Joseph Beuys auf der Spur: Aktions-Fotografien von Ute Klophaus in Wuppertal

Große Geste: Joseph Beuys bei der Aktion „Titus/Iphigenie“ (J. Beuys/J. W. v. Goethe/C. Peymann/W. Shakespeare/W. Wiens). 29. Mai 1969, 20 Uhr, Theater am Turm, Frankfurt am Main. Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskante unten (Courtesy Sammlung Lothar Schirmer | © Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Nein, beim vielfältigen Ausstellungsreigen im Beuys-Gedächtnisjahr soll Wuppertal auf keinen Fall abseits stehen, meint Roland Mönig, Direktor des Von der Heydt-Museums. Sein Haus hat sich ein spezielles, bislang nur selten beleuchtetes Thema ausgesucht, nämlich Fotografien, die Ute Klophaus (1940-2010) von Aktionen des Joseph Beuys (1921-1986) aufgenommen hat.

Rund 230 Arbeiten umfasst die von Antje Birthälmer kuratierte Schau. Bemerkenswerte Traditionslinie: Schon die erste Einzel-Präsentation Beuys’scher Arbeiten in einem Museum hatte es anno 1953 in Wuppertal gegeben. Beuys‘ Vita, findet der Verleger und Kunstsammler Lothar Schirmer, aus dessen Fundus die allermeisten der gezeigten Fotos stammen, sei mit Ute Klophaus‘ Geburtsstadt Wuppertal geradezu „verknotet“ gewesen.

Ute Klophaus: Selbstporträt. (Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskanten rechts und unten / Courtesy Sammlung Lothar Schirmer / © Nachlass Ute Klophaus)

Es muss schon ein besonderes, zuweilen kompliziertes Verhältnis gewesen sein zwischen dem nach und nach immer berühmteren Künstler und der künstlerisch hochbegabten Fotografin. Schon seit der ersten Begegnung (am 5. Juni 1965), beim legendären 24-Stunden-Happening in der Wuppertaler (!) Galerie Parnass, muss Ute Klophaus sogleich in Beuys‘ Bann geraten sein. Fortan folgte sie ihm – wann immer es ging – auf Schritt und Tritt. Eine symbiotische Beziehung? Nun ja. Wie auf einer „Hasenjagd“ sei sie sich dabei gelegentlich vorgekommen, hat sie gesagt. Hat sie derweil andere Themen versäumt? Müßige Frage.

Der Künstler fühlte sich verfolgt

Beuys seinerseits fühlte sich auf Dauer wohl nicht nur geschmeichelt, sondern auch schon mal verfolgt. Manchmal ist es ihm zu viel geworden mit der Nachstellung. Dann hat er sie, wie es heißt, ziemlich harsch angeraunzt; vielleicht auch deshalb, weil sie hinter die Fassade seiner sonstigen medialen Wirkung vorzudringen vermochte? Auf manchen Bildern macht sie ja geradezu die spirituellen Energieströme sichtbar, die dabei geflossen sein dürften. Eigentlich unheimlich.

Nochmals die Aktion „Titus/Iphigenie“, 29.5.1969, Frankfurt/Main (Fotografie: Ute Klophaus, Silbergelatine-Abzug, hochglänzend, Risskante oben). Von der Heydt-Museum, Wuppertal (© Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Betrübt war Ute Klophaus, wenn Beuys sie (absichtlich?) von seinen Aktions-Plänen nicht unterrichtete, als hätte er sie abschütteln wollen. So geschehen im Vorfeld seiner Performance „Titus/Iphigenie“ im Frankfurter Theater am Turm (1969). Dorthin fuhr sie nicht etwa auf Einladung, sondern aufgrund einer seltsamen Eingebung. Sie ahnte, dass er etwas vorhatte und kam ihm auf die Spur. So fotografierte sie doch noch seinen höchst bildwirksamen Auftritt mit einem weißen Pferd. Umstände und Resultat haben hier wie auch häufig sonst eine mystische Dimension. Es ließe sich mit Fug fragen, wieviel Mystifikation hierbei im Spiel sein könnte.

Auch einige andere Künstler waren an solchen Aktionen beteiligt (z. B. Nam June Paik, Charlotte Moorman, Wolf Vostell), doch Ute Klophaus scheint sich immer fast nur auf Joseph Beuys konzentriert zu haben. Die damaligen Entfaltungen der Kunst im Gefolge der Fluxus-Bewegung waren Neuland, waren eine Herausforderung auch an die Fotografie. Und heute? Sind Lichtbilder nahezu die einzigen Relikte, die von den Aktionen geblieben sind.

