Eifersucht und Seelenschmerz: Diana Damrau und Jonas Kaufmann mit Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“ in Essen

Diana Damrau und Jonas Kaufman in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Diana Damrau und Jonas Kaufman in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Die Bühne lässt sie nicht los. Auch nicht, wenn es um einen umfangreichen Zyklus von Liedern geht, dem „Italienischen Liederbuch“ Hugo Wolfs. Eben noch beschreibt der jugendliche Liebhaber, was er in der Gewitternacht draußen vor der Tür erdulden musste, da fragt die Angebetete genervt: „Wer rief dich denn? Wer hat dich herbestellt?“ und schickt ihn gleich weg „zu dem Liebchen, das dir mehr gefällt“. Diana Damrau und Jonas Kaufmann machen daraus eine kleine Szene, mit Augenrollen und Schmollemund, Flehensgeste und Abweisung.

Die beiden Star-Sänger, die auf ihrer Tournee mit Hugo Wolf in der Philharmonie Essen Station machten, wollen das szenische, darstellerische Element nicht missen. Damit die Zwiegespräche einer eifersüchtigen Liebe funktionieren, kombinieren sie die 46 vertonten poetischen Miniaturen des kultivierten, im München des fin de siècle zur Berühmtheit gewordenen Schriftstellers Paul Heyse in einer neuen Abfolge. Abwechselnd von Frau und Mann gesungen, entstehen so kleine Beziehungs-Szenen, schwärmerische und schnippische Dialoge, aber auch Momente des Hochgefühls, des Sehnens, der Bitterkeit und der Kränkung.

Das Konzert war wohl eher wegen der glamourösen Namen als wegen der Zuneigung zu Hugo Wolfs feinsinniger Kunst bis auf den letzten Platz ausgebucht. Eingekesselt von Zuhörern sogar auf der Bühne, lassen sich die beiden Profis dennoch nicht beirren: Diana Damrau fasst den Sinn der Worte in vielfältig variierten Klang, als sie erklärt, dass auch „kleine Dinge uns entzücken können“. Das Timbre der gefeierten „Traviata“, der passionierten „Lucia di Lammermoor“ ist satt und leuchtend, der Ton entfaltet sich frei und ungezwungen, die Worte werden musikalisch nuanciert ausgedeutet: Damrau kann mit koketten Färbungen spielen, wenn sie ihrem Partner auf dem Podium an den Kopf wirft, sie sei verliebt, „doch eben nicht in dich“. Aber sie trifft eben auch sehnsüchtige Untertöne, die pubertäre Hilflosigkeit des jungen Mädchens und manchen leisen Moment der Trauer.

Ein Touch von Theater

Die vielen Schattierungen zwischen halblaut und zärtlich leise gelingen auch Jonas Kaufmann: Nach belegtem Beginn und ein paar Schleiern auf der Stimme gibt er sich hymnisch entzückt über die von Gott geschaffene Schönheit, bejubelt „hohen Reiz und Zauber“, zeigt sich betrübt über den Zorn der Angebeteten, bockig, versöhnungswillig, verschmitzt, leichtfüßig und gespielt pathetisch.

Kaufmann setzt sein dunkles Timbre ein, wenn er die Stimmung von „Heut Nacht erhob ich mich um Mitternacht“ musikalisch zeichnet; er drückt die Zärtlichkeit der mühsam gezähmten Leidenschaft im „Wenn du mich mit den Augen streifst“ mit verhaltenem Mezzoforte aus; er reduziert den Klang in äußerster Delikatesse, wenn er bekennt: „Ich sterbe lieblich, sterb‘ ich deinetwegen“. Das alles hat einen Touch von Theater – der aber der Poesie der Lieder keinen Abbruch tut.

Ein Wunder für sich ist Helmut Deutsch am Flügel: Er hält mit leichtem Tonfall das Opernhafte in Grenzen, gestaltet die Wortgefechte mit diskretem Humor aus, zaubert dunkle, unheimliche, grotesk hysterische, leuchtend lyrische Farben dahin, dass es eine pure Wonne ist. Das ist Tiefe, im Leichten entdeckt.




Heldentenor auf Operettenkurs: Jonas Kaufmanns Debüt im Konzerthaus Dortmund

Jonas_Kaufmann. Foto: GregorHohenberg/SonyClassical

Jonas Kaufmann. Foto: GregorHohenberg/SonyClassical

Es ist sein Debüt. Doch Jonas Kaufmann kommt nicht als strahlender Wagner-Held oder schmachtender Verdi-Tenor. Vielmehr bedient er hier, im Dortmunder Konzerthaus, das Fach der Nostalgie. Mit Arien des oft totgesagten Genres Operette und mit Filmschlagern der Jahre 1905 bis 1934, allesamt bekannte Evergreens und deshalb so recht nach dem Geschmack des Publikums im prallvollen Saal.

Kaufmann braucht keine Aufwärmphase. „Freunde, das Leben ist lebenswert“ schmettert er uns gleich zu Beginn entgegen, als gelte es, nicht Lehár, sondern Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ zu interpretieren. Die kraftvollen Höhen seiner Stimme, die er gewissermaßen aus der Hüfte feuert, leuchten in allem Glanz. Das überrascht umso mehr, weil der Sänger doch ein ausgesprochen baritonal gefärbtes Timbre hat.

Doch für Kaufmann ist das kein Problem. Ohne Ansatz singt er die tenoralen Höhepunkte heraus. Andererseits weiß der Sänger die dunklen Farben weidlich für sich zu nutzen, sei es markant, etwa in Richard Taubers „Du bist die Welt für mich“, oder als balsamische Grundierung, wie in Lehárs „Gern hab ich die Frau’n geküsst“. Dass er hin und wieder kleine Schluchzer einbaut, ist eine verzeihliche Manier.

Gleichwohl bleiben Fragen. Die nach der dynamischen Balance etwa, weil das Münchner Rundfunkorchester und Dirigent Jochen Rieder es nicht nur bei Ouvertüren und Zwischenspielen ordentlich krachen lassen, sondern auch den Sänger gern zudecken. Kaufmanns schönstes Legato und gewissenhafteste Diktion garantieren deshalb nur bedingt Textverständlichkeit.

Daraus aber ergibt sich die Frage nach der  Authentizität. Denn oft fehlt diesen Operettenschmankerln Leichtigkeit, Charme, Esprit. Und wenn Kaufmann die in vielen Stücken geforderten, halblauten Höhen ausmalt, wirkt die Stimme bisweilen angeraut. Ein Heldentenor, der sich offenbar nicht ganz wohlfühlt im neu gewählten Genre.

Plötzlich aber geschieht Außerordentliches: Die Ouvertüre zu Lehárs „Land des Lächelns“ leuchtet beim Spiel des Münchner Orchesters in schönsten Farben, die Dynamik ist ausgewogen, der Klang transparent. Und wenn dann Jonas Kaufmann „Dein ist mein ganzes Herz“ zelebriert und eben mit allem Herzblut beschwörend heraussingt, ist das Publikum ganz aus dem Häuschen. Und die Operette – ja, sie lebt.

(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst in der WAZ erschienen.)