Wässeriger Humor-Transfer: Gilbert & Sullivans „Piraten von Penzance“ als biederer Operetten-Jux

Joslyn Rechter als Queen Elizabeth in der Wuppertaler Inszenierung von Gilbert & Sullivans „The Pirates of Penzance“. (Foto: Jens Großmann)

In der englischen Architektur gibt es seit dem 18. Jahrhundert die sogenannten follies, exzentrische, aber nutzlose Bauwerke. Sie ziehen den Blick auf sich und werfen Fragen auf, die sie nie beantworten.

Als eine solche „folly“ in musikalischer Form ließe sich auch William Schwenck Gilberts „The Pirates of Penzance“ begreifen: Literarisch perfekt gezirkelter Nonsens, kongenial in Musik gefasst von Arthur Sullivan. Eine der schimmernden Perlen des musikalischen Unterhaltungstheaters, deren Glanz auch nach 140 Jahren noch nicht ermattet ist.

Wer Gilbert & Sullivans „Piraten“ mit gesundem Menschenverstand oder gar Maßstäben dramatischer Logik auslotet, wird sich unausweichlich vermessen. So etwas gibt es im imaginären Penzance von 1879 nicht. Das Städtchen in Cornwall, damals schon direkt von London Paddington aus mit dem Zug erreichbar und entsprechend touristisch geflutet, verdankt nicht zuletzt dem ziselierten Unsinn der Operette seinen Ruf.

Was also anfangen mit einem 21jährigen Jungpiraten, der wegen seines schwerhörigen Kinderfräuleins statt zum „pilot“ (Lotse) zum „pirate“ ausgebildet wird und diesen Irrtum als „Sklave der Pflicht“ geduldig durchzieht? Was will uns ein „modellhaft moderner“ Generalmajor sagen, der sich auf nächtlichem Friedhof wegen einer Sünde gegen seine mit einem neuen Landsitz zusammen eingekauften Ahnen grämt? Und was sollen Piraten, die das hehre Prinzip pflegen, jedes Waisenkind von ihrem blutrünstigen Geschäft zu verschonen, daher beim Stichwort „orphan“ in friedliche Starre verfallen und folglich erfolglos bleiben?

Nur das Gelächter löst alle Fragen

Großes Pech, mit Pflichtgefühl getragen: Frederic (Sangmin Jeon) wird durch einen Hörfehler seines Kindermädchens Ruth (Joslyn Rechter) statt ein ehrenwerter Lotse („pilot“) ein anrüchiger Pirat. In der deutschen Version kommt er statt auf eine „Privat“-Schule in die Lehre als „Pirat“. (Foto: Jens Großmann)

Die Lösung könnte dem Vorbild der „folly“ in der Architektur entsprechen: Man nehme das Bauwerk ernst und stelle es in die Landschaft, „als ob“ es seriös gemeint sei. Nur so bietet es dem Fragenden Grund zum Anstoß und erlöst die Ratlosigkeit durch Gelächter. Bei der Wuppertaler Premiere der „Piraten von Penzance“ ist das nicht gelungen – und das liegt nicht am spezifischen englischen Humor; sondern daran, dass Regisseur Cusch Jung aus dem Material von Gilbert & Sullivan einen biederen Klamauk formt, der – wie in seinen Arbeiten an der Musikalischen Komödie Leipzig zu besichtigen – mit der deutsch-österreichischen Operette vielleicht gerade noch funktioniert, mit dem grotesk aufgezäumten Blödsinn der Briten aber ebenso wenig fertig wird wie mit der Ironie Jacques Offenbachs.

Dabei haben die Piraten auf der düster-dunstigen Bühne von Beate Zoff in ihren an die „Pirates of the Caribbean“ erinnernden Kostümen zunächst einen fulminanten Auftritt. Aber schon die dauerkreischende Töchterschar des Generalmajors gleitet ab in die Niederungen der Konfektionskomik, die sich dann – begleitet von stummen Nichtreaktionen der Zuschauer – auch in der Charakterzeichnung der Figuren durchsetzt. Ob der von seinem unbedingten Pflichtgefühl gebeutelte Piratenlehrling Frederic, der allzu trottelige Generalmajor, die kaum mehr als weinerliche Gouvernante Ruth oder der reaktionsarme Polizeisergeant mit seiner in hübschen weißen Gamaschen tanzenden Bobby-Truppe: Sie alle überwinden die komisch intendierte, aber nur harmlose Vordergründigkeit nicht.

