Westfalens Städte anno dazumal – Münster zeigt historische Darstellungen

Von Bernd Berke

Münster. Im Spätmittelalter war Westfalen offenbar tiefste Provinz: Leute aus Nürnberg, die für die „Schedelsche Weltchronik“ auch deutsche Städteansichten sammelten, machten sich im Jahr 1493 gar nicht erst die Mühe der Anreise, sondern zeichneten ein ungefähres Konglomerat aus Kirchen und Burgen, schrieben „Westfalen“ über diesen Allgemeinplatz – und fertig war die Laube.

Wie sich die westfälischen Ortsansichten hingegen bis 1900 zu immer ausgiebigerer Detailfreude entwickelten, zeigt jetzt die Ausstellung „Westfalia Picta“ im Westfälischen Landesmuseum zu Münster (bis 3. Mai). Die Zusammenstellung von rund 180 „Ortsporträts“ zeigt gleichsam nur die Spitze des Eisbergs, ging sie doch aus einem zehnjährigen Projekt gleichen Namens hervor, in dessen Verlauf das kleine Team von Dr. Jochen Luckhardt rund 7500 Illustrationen dokumentieren konnte. Die Ausstellung soll auch „Appetithappen“ für die Buchreihe „Westfalia Picta“ bieten, in der bis 1991 sämtliche vorgefundenen Stadtbilder publiziert werden sollen. Der erste Band liegt seit Dezember 1986 vor.

In erlesenen Beispielen (Gemälde, Graphik, Pläne) aus allen westfälischen Landstrichen zeichnet die Münsteraner Schau die historische Entwicklung nach: Wurden Ortsansichten zunächst vor allem erstellt, um Rechtsunsicherheiten zu klären (Grenzmarkierungen), so dienten sie im Barock eher der selbstbewußten Repräsentation einer mittlerweile gefestigten Adelsherrschaft. Im 18. Jahrhundert stand dann, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, oftmals das Naturerlebnis in Form von Stadt-Idyllen im Vordergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Darstellungen wirklich verläßlich, was schließlich zu einer fast schon photographischen Genauigkeit führt. Vorher konnte es beispielsweise geschehen, daß Kirchen im religiösen Eifer stark vergrößert dargestellt wurden oder daß man – der ästhetischen Wirkung wegen – ganze Straßenzüge vertauschte.

In den Bereich des Kitsches reichen manche Exponate einer Kuriosa-Abteilung der Ausstellung. Hier findet man zum Beispiel Bilder von Hamm (in einem gläsernen Guckkasten), von der historischen Dortmunder Femlinde (auf einem Becher von 1842) sowie Orts-Silhouetten auf Krügen, Pfeifen und Porzellangeschirr. Nicht all diese Dinge sind ganz harmlos: Eine Tabaksdose mit dem Hermannsdenkmal als Etikett deutet auf den aufkommenden Nationalismus aggressiver Spielart hin.

Dokumentation, Ausstellung und Buchreihe haben auch praktischen Nutzen: Die alten Ortsansichten geben neue Aufschlüsse über die Baugeschichte Westfalens. In Einzelfällen konnten sie auch schon Denkmalschützern bei der Rekonstruktion historischer Häuser und Ensembles weiterhelfen.




Westfälische Ortsansichten sogar in New York gefunden – Alte Stadtsilhouetten erscheinen in zehn Bänden

Von Bernd Berke

Im Westen. Im Museum von Växjo (Mittelschweden) gibt es ein Bild, das einen „Bärentanz“ zeigt. Im Hintergrund, kaum zu glauben, machten Kundige das Rathaus von Minden/Westfalen aus. Auf solch entlegene Fundstücke kann man stoßen, wenn man seit 1976 landauf, landab nach alten westfälischen Stadtansichten gefahndet hat, wie im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) geschehen und nun mit einem ersten Band (Olpe/Hochsauerlandkreis) zur Veröffentlichungsreife gebracht.

Allein in Westfalens Gefilden mußte das kleine Team unter Leitung von Dr. Jochen Luckhardt 70 000 km an Dienstreisen absolvieren, um den Bildern „detektivisch“ auf die Spur zu kommen. 340 einschlägig bestückte Sammlungen wurden für „Westfalia Picta“ (Projektname) aufgetan, darunter viele (bis dato gar nicht erschlossene) Privat-Kollektionen. Nicht nur innerhalb der Landesgrenzen wurde man fündig, sondern z. B. auch in New York und Lissabon.

Rund 7500 westfälische Stadtansichten aus der Zeit zwischen dem 15. Jahrhundert und dem Jahr 1900 sind zusammengekommen. Sie werden 10 üppige Bände füllen, die nach und nach im Bielefelder Westfalen-Verlag erscheinen (je Band 98 DM). Nur Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein können bislang ähnliche Fleißarbeiten aufweisen.

Strikte Regel bei der Forschungsarbeit war es, möglichst immer an die Originale heranzukommen, um besser die Spreu von Weizen trennen zu können (und beispielsweise verfälschende Nachzeichnungen auszusondern).

Dortmund gehört zu den Städten, die am frühesten (um 1470) im Ansichtsbild festgehalten wurden – kein Wunder bei einer traditionsreichen ehemaligen Freien Reichsstadt. Von anderen Revierstädten wie etwa Gelsenkirchen gibt es hingegen erst nach 1800 Darstellungen. Vorher war Gelsenkirchen nur ein Dorf und seine Silhouette galt als nicht „bildwürdig“. Südwestfälische Ortschaften reizten die Künstler vergleichsweise früh zur Darstellung.

Neben zahllosen Gemälden, Stichen, Aquarellen und Graphiken gab es auch kuriose Ortsansichten, so etwa einen dreidimensionalen, im Vordergrund mit echten Baumblättern gefüllten Guckkasten mit dem Stadtbild von Hamm oder – typische, nirgendwo sonst vorgefundene Eigenart – Drahtgeflechte (Raumteiler) aus Hohenlimburg, in die auf kunstvolle Weise Ansichten der Stadt eingearbeitet wurden. Pfeifenköpfe, Porzellan, Gläser, Vasen – kaum ein Gegenstand, auf dem westfälische Städte nicht verewigt wurden.

Und so geht’s – nach der gestrigen Buchpremiere über Olpe und das Hochsauerland – weiter: 1987 erscheinen die Bände über den Ennepe-RuhrKreis, den Märkischen Kreis und Hagen (Band 2), über den Kreis Siegen-Wittgenstein (Band 3), über Unna und Hamm (Band 4). Es folgen Ostwestfalen und das Münsterland. Ganz zum Schluß, anno 1991, sind mit Band 10 die Revierstädte an der Reihe. Die Reihenfolge hat ihren Grund: Projektleiter Luckhardt stammt aus Gevelsberg und wollte mit Südwestfalen beginnen, weil er sich dort am besten auskennt.