Woran die stärksten Frauen scheitern mussten – Jürgen Bosse inszeniert Schillers „Maria Stuart“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Das soll Maria Stuart sein? Mit kahl geschorenem Haupte betritt sie die Essener Schauspielbühne. Schottlands Königin, die in Friedrich Schillers Drama als Schönheit sondergleichen gepriesen wird, sieht aus wie eine blasse Büßerin in Sack und Asche.

Doch sobald die junge Darstellerin Sabine Osthoff in Jürgen Bosses Inszenierung zu sprechen anhebt, weiß man’s besser: Nicht bußfertig, sondern so selbstgewiss und fordernd klingt ihre rasche Rede, als stehe sie auf feministischen Barrikaden. Aber derlei „Möblierung“ gibt’s in Wolf Münzners kargem, sehr spieldienlichem Bühnenbild nicht.

Mit Maria verglichen, wirkt Englands Regentin Elisabeth (höchst differenziert: Heike Trinker) geradezu sanftmütig, nachdenklich – und damenhaft elegant. Gleichsam als moderne Business-Frau hat sie auch seelische Kältezonen. Dass sie am liebsten jungfräuliche Amazone bliebe, möchte man ihr trotzdem (und trotz eines kraftvollen Bogenschusses) kaum glauben.

Aus Angst vor Volksaufruhr und königlich-weiblicher Konkurrenz hält Elisabeth jene Maria in England schmählich gefangen. Doch sie wirkt hier keineswegs harscher als ihre so mutwillige Widersacherin. Das gilt selbst für die zentrale Szene, die Begegnung der beiden Monarchinnen. Auch der feuerköpfige Mortimer (Benjamin Morik), der Maria aus dem Kerker befreien will, kommt anders daher als sonst. Zwischen all den steifen Staatsräten Englands (besonders imposant: Berthold Toetzke als Burleigh) tollt er in kurzen Hosen hemm und entfacht als wirrer Heißsporn eine Hektik, die mehr und mehr auch komische Züge trägt.

Ungemein rasch gesprochener Text

Apropos Hektik: Man hat zwar in Essen einige Rollen gegen den Strich besetzt, spielt jedoch den Text getreulich nach. Aber in welcher Eile! Hätte man sich doch nur dreieinhalb statt drei Stunden Aufführungsdauer gegönnt, so hätte man Sinn- und Denkpausen setzen können. Man sollte Schillers wunderbare Verse sorgsamer gliedern. Die Inszenierung hat also gewisse Schwachpunkte. Dennoch kommen die Qualitäten der Vorlage zur Geltung: Es ist und bleibt eben schlichtweg genial, wie Schiller die Wechselwirkungen hoher Staatspolitik, religiöser Gegensätze (Elisabeth ist anglikanisch, Maria katholisch) und erotischer Rivalitäten im Intrigenspiel verflochten hat. Das Drama von 1800 ist spannend bis auf den heutigen Tag.

Man ahnt ja auch den redlichen, durchaus tragfähigen Ansatz der Regie: Offenbar will Jürgen Bosse Möglichkeiten weiblicher Autonomie unter patriarchalischen Verhältnissen, im letztlich doch von Männern beherrschten Polit-Getriebe erkunden. Und so erscheinen Maria und Elisabeth wie zwei widerstreitende Seelen in einer vom selben Zwang beengten Brust. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie stark die zwei Frauen gemeinsam wären. Zumindest in diesem (historischen) Kontext scheinen sie aber beide zum Scheitern verurteilt. Wenn das keine Tragödie ist…

Am Ende, nach Marias Hinrichtung, schwankt Elisabeth im golden schimmernden Kleide auf ihren Thron. Von allen Ratgebern verlassen, sitzt sie ganz einsam im langsam verlöschenden Licht. Ein wirklich einprägsames Schlussbild.

