Hier rätselhaft, dort Leidenschaft: Die Rheinoper würdigt Alexander Zemlinsky

Schwertkampf von hohem Abstraktionsgrad: "Eine florentinische Tragödie" mit Corby Welch, Jana Vuletic, Anoosha Golesorkhi. Foto: Hans-Jörg Michel

Schwertkampf von hohem Abstraktionsgrad: „Eine florentinische Tragödie“ mit Corby Welch, Jana Vuletic, Anoosha Golesorkhi. Foto: Hans Jörg Michel

Wir wissen nicht viel über das Ehepaar B. und S., sehen immerhin, dass sie schon mal ins Kino gehen. Da sitzen die beiden dann, im roten Sessel, erste Reihe. Sie wie in sich selbst gefangen, vom Gatten ein wenig abgerückt, der sich großspurig mit Popkorneimer in den Sessel gedrückt hat. Ein grober Klotz, ein verängstigtes Weibchen? Nun ja.

Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, dass die holde Gattin sanft entschlummert und sich dabei träumend in ihre Innenwelt verkriecht, um eine Geschichte zu imaginieren, die da heißt „Eine florentinische Tragödie“. Nur wer lesen kann im Rheinopern-Programm, ist klar im Vorteil.  Der unbedarfte Zuschauer aber blickt in Düsseldorf auf eine surrealistische, bunte, sonderbare Bebilderung eines Stückes, das doch eigentlich einen Psychothriller darstellt. Erdichtet von Oscar Wilde, in exaltierte, rauschhafte Musik gegossen von Alexander Zemlinsky.

Sich dieses Komponisten anzunehmen, ist grundsätzlich ein Verdienst. Seine Opern hatten ihre Zeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Gefolge des Verismo. Zemlinsky war ein exzellenter Klangfarbenzauberkünstler, liebte das Ornament, bisweilen die expressive Schärfe, nicht zuletzt eine offene Harmonik auf dem Weg zur Abschaffung der Tonalität. Von den Nazis ins New Yorker Exil getrieben, glänzte sein Stern nur kurz. Erst Ende der 70er Jahre begann eine zögerliche Zemlinsky-Renaissance.

Wenn also die Deutsche Oper am Rhein eben jene „Florentinische Tragödie“ auf die Bühne bringt, in Koppelung mit „Der Zwerg“, ist das alle Aufmerksamkeit wert.  Wenn aber die Regisseurin Barbara Klimo die Dreiecksgeschichte zwischen den Eheleuten Bianca (B.) und Simone (S.) sowie dem Liebhaber Guido Bardi kaum als Kammerspiel, vielmehr als belangloses Nebeneinander inszeniert, wächst die Enttäuschung mit jedem Takt. Die Traumsequenzen, das durch einen Harlekin geleitete Spiel im Spiel, wirken so beliebig wie grotesk. Nun, wir kennen zwar skurrile, irreale Träume. Dass wir indes irgendwie verändert, gar geläutert aus solcherart Schlaf erwachen, scheint allzu unsinnig.

„Die Florentinische Tragödie“ mag kein Schocker sein wie Richard Strauss’ Einakter „Salome“, verträgt deshalb gewiss Distanz vom Opulenten. Doch die aufgeladene psychologische Situation – der Gatte kommt nach Haus und findet einen Fremden bei seiner Frau – verdient eben mehr als die zwanghafte Bebilderung fast jedes Wortes, jeder Geste. Selbst die Zweckentfremdung Magrittescher Motive, die sich Ausstatterin Veronika Stemberger leistet, wirkt da nur befremdend. Dass Kaufmann Simone den Unbekannten, der sich als Fürstensohn entpuppt, einlullt, ihn durch allerlei Gerede perfide in den Bann zieht und zu einem scherzhaften Duell treibt, das für den Liebhaber tödlich endet, entbehrt in Düsseldorf jeder Spannung.

Und dies, obwohl doch die Symphoniker unter Jonathan Darlington die Musik überaus exzessiv aufleuchten lassen, ja sie klanglich und dynamisch bisweilen ins Extrem treiben. Die Sänger indes befinden sich in einer Zwickmühle. Sie müssen spielen ohne Entäußerung, aber zumeist forciert singen, um gegen die orchestrale Macht anzukommen. Kein Leichtes für Corby Welch (Guido Bardi), Anooshah Golesorkhi (Simone) und Janja Vuletic (Bianca).

