„Also hieß es wieder Koffer packen“ – Erinnerungen des Theatermannes Jürgen Flimm

Schon als kleiner Kölner Junge ist Jürgen Flimm rettungslos dem Theater und der Musik verfallen, er singt im Knabenchor und liebt kindliche Rollenspiele. Im Schlepptau seiner Großmutter besucht er die städtischen Bühnen und Konzerthallen. Die Freikarten werden ihnen von einem Onkel zugesteckt, der als Organist und Journalist in der Domstadt sein kulturelles Unwesen treibt.

Jürgens Vater ist tagsüber Mediziner und verbringt abends als Theater-Arzt viele Stunden im Dunstkreis der Bühnen. Kaum verwunderlich, dass es auch den jungen Studenten Jürgen magisch zur Kunst und zur Avantgarde zieht. Von Dada ist es nicht weit zu Fluxus, von Kurt Schwitters und Hans Arp ist es nur ein Steinwurf zu Karlheinz Stockhausen, Joseph Beuys, Pina Bausch und Samuel Beckett. „Keine Frage, ich wollte Regisseur werden, was das auch immer war. Wie aber lernt man das? Und wo?“

Ein Weltbürger aus Köln

In seinen „Erinnerungen“, an denen Jürgen Flimm lange gefeilt hat und die jetzt (ein Jahr nach seinem Tod) erschienen sind, beschreibt der 1941 geborene Theater- und Opern-Berserker, der an vielen Bühnen Spuren hinterließ, mit rheinischem Humor, wie er zum künstlerischer Weltbürger wurde. Geradezu larmoyant schreitet er wichtige Stationen seines von Erfolgen und Niederlagen gezeichneten Weges durch die internationale Bühnenwelt ab, lässt nebenbei die Namen von unzähligen Kollegen wie Brosamen vom Kultur-Tisch fallen, skizziert Intention und Machart seiner Inszenierungen, die ihm oft Einladungen zum Berliner Theatertreffen bescherten.

Tief steigt Jürgen Flimm hinab in die Abgründe und Intrigen der Kulturpolitik, die ihn immer wieder sprachlos machten, deren Spiel er aber furios beherrschte. Wäre Flimm, dem das Genialische fehlte, sonst als Intendant ans Kölner Schauspielhaus und ans Hamburger Thalia Theater berufen worden, zum Leiter der Ruhrtriennale und der Salzburger Festspiele und zum Intendant der Berliner Staatsoper geworden? Flimm wusste, wie man bei Sponsoren Geld locker macht, Politiker umgarnt und Schauspieler bezirzt.

Mannheim – welch ein Irrtum!

Vieles ist ihm, der sich alles hart erarbeiten musste, gelungen. Sein Bayreuther „Ring“ war denkwürdig, seine Arbeiten an der Met in New York sorgten für Furore. Doch einige bittere Pillen musste auch er schlucken: Seine Zeit als Spielleiter an der Salzach (2006-2010) bezeichnet er freimütig als „Fehler“, den kurzen Abstecher (1972/73) nach Mannheim als „Unglück“: Der damals noch ziemlich unbekannte Flimm hatte Rosinen im Kopf, sagte sich: „Geh doch erst mal in die Provinz, da lernst du, abseits der Metropolen. Da kannst du in der Abgeschiedenheit sorgsam vor dich hin werkeln. Welch ein Irrtum!“ Flimm und das Ensemble, besoffen von Mitbestimmungs-Ideen, Kollektiv- und Kommune-Idealen, „scheiterte dann aber schnell an der städtischen Kulturbürokratie und der Verantwortungsphobie des Generalintendanten“. Die Inszenierungen zündeten nicht, die Stimmung wurde frostig.