Die Queen als rosa Übermutter der Nation

Es ist hoch anzuerkennen, wenn ein Regisseur Operette erzählen möchte, ohne sie mit gezwungener Konzept-Gewalt zu verbiegen. Aber gerade bei satirischen, mit zeitgenössischen Anspielungen operierenden Werken bedarf es einer Übersetzung. Die 1879 gesellschaftlich selbstverständlichen Voraussetzungen wären, soll der Humor gerettet werden, in treffenden aktuellen Analogien neu zu lesen. Cusch Jung ist das nur am Ende geglückt: Gilbert & Sullivan huldigen im Finale mit einer absurden Wendung der damaligen Übermutter der Nation, Queen Victoria. Sie zitieren damit den längst überholten Operntrick vom „deus ex machina“ und nehmen schlitzohrig aufs Korn, wie die Monarchie ideologisch zur Überbrückung kaum vereinbarer Gegensätze eingesetzt wurde. Die quietschrosa Elizabeth II., die Jung auftreten lässt, setzt diese Aspekte gegenwärtig und sorgt überdies mit putzigen Anspielungen für die längst fälligen Lacher. Dass die Piraten einem Einfall gelangweilter, blaublütiger Oberhaus-Mitglieder entstammen, geht allerdings im Geflöte der Bühnen-Queen (Joslyn Rechter) beinahe unter. Ein „höchst kurioses Paradox“.

So viele hübsche Mädchen auf einmal! Da werden auch hartgesottene Seeräuber schwach (Opernchor der Bühnen Wuppertal). (Foto: Jens Großmann)

Musikalisch hat der ehrgeizige Arthur Sullivan, der eigentlich lieber ein seriöser Opernkomponist geworden wäre (und auch solche Versuche hinterlassen hat), melodischen Esprit und solides Handwerk zu bieten. Er operiert vergnüglich mit rhythmischem Elan á la Auber und Offenbach, lässt die kurzen Noten mit den Silben der Wörter stolpern, was eine adäquate deutsche Übersetzung des englischen Textes ziemlich unmöglich macht, treibt das „very model of a modern major-general“ mit seinen rhythmisch ratternden Worthackschnitzeln nach der Art italienischer Plapperarien in ein aberwitziges Tempo. Bei den lyrischen Szenen mit ihrer geschmeidig-schmeichelnden Melodik denkt man an die leuchtende Transparenz eines Adolphe Adam, aber auch an Mendelssohn und an den leider vergessenen Erfolg „The Bohemian Girl“ des Iren Michael William Balfe.

Herzerweichender Belcanto und trocken gestricheltes Staccato

Johannes Witt und das Sinfonieorchester Wuppertal setzen das alles ansprechend und adrett um, finden den Ton der herzerweichenden Pseudo-Dramatik aus der Belcanto-Oper ebenso wie trocken hingestrichelte Staccato-Passagen. Warum aber ausgerechnet die Ouvertüre ein Kürzungsopfer werden musste – der schräge Piraten-Marsch wird so zur musikalischen Fußnote – und wozu man eine Bearbeitung (von William Shaw) spielt, erschließt sich nicht.

Die Solisten tun sich manchmal schwer, denn auch in der neuen deutschen Übersetzung von Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting sind die Wortsalven nicht einfacher abzufeuern als im englischen Original. Überraschend gut macht das Sangmin Jeon, der als Frederic sein naives Pflichtbewusstsein auch mit einem klaren und präsenten Tenor unterstreichen kann. Simon Stricker hat als Generalmajor eine komische Paraderolle, die er aber als bommelmütziger Trottel eher nach bieder deutscher als nach hintergründig englischer Art ausgestalten muss.