Keine Dokumentation, sondern subjektive Eindrücke

Weitgehend chronologisch folgt die Ausstellung den von Klophaus festgehaltenen Beuys-Aktionen über rund 20 Jahre hinweg – von 1965 bis 1986. Die Fotografin hat sich innerlich stets dermaßen intensiv auf die Vorführungen eingelassen, dass sie höchst eingängige Bildformeln entwickeln konnte, die dem Geist der Aktionen zu entsprechen scheinen. Doch nicht als Dokumentation wollte sie ihre Aufnahmen verstanden wissen, sondern als Zeugnisse subjektiver Betrachtung. Auf solche Weise hat sie mit ihren Bildern die öffentliche Wahrnehmung der Beuys’schen Aktionskunst wesentlich mitbestimmt. Überschreitung und Transformation waren Merkmale seiner Kunst, sie wiederum transformierte sein Tun kongenial in ein anderes Medium. Sie war so etwas wie sein Gegenüber, doch keinesfalls eine Gegnerin.

Gesichtsmaske aus Blattgold, Goldstaub und Honig: Joseph Beuys bei seiner Aktion „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“, 26. November 1965, 20 Uhr, zur Eröffnung der Beuys-Ausstellung „…irgend ein Strang…“ in der Galerie Schmela, Düsseldorf, Hunsrückenstraße 16-18 (Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskante unten) – (Courtesy Sammlung Lothar Schirmer / © Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Nur mal als Beispiel für Beuys‘ oft rätselhafte Handlungen in Raum und Zeit: Die Aktion „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (November 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela) war unter anderem gedacht als Versuch einer Synthese europäischen und asiatischen Denkens. Ute Klophaus hat derlei Vorgänge nicht einfach abgebildet, sondern durch Nachbearbeitung, Grobkörnigkeit, Zulassen des Zufalls, nah herangeholte Details, bewusst gesetzte Schadhaftigkeiten oder gezielte Schlieren und Verwischungen auf eine andere, durchgeistigte Ebene gehoben.

Ersichtlich „aus der Zeit gerissen“

Kennzeichnend sind zumal die sichtbaren Risskanten der Fotos, die die Szenen als „aus dem Zeitfluss herausgerissen“ markieren, woraus sich der Titel der Schau herleitet. Anders als ein Film, der all die vielen Momente „dazwischen“ erfassen, aber vielleicht auch ineinander verschwimmen lassen würde, erscheint der Einzelmoment in den Fotografien bedeutsam, ja bisweilen monumental, überlebensgroß: wie innig Beuys‘ sich an ein Fettkissen anschmiegt, wie priesterlich er bei seiner Iphigenie-Aktion die Orchesterbecken zu schlagen sich anschickt… Und bei all dem gar nicht zu vergessen: Schwarzweiß-Fotografie, wenn sie so gehandhabt wird, stand und steht immer noch für die wahrhaft bleibenden Augenblicke.

Ein interessanter Aspekt der Fotografien sind übrigens auch die gelegentlich am Rande auftauchenden Aktions-Besucherinnen und Besucher. Ihrer ansichtig, meint man etwas vom Aufbruch der mittleren und späten 1960er Jahre gewahr zu werden. Welch eine Ahnung des Kommenden: ganz nebenbei, ohne Posen, völlig unaufdringlich.

„Aus der Zeit gerissen“. Joseph Beuys: Aktionen – fotografiert von Ute Klophaus. 1965-1986. Sammlung Lothar Schirmer. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 19. September 2021 bis 9. Januar 2022. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Katalog 32 Euro. Eintritt Erwachsene 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Familie 24 Euro.

www.von-der-heydt-museum.de




„Hiermit trete ich aus der Kunst aus“ – ein Buch zum 100. von Joseph Beuys

Immer im Gespräch: Joseph Beuys (re.) im Jahr 1973. Foto: Rainer Rappmann / www.fiu-verlag.com / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

„Jeder Mensch ist ein Künstler“, meinte Joseph Beuys, der mit seinen Aktionen und Installationen die Kunst aus dem Elfenbeinturm des Elitären befreien wollte – und damit zu einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts wurde. Filz und Fett, Honig und Hirschgeweihe waren Materialien, aus denen er Kunst machte und das Publikum zum Nachdenken anregte.