Dazu kam ein privates Unheil, als nur drei Wochen nach der Geburt sein kleines Kind starb. Flimm und seine damalige Ehefrau, die Schauspielerin Inge Jansen, entschlossen sich zur „hastigen Flucht“ aus Mannheim: „Also hieß es wieder Koffer packen.“ Weiter ziehen. Irgendwo wartete bestimmt eine neue Herausforderung, eine neue Inszenierung von Büchners „Leonce und Lena“, die ihn schon als Student in einem Kölner Kellertheater faszinierte und die er später immer wieder – auch in New York – inszenierte. Mit leichter Hand und feinem Schmunzeln erzählt Flimm davon in seinen „Erinnerungen“, deren Titel („Mit Herz und Mund und Tat und Leben“) er sich bei Johann Sebastian Bach und seiner wunderbaren Kantate „Jesus bleibet meine Freude“ ausgeliehen hat. Flimm griff eben immer gern ins ganz große Regal. Schade nur, dass der Verlag auf ein Namens- und Inszenierungs-Verzeichnis verzichtet hat.

Jürgen Flimm: „Mit Herz und Mund und Tat und Leben. Erinnerungen.“ Kiepenheuer & Witsch. Köln 2024, 350 Seiten, 26 Euro.




Günter Grass: „Ich lasse mich nicht mundtot machen“ – Der Schriftsteller beim Leseabend der RuhrTriennale

Von Bernd Berke

Duisburg. Von der heftigen Debatte um sein spätes Waffen-SS-Geständnis mag Günter Grass am liebsten nichts mehr hören: „Ich lasse mich nicht mundtot machen“, sagte er jetzt als Gast der RuhrTriennale in Duisburg.

Dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frank Schirrmacher, warf der Literaturnobelpreisträger vor, ihn mit verdrehten Tatsachen als Schriftsteller und öffentliche Person demontieren zu wollen. Überhaupt sei ihm in den letzten Wochen aus manchen Medien „Hass und Vernichtungswillen“ entgegengeschlagen. Grass fügte hinzu, er habe sich gefühlt, als wäre er nun „frei zum Abschuss.“

Doch er .werde als Künstler alle Angriffe überleben und er werde nicht weichen, sondern sich weiterhin in gesellschaftliche Diskussionen einmischen. Grass: „Daran ist ja die Weimarer Republik zerbrochen – dass zu wenige Bürger sie verteidigt haben.“

Schauplatz der Tiraden war ein Leseabend im Rahmen der RuhrTriennale. Trotz des zeitgleichen Fußball-Länderspiels waren viele Hundert Menschen in die Duisburger Gebläsehalle gekommen, um Auszüge aus Grass‘ Jugenderinnerungen „Beim Häuten der Zwiebel“ zu hören – und um sich ein Bild von der gegenwärtigen Befindlichkeit des Autors zu machen.

Nach der Lesung nahmen Grass und Triennale-Chef Jürgen Flimm (beide sind „per Du“ miteinander) in zwei bequemen Sesseln Platz – zum Podiums-Dialog bei einem Gläschen Rotwein.

„Wer wird später noch Schirrmacher kennen?“

Der Autor bemühte einen epochalen Vergleich: In Anspielung auf den kleinlichen Goethe-Kritiker Wolfgang Menzel fragte Grass: „Wer kennt heute noch Menzel? Wer wird später noch Schirrmacher kennen?“ Selbstgewisser Blick vom Dichter-Olymp herab…

Was bei einer Lesung deutlicher wird als bei stiller Lektüre: Grass‘ Memoiren wirken sprachlich geglättet und erzähldramaturgisch, ja zuweilen gar anekdotisch mustergültig gebaut; selbst dann noch, wenn es um schlimme Kriegserlebnisse geht. Literarisch denkbar wäre ja auch ein schrundiger, zerrissener Tonfall, der menschliche Erschütterung direkter abbildet. Hier aber spricht ein beruhigter „Klassiker“, ein Souverän.

Im Zwiegespräch mit Flimm betonte Grass abermals, er habe erst im Verlauf der Arbeit an diesem Buch ein Geständnis über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS ablegen können: „Ich war vorher nicht in der Lage, es mitzuteilen.“ Er habe sich über seine prinzipiellen Vorbehalte gegenüber autobiographischen Texten hinweggesetzt. Die Erinnerung färbe vieles schön, daher sein Misstrauen. Er nehme aber für sich Anspruch, gerade die schmerzlichen Passagen sehr genau und gewissenhaft formuliert zu haben.