Ralitsa Ralinova ist als Mabel die stimmlich am prominentesten ausgestattete unter den Töchtern des hohen Offiziers: Während die Damen des Chores allerliebst übers Wetter schnattern, darf sie ihrem auserwählten Frederic amouröse Avancen in leuchtend lyrischen Kantilenen entgegenbringen. Sebastian Campione ist ein mit Bart wie Stimme eindrucksvoll ausgestatteter Piratenkönig, der mit Yisae Choi als Polizeisergeant keinen ernsthaften Gegenspieler hat. Oleh Lebedyev (Samuel) und Joslyn Rechter als altersdiskriminierte Ruth mit vergeblichen erotischen Erwartungen an ihren Schützling Frederic hätten in der entsprechenden Regie sicher noch einiges an Potential zuzulegen. Am Ende überwog der Eindruck, dass der Transfer von Humor aus der Musikalischen Komödie Leipzig, wo die Produktion 2016 Premiere hatte, ins Tal der Wupper so recht nicht geklappt hat. An Gilbert & Sullivans „folly“, das sei versichert, liegt`s nicht!

Weitere Vorstellungen: 6. Februar, 19. März, 29. April, 14. Mai, 12. und 25. Juni 2022. Info: https://www.oper-wuppertal.de/oper/programm/detailansicht-auffuehrung/auffuehrung/14-05-2022-die-piraten/




Das Eis der Adria: Winterliche „Nacht in Venedig“ als konsequente Erneuerung der Operette am Aalto-Theater Essen

Wie nähert man sich, nach einer Generation langsamen Erstickens der Operetten-Tradition, diesem Genre des Musiktheaters heute? Noch dazu einer „Nacht in Venedig“ von Johann Strauß, die mit ihren harmlos-heiteren Verwechslungsmaskeraden nicht zu den besten Libretti von Friedrich Zell und Richard Genée gehört?

Auf dünnem Eis: Elbenita Kajtazi (Annina) und Caramello (Albrecht Kludszuweit) im winterlichen Venedig im Aalto-Theater. Foto: Jörg Landsberg

Auf dünnem Eis: Elbenita Kajtazi (Annina) und Caramello (Albrecht Kludszuweit) im winterlichen Venedig im Aalto-Theater. Foto: Jörg Landsberg

Das Aalto-Theater hat sich nach verflixten sieben Jahren der Enthaltsamkeit entschlossen, für die erste Operetten-Neuproduktion der Intendanz Hein Mulders auf einen local hero zu setzen. Man verpflichtete Bruno Klimek, Professor für szenische Ausbildung im Studiengang Gesang/Musiktheater an der Folkwang Universität der Künste.

Das Ergebnis war zu erwarten: Klimek macht mit seinem Bühnenbildner Jens Kilian und der kreativen Kostümfrau Tanja Liebermann die gute alte Operette nackt. Er streift ihr den bunten Karnevalsdress ab, reißt ihr die mondänen Ballroben vom Leibe und schält sie aus den folkloristischen Fischermädchenkleidchen. Aber mehr noch: Er entblößt sie von den veralteten Sentenzen Zells und Genées, schreibt die Dialoge quasi alle neu, greift vereinzelt auch in die Gesangstexte ein. Manchmal verfehlt er den Stil: Dass Herrn Delaqua, seines Zeichens Senator der Serenissima, etwas „glatt am Arsch vorbei“ geht, ist ein gutes Stück zu pöbelhaft als Ersatz für Wiener Wortwitz.

Niente Carnevale!

Die Entscheidung greift tief ein, ist aber gut begründbar: Klimeks gereimte Pointen sind – wie die alten Albernheiten auch – Geschmackssache, aber sie sitzen und sie kommen auch an. Das Publikum bricht selten in offene Heiterkeit aus, schmunzelt aber doch über manche Pointe. Vor allem kann Klimek so die Konstellation der Figuren schärfen: Die Mädels Annina und Ciboletta sind nicht mehr die koketten Dummchen, sondern profilieren sich über die überlebenswichtige Fischhandels- und Zofen-Schläue hinaus als selbstbewusste weibliche Wesen. Sie lassen sich von den Herren der Schöpfung nichts sagen. Sie spielen ihr eigenes Spiel und schauen auf ihr eigenes Vergnügen.

"Frutti di Mare!" bietet Elbenita Kajtazi alias Annina feil. Foto: Jörg Landsberg

„Frutti di Mare!“ bietet Elbenita Kajtazi alias Annina feil. Foto: Jörg Landsberg

Niente Commedia dell’arte, niente Carnevale: Tanja Liebermann verordnet der Schaulust Askese, wo sie das Historisch-Dekorative suchen will. Schon als Christina Clark, alias Ciboletta, aufgeregt vor dem geschlossenen Vorhang herumstöckelt, wissen wir: Ihr gelbes Ölzeug eignet sich vor allem zum Schutz, wenn sich ostfriesische Himmelsfluten nach südlich der Alpen verlagern und „aqua alta“ droht. Öffnet sich der Vorhang, erleben wir, dass auch in Venedig zur Karnevalszeit Winter herrscht: Es schneit, die Menschen haben Mäntel an, zittern, frieren, rutschen auf Glatteis aus.

