erstrebte sie eine „höhere Geistigkeit“, die in häufig wiederholten Motiven (Bäume, Segelschiffe) zum Ausdruck kommt. Die Schau setzt die Reihe über Künstlerinnen der Klassischen Moderne fort, die u. a. mit Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp begonnen hatte.

Zeitgleich zur Heemskerck-Retrospektive gibt es einen dazu passenden Einblick in die Bielefelder Sammlung: „Wir waren im Sturm“ versammelt Werke von Künstlern, die just zum erweiterten Kreis um den erwähnten Herwarth Walden zählten, beispielsweise Heinrich Campendonk, Marc Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Paul Klee, August Macke und Gabriele Münter.

Ebenfalls für die Zeit vom 19. Juni bis zum 5. September vorgesehen sind John Millers Erkundungen zum Thema „Öffentlichkeit/Gegenöffentlichkeit“. Miller entwirft und konstruiert fotografisch bzw. filmisch festgehaltene Situationen, die von beigegebenen Texten dementiert werden – zuweilen durch Behauptung des schieren Gegenteils dessen, was zu sehen ist – womöglich eine fruchtbare Irritation, die vielfach im Stile von PowerPoint-Präsentationen erfolgt. Letzten Endes geht es auch darum, Widersprüche und Gegenmeinungen auszuhalten. Fürwahr kein geringes Thema in diesen gespaltenen Zeiten.

An Beuys kommt heuer niemand vorbei

Ab Herbst (9. Oktober 2021 bis 9. Januar 2022) schließt sich wieder eine dieser knackig betitelten Ausstellungen an: „Köpfe, Küsse, Kämpfe“ heißt die Werkschau von Nicole Eisenman aus New York, die vorwiegend aus zeichnerischen und malerischen Arbeiten bestehen und über zwei Etagen ausgebreitet werden soll. Angekündigt wird die künstlerische Sondierung künftiger Lebensmodelle, die – dem Zeitgeist entsprechend – zumal feministische und queere Anschauungen aufgreifen wird.

Schließlich noch Joseph Beuys, dem heuer alle Kunstwelt huldigt, denn er ist im Mai vor 100 Jahren geboren worden. Schelmische Titelfrage: „Beuys war nie in Bielefeld?!“ Nun ja. Ab 9. Oktober 2021 (und bis 9. Januar 2022) soll jedenfalls seine gigantische Baumpflanzaktion „7000 Eichen“ rückblickend gewürdigt werden, die zwar vor allem in Kassel, aber anno 1985 eben auch in Bielefeld ein paar Spuren hinterlassen hat. Also muss es Bielefeld wohl doch geben.

Kunsthalle Bielefeld. Artur-Ladebeck-Straße 5. Vorerst weiterhin geschlossen. Online: www.kunsthalle-bielefeld.de




Düsseldorfer K21: Parkett saniert, Kunst neu sortiert

Türen neu, Parkett saniert, Technik repariert: Die Handwerker waren fleißig im Düsseldorfer K21, dem zeitgenössischen Teil der Kunstsammlung NRW.

Wiedereröffnung des K21 in Düsseldorf: Installations-Ansicht mit Werken von Jeff Wall und Rosemarie Trockel. (Foto: Achim Kukulies / © Kunstsammlung NRW)

Wiedereröffnung des K21 in Düsseldorf: Installations-Ansicht mit Werken von Jeff Wall und Rosemarie Trockel. (Foto: Achim Kukulies / © Kunstsammlung NRW)

Auch die beliebte Kletterinstallation „in orbit“ von Tomás Saraceno – Abenteuerspielplatz für Schöngeister – musste gewartet werden. Drei Wochen blieb das alte Ständehaus hinterm Schwanenspiegel geschlossen. Direktorin Susanne Gaensheimer nutzte die Zeit, um ein festes Team zu installieren und die Kunst frisch aufzumischen. Die Sammlungsräume sehen mal wieder anders aus, ein Besuch lohnt sich.

Eintritt frei heißt es im ersten Stock. Das ist allerdings nicht so sensationell, denn es gibt wenig zu entdecken außer Sammelkartons und Alt-Videos aus dem Archiv der legendären Düsseldorfer Avantgarde-Galerie Fischer. In einem rot ausgelegten und schräg bestuhlten Veranstaltungsraum mit dem Titel „Salon21“ darf der Besucher sich ausruhen oder lesen. Das machen wir aber lieber später bei einem Kaffee in der neu und praktisch möblierten Museumsbar Pardo’s, wo nur das Blubberblasen-Muster der Tapete noch darauf hinweist, dass das Ganze mal eine Rauminstallation von Jorge Pardo war.

Dicke Hosen mit Holzwolle

Wer mehr erleben will, zahlt zwölf Euro und steigt empor in den zweiten Stock, auch „Bel Étage“ genannt. Hier gibt es bis Januar eine kleine Sonderausstellung jener amerikanischen Konzeptkünstlerin, die sich das männliche Pseudonym Lutz Bacher zugelegt hat und ihre eigene Identität schon seit den 1970er-Jahren erfolgreich verbirgt. Die Szene schweigt sich aus, denn das Geheimnis gehört zur Show, die in diesem Fall nach einem Song von Tina Turner benannt ist: „What’s Love Got to Do With It“.

