Der Kult um den Besitz – Düsseldorfer Ausstellung erkundet Wechselströme zwischen Geld und Kunst

Von Bernd Berke

Düsseldorf. „Wir zeigen keine Aktenkoffer“, stellt Jürgen Harten gleich klar. Der langjährige Chef der Düsseldorfer Kunsthalle, inzwischen im Ruhestand, hat noch einmal eine große Schau an früherer Wirkungsstätte inszeniert: „Das fünfte Element – Geld oder Kunst“.

Der Titel sagt’s: „Mammon“ wird als so elementar begriffen wie Feuer, Wasser, Luft und Erde. Er breitet sich überall aus, macht sich alles Untertan – so mitleidlos das Lebendige niederdrückend wie auf jenem Gemälde von George Frederick Watts (1884). Gewiss: Geld setzt die Werte, doch Kunst setzt die Zeichen.

Keine Aktenkoffer also. Es wäre ja auch zu naheliegend. Nein, hier geht es ungleich subtiler zu: Zwischen archäologischen Kostbarkeiten, älteren und neueren Kunstwerken sowie Alltagsdingen werden Wechselströme im Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben aufgespürt.

„Das Museum der höchsten Werte“

Die sechs Abteilungen der Ausstellung tragen so schöne Überschriften wie „Im Atelier des Kapitals“ oder „Das Museum der höchsten Werte“. Bestimmt auf der Basis anspruchsvoller theoretischer Überlegungen, jedoch vom Besucher eher flanierend und assoziativ zu erschließen, begegnen einander die Epochen ganz unmittelbar: Neben dem altägyptischen Kodex findet sich etwa eine Raum-Installation neuesten-Datums, oder kurz nach dem klassischen Tafelbild (besonders prägnant: Quinten Massys‘ „Der Geldwechsler und seine Frau“, 1514) trifft man auf eine Harley Davidson, Baujahr 1945, jene fahrbare Wertanlage mit Kultcharakter.

Es gibt Motive, sozusagen Wert-Zeichen, die durch all die Jahrhunderte gelten. Beispielsweise das Gold als archaisches Unterpfand des Reichtums. Rein wirtschaftlich ist es nicht mehr so bedeutsam, doch das kultische Wesen des Besitzes kommt in ihm zum reinsten Ausdruck. Wir sehen es als Lasur auf einer Mumienmaske, in Gestalt altrömischer Münzen, aber auch als Phantasie-Währung und als Goldfarbe auf fotografierten Gesichtern der Künstler Joseph Beuys oder Katharina Sieverding, die sich somit selbst zu glitzernden Kultobjekten stilisieren.

Die Warenform drängt zur seriellen Kunst

Den „Tanz ums Goldene Kalb“ vollzieht man hier freilich nur virtuell, indem man um einen 1995 von Jeffrey Shaw gestalteten Bildschirm herumgeht. Apropos: Auch das Rind, als Hinweis auf stattlichen Besitz und Zeugungskraft, zählt zu den uralten Reichtums-Symbolen mit sexuellem Anspielungspotenzial. Selbst die Kuhkopf-Tapete von Andy Warhol bezieht sich lässig auf diese Tradition.

Spürbar werden nicht nur die aus Religion und Künsten geborgten kultischen, sondern auch die vom Einzelstück abstrahierenden, gleichmacherischen Kräfte des Geldes. Senta Connerts Regale mit Hemden und Handtüchern (1998) oder ein Verkaufsraum voller Teddybären zeigen die Dinge in ihrer Warengestalt, welche zur seriellen Kunst drängt. Die Sachen werden wie in einer Fabrik vervielfacht und damit letztlich herabgewertet.

Roboter zerreißt Familienbilder

Erschreckend konkret wird derlei Entseelung in einer Maschine von Max Dean, deren Roboterarm sich nach festem Zeitraster Familienfotos (Hochzeiten, Urlaube etc.) greift und sie säuberlich zerschnitzelt. Sind menschliche Bindungen derart zerstört, offeriert sich die käufliche Lust: Edward Kienholz baute 1980 den „Playboy“-Flipperautomaten. Heftige Hüftbewegungen beim Abschießen der Kugeln kann man hier gleich in die Öffnung eines vom ans Gerät montierten weiblichen Torsos leiten…

Gnadenlos abstrakt und lebensfern wirkt die abgebildete Realität des alles regierenden Geldverkehrs: Laura Kurgan macht den unaufhörlichen Fluss weltweiter Devisenströme mit Hilfe des Reuters-Nachrichtendienstes in beängstigender Echtzeit als ein schier ewig weiter zitterndes Kurvenbild sichtbar. Vorher las man auf einer Tafel: „Nur noch 1017 Tage bis zum Ende des Kapitalismus.“ Es muss wohl Jahre heißen, oder?