Neugier und Furcht: Der Zwerg (Raymond Very) wird ausgepackt. Foto: Hans-Joerg Michel

Neugier und Furcht: Der Zwerg (Raymond Very) wird ausgepackt. Foto: Hans Jörg Michel

Wie anders hingegen „Der Zwerg“. Wo eben noch Ratlosigkeit herrschte, ist nun Staunen angesagt. Wir rücken an die Stuhlkante, lauschen der in ihrer Textur leichteren, gleichwohl süffigen, schillernden Musik. Wir ergötzen uns an schönen, charakterstarken, wendigen, farbenreichen Stimmen. Und wir werden hineingezogen in Immo Karamans spannende, sinnfällige, psychologisierende Inszenierung. Wenn auch der Schluss ein wenig verwirrt.

Zemlinskys Oper, ebenfalls nach Oscar Wilde („Der Geburtstag der Infantin“) spielt am spanischen Hofe. Wo die Prinzessin Donna Clara ihren 18. Geburtstag feiert. Ihr als Geschenk ein Zwerg zugesandt wird. Der fein singen kann, aber hässlich ist, von seiner Fratzenhaftigkeit allerdings nichts weiß. Weil er keinen Spiegel kennt. Der sich in die Infantin verliebt, ihrer Zuneigung gewiss ist, schließlich aber die Bedeutung eines Spiegels begreift und vor Erschrecken über sich selbst stirbt.

Die Geschichte ist so angelegt, dass die Infantin mit ihrem Geschenk nur spielt. Und am Ende die Schultern zuckt, dass das Spielzeug so schnell kaputt geht. Nicht so bei Karaman. Er verhandelt die Anziehungskraft des Hässlichen. Stellt Donna Clara eine Schar von Freundinnen und Zofen an die Seite, die mit pubertärem Gekicher, frühsexuellem Begehren, mit Neugier und Angst einem seltsamen Wesen, dem Zwerg begegnen. Und schafft mit Claras Vertrauter Ghita eine Figur, die in ihren Sehnsüchten und Träumereien nichts anderes als das alter Ego der Infantin ist.

Des Zwergen Pein und der Infantin Leid: Szene mit Raymond Very und Sylvia Hamvasi. Foto: Hans Jörg Michel

Des Zwergen Pein und der Infantin Leid: Szene mit Raymond Very und Sylvia Hamvasi. Foto: Hans Jörg Michel

Der Zwerg wiederum ist Opfer. Nicht das eines Spiels, sondern das der eigenen Unzulänglichkeit. Er ist verwirrt, verliebt, verzweifelt. Und wenn die vermeintliche Spielerei fast ihr tragisches Ende findet, sitzt Donna Clara ebenso verwirrt, vielleicht ein wenig verliebt, eher ziemlich verstört in einer Ecke. Hat sich gekauert neben einen, mit einem imaginierten, üppigen Spiegel verzierten, schicken Sekretär. Verortet in einem weiten Gewölberaum, den Nicola Reichert erdacht hat.

Dass jedoch aus dem Zwergen ein Priester wird, Regisseur Karamann so offenbar das streng katholische Spanien ins Spiel bringen will, in dem die jungen Damen in Einheitskleidchen von uniformierten Gouvernanten getriezt werden, wirkt ein wenig konstruiert. Gleichwohl allenthalben Faszination. Zumal hier die Düsseldorfer Symphoniker so differenziert wie leidenschaftlich zu Werke gehen. Und mit Sylvia Hamvasi (Infantin), Anke Krabbe (Ghita) sowie Raymond Very (Der Zwerg) ausgefeilte Charaktere auf der Bühne stehen, berührender Gesang inklusive.

Die Rheinoper präsentiert also einen Zemlinsky-Doppelabend, der zwischen Rätselhaftigkeit und Leidenschaft pendelt. Gleichwohl muss er als wichtiges Plädoyer für einen zu Unrecht vernachlässigten Komponisten gelten.




Im Eis der Zeit: Jonathan Darlington dirigiert in Frankfurt Samuel Barbers „Vanessa“

Jonathan Darlington hat sich als Chefdirigent der Duisburger Philharmoniker einen Ruf erspielt, der weit über die Grenzen des Ruhrgebiets hinausdrang.