Was Liebe damit zu tun hat? Keine Ahnung. Wie die junge Kuratorin Beatrice Hilke erklärt, ist Bachers Werk sehr heterogen, also uneinheitlich. Durchgängig sei nur ihr „Interesse an Strategien der Aneignung“. Soll heißen: Lutz Bacher benutzt Vorgefundenes und macht es nicht ohne Witz zu ihrer Kunst: Konsumartikel, Handy-Videos, Notizzettel zum Beispiel. Die vergrößerte und verzerrte Unterschrift von Donald Trump hat sie zu einer Art Wandfries ausdrucken lassen. Drei Säle sind damit bestückt – und mit Holzwolle und Glitzerfolienstreifen ausgestreut. Was an den Schuhen kleben bleibt, kann weg. Stehen bleiben sollen 21 mit „Las Vegas“ bedruckte und mit Holzwolle ausgestopfte Schlafanzughosen („Vegas Pants“). Dicke Hosen ohne Inhalt. Verstehe.

Von draußen dröhnt Orgelgebraus: Bachs Toccata in d-Moll, von Lutz Bacher bei einem Konzert in New York mit dem Smartphone aufgenommen, samt Nebengeräuschen. Beherzt geklaut, wird der Klassiker nun als eigenes Soundwerk im Treppenhaus von K21 präsentiert: „Music in the Castle of Heaven“, Musik im Himmelsschloss. Jedenfalls nicht zu überhören.

Großer Geist im Treppenhaus

So beschallt döst keiner, der weitergeht zu den Sammlungsräumen. Zehn von 13 Mini-Ausstellungen wurden neu gestaltet. Dabei sind skurrile Kombinationen entstanden wie Rosemarie Trockels dunkle Wollbilder „My Phantasy“, ein aus der Wand ragendes Wachsbein mit Socken und Herrenschuh von Robert Gober und Jeff Walls Leuchtfotografie von zwei Mädchen am unheimlichen „Abfluss“ im Wald. Überhaupt gibt es von Wall, dem Meister der irritierenden Bilderzählung, einige interessante Arbeiten im K21. Schön, sie wiederzusehen.

Im Treppenhaus steht jetzt einer von Thomas Schüttes „Großen Geistern“ aus Gussstahl und bewacht den Eingang zum dritten Stock. Schüttes große „Bronze-Frau“ von 2001 liegt still in ihrer zerstückelten Pracht vor drei Regalen mit kleinen „Ceramic Sketches“. In einer anderen Raumfolge weist eine geschunden aussehende Gipsfigur des tabulosen amerikanischen Performers Paul McCarthy den Weg zu einem Video von Marina Abramović, die sich 1975 unter dem Motto „Art is beautiful“ (Kunst ist schön) die Haare bis weit über die Schmerzgrenze mit stählernem Gerät gekämmt und gebürstet hatte. „Einige Werke in diesen Räumen könnten möglicherweise verstörend wirken“, heißt der Warnhinweis an der Tür.

Magisches Schattenspiel

Jugendfrei sind hingegen die liebevollen Installationen von Hans-Peter Feldmann, der mit allerlei sich drehendem Trödelkram ein magisches „Schattenspiel“ geschaffen hat. Vier große Frauenköpfe, die Feldmann nach berühmten Bildnissen hat kopieren lassen, amüsieren den Betrachter mit ihren unerklärlichen Blicken. Weiterhin wurden sachliche Fotografien des Becher-Schülers Thomas Ruff kombiniert mit den für uns rätselhaften Bilderfunden von Akram Zaatari von der Arab Image Foundation, der die Direktorin Gaensheimer im letzten Herbst eine Ausstellung gewidmet hatte. Für den westlichen Blick ebenso fremd, aber faszinierend sind die „Cabaret Crusade“-Trickfilme des ägyptischen Künstlers Wael Shawky. Mit zauberhaften, gläsern wirkenden Marionetten vor surrealen Kulissen erzählt Shawky die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Sicht.

Das ist originell, aber man weiß nicht, ob das Publikum davon so gebannt sein wird wie das „Audience“ auf Thomas Struths gleichnamiger Serie von Großfotografien, die im Flur hängen. Eine Sonderausstellung der angesagten chinesischen Multimedia-Künstlerin Cao Fei soll im Herbst für Spannung sorgen.

Info: Nach Sanierungs- und Umbauarbeiten ist das K21 in Düsseldorf an der Ständehausstraße 1 jetzt wieder für das Publikum geöffnet: Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Neben neu sortierten Sammlungsräumen ist im zweiten Stock eine Ausstellung der US-Konzeptkünstlerin Lutz Bacher zu sehen: „What’s Love Got to Do With It“ (bis 6. Januar). Eintritt: 12 Euro. www.kunstsammlung.de