Termine: 23., 24. Sep. / 8., 14., 29. Okt. Karten: 0201/8122-200




Wo gar nichts harmlos ist – Essen: „Belgrader Trilogie“ / Biljana Srbljanovićs bittere Emigranten-Komödie

Von Bernd Berke

Essen. Sie hassen die geistige Enge und die materielle Dürftigkeit ihrer Heimatstadt – und verzehren sich doch vor Sehnsucht, diese einmal (in besseren Zeiten) wiederzusehen. Biljana Srbljanović zeigt in ihrer „Belgrader Trilogie“ Menschen, die vor Milosevic und dem entfesselten serbischen Nationalismus in alle Welt geflüchtet sind. Aufgebrochen sind sie, doch nirgendwo angekommen.

Die drei Episoden des Stückes, jetzt als deutsche Erstaufführung im Essener Grillo-Theater zu sehen, spielen jeweils zu Silvester (oft Prüftag menschlicher Beziehungen) in Prag, Sydney und Los Angeles.

Rasch wird der Schmerz betäubt

Die serbischen Emigranten führen ein eher bescheidenes Leben. Die Brüder Kica und Mica schlagen sich in Prag mit einer unfreiwillig grotesken Eintänzer-Nummer durch, die sie in ihrer kläglichen Behausung proben. Schlimme Nachricht per Telefon: Micas Geliebte Ana hat daheim anderweitig geheiratet. Zur raschen Betäubung des Schmerzes kommt ein leichtes Prager Mädchen gerade recht.

In Sydney treffen sich zwei Ehepaare, die einander in Belgrad nie leiden mochten. Nun fechten sie die Animositäten zwischen Suff und schnellem Sex am Eßtisch so quälend aus, als kämen sie geradewegs aus dem „Virginia Woolf“-Stück von Edward Albee. In Los Angeles schließlich, also im Dunstkreis Hollywoods und seiner Verheißungen, werden eine Pianistin, die hier als Barfrau arbeitet, und ein Schauspieler, der sich als Möbelpacker verdingt, Opfer einer absurden Gewaltorgie.

Die Autorin, die in Jugoslawien mit einer Fernseh-Comedyreihe debütierte, filtert aus ihren im Grunde bitterernsten Szenen kein düsteres Lamento, sondern entwirft verblüffend theaterwirksame Szenen von zuweilen grauslicher Komik. Und siehe da: Es berührt einen starker als ein Klagelied.

Der Text ist schnell hart und rüde wie eines jener neueren britischen Stücke. 1995 geschrieben, drängt er ganz von selbst zur jetzigen Aktualität. Kein Wunder, daß Regïsseur Jürgen Bosse das Silvesterfeuerwerk am Schluß ins Getöse eines kriegerischen Infernos münden läßt. Man kann das Wort „Belgrad“ derzeit (und auf längere Sicht) nicht harmlos denken.

Auch sonst verleiht die Inszenierung, als stünde sie unter Dampf, den Dingen heftig Nachdruck. Überdeutlich agieren die Zicken, Schlampen, Memmen und Brutalos. Grell werden die Figuren herausgestellt, der Abend gerät fast zur Typenkomödie.

Völlig aus der Zeit gefallen

Doch das Leid der Gestalten wird nicht etwa verkleistert. Das starke Ensemble arbeitet zwei Grundmotive der Verzweiflung heraus: Ständig wollen diese Menschen die Uhrzeit wissen, als seien sie aus der Zeit gefallen. Und so elend gierig stürzen sie sich aufeinander, als spürten sie sonst ihre Existenz nicht. All ihre Beziehungen bleiben freilich schal.

Man lacht also viel, aber man leidet auch mit. Und irgendwann fühlt man das Selbstverständliche: Serben sind keine Monster, sie werden höchstens ins Finstere getrieben. Wie wundervoll wäre es, könnte dieses Volk einmal heimkehren nach Europa!

Die 29jährige Biljana Srbljanović, entschiedene Gegnerin des Milosevic-Regimes (aber auch der NATO-Strategie), kam nicht zur Essener Premiere. Sie harrt am Ort des Schreckens aus/ denn sie fürchtet, daß sie hernach nicht mehr nach Belgrad einreisen darf und ihren Gefährten nicht mehr wiedersieht.