Seine beharrliche Aufbauarbeit, sein Streben nach Verfeinerung ist mehr als der Perfektionsdrang eines technisch ehrgeizigen Dirigenten, mehr als der nach klingendem Erfolg strebende Eros eines Orchestererziehers. Darlington offenbarte in allem, was ich von ihm hörte und erlebte, geradezu einen Drang, in die Tiefenschichten der Musik vorzudringen. Die schöne Stelle, der gelingende Bogen, die harmonische Raffinesse, der Glanz der Farben von Soli und Gruppen, die sensible Balance, die rhythmische Akkuratesse, der virtuose Knalleffekt, das Singen, erfüllt von Sentiment – all das genügt ihm offenbar nicht.

Darlington ist ein Musik-Denker, aber keiner, der vor lauter intellektuellem Skrupel das Zupacken versäumt. So etwas mag man von vielen Dirigenten sagen, wenn man sie loben will: Bei Darlington ist es kein Kompliment, sondern eine Feststellung, erprobt in vielen, nicht immer festtäglichen Konzerten; geläutert – wie einst das Eisenerz in Duisburg – nicht in edlen Festspiel-Auftritten, sondern im Alltag eines oft harten und, ja, auch alles andere als glamourösen Musikbetriebs, angesiedelt zwischen der Aura der Metropolen und der Mühe der Provinz.

Jetzt, da er Duisburg hinter sich gelassen hat, zu neuen Herausforderungen aufbricht, muss man reisen, will man ihn erleben: Manchmal ziemlich weit, bis ins kanadische Vancouver, wo Darlington Musikdirektor der Oper ist. Manchmal aber auch nur zwei ICE-Stunden von Duisburg entfernt, etwa nach Frankfurt, wo er die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit, Samuel Barbers „Vanessa“, leitet.

Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt. Foto: Maik Scharfscheer

Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt. Foto: Maik Scharfscheer

Barbers 1958 uraufgeführte und selten nachgespielte Oper ist nicht unbedingt das Stück, mit dem ein Opernhaus seine Saison glanzvoll eröffnen würde. Aber der kluge Bernd Loebe schaut nicht auf den Society-Mehrwert eines Spielzeitauftakts. Der Frankfurter Intendant gestaltet das wohl vielseitigste Programm eines deutschen Opernhauses 2012/13 und hat den Mumm, als nächste Premiere nach „Vanessa“ Engelbert Humperdincks „Königskinder“ anzusetzen. Dazwischen „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea, „Chowanschtschina“ von Modest Mussorgsky und „L’Etoile“ von Emmanuel Chabrier: Ein populistischer Spielplan sieht anders aus. Aber Loebe hat Erfolg, auch an der Kasse, und deklassiert damit viele Häuser, die mit ihrem Carmen-Rigoletto-Zauberflöte-Einerlei glauben, ein schwindendes Publikum ins Haus locken zu können. Sicher muss man zugestehen, dass Frankfurt ganz anders arbeiten kann als etwa das Aalto-Theater in Essen, dessen Premierenzahl auf jämmerliche Vier geschmolzen ist. Aber Frankfurt zeigt allen Kulturpolitikern, wenn sie es denn wissen wollten, wie eine Oper aufgestellt sein muss, um Erfolge nach Hause zu bringen.

Samuel Barbers „Vanessa“: In der Zeit des stürmischen Aufbruchs der Musik – zu nennen ist nur der bei der Triennale gefeierte John Cage – war die Oper ein Anachronismus. Nicht Schönberg, sondern Puccini: So etwas ging an der Met gut, wo Eleanor Steber und Nicolai Gedda den Melomanen ein süffiges neues Werk zu servieren bereit waren. Das ging nicht gut in Salzburg, obwohl sich, wie in New York, kein Geringerer als der Dirigent Dimitri Mitropoulos in die Bresche warf. Hohn und Verachtung war der Lohn; Barbers Stück war in Kreisen der Avantgarde ein „no go“. Niemand konnte sich leisten, so etwas nachzuspielen, selbst wenn das Herz, ängstlich verborgen vor dem strengen Gericht der zwölftönigen Reihe, eine heimliche Träne vergoss. Entsprechend dürftig war die Rezeption von „Vanessa“ in der Alten Welt.