Dass es dabei schmerzhafte Stürze geben kann, macht Martijn Cornet als Pappacoda bewusst. Der Arme ist Neapolitaner und mit venezianischen Klimafallen nicht vertraut. Und je mehr billigen Korbflaschenwein er in sich hineinschüttet, desto heftiger kommt er zu Fall. Liebermann hat ihn mit fischgrätengemusterter Hose, Sakko, Schal, Scheiter und Brille ausstaffiert wie einen Dramaturgen der siebziger Jahre – wäre da nicht der Riesentopf mit, nun ja, Spaghetti drin. Klimek lässt die Figur immer weiter in Slapstick abgleiten. Das funktioniert nicht; auch das Publikum nimmt die traurige Show regungslos hin.

Lustvoll ausgestellte Klischees

Dekor spielt in Klimeks Inszenierung eine Rolle, wenn er nämlich ganz Venedig dazu erklärt: Jens Kilian hat in den Hintergrund der weiträumigen Aalto-Bühne ein Spielzeug-Venedig gebaut, an dem sich in regelmäßigen Abständen riesige Kreuzfahrtschiffe vorbeischieben. Dass die Miniatur-Palazzi wackeln und von einem Bühnenarbeiter (Hans-Günter Papirnik) immer wieder zurechtgerückt werden müssen, dass sie schließlich komplett zusammenstürzen, ist mehr als eine Anspielung auf die aktuelle Debatte um die Schäden, die diese Riesenpötte an der historischen Bausubstanz verursachen. Klimek entlarvt, dass es gar nicht um Venedig geht – die Stadt ist für die geschätzt 30 Millionen jährlicher Touristen eben vor allem eine Dekoration für schöne Tage.

So stellt die Regie Klischees in Frage – oder stellt sie lustvoll aus, bis sie überdreht in sich zusammenbrechen. In der fast schon mathematisch choreografierten Exposition des ersten Akts rast regelmäßig eine kreischende Weiberhorde über die Bühne: „Er“ wird erwartet, der Herzog, der Macho, dem alle weiblichen Wesen gern und willig zu Füßen liegen. Teenie-Starkult mit reifen Damen, das ist erst witzig, dann nervig. Aber so ist es kalkuliert.

Natürlich werden die Erwartungen enttäuscht: Eine riesige Gangway herab schreitet nicht der Herzog, sondern stolpern die ganz „normalen“ Männer, etwa Caramello, der Leibbarbier des Herzogs. Albrecht Kludszuweit gestaltet diese Rolle mit dem Hintergrund eines operettenerfahrenen Sängers und Darstellers, der noch dazu die Höhenbrillanz und den Sinn für Phrasierung hat, um Schlager wie „Komm in die Gondel“ zu blitzenden musikalischen Sternen zu veredeln.

Die Herrlichkeit des Gockels ist in wenigen Sekunden vorbei

Als dann der tolle Mann endlich eintrifft, ist der Auftritt eine unspektakuläre Enttäuschung für die Ladies. Dennoch reißen sie Dmitry Ivanchey erst mal die Kleider vom Leib, so dass aus der schillernden Adriano-Celentano-Figur ein Normalo in biedern Boxershorts wird, raffen ihre Beute und eilen von hinnen. Die Dekonstruktion der „Gockelherrlichkeit“, wie es Klimek im Programmheft nennt, vollzieht sich in wenigen Sekunden. Ivanchey singt sein „Der Mond hat schwere Klag‘ erhoben“ zwar dynamisch differenziert, aber ohne Charme und Schmelz – da fehlt die Erfahrung mit dem Idiom der Operette.