Gastgeber Flimm pflichtete Grass bei: Es sei letztlich Sache des Schriftstellers, wann er biographische Tatsachen preisgebe. Außerdem habe Grass nach dem Krieg als „kräftiger Demokrat“ tätige Reue geübt wie nur wenige. Für solche lindernden Sätze gab es Beifall aus dem Publikum. Die große Mehrheit seiner Leser hält offenbar durch alle Fährnisse treu zu Grass.




Flimm: „Wir sind noch befreundet“: Nach Rollen-Absage erhebt Veronica Ferres Vorwürfe, doch Triennale-Chef bleibt gelassen

Von Bernd Berke

Zuerst hatte sich die Schauspielerin Veronica Ferres gar nicht weiter zu ihrer Rollen-Absage an die RuhrTriennale äußern wollen. Grund: Sie sei mit Triennale-Chef Jürgen Flimm befreundet. Jetzt freilich erhebt sie im Interview mit der Frankfurter  Allgemeinen Zeitung (FAZ, gestrige Ausgabe) recht bittere Vorwürfe gegen Flimm. Der wiederum empfiehlt im Gespräch mit der WR, die Sache niedriger zu hängen.

Flimm habe ihr die Triennale-Produktion „Courasche oder Gott lass nach“ als Chance zu einer großen Charakterrolle schmackhaft gemacht, so Ferres in dem FAZ-Interview. Der Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino sollte ihr das Stück eigens „auf den Leib“ schreiben. Im Juni habe sie die bis dahin fertigen Passagen des Dramas gelesen, dessen (einzige) Hauptfigur eine alternde Hure ist. Sie sei erschrocken und enttäuscht gewesen.

„Es geht ums ,Ficken’…“

Veronica Ferres zur FAZ über ihren Schock: „Um es deutlich zu sagen: Es geht ums ,Ficken‘, es geht seitenlang um Sperma…“ Die Absprachen mit Flimm seien seinerzeit in eine ganz andere Richtung gegangen. Ferres wörtlich: „Ich komme mir ein wenig vor wie die Figur im Stück – die Männer bestimmen: Friß oder stirb, du mußt die Beine breit machen.“

Wenn solche Aussagen im Raum stehen, sollte man denn doch die „andere Seite“ hören. Die WR erreichte Jürgen Flimm gestern telefonisch in Salzburg. Flimm: „Das Stück war doch noch nicht einmal fertig. Veronica hat den dritten Akt überhaupt noch nicht gekannt. Sie wusste gar nicht, wie sich die Figur am Ende entwickelt. Sie war viel zu ungeduldig mit ihrer Absage. Aber bitte: Sie hat natürlich das Recht zu einem solchen Schritt.“

Keinerlei Anlass für Rechtshändel also, zumal sich die Verluste für die Triennale in engen Grenzen hielten. Flimm: „Wir reden hier gerade mal über sechs von etwa 100 Triennale-Vorstellungen.“ Und man habe die Produktion ja frühzeitig stoppen können.

Der Text war noch gar nicht fertig

Jedenfalls, so Flimm, hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, den Text hie und da noch zu ändern: „Das ist theaterüblich. Ein Autor liefert die Textvorlage, dann geht es an die weitere Arbeit.“ Besonders den ersten Akt habe er selbst „sehr gut“ gefunden, ein paar Stellen hätten aber auch für seine Begriffe etwas zu deftig geklungen. Genazino wäre allerdings bereit gewesen, das Eine oder Andere zu streichen. Außerdem, so Flimm: „Ich könnte Sätze aus Becketts ,Warten auf Godot‘ zitieren, da käme einem das Stück ganz obszön vor. Oder nehmen Sie Shakespeares ,Titus Andronicus‘, da geht es richtig zur Sache…“