Harte Zeiten für Kämpfer – Jürgen Bosse inszeniert Brechts „Im Dickicht der Städte“

Von Bernd Berke

Essen. Schaut nach Mafia-Überfall aus, was sich da in Chicago abspielt: Mit Wortsalven wie aus Maschinengewehren dringen der malaiische Holz-Magnat Shlink und seine Leute in die schäbige kleine Leihbibliothek ein und kujonieren den Angestellten Garga. Ein paar Bücher werden auch zertrampelt. Es ist Kampfeszeit, und Bert Brechts frühes Stück „Im Dickicht der Städte“ ergeht sich in Kampfeslust.

Gestritten werden soll ohne Grund und Motiv, es dreht sich alles um taktische Finessen. Brecht war damals ein Anhänger des Boxsports. Doch Jürgen Bosses Inszenierung in Essen kommt uns nicht mit läppischen Anspielungen auf Henry Maske & Co. Sie ähnelt eher einer fernöstlichen Zen-Meditation über Sinn und Sinnlosigkeit des Kämpfens in kapitalistischen Zeiten. Zumal „Shlink“-Darsteller Matthias Kniesbeck, beleibt und kahlköpfig, hier beinahe wie eine Buddha-Figur wirkt.

Die Bühne (Wolf Münzner) ist zumeist in fahles Licht getaucht; dazwischen ein paar Exotika wie jener asiatische Wandschirm, auf dem sich manchmal die Menschen im Schattenspiel abzeichnen. Die Szenen changieren zwischen überscharfen Umrissen und leicht verhuschten Traumgesichten.

Verlöschendes Feuer im Schneegestöber

Das noch glühende, jugendwilde, aber schon erkennbar genialische und oft außerordentlich sprachkräftige Stück setzt einer Inszenierung Widerstände entgegen. Es handelt ja zu allem Überfluß nicht nur vom Kampf, sondern auch von dessen Unmöglichkeit: Denn die Menschen seien einander so entfremdet, daß sie nicht einmal zur Reibungsnähe eines wirklichen Streites sich zusammenfinden können. Der Regisseur läßt Ungereimtheiten gelegentlich einfach stehen und geschehen.

Nicht sonderlich kühn, aber doch einigermaßen beherzt, schlägt Bosse einen großzügig weiten Bogen über den Text. Und er hält einen gewissen Spannungsgrad bis zum Schluß aufrecht.

Achtbare Leistung des Ensembles, das eben nicht kurzerhand „alle Register zieht“, sondern die vielfach aufs absurde Theater vorausweisende Typen-Komödie mit der nötigen Trennschärfe versieht. Sehr plastisch werden vor allem die Wirkungen des listig-bösen Rollentauschs herausgearbeitet: Shlink überschreibt Garga seinen Holzhandel, er will damit dessen Lebenskonzept zerstören, gewohnte Liebes- und Familienbindungen unterhöhlen. Wir sehen nun, wie sich Shlink zum Philosophen der Macht(losigkeit) wandelt und wie andererseits Garga (Michael Schütz) vom fahrigen Underdog zum stolzierenden Hahn wird – einprägsames Körperspiel.

Am Ende ist „das Chaos aufgebraucht“, wie es im Text heißt. Und das letzte Bild wirkt ganz leer und erschöpft: verlöschendes Feuer im Schneegestöber. Der Kampf ist vorbei, der Mensch ganz allein.

 




Blutrünstiges aus dem Soziallabor – Jürgen Bosse inszeniert Edward Bonds „Ollys Gefängnis“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Klingt wie eine jener mysteriösen, weil arg verkürzten Mord-Meldungen auf bunten Seiten: „Weil sie eine Tasse Tee nicht trinken wollte, hat Mike X. seine Tochter Sheila erdrosselt.“ In Edward Bonds neuem Stück „Ollys Gefängnis“ erfährt man, wie es dazu kommen konnte. Aber ist man danach schlauer?