Am 12. Mai würde der ebenso legendäre wie umstrittene Künstler, der die menschliche Kreativität zur „einzig revolutionären Kraft“ erklärte, 100 Jahre werden. Landauf, landab werden sich zahllose Ausstellungen mit seinem Leben und Werk beschäftigen. In Zeiten von Pandemie und Lockdown bietet sich alternativ ein jetzt erscheinendes Buch an: „Hiermit trete ich aus der Kunst aus.“

Zu lesen sind 25 höchst unterschiedliche Texte: Interviews, Statements, Notizen, Vorträge und Reden. Kunst und Politik, Lernen und Lehren, das war für Beuys nie zu trennen: Er lebte für die Kunst, kam als Professor täglich, auch in den Semesterferien, an die Düsseldorfer Akademie und stand seinen Studenten jederzeit zum Gespräch zur Verfügung. Das Sprechen und Diskutieren war für ihn bereits Teil der Kunst.

Viele Themen und Thesen klingen an

Sein erweiterter Kunstbegriff umfasste alle Bereiche des Daseins, sein Konzept von der „Sozialen Plastik“ als Gesamtkunstwerk schließt alle Menschen und Ideen mit ein. Es gilt, die Kreativität im Menschen freizusetzen, um eine freie Gesellschaft zu erschaffen. Dazu war ihm jedes Mittel recht. Ob er Fett in Zimmer-Ecken schmierte oder sich in Filzmäntel hüllte; ob er sich tagelang mit einem Kojoten einschloss; ob er – nach dem Rausschmiss aus der Düsseldorfer Akademie – eine „Freie Universität“ gründete; ob er (um gegen Entfremdung und Naturzerstörung zu protestieren) die „Grünen“ mitbegründete: alles diente dazu, das Leben zur Kunst zu erklären, den elitären Kunstbegriff einzureißen, die Zuschauer zum Denken und Mitmachen zu zu ermuntern.

Das Buch versucht, den disparaten Charakter und die provozierende Kunst von Beuys abzubilden, möglichst viele Themen und Thesen anklingen zu lassen. Vorangestellt ist die Rede zur Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises, die Beuys am 12. Januar 1986, wenige Tage vor seinem Tod, gehalten hat: die Hymne auf Lehmbruck ist ein Schlüssel zu seinem Werk und zugleich sein Vermächtnis.

Geprägt von Wilhelm Lehmbruck und Rudolf Steiner

Die Begegnung mit Lehmbrucks Werk war für ihn eine Art Erleuchtung und Erweckung. Der überzeugte Hitlerjunge Beuys hatte bei den Bücherverbrennungen 1938 ein Heft in die Hände bekommen, in dem auch ein Foto mit einer Skulptur von Lehmbruck abgebildet war: In Beuys reifte der Entschluss, Kunst zu studieren und sich mit Skulptur und Plastik auseinanderzusetzen, die Flamme, die er in dem Foto sah, zu schützen, die Fackel der Skulptur, die er spürte, weiterzutragen. Nicht bei Picasso oder Arp, Giacometti oder Rodin: nein, bei Lehmbruck lernte Beuys, „dass Plastik alles ist, dass Plastik schlechthin das Gesetz der Welt ist“.

Weil er die Anthroposophie von Rudolf Steiner verinnerlicht hatte, meinte Beuys, dass „plastisches Gestalten“ sich nicht auf „physisches Material“ beschränkt, sondern auch „seelisches Material“ einbezieht. Die Formel von der „Sozialen Plastik“ und die Vorstellung einer „Plastik der Moderne“, in der das „plastische Prinzip zur Umgestaltung des sozialen Ganzen“ dient, beruht darauf, wie Beuys seine Vorbilder – Lehmbruck und Steiner – interpretierte oder für sich neu erfand.