Das hat sich gründlich verändert, und Jonathan Darlington zeigt in Frankfurt, warum. Barbers Musik ist kein dahingezaubertes Soufflé, um ältliche Sponsorinnen in Manhattan zu entzücken. Der Mann hat täglich Bach studiert – und das ist ebenso zu hören wie die Vertrautheit mit den modernen Strömungen des Komponierens. Nur: Barber will kein Epigone all jener sein, die auf den gerade aktuellen Zug aufspringen. Er macht sein Ding, ohne Skrupel, ohne nach dem Beifall der Richtung zu schielen, die zu seiner Zeit en vogue war. Heute, da die alten Fronten bedeutungslos geworden sind und die Avantgarde der Fünfziger – teils auch zu Unrecht – vergessen ist, hört man, wie sensibel der studierte Sänger Barber für seine Protagonisten schreibt, hört man auch, wie komplex er mit Motiven umgeht, wie er Bausteine verwendet, die von Puccini bis Janáček, von Strauss bis Strawinsky stammen könnten. Doch er verarbeitet sie zu einer ganz eigen geprägten musikalischen Sprache.

Darlington dirigiert das versierte Frankfurter Opernorchester möglichst transparent, arbeitet genau jenes Baustein-Prinzip heraus, belastet nichts durch dunkel-üppigen Klang, zieht aber auch die emphatische melodische Linie aus, wo es verlangt ist, ohne Berührungsängste, ohne Scheu vor dem Eklektischen. So fügt sich das Spiel mit dem Detail zu einem großen Ganzen, und wenn die schroffen Tutti, die tubaschweren Bläserattacken manchmal zu laut geraten, nimmt das dem Gesamteindruck nichts weg. Darlingtons Debüt an der Frankfurter Oper war eine sinnliche und eine intellektuelle Freude.

Auf eine sinnliche Ästhetik setzt auch die aus Malmö übernommene Inszenierung der früheren Frankfurter Regieassistentin Katharina Thoma. Die Regisseurin arbeitet seit 2011 regelmäßig an der Dortmunder Oper und hat dort Cavallis „Eliogabalo“ und Puccinis „La Bohème“ inszeniert. Am 30. September wird sie mit Mussorgskys „Boris Godunow“ die Spielzeit eröffnen und im Februar 2013 Verdis „Troubadour“ szenisch verantworten. Julia Müer hat ihr ein durch eine zentrale Achse geteiltes Bühnenbild gebaut: auf der einen Seite eine großbürgerliche Villa, auf der anderen ein abweisendes Feld von Eisschollen, die sich unbehaglich in den Wohnraum schieben. Olaf Winters manchmal gespenstisch fahles, dann wieder eisig grelles Licht schafft die Atmosphäre für das zwischen Tschechow’schem psychologischem Realismus und dem bleiern-geheimnisvollen Symbolismus einer „Gothic Novel“ changierenden Libretto von Barbers Lebensgefährten und Komponisten-Kollegen Gian Carlo Menotti.

Das Bühnenbild für "Vanessa" von Julia Müer vereinigt Realismus und Symbolismus.

Das Bühnenbild für "Vanessa" von Julia Müer vereinigt Realismus und Symbolismus.

Thoma lässt aus einem Zustand der Starre ein Kammerspiel herauswachsen, das sich mit vielen klug beobachteten Details eher an der psychologischen Milieustudie als am symbolistisch geladenen Drama orientiert – wie es etwa Regisseur Matthias Oldag 2005/06 am Theater Gera-Altenburg in einer gespenstisch mehrdeutigen Studie realisierte. Thoma entdeckt in „Vanessa“ ein Stück über die Verweigerung von Kommunikation. Das ist die Oper zweifellos, aber sie thematisiert auch die Angst vor der Zeit und der Authentizität.