Was sagt Flimm zu Ferres‘ Vermutung, die RuhrTriennale hätte ihre Popularität als Verkaufsmagnet einsetzen wollen? Der Triennale-Chef: „Das stimmt überhaupt nicht. Da könnte ich jetzt eine halbe Stunde lang erzählen. Aber ich lasse es lieber.“

Ferres behauptet auch, man habe ihr anwaltlich verboten, öffentlich aus dem Genazino-Stück zu zitieren. Flimm: „Auch nicht richtig. Es ist gar nicht nötig. Hier greift schon das bloße Urheberrecht, solange ein Autor seinen Text noch nicht freigegeben hat.“ Die FAZ zitiert Veronica Ferres schließlich mit dem Satz: „Flimm hat mir geschrieben, daß es keinerlei Berührungspunkte mehr geben wird in unserem Leben.“ Jürgen Flimm zur WR: „Unsinn! Ich möchte mal wissen, woher sie das hat. Ich sehe es so, dass wir immer noch miteinander befreundet sind.“

Vielleicht wär’s Zeit für eine Aussprache zwischen den beiden? Flimm: „Die wird es wohl geben. Wir werden uns irgendwann mal im Café zusammensetzen und reden.“ Wahrscheinlich dann, wenn über die Angelegenheit ein wenig Gras gewachsen ist.

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HINTERGRUND

Ersatz für „Courasche“ wird gesucht

  • Nach der Absage von Veronica Ferres hat Triennale-Chef Jürgen Flimm die Duisburger „Courasche“-Produktion gestoppt. Es wird ein Ersatzstück gesucht.
  • Flimm hatte Ferres die Rolle Ende 2005 offeriert.
  • Wilhelm Genazino, Autor des strittigen Stücks, wurde 1943 geboren. Er war u. a. Redakteur beim legendären Satireblatt „Pardon“, ist seit 1971 freier Schriftsteller und bekam 2004 den Büchner-Preis. Genazino schrieb u. a. „Abschaffel“ (Trilogie, 1977), „Das Licht brennt ein Loch in den Tag“ (1996) und „Die Liebesblödigkeit“ (2005).
  • Der Barockdichter Grimmelshausen lieferte den „Courasche“-Stoff, den auch Bert Brecht nutzte.



Flimm will Triennale im Spätsommer – Künftiger Festival-Chef stellte sich in Bochum der Presse vor

Von Bernd Berke

Bochum. Sonnenklar: Jürgen Flimm, ab 2005 Chef der RuhrTriennale, hat erst vor wenigen Tagen seinen Vertrag unterzeichnet und kann noch nicht mit fertigen Festival-Konzepten aufwarten. Doch er skizzierte gestern in Bochum schon mal „Ideen aus meinem Zettelkästen“.

So kann er sich etwa Programme auf der Basis von Renaissance- und Barock-Kompositionen vorstellen. Diese Epochen lägen uns innerlich gar nicht so fern: „Auch damals mussten neue Horizonte entworfen werden.“ Apropos: Ein alle Produktionen überspannendes Grundthema sei in unseren Umbruch-Zeiten kaum vorstellbar. Flimm: „Es herrscht Zersplitterung.“ Aber vielleicht ergebe sich ja ohne Absicht eine heimliche Leitidee.

„In Salzburg ist man altgierig, im Revier neugierig“

Flimm, der bei der RuhrTriennale nicht selbst inszenieren will, nannte zwei konkrete Wünsche: Schon seit längerem reize ihn Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ (nach J.M.R. Lenz). Auch für Luigi Nonos bislang fast nur konzertant gegebenes Musikdrama „Prometeo“ will Flimm eine theatralische Umsetzung anregen: „Konzertant ist doch eunuchenhaft.“ Gut möglich also, dass derlei Stoffe das Fundament für „Kreationen“ bilden, wie sie Flimms noch amtierender Vorgänger Gerard Mortier ersonnen hat: tiraditionelle Formen als Ausgangsmaterial für neue Mischungen und Erkundungen. Überhaupt zollt Flimm dem Belgier großen Respekt. Und er schwärmt vom Revier-Publikum: „In Salzburg ist man altgierig, hier im Revier ist man neugierig.“