In Jürgen Bosses Essener Inszenierung sitzt jene Sheila (Jennifer Caron) bereits bei laufendem Fernsehgerät im Spießbürger-Zimmer auf der Bühne, wenn sich der Zuschauerraum allmählich füllt. Doch sie schaut gar nicht hin; weder aufs TV-Programm (Comedy-Shows) noch auf ihren Vater Mike (Matthias Kniesbeck).

Der Witwer hat sich rührend bemüht, hat für die Tochter gekocht und gebügelt, will nun auch mal ein paar Takte mit ihr reden. Doch so sehr er auch schnurrt, säuselt, bettelt, brüllt oder droht – sie bleibt stumm und stiert nur vor sich hin. Und den Tee will sie auch nicht trinken. Da rastet er schließlich aus und erwürgt sie. Das sonstige Repertoire der menschlichen Annäherung war halt ausgeschöpft. Psycho-Experiment vorerst beendet.

Danach verwischt Mike nicht etwa die Spuren der Untat, sondern fällt in einen Dämmerschlaf. Als die Wohnungsklingel ihn nach Stunden weckt, hat er seine Tat glatt „vergessen“. Später, als er im Knast seine Strafe verbüßt, passiert ihm erneut etwas Seltsames. Wiederum ist es, als sei er aus der Zeit gefallen: Er will sich umbringen und hat seinen Strick schon geknüpft, da muß er noch mal pinkeln. Als er von der Toilette zurückkommt, hängt schon ein Mithäftling in der Schlinge, der es eiliger hatte mit dem Ableben.

Ein Sozial-Report mit aufgepfropften Alptraumszenen? Schonungsloser Realismus, der sich dann doch ins Unfaßbare hochstemmen will? Dies und leider noch mehr. Denn Edward Bond unterlegt dem Ganzen noch eine müßige These. Im Original heißt das Stück „Ollys Prison“, sprich „All is Prison“. Merke also: Nicht nur im Gefängnis ist man eingesperrt, sondern auch in sich selbst, ins Schicksal, in die Einsamkeit der eigenen Wohnung usw. Wie zum Mitsingen: „Das gaaanze Leben ist ein Knast“.

Und so sehen wir denn, wie sich die Figuren – ob als Täter oder Opfer – in diesem Drama unglückselig miteinander verketten und einander im Gitter der Gewaltsamkeit gefangen halten. All das gipfelt in einer Schock-Szene mit dem titelgebenden „Olly“. Der logiert – typische Verquickung – bei der Mutter seines früheren Peinigers, welcher sich (siehe oben) im Knast erhängt hat. Nun wird ihm mit bloßem Finger das noch verbliebene Auge aus dem Kopf geschält. Man sieht dies auf Bildschirmen vervielfacht. Theater à la Horror-Video. Soll man nun über mediale Verstärkung von Gewalt nachdenken?

Mit blutverschmiertem Gesicht kriecht jedenfalls der seines Augenlichts beraubte „Olly“ (Michael Schütz) über die Bühne und stammelt immerzu: „Ich seh‘ nichts.“ Woraufhin Mike nochmals die finale Moral verkündet, ein jeder sei in sich eingekerkert. Nun aber Vorhang zu!

Man müht sich in Essen redlich. dem kruden Text tiefere Bedeutung einzuhauchen. Die Schauspieler können diesen Soziallabor-Traktat, das aus der Retorte zu stammen scheint, nicht so recht beglaubigen. Es wirkt alles wie zufällig hergestellt und herbeigezwungen. Bosses Regie erschöpft sich meist in vorschnellen Effekten. Da erklingen zwar immer mal wieder apokalyptische Stampf-Geräusche, auf daß man erschrecke. Doch wirklich erschüttert wird man nicht. Nur hin und wieder schockiert.

Weitere Vorstellungen: 28. Dez. / 14. und 27. Jan. – Karten: 0201/8122-200.