Das Märchen von den Krim-Tataren

Die Geschichte mit dem zufällig entdeckten Lehmbruck-Foto könnte – wie so vieles, was Beuys gesagt und getan hat – nur eine Nebelkerze und pure Erfindung sein. Immer wieder wird Beuys gebeten, seine Aktionen und Installationen sowie die biografischen Bezüge zu erklären: Dann raunt er dunkel und tischt das Märchen auf, dass er, nachdem er als deutscher Soldat und Stuka-Kampfpilot über Russland abgeschossen wurde, schwerverletzt von Krim-Tataren aus dem Trümmern gezogen wurde, dass sie seine Wunden mit Fett eingerieben und seinen Körper mit Filz warm gehalten haben…

Heute wissen wir: alles Fantasie und Selbst-Suggestion. Ein Suchtrupp der deutschen Wehrmacht hat ihn nach einem Tag gefunden und ins nächste Lazarett gebracht, kurze Zeit später hat Beuys wieder als Soldat weitergekämpft. Aber die Idee von Fett und Filz als Energie- und Wärme-Spender und Kunst-Material lässt sich mit dem Tataren-Märchen natürlich viel besser begründen. Dass sein ganzes Leben nur eine Erfindung war, hätte man schon 1964 merken können: da verfasst Beuys für ein Kunst-Festival einen Lebenslauf und bezeichnet alles als „Ausstellung“, auch seine Geburt 1921 in Kleve ist eine „Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde“.

Als ob man einen Pudding an die Wand nagelte

Der bizarre „Lebenslauf“ könnte behilflich sein, Beuys zu entmystifizieren. Im Buch wird über alles, was sein Leben und Werk bestimmt, geredet: Die „ideale Akademie“, das „Museum als Ort der permanenten Konferenz“, wieso „jeder Menschen ein Künstler ist“, was Filz und Fett, Hirschgeweihe, Schiefertafeln, Honig und Kreuze für seine „Sozialen Plastiken“ bedeuten, warum das Christentum für ihn elementar ist, sich durch den Tod Jesu das eigentliche Leben erst vollzieht und den Menschen zur Ich-Erkenntnis befähigt.

Aber bei allem, was Beuys sagt, bleibt das Gefühl, als würde man versuchen, einen Pudding an die Wand zu nageln, alles ist seltsam schwammig, redundant und unverständlich: Nichts wird erklärt oder begründet, vieles ist bloße Behauptung, manches reine Erfindung. Beuys hat über seine Ideen und Installationen permanent geredet, aber eine fundierte Theorie mit klar definierten Begriffen hat er nie geliefert: alles, auch dieses Buch, ist nur die Kunst und der Stoff, aus dem die Träume sind.

Joseph Beuys: „Hiermit trete ich aus der Kunst aus.“ Vorträge, Aufzeichnungen, Gespräche. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wolfgang Storch. Edition Nautilus, Hamburg 2021, 160 Seiten, 15 Euro.




Als Joseph Beuys nach Japan kam

29. Mai 1984: Joseph Beuys lächelt gequält und sieht ein bisschen verloren aus. Ein Suchender und Staunender, einer, der noch nicht recht weiß, was ihn dort, wo er gerade mit dem Flugzeug gelandet ist, erwartet. Von Kameras begleitet und beäugt, bahnt sich der erstmals von Düsseldorf nach Tokio gereiste Künstler seinen Weg durch die mit Koffern und Menschen verstopfte Ankunftshalle.

Beuys trägt, was ihm zur zweiten Haut geworden ist: den grauen Filzhut, die multifunktionale Weste, weißes Hemd, dunkle Hose, grobe Schuhe mit dicken Gummisohlen. Der Kunstprofessor, der schon mit Studenten Räume der Düsseldorfer Kunstakademie besetzt hielt und mit seinem Konzept ökologisch-ganzheitlicher Kunst für Aufsehen sorgte, ist freundlich, freut sich über die roten Rosen, die ihm seine Gastgeber überreichen. Ein harmloser, fast heimeliger Auftakt eines achttägigen Aufenthalts, der es in sich hat und in der kulturpolitischen Landschaft Spuren hinterlassen wird.

Beuys wird im Seibu Museum of Art in Tokio eine Ausstellung mit seinen Werken einrichten und eröffnen, er wird Pressekonferenzen geben und vor erregten und verstörten Studenten sein Konzept einer antikapitalistischen Kunst-Utopie vorstellen. Beuys wird eine Manufaktur besuchen und zusammen mit Videokünstler Nam June Paik eine legendäre Performance veranstalten.