Überhaupt keine Probleme mit Castorf

Weit gediehen sind Flimms Überlegungen, die RuhrTriennale im Sinne einer Entzerrung zeitlich neu zu postieren. Der Schwerpunkt soll nicht mehr im Frühjahr oder Herbst liegen, wenn etliche andere Festivals und Premieren anstehen, sondern im Spätsommer. Vor allem dürfe es keine Überschneidungen mit den Ruhrfestspielen geben, die dann unter dem Triennale-Dach von Frank Castorf (Flimm: „Mit dem habe ich überhaupt keine Probleme“) geleitet werden.

Zudem zeichnet sich eine Konzentration auf noch weniger Spielorte ab. Flimm sieht die Bochumer Jahrhunderthalle als zentrales Festspielhaus. Daneben dürfte der Duisburger Landschaftspark Nord Bestand haben, wo Flimm gerade einen WDR-Film dreht – die Kleist-Phantasie „Käthchens Traum“.

„Kürzungsschock“ ist überwunden

Für Koproduktionen mit Stadttheatern ist Flimm prinzipiell offen. Allerdings: Die Häuser zwischen Dortmund und Oberhausen müssten in erster Linie gezielt für ihre Städte spielen. Die Triennale stehe nur für besondere Projekte bereit, sie sei keine zweite Subventions-Quelle für kommunale Bühnen. Flimm bekannte, er habe den „Kürzungsschock“ (38 statt 42 Mio. Euro für die Triennale 2005 bis 2007) überwunden, und er sehe Spar-Möglichkeiten. Die musikalische Reihe „Century of Songs“ werde er aber fortsetzen.

Und wie hält es der Fußballfan mit dem Revier? Flimm ist Anhänger von Werder Bremen und derzeit sauer auf Schalke, das den Hanseaten den Torjäger Ailton abspenstig macht. Flimm: „Ich werde mich wohl auf Borussia Dortmund zubewegen Da geht mein Freund Müller-Westernhagen auch immer hin.“




Jürgen Flimm wird Chef der RuhrTriennale – ab 2005 als Nachfolger von Gerard Mortier

Von Bernd Berke

Im Westen. Der Favorit hat das Rennen gemacht: Jürgen Flimm soll ab 2005 neuer Leiter der RuhrTriennale und damit Nachfolger von Gerard Mortier werden. Der 61-jährige Flimm bleibt bis 2004 Schauspielchef der Salzburger Festspiele. Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins war er kürzlich zurückgetreten. Dies hatte bereits Spekulationen über ein Engagement im Ruhrgebiet genährt.

Auf Flimm, den langjährigen Leiter des Hamburger Thalia Theaters, einigten sich alle Gremien: der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH (Rechtsträger der Triennale) hat den einstimmigen Vorschlag der Findungskommission „zustimmend zur Kenntnls genommen“. Gestern gab auch der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele, die künftig unter dem „Dach“ der Triennale angesiedelt sind, grünes Licht. Damit könnte Jürgen Flimm am 11. Juli formell berufen werden.

Enorme Erfahrung in vielen Positionen

Bis auf Gastinszenierungen in Bochum (1974-79, Ära Zadek) hatte Flimm bisher kaum direkte Verbindungen zum Revier. Doch sonst bat er fast alles gemacht, was in der Theaterwelt möglich ist. Am 17. Juli 1941 in Gießen geboren, wuchs der Sohn eines Arzt-Ehepaares in Köln auf – mit evangelischem Hintergrund, zu dem er sich entschieden bekennt. Da sein Vater als Theaterarzt arbeitete, konnte Jürgen Flimm schon als Kind hinter die Kulissen blicken. Dies hat ihn, wie er sagt, fürs ganze Leben „infiziert“.