Auf der weiten, klar strukturierten und mit stimmungsvollen Symbolbildern gestalteten Bühne treibt die muntere Handlung immer weiter ins Absurde. Am Ende des zweiten Aktes schiebt sich der Chor des Aalto-Theaters – dem es spürbar schwer fällt, die Leichtigkeit der Darstellung, wie sie die Operette braucht, zu realisieren – in verblichenen Ballkleidern und aufgetürmten Frisuren aus der Zeit des Endes der Serenissima aus dem Hintergrund. „Karneval ruft zum Ball, der ist Souverän“ wird zum Totentanz, die Gesellschaft bricht auf dünnem Eis ein und versinkt.

Gespenster-Karneval der Vergangenheit: Der Opernchor des Aalto-Theaters. Foto: Jörg Landsberg

Gespenster-Karneval der Vergangenheit: Der Opernchor des Aalto-Theaters. Foto: Jörg Landsberg

Der dritte Akt verschärft die Groteske, wenn im Nebel nur noch Namen gerufen werden und Karel Martin Ludvik, der während der zweidreiviertel Stunden ständig seine Frau sucht, vollends zum wiedergängerischen Gespenst wird. Der zügel- und regellose Karneval wird zum verwirrten Endspiel, in dem einsame Menschen im Dunkel jede Orientierung verlieren. Und die Lösung? Die ist so angeklebt wie (fast) jedes Operetten-Happy-End: Man verabredet sich zum nächsten Karneval!

Luxus-Besetzung in der Fassung von Erich Wolfgang Korngold

Liebestraum im Winter: Liliana de Sousa (Barbara) und Carl Bruchhäuser (Enrico Piselli). Foto: Jörg Landsberg

Liebestraum im Winter: Liliana de Sousa (Barbara) und Carl Bruchhäuser (Enrico Piselli). Foto: Jörg Landsberg

Das Aalto-Theater Essen spielt die Fassung von Erich Wolfgang Korngold. Kapellmeister Johannes Witt lässt mit den Essener Philharmonikern die farbige, klangsinnliche Instrumentierung leuchten und zeigt sich – als versierter Dirigent im Ballett – vor allem mit Gespür für rhythmische Finessen. Wo Strauß auf Marschmusik setzt, ist Witt in seinem Element, wo er die flexible Agogik des Walzers freilassen sollte, reagiert er zu akkurat. Die Streicher sind in der Balance des Klangbilds leicht unterbelichtet, das Schlagzeug trumpft zu sehr auf. Aber Strauß‘ Operette ist ja auch in Berlin uraufgeführt worden – so ist ein preußisch-zackig aufgeputztes Venedig, das ein wenig nach Paul Lincke klingt, vielleicht gar nicht so unangebracht.

Die Besetzung am Aalto ist luxuriös – es zahlt sich eben aus, wenn ein Theater sorgfältige Ensemblepflege betreibt. Elbenita Kajtazi (Annina) turnt mit Luftballons in Fisch- und Krustentierform durch den Zuschauerraum auf die Bühne und preist ihre „frutti di mare“ mit einem Sopran an, der so frisch ist, wie der Meeresfang sein sollte. Die hoffnungsvolle Sängerin wechselt im Sommer an die Hamburgische Staatsoper, wo sie in Robert Schumanns Faust-Szenen debütiert. Kürzlich hat die gebürtige Kosovarin den Publikums- und den Dritten Preis im ersten Glyndebourne Opera Cup gewonnen

Christina Clarks Silberstimme ist seit Jahren eine Stütze des Musiktheaters, auch als Ciboletta setzt sie kratzbürstigen Charme und gewitzte Schläue als Lockmittel und Waffe ein. Liliana de Sousa hat eine wunderschöne Einlage zu singen und wertet mit ihrer cremigen Stimme die Rolle der Barbara auf, die sonst nur mit ihrem „Neffen“ Enrico, dem jungenhaften Carl Bruchhäuser, auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen für eine Liebesnacht ist. Peter Holthausen und Karl-Ludwig Wissmann bilden mit Karel Martin Ludvik das Trio der soignierten Senatoren, die vergeblich versuchen, ihre Frauen im Zaum zu halten – keine Chance: Marie-Helen Joël und Susanne Stotmeister wissen ihnen zu entkommen.

Die Frage, wie man heute Operette macht, hat das Aalto-Theater jedenfalls mit einer mutigen Inszenierung für sich entschieden: Keine billige Aktualisierung, sondern konsequente Erneuerung.

Die nächsten Vorstellungen: 7./10./16./21./29. Juni, 11./13. Juli, Wiederaufnahme am 14. September. Info: www.theater-essen.de