Joseph Beuys: Coyote III, 1984, Videostill. Copyright: VG Bild-Kunst Bonn 2011

Joseph Beuys: Coyote III, 1984, Videostill. Copyright: VG Bild-Kunst Bonn 2011

Das dreißigstündige Filmmaterial, das Zeugnis von einer seltsamen Begegnung zwischen Ost und West ablegt und in Wort und Bild die meisten Schritte und Aktionen festhält, die Beuys vom 29. Mai bis zum 5. Juni 1984 in Japan unternahm, galt lange Zeit als verschollen. Vor einem Jahr tauchten die Film-Dokumente wieder auf und wurden in Japan gezeigt. Jetzt sind sie, in einer überwältigenden Ausstellung, erstmals in Deutschland zu sehen: „Joseph Beuys: 8 Tage in Japan und die Utopie EURASIA“ ist der Titel der Berliner Schau, die im Hamburger Bahnhof, dem „Museum für Gegenwart“, präsentiert wird.

Im Westflügel des Museums, dort, wo ohnehin eine große Beuys-Sammlung beheimatet ist, die einige aus Kunstklassiker mit Schiefertafeln, Filzmatten und Fettecken beherbergt, ist eine ganze Etage für die überraschende Wiederentdeckung und großzügige Präsentation der japanischen Film-Sequenzen frei geräumt worden. Im Zentrum: eine dunkle Video-Höhle. Auf einer riesigen Leinwand wird ein 3-stündiger Mitschnitt der „Coyote III“- Performance nebst anschließender Diskussion gezeigt. Während Nam June Paik auf einem Klavier klimpert, hechelt Beuys Hundelaute ins Mikrofon.

Joseph Beuys in Japan, 1984, Videostill (Copyright I&S BBDO)

Joseph Beuys in Japan, 1984, Videostill (Copyright I&S BBDO)

Um die Video-Höhle herum ist ein Kunst-Parcours mit zehn TV-Bildschirmen installiert. Dokumentiert werden, in unkommentierten und umfangreichen Filmsequenzen, sowohl Ankunft wie Abreise, Debatten und Diskussionen, Interviews und Museumsbesuche. Und immer wieder muss ein leicht genervter Beuys seinen fernöstlichen Gastgebern sein Kunstkonzept erklären. Man will verstehen, warum Beuys bereits 1963 die Partei EURASIA gegründet hat und vom Zusammenschluss östlicher und westlicher Kulturen träumt. Man will wissen, was es mit seinem ätzenden Anti-Kapitalismus auf sich hat und warum er Sätze sagt wie: „Ein Eisenwalzwerk muss zugleich eine Universität sein.“

Das Konzept des universellen Künstlers ist den Zuhörern noch fremd: „Jeder Mensch ist ein Künstler. Jeder Mensch ist ein Superstar. Jeder Mensch ist ein elitäres Wesen.“ Wenn Beuys seine kunstpolitischen Visionen in Japan ausbreitet, schaut er in viele fragende Gesichter, gebetsmühlenartig muss er dann seine Theorien darlegen. Japan mag für Beuys ein lang ersehntes Reiseziel und ein utopischer Kunsttraum gewesen sein. Dass ihn zwar japanische Kultur und Mentalität erregten und interessierten, ihm aber letztlich durchaus fremd blieben, auch davon erzählt diese Ausstellung, für deren Besuch man vor allem eines braucht: sehr viel Zeit.

Joseph Beuys: 8 Tage in Japan und die Utopie EURASIA,
Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart Berlin, Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin, bis 1. Jan. 2012,
geöffnet Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-20 Uhr, So 11-18 Uhr, Mo geschlossen,
Eintritt 12 Euro, ermäßigt 6 Euro.

Weitere Infos unter http://www.hamburgerbahnhof.de




Joseph Beuys als Leitfigur der Gegenwart – eine nahezu sakrale Schau in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Was Düsseldorf jetzt in Sachen Kunst bietet, dürfte schwerlich zu übertreffen sein. Just haben die Große Düsseldorfer Kunstausstellung sowie eine Renato Guttuso-Retrospektive begonnen, da folgt ein doppelter Paukenschlag mit Retrospektiven auf Werke zweier Leitfiguren der Gegenwart: Joseph Beuys (Kunstsammlung NRW) und Nam June Paik (Kunsthalle, gleich gegenüber). Wenn da die Kunstpilgerfahrt an den Rhein nicht lohnt, lohnt sie nie.

Während Paik die Welt durchs mediale Auge der TV- und Videokunst sieht (die WR wird darauf zurückkommen), verwandelt Beuys die Dinge und ihre Formen in Energie-Felder. Natürlich ist nicht sein komplettes Werk in Düsseldorf zu sehen, dazu war er einfach zu produktiv. Zudem sind viele seiner Arbeiten heute standortgebunden oder aus anderen Gründen nicht verfügbar.