Thoma verwendet symbolische Zeichen, ohne dem Symbolismus nahezutreten. Die Spiegel sind eines, die das Libretto vorgibt: Im Hause sind sie alle verhüllt, um den Fortgang der Zeit zu verbergen. Doch wenn Vanessa schon in den ersten Minuten der Oper eine Tür aufreißt, schließt ein riesiger Spiegel die Öffnung: Die Verweigerung der Wahrheit macht die Menschen zu Gefangenen. Ein anderes findet Thoma in dem Namen „Vanessa“, der auch in der zoologischen Bezeichnung eines Schmetterlings vorkommt: Anatol, der Mann, der in das hermetische Haus eindringt, berührt ein in einem Sammelkasten aufgespießtes Insekt, das befreit davonflattert.

Bei aller Sorgfalt im Detail tut sich die Regisseurin manchmal schwer, die Personen scharf zu entwickeln: Die damenhaft auftretende und vor allem in der Mittellage überzeugend singende Charlotta Larsson gibt eine Vanessa, deren Ungeduld eher diejenige einer verwöhnten Upper-Class-Gattin ist. Wer nach zwanzig Jahren aus der Starre des Wartens gelöst wird, wirft nicht zickig Klaviernoten auf den Boden.

Der Anatol des vor allem in der Höhe gefährdet singenden Kurt Streit, der das lang erstarrte Eis in Bewegung bringt, macht nicht begreifbar, welche Dynamik von seiner Ankunft ausgeht: Vanessa erwartet ihren vor zwanzig Jahren verschwundenen Geliebten, doch statt seiner erscheint ein Unbekannter, der sich als Sohn jenes Anatol ausgibt. Streit wirkt wie ein biederer englischer Verwalter, der zufällig zu Besuch kommt. Auch Helena Döse, die „alte Baronin“, erschöpft sich als skurrile Schweigerin; der unheimliche, bedrohliche Zug dieser Figur geht ihr ab. Aus dem Doktor macht Dietrich Volle eine Charakterstudie mit komischen Zügen, die tragischen holt er nicht ein. Björn Bürger legt den Haushofmeister als Widerschein der Starre des Hauses an, den in der Ballszene des zweiten Akts schon ein Damenpelz in erotische Zuckungen versetzt.

Kurt Streit (Anatol) und Jenny Carlstedt (Erika) in Samuel Barbers "Vanessa". Fotos: Barbara Aumüller

Kurt Streit (Anatol) und Jenny Carlstedt (Erika) in Samuel Barbers "Vanessa". Fotos: Barbara Aumüller

Der heimliche Star der Aufführung ist Jenny Carlstedt aus dem Frankfurter Ensemble: Ihre intensive Darstellung macht aus der Figur der Erika eine Fallstudie über die Tragik der unmöglichen Liebe, über Realitätsaneignung und –verweigerung. Als „Schatten Vanessas“ stellt sich das junge Mädchen – die Nichte der Hausherrin – vor. Ihr kurzes Abenteuer mit Anatol, ihre idealistische Auffassung von Liebe, ihr Weigerung, das Kind aus diesem Augenblick der Hingabe und Leidenschaft zu gebären; am Ende ihre Erstarrung im Warten auf etwas, das nie eintreten wird, weil es keinen Begriff dafür gibt – für alle Facetten der Figur findet Carlstedt in Gestik und Körperhaltung, mehr noch aber in Farbe und Führung der Stimme faszinierenden Ausdruck. In dem Lied „Must the winter come so soon“ ist es die wehmütige Lyrik; in ihrem Zusammenbruch sind es groß angelegte, aber auch tonlos fahle Phrasen. Am Ende bleibt die kalkige Härte einer Frau, die sich wie niemand sonst der Wahrheit gestellt hat und vor ihr versteinert. Der Mann im Eis wird ihr, das ist in den letzten verwehenden Klängen von Barbers Musik klar, niemals nahe kommen.

Jonathan Darlington dirigiert „Vanessa“ noch am 6., 9., 14., 20., 22 und 28. September. Am 28. Oktober gastiert er als Liedbegleiter in einem Kammerkonzert an seinem alten Wirkungsort Duisburg. Im Januar und Februar 2013 ist er mit Händels „Orlando“ und Mozarts „La Clemenza di Tito“ an der Semperoper Dresden zu Gast. Die langjährige Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper am Rhein setzt Darlington im Juni 2013 fort: Er verantwortet musikalisch die Neuinszenerung von Alexander Zemlinksys Opern-Duo „Der Zwerg“ und „Eine florentinische Tragödie“. Premiere ist am 15. Juni.