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis14.Mai. Di-So11-18, Fr 11-21 Uhr. Katalog 65 DM.




Jetzt die Hauptmahlzeit! – Umfangreiche Matisse-Ausstellung in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Autofahrer können es kaum übersehen. Als hieße so ein neuer Düsseldorfer Stadtteil, geleiten Schilder mit der Aufschrift „Matisse“ den Ortsunkundigen zur Kunsthalle am Grabbeplatz. Dem logistischen Aufwand entspricht ein nahezu sensationelles Ereignis: Noch nie war in einem deutschen Kunsttempel das Schaffen von Henri Matisse derart umfassend dokumentiert wie jetzt am Rhein.

Genau 97 Exponate sind zu sehen, Leihgaben aus aller Welt. Die Ausstellung, die 1982 in Zürich Furore machte, dürfte derzeit eine der wichtigsten überhaupt sein. Stolz verglich denn auch Kunsthallen-Direktor Jürgen Harten die Schau mit der „kleinen“ Bielefelder Matisse-Ausstellung 1981, die lediglich ein „hors d’oeuvre“ (Vorspeise) gewesen sei, während man nun in Düsseldorf die „Hauptmahlzeit“ serviere.

Nahezu alle avantgardistischen Stilrichtungen bezogen oder beriefen sich in irgendeiner Form auf Henri Matisse (1869-1954), Picasso ebenso wie die wichtigsten Vertreter der US-amerikanischen Popart. Neuerdings richtet sich wieder ein verstärktes Interesse auf die Werke des Nordfranzosen, der nun auch als früher Vorläufer einiger Tendenzen in der Ausdrucks-Malerei der „Neuen Wilden“ gehandelt wird.

Die Düsseldorfer Ausstellung ist zwar gegenüber jener in Zürich (dort wurden 119 Werke gezeigt) geschrumpft, doch hat der Zürcher Museumsdirektor Felix Baumann, der auch die Hauptarbeit bei der Zusammenstellung für Düsseldorf leistete, zum Ausgleich einige rare Werke aufgetrieben, die in der Schweiz nicht zu sehen waren. Besonders stolz ist man darauf, das „Portrait d’Auguste Pellerin“ erstmals in der Bundesrepublik der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Bislang kannten allenfalls Spezialisten dieses Bild.

Ein Novum ist auch, daß die Erben von Henri Matisse Bilder für eine Ausstellung in Deutschland zur Verfügung stellten. Es ist nur zu verständlich, daß dies bisher nicht der Fall war, denn Angehörige der Familie Matisse wurden als Mitglieder der Résistance (Widerstandsbewegung) von Deutschen verhaftet. Wie Jürgen Harten, Direktor der Kunsthalle, ausführte, sei es gelungen, in Düsseldorf eine glückliche Mischung aus verschiedenen Präsentationsformen zu finden: „Die Skala reicht von Monumentalität bis zur Intimität.“ Großflächige Matisse-Werke, so etwa „La danse“ („Der Tanz“) gewinnen im weiten, offenen Raum an Wirkung. Andere Bilder wiederum, die sich dafür eignen, wurden in kleinen „Inseln“ aufgehängt.

Die Ausstellung ist ein Erlebnis, und zwar allein schon deshalb, weil man hier ohne aufwendige Auslandsreise erstmals die Entwicklung von Henri Matisse an Originalbeispielen nachvollziehen kann. Gerade sein meisterhafter Umgang mit flächigen Farbwerten nämlich kommt selbst in teuren Reproduktionen nicht annähernd zum Ausdruck.

Außerdem liegt in Düsseldorf ein Schwerpunkt auf dem bisher wenig beachteten Spätwerk aus den 1940er Jahren. Aber auch aus der frühen, impressionistischen Phase sind genügend Werke (darunter „Le jardin du Luxembourg“ von 1901/02 und „Notre-Dame“ von 1905) vertreten, so daß man sich auch hier einen Überblick verschaffen kann. Wenn man genügend Zeit mitbringt, bleibt es nicht beim Überblick. Einige Werke – mir ging es so zum Beispiel mit „Interieur mit Harmonium“ – nehmen einen länger gefangen als nur für einen flüchtigen Augenblick.

Henri Matisse. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. 29. Januar bis 4. April 1983. Öffnungszeiten: dienstags bis donnerstags 10 bis 18 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr; montags und am Sonntag, dem 13. Februar, geschlossen, Karfreitag und Ostern (1. bis 4. April) von 10 bis 21 Uhr. Katalog (122 Abbildungen) 40 Mark.