Aber man sieht doch einen namhaften Querschnitt durch das Werk des Mannes mit dem Filzhut. Zeitlich reicht die Auswahl der über 400 Exponate von 1941 (eine aufgeklebte Birkenrinde als erste Arbeit deutet schon auf das große Thema „Natur“ hin) bis 1985. Gezeigt werden Zeichnungen, Aquarelle, plastische Bilder, Objekte und Rauminstallationen sowie „Multiples“ (in höheren Auflagen gefertigte Kleinobjekte).

Der Didaktiker und Sozialutopist Beuys ist zudem mit Aktions-Überbleibseln und schwungvoll beschriebenen Lehrtafeln vertreten. Wenn man diese Arrangements sieht, vermißt man doch die reale Gegenwart des am 23. Januar 1986 gestorbenen Künstlers, der wie kein anderer mit seiner ganzen Person für seine Kunst einstand.

Schon bei der gestern massenhaft frequentierten Pressevorbesichtigung war es zu spüren: Man geht durch diese Ausstellung still, ja ehrfürchtig, denn sie hat einen sakralen Beigeschmack — und welches Werk würde sich dazu besser eignen als jenes von Joseph Beuys – mit seinen hauchfeinen, sich zuweilen fast ins Nichts verflüchtigenden Zeichnungen und mit seinen derart genau austarierten Installationen, an deren Kraftlinien man nichts verändern darf, ohne sie nachhaltig zu stören.

Grandios die Offenheit der Beuys’schen Arbeiten, die nie eine Interpretation aufdrängen, sich aber auch selten im Belanglos-Anekdotischen verlieren. Man lasse sich nicht von Vordergründigem, von Materialien wie Filz oder Fett täuschen. Hinter deren Kombination stehen komplexe Denk- und Erlebens-Muster. Die formale Umsetzung erfolgt mit beispielhafter Ökonomie der Mittel: Ein „Zuviel“ gibt es bei Beuys nicht.

Selbstverständlich ist auch sein Werk der Zeit unterworfen. Beispiel: die Warenregale mit dem Titel „Wirtschaftswunder“, die vor wenigen Jahren noch als Kapitalismuskritik galten. Heute „liest“ man die karge Ansammlung als eine Art Nachruf auf die Ex-DDR.

Joseph Beuys. Natur — Materie — Form. Kunstsammlung NRW. Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 9. Februar. Tägl. (außer montags) 10 bis 18 Uhr. Eintritt 8 DM, Katalog 49 DM.




Gewagter Vergleich von Lehmbruck und Beuys in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Das LehmbruckMuseum besitzt, wie könnte es anders sein, Zeichnungen von Wilhelm Lehmbruck (1881-1919). Es besitzt auch Zeichnungen von Joseph Beuys. Da Beuys in seinem Todesjahr 1986 den Duisburger Lehmbruck-Preis bekommen hat, fahndete Museumsleiter Christoph Brockhaus nach Verbindungslinien zwischen beiden Künstlern — und fand praktisch keine.

„Intuitiv“ habe man die von einer Tournee nach Duisburg zurückgekehrten Zeichnungen von Lehmbruck und jene von Beuys ausgewählt, um einen „Vergleich des Unvergleichbaren“ zu wagen, sagt Brockhaus selbst. Was nun als „Mentale Plastik — Zeichnungen von Lehmbruck und Beuys“ (bis 18. August) daherkommt, ist kaum mehr als umgruppierter und halbherzig ergänzter Eigenbesitz. Auch werden die Arbeiten beider Künstler nicht miteinander konfrontiert, sondern separat auf zwei Etagen gezeigt.

Nun gut. „Beseelte Linienführung“ und vielfach ein ätherisches Verblassen der Formen kann man beiden Künstlern nachsagen. Auch hat Beuys eine „Kriechende Frau“ gezeichnet, die mit der Lehmbruck-Serie der „Gestürzten“ in Beziehung gesetzt werden kann. Doch damit erschöpfen sich die „Gemeinsamkeiten“ auch schon. Lehmbruck bleibt Lehmbruck, Beuys bleibt Beuys. Sie unterscheiden sich nicht wie Tag und Nacht, aber wie Morgen und Abend.