Dieser „Woyzeck“ sollte sich mal um die Papiertiger kümmern – Jürgen Bosse inszeniert Büchners Stück in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Die Bühne ist grau, und das Spiel dauert 90 Minuten. Am Ende steht es bei Büchners „Woyzeck“ im Essener Grillo-Theater gewissermaßen immer noch unentschieden. War’s denn spannend?

Woyzeck wird bekanntlich von Militär und Medizin mißbraucht, seiner Menschenwürde schändlich beraubt. Am Ende treibt ihn seine Geliebte Marie in mörderische Eifersucht hinein. Kein Hund möchte so leben. Das immer noch verstörende Stück von 1836/37 deutet auf Greuel des 20. Jahrhunderts weit voraus.

Doch in Essen, wo sich zum Saisonauftakt Schauspielchef Jürgen Bosse des fragmentarischen Dramas annimmt, ist es offenbar halb so schlimm. Der klobige Woyzeck (Matthias Kniesbeck) muß, so scheint es, weniger leiden. Denn rings um diesen Riesenkerl gibt es hier nur Popanze und Papiertiger. Der Doktor (Klaus-Peter Wilhelm), der Woyzeck aus „wissenschaftlichen“ Gründen ausschließlich mit Erbsenkost traktiert, kommt als lachhafter Wicht daher, als Karikatur eines wahnwitzigen Forschers.

Auch der Hauptmann (Claus Boysen), der Woyzeck strammstehen läßt, ermuntert hier eher zur medizinischen Diagnose: Als Asthmatiker mit Überfettung und Bluthochdruck, ja vielleicht sogar Infarktgefährdung, ist er dem Kollaps viel näher als sein Opfer. Hoffentlich ist er in der richtigen Krankenkasse.

Auf der üblichen Bühnenschräge

Es sieht überhaupt so aus, als müsse – seltsame Umkehrung – Woyzeck seine Peiniger schonend behandeln und sich als eine Art Pfleger um sie kümmern. Wenn alle Machthaber so harmlos wären, wären die Woyzecks dieser Welt besser dran.

Bleibt als Grund für den Untergang noch das barfüßige Vollweib Marie (Tatjana Clasing), das mit dem schmucken Tambourmajor turtelt und damit Woyzeck zur Weißglut bringt. Mit der plötzlichen Zwangsläufigkeit einer altbekannten Moritat findet nunmehr alles sein blutiges Ende. Woyzeck sticht zu wie auf dem Schlachthof, das Finale ist vollbracht.

Auf der theaterüblichen Bühnenschräge erlebt man das Geschehen wie ein allmähliches Steigen und Sinken der Figuren. Konturenschärfe und Spannkräfte gewinnen dieseSzenen kaum. Der Stoff wird nicht entschlossen gefaßt, man läßt ihn halbherzig dahingleiten. Nicht so sehr Zerrissenheit, die man doch wohl zeigen wollte, sondern Zerfaserung ist allenthalben zu spüren. Auch die Schauspieler wecken jeweils nur für Momente tieferes Interesse, dann ist es schon wieder vorbei. Büchners Sprachmacht kommt gleichfalls nur verdünnt zum Ausdruck.

Trotz des relativ kurzen Durchgangs von eineinhalb Stunden kann es einem so vorkommen, als bringe man etliche Zeit hin. Als hätten sie den Text nur deshalb gekürzt, um die verbliebenen Einzelteile desto behäbiger auszurollen. Wie gesagt, es ging unentschieden aus. Ob Regisseur, Schauspieler oder Publikum – keiner muß sich nun furchtbar grämen. Aber gewonnen hat auch keiner.

Weitere Aufführungen: 3. und 12. Okt. (0201/8122 172).




Schlag zu bei Shakespeare… – Jürgen Bosse inszeniert Shakespeares „Was ihr wollt“ als große Gaudi

Von Bernd Berke

Essen. Vergoldete Papp-Säulen mit allerlei altertümlichem Zierat rahmen die Bühne ein. Man fühlt sich in Vorzeiten des Theaters versetzt. Gewiß wird wohl gleich ein stocksteifes Spiel anheben? Doch das Gegenteil ist der Fall. Shakespeares „Was ihr wollt“ wird in Essen als pralles Lachtheater serviert.

