Zwei Tage Kulturschock in New York – der neue Film von Julie Delpy

Sommerlochzeit. Das Gros der Kulturschaffenden hat sich in die Sommerpause verabschiedet. Da man derzeit eh den Eindruck hat, der Sommer finde nur noch in Filmen statt – eine gute Zeit, mal wieder ins Kino zu gehen. Der Film, für den wir uns entschieden, spielt zwar in der Zeit um Halloween, ist aber dennoch eine sommerlich leichte wunderbare Abwechslung während des Monsuns: 2 Tage New York – die Fortsetzung von 2 Tage Paris, des Überraschungshits aus dem Kinosommer 2007.

Die Protagonisten sind älter geworden, aber nicht unbedingt reifer. Zumindest allerdings ein bisschen weniger sexbesessen. Der nervige Jack ist zum Glück Geschichte, von ihm ist nur noch am Rande die Rede. Hat er der Heldin Marion doch den schnuckeligen kleinen Sohn Lulu beschert. Marion (Julie Delpy) zankt sich nun mit Mingus (Chris Rock), einem um Klassen attraktiverem, schlagfertigerem und sympathischerem Mann als die Nervensäge Jack. Mingus hat die Tochter Willow mit in die französisch-amerikanische Patchwork-Familie gebracht, alle zusammen sorgen für ein liebevolles, aber geordnetes kreatives Chaos.

Fotografin Marion steht am Vorabend einer ihrer bis dato größten Vernissagen. Als konzeptionelle Beigabe und zur Beilegung ihrer finanziellen Engpässe plant sie als Höhepunkt den Verkauf ihrer Seele. Davon abgesehen, dass diese nur enttäuschende 5000 Dollar wert ist, muß Marion sich in diesen zwei Tagen wieder mit ihrer französischen Familie rumschlagen, die zahlreicher als erwartet angereist ist, um der Vernissage, den Halloween-Feierlichkeiten und der Familien-Intimität allgemein beizuwohnen.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=XnKbUZ74rQ0&w=560&h=315]

Julie Delpy allein ist schon Grund genug, ins Kino zu gehen. Ihre Rolle ist Lichtjahre weg von der ätherischen Sabeth aus „Homo Faber“. Delpys Marion ist eine gestandene Frau, kreativ, chaotisch, liebevoll. Ein Charakter, den man ihr unbesehen abnimmt und von dem man sofort glaubt, dass sie auch im wirklichen Leben diesen Reifeprozess durchlebt und sich genauso entwickelt hat. Wie in 2 Tage Paris zeichnete die Delpy nicht nur für die Produktion verantwortlich, sondern führte auch Regie. In der männlichen Hauptrolle glänzt diesmal der Komiker Chris Rock und er macht das großartig. Überzeugend schwankt er zwischen ernsthaft und komisch, überfordert und der Situation gewachsen. Wunderbar verschroben, eigenwillig und liebenswert wiederum Albert Delpy, auch im echten Leben der Vater der Hauptdarstellerin. Alexia Landeau als Rose, der stadtneurotischen Schwester Marions, Alex Nahon als der rücksichtslose Ex-Geliebte von Marion und nunmehr Geliebter von Rose sind die witzige Krönung des Ganzen. Natürlich fehlt auch der in einem Delpy Film obligatorische Glücksbringer-Auftritt von Daniel Brühl nicht. Nach dem militanten Veganer im ersten Teil verkörpert er diesmal einen unbeirrten Baumschützer, wenn er auch in Teil zwei das Fliegen nicht lernen darf.

Julie Delpy spielt mit den Klischees, von denen sie nicht ein einziges auslässt. „Der amerikanische Traum trifft die französische Revolution“, so hieß es in der Ankündigung und diese verspricht nicht zuviel. Zwei Tage Kulturschock reichen, um aller Leben gehörig zu verwirbeln. Nicht einmal die guten französischen Würste kriegt der Vater durch den Zoll und er muss lange warten, bis er ein auf dem Bürgersteig geparktes Auto findet, welches er aus hehrem Prinzip zerkratzen kann. Rose hüpft den lieben langen Tag ohne Höschen durch die Gegend und bringt nicht nur Mingus, den bis zu einer gewissen Grenze liberalen, aber im Herzen stockkonservativen Schwarzen, der sich von einem Pappkameraden in Gestalt Obamas beraten lässt, in die Bredouille. Es geht auch wieder um das freizügige Sexverständnis der Franzosen, die Prüderie der Amerikaner, aber wenigstens nicht so ausschließlich wie in 2 Tage Paris. Die Sprachschwierigkeiten sind dabei eher eine Hilfe als ein Hindernis. Denn mehr als einmal ist es nur gut, dass man aneinander vorbeiredet.

Mit seinen witzig-chaotischen Szenen führt der Film die romantischen Komödien Hollywoods vor und dreht sie gekonnt ins Surreale. Die Franzosen kennen keine political correctness und darauf Rücksicht zu nehmen, ist das Letzte, was ihnen in den Sinn käme. Sie benehmen sich überall daneben, das aber mit viel Charme. Manchmal überdrehen sich die Szenen ins Hysterische, das kann zugegebenermaßen nerven. Alles in allem ist es aber gerade das Überdrehte, Wahnwitzige, welches diese Großstadtkomödie so liebenswert macht. Neben der unvergleichlichen Julie Delpy natürlich. Versteht sich.

Der Film ist gut fotografiert, wie in jedem ordentlichen Großstadtfilm zeigt sich New York von seiner besten Seite. Direkt zu Beginn präsentiert Julie Delpy eine witzige Montage der meistfotografierten Sehenswürdigkeiten der Stadt, alle getarnt als Schnappschüsse von Marion und ihrer Familie.