Das alles heißt nicht, daß man keinen Kunstgenuß vorfände. Beispiel: Lehmbrucks „Macbeth“-Serie, in der es zu wahren „Körperexplosionen“ kommt. Hauchfein den Sinnen sich entziehend sind diese Figuren gezeichnet — wie Erscheinungen nah am Urzustand.




Weltweit größtes Beuys-Museum entsteht am Niederrhein

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit zunächst rund 40 Millionen DM kann am Niederrhein das weitaus größte Beuys-Museum der Welt entstehen. Die Eröffnung ist für 1994/95 geplant.

Mit dem Millionen-Betrag, berechnet nach heutigem Kostenstand, soll das zwischen Kleve und Kalkar gelegene Schloß Moyland zum Museum umgebaut werden. Der größte Teil der Summe kommt aus Landesmitteln für Stadterneuerung Das Land wird auch rund 80 Prozent der Betriebskosten (nach Eröffnung ca. 1,7 Mio. DM jährlich) finanzieren. NRW-Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), der die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse seiner Landesregiemng gestern in Düsseldorf erläuterte, sprach von einer Sternstunde fur die hiesige Kunstlandschaft.

In die „Stiftung Museum Schloß Moyland“ gehen zwei Besitztümer ein: Zum einen die umfangreichste BeuysSammlung überhaupt, zusammengetragen von den Brüdern Hans und Franz Joseph van der Grinten (Kranenburg/Nîederrhein). Die beiden Bauernsöhne, heute ausgewiesene Kunstexperten, hatten als Jugendliche mit dem aus Kleve stammenden Beuys Freundschaft geschlossen und ihm manches Werk abgekauft, als er noch längst nicht weltberühmt war. Zweites Stiftungsvermögen ist das Schloß selbst, das sich heute im Besitz des Barons Adrian von Steengracht befindet und dessen Vorfahren es 1766 erwarben. Der gotische Kernbau (14./15. Jhdt.) wurde später im neugotischen Stil „ummantelt“. Zur stolzen Geschichte des Gemäuers gehört u. a. die legendäre erste Begegnung Friedrichs des Großen mit dem französischen Philosophen Voltaire im lahr 1740.

Nach schweren Kriegbeschädigungen drohte das Schloß zur Ruine zu verfallen. Davon ist längst keine Rede mehr. Im Gegenteil: Auch der Schloßpark wird wahrscheinlich wiederhergestellt. Die Gesamtanlage dürfte ein Schmuckstück der mit 348 Instituten nicht gerade ärmlichen NRW-Museumslandschaft werden. Besonderen Reiz verspricht man sich vom Zusammenspiel altehrwürdiger Geschichte und zeitgenössischer Kunst.

Johannes Rau schwärmt von der Sammlung

Johannes Rau, der das Zustandekommen der Stiftung als Fügung großer Glücksfälle bezeichnete, sagte, die Kollektion umfasse derzeit rund 40 000 Originalkunstwerke und reiche Archivbestände. Werke von Joseph Beuys (über 220 gemalte Arbeiten, zahlreiche Plastiken, über 250 Objekte, mehr als 3500 Zeichnungen/Aquarelle sowie ein riesiges Beuys-Archiv u. a. mit Briefen) sind dabei „nur“ das Herzstück. Hinzu kommen etliche wertvolle Bilder, Objekte und Skulpturen rheinischer Künstler: aus dem Umkreis der Düsseldorfer Kunstakademie und überhaupt aus dem weiten und prominent besetzten Feld der Moderne. Kupferst’iche, ein Medaillenkabinett, eine Plakatsammlung sowie eine photographische Abteilung runden die Sammlung ab.

Die Bestände sind dermaßen groß, daß laut Auskunft der Bruder van der Grinten nur jeweils 8 bis 9 Prozent auf einmal gezeigt werden können. Mithin wird man auch ständig Wechselausstellungen aus Eigenbesitz veranstalten können, man muß sich nur im Depot bedienen. Das Schloß soll einen vollwertigen Museumsbetrieb (mit pädagogischem Dienst, Werkstätten usw.) aufnehmen und durch Ankäufe seine Sammlung möglichst noch erweitern.

Daß Beuys‘ schwieriges Werk die Leute abschrecken könne, glauben die Brüder van der Grinten keineswegs. In letzter Zeit seien breites Interesse und Wohlwollen auch bei Nicht-Experten festzustellen. Außerdem werde man sich bemühen, Besucher mit ge-genständlichen Arbeiten von Beuys (Zeichnungen) behutsam heranzuführen.