Der neue Schauspielchef Jürgen Bosse versteht Shakespeares Komödie offenbar als reinste Gaudi. Die Aufführungspraxis der letzten Jahre, die mit manchmal gequälter Vorliebe den psychologischen Windungen des Stücks nachspürte und es als Spiegelkabinett erotischen Begehrens begriff, wird beherzt beiseite gewischt. Auch den Ehrgeiz einer eigenen Deutung läßt man in Essen fahren. Und so wird die Geschichte der jungen Viola, die – als Junge verkleidet – bei der verstockten Gräfin Olivia den Liebesboten des Herzogs Orsino macht und dabei selbst aufs Karussell gerät, zum durchweg derben Schwank.

Das ist bei Shakespeare bis zu einem gewissen Grad legitim, er hat ja wirklich nicht fürs Mädchenpensionat geschrieben. Aber die zarteren Liebes-Verwirrungen, die sich aus der Handlung ja auch ergeben, werden einfach ruppig überspielt. Roll over Shakespeare.

„Fuck Yourself“: Theater-Kirmes mit Catchen

Theater-Kirmes in Essen: Bosse kostet zumal die Szenen um Sir Toby von Rülp, Sir Andrew von Bleichenwang, den Narren und den lachhaft ichsüchtigen Malvolio (der sich mit Selbstauslöser in eitlen Posen fotografiert) bis zur Neige aus.

Eilhard Jacobs und Bosse haben das Stück neu übertragen und bearbeitet. Da grölt der närrische Chor auch schon mal irische Säuferballaden („Wild Rover“) oder einen Kanon mit den goldenen Worten „Fuck yourself“. Auch deutsche Dialekte kommen zum Einsatz. Vielleicht hätte man den Titel gleich elektrisch umpolen sollen: „Watt ihr Volt“.

Nichts, wird ausgelassen. Man sieht sogar zwei beleibte Glatzköpfe beim veritablen Catchkampf, das Publikum pfeift und johlt wie bei vergleichbarer Gelegenheit in der kleinen Westfalenhalle. Schlag zu bei Shakespeare! Und beim Jux-Duell erklingt aus der Mundharmonika – na, was wohl? – die berühmte Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Kurz: Man erlebt den Ausverkauf gängiger Mythen und Marotten gegen kleine Münze. Fehlte nur noch eine „Polonäse Blankenese“…

Immer fröhlich zur Rampe hin

Es gibt wirklich was ,zu lachen in dieser Aufführung, die Darsteller spielen komödiantische Routine aus. Mit draller Lust und Könnerschaft agieren sie zur Rampe hin. Doch in ihrem Frohsinn, ihrer Clownspower geht alles andere so ziemlich unter. Von Melancholie, von der das Stück doch auch eine ganze Menge weiß, bleibt kaum eine Spur. Das betrifft besonders die Rollengestaltung des Orsino (Soeren Langfeld), die keine rechte Kontur gewinnt, während die junge Katja Hensel als Viola mit naiver Frische all die komischen Attacken recht gut übersteht, unverwundbar wie ein Hans im Glück.

Auf der beengten Bühne des Grillo-Theaters spielt man in hintereinander gestaffelten Durchsichten – eine Art Fenster-Dramaturgie mit voyeuristischen Effekten. Die Figuren definieren sich im Grunde schon durch ihre Kostüme (samt Bühnenbild: Wolf Münzner) und durch deren bläuliche, rosarote oder schwarze Farbgebung. In derlei Typisierung zeichnet die Aufführung scharfe Umrisse. Man weiß immer gleich, woran man ist.

Es war so recht ein Theaterabend zwischen Schlußverkauf und Karneval. Und was machen wir am Aschermittwoch?

Weitere Aufführungen heute (15. Februar), 18. und 24. Februar, jeweils 19.30 Uhr.