Neben dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Köln absolvierte Flimm eine Schauspielausbildung und bekam 1968 sein erstes Engagement als Regie-Assistent an den Münchner Kammerspielen. 1972 wurde er Oberspielleiter in Mannheim, 1973 übte er die gleiche Funktion am Hamburger Thalia Theater (unter Boy Gobert) aus. Ab 1979 war er – als Nachfolger von Hansgünther Heyme – Schauspiel-Intendant in Köln. 1985 begann seine glorreiche, bis ins Jahr 2000 währende Ära als Thalia-Intendant. Unter seiner Ägide wurde die Bühne zur Pilgerstätte.

Lieber das „Erbe“ überprüfen, als Uraufführungen zu sammeln

Bei der Jagd auf Uraufführungen hat sich Flimm – anders als z. B. Claus Peymann – stets merklich zurückgehalten. Statt dessen erkundete er die klassischen Stoffe, zumal das Werk Georg Büchners, sorgsam neu. Überhaupt prüfte er am liebsten das „Erbe“: von Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing und Kleist über Schnitzler, Tschechow und Ibsen bis hin zu Brecht.

In den letzten Jahren hat Flimm auch zahlreiche Opern (u. a. Mozart, Wagner) inszeniert, und zwar für die „ersten Adressen“, so beispielsweise an der New Yorker „Met“, in Bayreuth und Salzburg.

Behutsamer Umgang mit den Klassikern

Bei all dem betätigte er sich nie, wie etwa Frank Castorf, als „Stücke-Zertrümmerer“, sondern aktualisierte die Werke behutsam, ohne ihren Handlungskern zu beschädigen. Flimm hat immer wieder betont, dass Theater mit Blick aufs Publikum entstehen müsse und nicht fürs eitle Ego der Macher. Auf Erdverbundenheit und „Revier-Tauglichkeit“ deutet auch sein großes Faible für Fußball hin. Flimm ist seit Jahrzehnten Mitglied bei Werder Bremen.

Blättert man in den Annalen, so stößt man auf einen möglichen Reibungspunkt mit dem designierten Leiter der Ruhrfestspiele, Frank Castorf, dessen Vorgesetzter Flimm als Leiter der RuhrTriennale wäre. In Interviews hat sich Flimm recht deutlich von Castorfs oft rabiater Form des „Regietheaters“ abgegrenzt.

Flimm kennt sich bestens in den Fährnissen der KulturpoHtik aus. Das langjährige SPD-Mitglied (Austritt u. a. mit Günter Grass nach der Asyldebatte) ist inoffizieller Kulturberater von Bundeskanzler Schröder. Von Flimm stammte die Anregung, das Amt eines Staatsministers für Kultur zu schaffen. Mit Bundespräsident Rau schuf er zudem ein „Bündnis für Theater“.

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Kommentar:

Eine ideale Wahl

Hätte man seine Wunschkandidaten für die Leitung der RuhrTriennale nennen sollen, so wären fraglos die Namen Claus Peymann und Jürgen Flimm gefallen. Mit anderen Worten: Die gestern getroffene Entscheidung für Flimm ist eine geradezu ideale Wahl.

Der 61-Jährige hat ungeheure, unschätzbar wertvolle Erfahrungen als Regisseur und Theaterleiter angehäuft. Auch in den Feinheiten der Kulturpolitik kennt er sich präzise aus. Zudem ist er in den Sparten Schauspiel und Oper höchst sattelfest. Was will man mehr? Flimm ist ein Theatermacher, der „vom Publikum her“ denkt. Es ging ihm nie, wie leider so vielen anderen Regisseuren, um schrankenlose Selbstverwirklichung auf Kosten der Stücke. Andererseits ist er kein bloßer Traditions-Verwahrer, sondern er schneidet die Stoffe durchaus aktuell zu.

Flimm gilt als gleichermaßen verbindlich wie durchsetzungsfähig und verhandlungssicher. Im politischen Raum pflegt er die allerbesten Kontakte. Nur: Wenn im Gezerre um die Düsseldorfer Koalition auch die RuhrTriennale unter die Räder geraten sollte, hätte selbst er wenig Chancen, den Schaden einzugrenzen.