Neue Grenzen zwischen Kunst und Leben – zum Tod von Joseph Beuys

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Wenn einer einem toten Hasen die Bilder einer Ausstellung erklärt; wenn einer Waschpulver in ein Klavier schüttet oder eine „Honigpumpe“ baut – ist er dann Vorbote eines neuen „magischen Zeitalters“ oder ein Scharlatan? Das haben sich viele gefragt, die mit der Kunst von Joseph Beuys konfrontiert wurden. Seinem Werk widerfuhren Huldigung, aggressive Abwehr, amüsiertes Gelächter, bares Unverständnis.

Des Rätels Lösung ist denkbar einfach, fast so schlicht, wie manche Beuys-Objekte (die meist nur im Zusammenhang mit vorangegangenen Aktionen verständlich sind): Es i s t Kunst, die sich aber, weil sie die Grenzmarken zwischen Kunst und Leben irritierend neu gesetzt hat, nicht kurzerhand erschließt.

Als der am 12. Mai 1921 in Kleve geborene Kaufmannssohn, am 12. Januar 1986 – es war sein letzter öffentlicher Auftritt – den Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg entgegennahm, trug er natürlich den Filzhut, sein „Markenzeichen“. Filz und Fett waren Grundstoffe vieler seiner Arheiten. Filz, das bedeutet (auch menschliche) Wärme, deren Speicherung zumal. Fett steht gleichfalls für ein energiespeicherndes Prinzip.

Vorratshaltung zum Überwintern in kalten Zeiten, Aufbrechen bankrotter Rationalität, Schaffung neuer Mythen – so könnte man die Ziele schlagwortartig skizzieren. Nicht nur Beuys‘ naturwissenschaftliche Studien fuhrten zu solchen Ausdrucksmitteln, sondern vor allem jenes Urerlebnis des Jahres 1942, als der Stuka-Flieger Beuys über sowjetischem Gebiet abstürzte, von Einheimischen gerettet und dabei in Filzdecken gehüllt wurde.

Ein Star des Marktes und der Medien

Beuys, ab 1949 als Schüler von Ewald Mataré an der Düsseldorfer Kunstakademie, war auch ein Star des Marktes und der Medien. Ein von ihm mit Filz beklebter Flügel, 1967 für 10.000 DM verkauft, war einem Käufer 1974 schon 200.000 DM wert. Zusammen mit Andy Warhol führte Beuys denn auch bald eine imaginäre „Weltrangliste“ höchstdotierter Künstler an. Bei Gelegenheit seiner zuletzt raren Auftritte, wie etwa bei der Düsseldorfer Ausstellung „Von hier aus“, bildeten sich sogleich Trauben von Presse- und Fernsehleuten um ihn.

Zuweilen hatte es komische Qualität, wie seine Kunst sich dem Leben näherte, mit ihm in (oft produktive) Reibung geriet: Die Geschichte von den Reinmachfrauen, die aus einer Beuys-Badewanne die Heftpflaster entfernten und die Wanne gründlich schrubbten, erheiterte die Kunstwelt.

Entlassung durch Johannes Rau

Ernstere Schlagzeilen machte seine Entlassung als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie, an der er seit 1961 tätig war und bis zu 350 Schüler betreute, die heute zum großen Teil die Szene bestimmen. Im Oktober 1972 kündigte der damalige NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau Beuys‘ Vertrag fristlos, weil der mit abgewiesenen Bewerbern die Akademie besetzt hatte. Der Rechtsstreit dauerte bis 1978.

1974 gründete er, zusammen mit seinem Freund Heinrich Böll, die „Freie internationale Hochschule für Kreativität“. Grundlage war Beuys‘ Bekenntnis: „Jeder Mensch ist ein Künstler“.

1979 richtete das New Yorker Guggenheim-Museum Beuys als erstem lebenden deutschen Künstler eine umfassende Retrospektive aus, womit er endgültig zum Klassiker der Spätmoderne wurde. Beuys betätigte sich mit großer Beharrlichkeit auch auf politischem Feld. 1967 war er bei der Gründung der „Deutschen Studentenpartei“ dabei, 1972 rief er die „Organisation für direkte Demokratie“ ins Leben, 1976 die „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“. 1980 war er Bundestagskandidat für die „Grünen , von denen er sich jedoch jüngst wieder distanzierte.