Bleierne Zeit im Museums-Bunker – Kunsthalle Recklinghausen zeigt Arbeiten von Joachim Bandau

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Auch dies ist ein Weg, die Skulptur vom hehren Sockel zu holen: Wenn man sie einfach auf Rollen setzt und damit signalisiert, dass dies alles jederzeit ins Gleiten geraten könnte.

Joachim Bandau (1936 in Köln geboren) hat seit den bewegten späten 60er Jahren solche im Prinzip mobilen Plastiken gefertigt. Doch sein Werk umfasst auch hermetische, gleichsam still in sich gekehrte und starr wirkende Fügungen aus Blei und Stahl.

Einen Querschnitt durch derlei Vielfalt dokumentiert jetzt mit einer „Gegenüberstellung“ (Untertitel) von Skulpturen und Schwarz-Aquarellen die Bandau-Retrospektive in der Kunsthalle Recklinghausen. Gerade dieser Weltkriegs-Bunkerbau am Bahnhof ist ein passendes Gehäuse für des Künstlers strenge Bunker-Bilder aus den späten 70er Jahren. Sie leiten sich nicht nur aus der fortwährenden Kriegsangst Bandaus her (als Kind durchlitt er schreckliche Bombennächte in Kellern), sondern vermitteln wohl auch etwas von der mulmigen Gefühlslage jener „bleiernen Zeit“ des RAF-Terrorismus um 1977. Man mag da an Hochsicherheitstrakte denken, vielleicht auch an gefährliche Reaktoren. Die Blätter evozieren diese Themen niemals direkt, sondern beschwören eine schwer lastende Atmosphäre von stumpfer Angst und allseitiger Verschlossenheit mit rein künstlerischen Mitteln.

Überhaupt verfährt Bandau nach tradierten Regeln der Kunst: Mit Bodenplastiken erkundete er in immer neuen, sehr exakten Ansätzen Maßverhältnisse, Gewichtungen, Masse und Volumen, Freisetzungen und Einschlüsse. Die Oxidation von Stahl und Blei verleiht diesen beharrlichen Studien allmählich eine ganz eigene Patina und Würde.

Kalkulierte Verzerrung der Körperlichkeit

Bandau, der in Aachen lebt und lange in Münster als Kunstprofessor gewirkt hat, kann höchst triftig über seine Materialien, so auch über Papiersorten und deren Qualitäten dozieren. Jedes Papier habe eine Hauptrichtung des Verlaufs, daran müsse man sich beim Farbauftrag halten, sonst fließe alles ungeregelt umher. Richtung? Ja, man merke dies, wenn man eine Zeitung längs oder quer zerreiße; das eine gehe mit glatten Kanten vonstatten, das andere nur mit Fetzen (bitte nicht gleich mit diesem WR-Exmplar ausprobieren).

Es ist, als habe Bandau die „Seelen“ des Bleis oder der Bütten gesucht und gefunden. Aufs Blei kam er übrigens rein assoziativ, vom Bleistift (Graphit) her, wie er denn überhaupt – aller Expertenschaft und Exaktheit zum Trotz – die Lust am Zufall und am Experiment nie verloren hat. So ergeben sich auch Effekte, die ihn selbst überraschen: Einst zeichnete er mit Tee- und Kaffee-Extrakten. Mit der Zeit sind diese Bilder gelblich geworden, als stammten sie aus ganz ferner Vergangenheit.

Seine rollbaren Skulpturen werden, als originelle Ausprägungen der Pop-Art, neuerdings wieder eingehender gewürdigt. Die teilweise leicht grotesken Klon-Gebilde zwischen Menschenkörper und Maschinenwelt wirken (manchmal an der Grenze zur Komik) ein wenig bedrohlich, sie greifen ins Surreale aus. Man erschrickt über die kalkulierten Verzerrungen und Auswüchse des Figürlichen. Diese oft kabinenförmigen Gestelle sehen aus wie überdimensionierte Spielzeuge aus einer mutierten Welt oder wie technisches Rüstzeug einer absurden Klinik. Dass sie auf Rollen daherkommen, deutet auf etwaige Mobilität hin. Doch diese Objekte sind so abweisend gepanzert, als wollten sie nie mehr vom Fleck.

Joachim Bandau: „Gegenüberstellung“. Kunsthalle Recklinghausen. Bis 18. November, Di- So 10-18 Uhr. Kataloge: Skulpturen 42 DM, Aquarelle 25 DM.




Inseln der Kunst im Sauerland – Rundfahrt zu aktuellen Ausstellungen in Arnsberg, Lüdenscheid und Schwerte

Von Bernd Berke

Arnsberg/Lüdenscheid/Schwerte. Sage niemand, daß es im Sauerland keine interessanten Ausstellungen gebe. Nur sind hier die zeitlichen und örtlichen Zwischenräume etwas größer als im Ruhrgebiet oder gar in Köln. In Südwestfalen sind es eben Inseln der Kunst. Ein paar Beispiele:

Der rührige Kunstverein Arnsberg, beflügelt auch von der Konkurrenz durch die mäzenatisch betriebene Stadtgalerie im nahen Sundern, zeigt derzeit großformatige Bilder des in Köln lebenden Klaus G. Gaida (geb. 1950). Der Ausstellungstitel „Erdrandbewohner“ bezieht sich selbstverständlich nicht aufs Sauerland, sondern auf Feuerland. Dort hat der Forscher Martin Gusinde um 1918 Sitten und Gebräuche eines bald darauf (durch Masern) ausgestorbenen Indianervolkes fotografisch festgehalten. Diese Dokumente dienten Gaida als Vorlagen. Man sieht phantastische Wesen wie von anderen Sternen, zu strengen Haltungen erstarrte Rituale der Geisterbeschwörung.