Jedenfalls kommt es Flimm zugute, dass er sich stets als sehr kostenbewusster Bühnenchef erwiesen hat. Für den Fall einer Etat-Überziehung hat er andernorts sogar schon mal einen Verzicht auf große Teile seiner Gage angeboten.

Im Ruhrgebiet keinesfalls zu unterschätzen: Zu allem Überfluss hat Jürgen Flimm, ein langjähriger Freund des Trainers Otto Rehhagel, auch noch gehörig Ahnung vom Fußball. Auf seinen „Anstoß“ in den Kulturstadien des Reviers darf man sich schon jetzt freuen.

Bernd Berke




Ruhr-Triennale: Die Euphorie steckt alle an – Kultur-Prominenz diskutierte in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Eigentlich wollten sie über das Globalthema „Das Festival im 21. Jahrhundert“ reden. Aber die hochkarätige Runde im Duisburger Lehmbruck-Museum kreiste denn doch fast nur um „das Eine“: die „Ruhr-Triennale“.

Kein Wunder: Triennale Chef Gérard Mortier saß mit auf dem Podium. Er bat um Geduld: „Richard Wagner hat 20 Jahre lang nachgedacht, bevor er die Bayreuther Festspiele gründete. Gebt mir wenigstens noch Zeit bis Ende dieses Jahres.“ Denn natürlich lechzte man auch hier wieder nach Details zum Festival, welches ab 2003 das gesamte Revier leuchten lassen soll. Manche richten ja geradezu messianische Hoffnungen auf Mortier.

Besonders vorurteilsloses Publikum

Der revanchiert sich mit flammenden Komplimenten. In höchsten Tönen preist er das Ruhrgebiet, das ihn als „sozial-kultureller Raum“ fasziniere. Hier gebe es ein vorurteilsloses Publikum: „Die Leute glauben nicht, schon alles zu wissen.“ Also lasse sich hier das bildungsbürgerliche Inventar („Kanon“) viel besser durchrütteln als andernorts.

Die prominente Kritikerin Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“), die Mortiers Verdienste bei den Salzburger Festspielen bestens kennt, hegt gleichfalls großeErwartungen. Ein solches Festival brauche „eine magnetische Grundidee und eine magnetische Persönlichkeit“. Beides scheine bei der Triennale der Fall zu sein. Diese könne dem Revier einen ungeheuren Zuwachs an „Urbanität“ bescheren, denn Mortier stehe für aufregende ästhetische Herausforderungen.

Zum Leidwesen des Moderators Dietmar N. Schmidt (NRW-Kultursekretariat), der die verbreitete Triennale-Euphorie höchst skeptisch betrachtet, gibt sich auch Jürgen Flimm (Regisseur und Präsident des Deutschen BühnenVereins) zuversichtlich. Er sehe der Triennale mit „neugieriger Solidarität“ entgegen.

„Eine gute Idee findet ihr Geld“

Die Triennale, so Flimm weiter. werde die Kultur wohl ganz allgemein aufwerten und auch bestehenden Bühnen Nutzen bringen. Diese dürften sich allerdings nicht auf alten Lorbeeren ausruhen, sondern müssten sich mitreißen lassen vom neuen Schwung. Manche Sorgen seien kaum angebracht: „Es ist noch kein Stadttheater wegen eines Festivals geschlossen worden.“

NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) konnte sich also beruhigt zurücklehnen. Mit dem Slogan „Eine gute Idee findet ihr Geld“ versicherte er abermals, das Festival werde aus zusätzlichen Mitteln bestritten (im Jahresschnitt 40 Mio. DM). Da bleibt auch Norbert Lammert, dem kulturpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nur noch Optimismus übrig: Das Revier besitze viel Kulturvolumen, aber noch nicht genug kulturelle Strahlkraft. Da komme ein solches Festival – auch im „Wettbewerb der Provinzen“ mit der Hauptstadt Berlin – gerade recht.

Eindeutiges Fazit: Friede – Freude – Triennale.