Ritual wie beim Fußballteam

Nach striktem Farbschema hat der Künstler diesen so ganz eigenen Menschen-Kosmos mit Kalkfarben und Sand-„Nestern“ auf Textilunterlagen gebannt. Als Mitteleuropäer sucht man nach vertrauten Mustern – und meint eines gefunden zu haben, wenn man z. B. eine Indianer-Gruppe aufgestellt sieht wie eine Fußballelf zum Meisterschaftsfoto. Doch damit sitzen wir bereits dem vorgeprägten Blick auf, den deutsche Fotograf arrangiert hat und den Gaida weitergibt. Vertraute Form, höchst fremdartiger Inhalt – eine irritierende Wechselwirkung.

Weiter geht’s: nach Lüdenscheid. Fast 60 Kilometer sind es von Arnsberg aus über die kurvige B 229. Lüdenscheid kann mit dem schmucken Städtischen Museum, der Stadtgalerie und dem Kulturzentrum schon als Sammelpunkt gelten. Für Kontinuität und Konzepte bürgt Uwe Obier, der jetzt Arbeiten des Lüdenscheiders Heinz Richter (geb. 1924 in Berlin) präsentiert. Die Schau beschließt eine geschichtlich zentrierte Erinnerungs-Trilogie. Der Titel („Steinzeit“) lässt sich beziehen auf kriegerische Ausbrüche, die immer wieder vorzeitlich anmuten. In redlicher Absicht, doch gelegentlich allzu plakativ, warnt Richter vor Neonazis und einer schrecklichen Wiederkunft von „Stalingrad“, wobei er auch auf Skizzen zurückgreift, die er nach dem 2. Weltkrieg angefertigt hat. Besonders im Gefolge des Golfkrieges (1991) hat ihn das Kriegsthema gepackt.

Bekenntnisse auf einem Tuch

Da fordert er auch schon mal flammende Bekenntnisse gegen Gewalt ein, die der Besucher in einer Flügelaltar-Installation per Unterschrift auf einem langen Tuch bekunden soll. Andererseits taucht Richter auf Farbwolken-Bildern in unbewußte oder mythische Regionen und findet mit Metall-Durchbrüchen innigere Bilder der Gewalt.

Einige hundert Meter weiter befindet sich jene Galerie Friebe, die die rigorosen Jury-Maßstäbe der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“ erfüllt. Hier sind nun Arbeiten des renommierten Münsteraner Kunstprofessors Joachim Bandau (geb. 1936) zu sehen. Es ist eine sparsam, jedoch überlegt getroffene Auswahl. Die kleinen Wandplastiken aus patiniertem Blei oder Kupfer, in rhythmischer Folge angebracht, offenbaren ihre formalen Qualitäten bei geduldiger Betrachtung. Ähnliches gilt für die „Schwarz-Aquarelle“, die unaufdringlich mit sanften Überlagerungen, Übergängen und Schattierungen spielen.

In Richtung Dortmund empfiehlt sich ein Abstecher nach Schwerte, dem – je nach Blickrichtung – Vorposten des Reviers oder des Sauerlands. Auch der dortige Kunstverein genießt überregionalen Ruf.

Schichten der Erinnerung

Im stattlichen neuen Domizil zeigt man gegenstandsfreie Bilder des Belgiers Ivan Popovic. Die Auswahl umfaßt vor allem eine Serie von „Mauerbildern“. Diese sind schichtweise aufgebaut und ähneln Hauswänden oder eben Mauerstücken, von denen der Putz abgeplatzt ist wie nach einer großen Regenzeit. Die Verwitterung legt dem Betrachter Erinnerung an Vergangenes nahe. Zuweilen eincollagierte alte Briefe mit nicht mehr gebräuchlichen Schriften verbreitern diesen Zugangsweg. Doch auch der frisch-kalkige Duft der Bilder lenkt die Wahrnehmung. Subtile Kunst im Spannungsfeld von Graffiti und politischen Mauerstürzen.

  • Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24: Klaus G. Gaida „Erdrandbewohner“. Bis 12. März. Mi.-Fr. 17-19. So. 11-13 Uhr (Tel.: [029 31] 2 11 22).
  • Museen der Stadt Lüdenscheid, Sauerfelder Str. 14: Heinz Richter „Steinzeit“. Bis 26. Februar. Di-So 11-18 Uhr. [023 51] 17 14 96).
  • Galerie Friebe. Lüdenscheid, Parkstraße 54. Joachim Bandau. Bis 10. März. Mo.-Fr.10-12 und 16-18 Uhr. Tel.: [02351] 3 89 24).
  • Kunstverein Schwerte, Kötterbachstraße 2. Ivan Popovic. Bis 3. März. Di.-Fr. 16-19 Uhr [02304] 22175).