Gleichwohl scheint mein Verständnis von einer federleichten Sommerkomödie ein anderes zu sein als das etlicher Zuschauer, die den Kinosaal fluchtartig verließen und mit dem Humor dieses Films wohl nicht allzu viel anfangen konnten. Vielleicht hatten sie sich auch von Chris Rock eher Comedy im Stile eines Mario Barth versprochen. Schließlich war Barth derjenige, der Chris Rock dareinst den Rekord „Live Comedian mit den meisten Zuschauern“ abjagte.

Fazit: Wer 2 Tage Paris mochte, wird 2 Tage New York lieben. Selten genug – diese Fortsetzung ist eindeutig auch ein Fortschritt.




Ein Amerikaner kollidiert mit französischer Lebensart – Kinofilm „2 Tage Paris“ von und mit Julie Delpy

Von Bernd Berke

Ein Amerikaner in Paris – das ist ein wohlbekanntes Muster der Kinogeschichte. Es gibt ja manche Reibungspunkte der beiden Lebensarten. Und manche Klischees. Julie Delpy greift mit ihrem Film „2 Tage Paris“ beherzt in diese Gemengelage hinein.

Die bezaubernde Französin hat diesmal vieles selbst erledigt: Drehbuch, Regie, Schnitt und Musikauswahl, darunter ein Song der Dortmunder Band „Roughtones“. Natürlich spielt Julie Delpy auch eine Hauptrolle. Und damit’s kuschelig bleibt, wirken ihre Eltern (als Eltern), eine gute Freundin (als Schwester) und ihre Katze mit.

Mit ihrem amerikanischen Freund Jack (Adam Goldberg) lebt Marion (Julie Delpy) seit zwei Jahren in New York. Auf einen gemeinsamen Venedig-Urlaub folgt nun der zweitägige Abstecher in Marions Heimat Paris. Dort bewegt sie sich wie ein Fisch im Wasser, was der des Französischen unkundige Jack zunehmend befremdet erlebt.

Vor allem gibt’s im frivolen Künstlervölkchen eine Phalanx von Ex-Liebhabern, die Marion nach wie vor an die Wäsche wollen. Wie unverblümt sie alle über intimste Details reden, Marions Vater eingeschlossen! Selbst ihre Mutter erinnert sich mit unverhohlenem Sündenstolz, wie sie es anno 1969 mit Jim Morrison von den „Doors“ wüst getrieben hat. Alles Schlampen…

Jacks Kultur- und Beziehungsschocks schwellen an bis zur Hysterie: Die Pariser Taxifahrer sind offenbar allesamt Ferkel oder Rassisten. Schon ein bisschen Schimmel an der Altbau-Wand in Marions Elternhaus regt Jack maßlos auf. Ebenso widern ihn die Schweinsköpfe auf dem Wochenmarkt an. Überall roher Schmutz und Obszönitäten, so kommt es ihm vor. Gern würde er locker bleiben. Doch immer verbissener trottet er neben Marion daher, fast wie eine jungfräulich empörte Gouvernante. Das Gezänk des Paares nimmt zu, im Bett klappt’s auch nicht mehr. Oje! Man leidet mit ihnen.

Sehr nah rückt die Kamera den Figuren zuleibe, sie fängt den Hauch und Sturm des Lebendigen ein. Mitreißend vital verdichtet sich das gar nicht mal so vielschichtige Geschehen. Formal hat sich Julie Delpy ersichtlich an ihren beiden anrührenden Filmauftritten bei Richard Linklater („Before Sunrise“, „Before Sunset“) orientiert, die ähnlich innig ums flüchtige Wohl und Wehe der Liebe kreisten. Mal inständig, mal impressionistisch flirrend.

Was aus dem Paar wird? Es kommt zur unvermeidlichen Aussprache. Und zur Frage, ob Marion nach all ihren Trennungen noch eine weitere verkraften will. Eine seltsame männliche „Fee“ (Daniel Brühl!) hat Jack schon vorher die Dauerhaftigkeit dringlich ans Herz gelegt: Vom Leben bleibe am Ende nichts – bis auf die Menschen, denen man in Liebe zugetan war.

Also, ihr beiden, besinnt euch. Vielleicht sogar auf immer.




Ein Don Juan zieht Bilanz – Jim Jarmuschs Film „Broken Flowers“ mit Bill Murray

Von Bernd Berke

Das muss Don erst einmal verkraften: Erst verlässt ihn die junge Geliebte (Julie Delpy). Am selben Tag kommt ein anonymer, auffällig rosaroter Brief von einer angeblichen „Ex“. Die kündigt an, dass sein jetzt 19jähriger Sohn ihn besuchen werde, von dem Don in all der Zeit gar nichts gewusst hat.

So beginnt Jim Jarmuschs neuer Film „Broken Flowers“. Wer Wim Wenders‘ „Don’t Come Knocking“ gesehen hat, wird verblüfft sein, denn es gibt dort eine Entsprechung, als hätten sich beide Regisseure telepathisch verständigt.

Bei Wenders begibt sich Sam Shepard alias Howard auf die Suche nach einem vor 25 Jahren gezeugten Sohn und dessen einst geliebter Mutter (Shepards Frau Jessica Lange, die auch bei Jarmusch mitwirkt). Nun also abermals eine Geschichte von später Reue eines treulosen Vaters, auch darstellerisch auf Augenhöhe mit Wenders: Jarmusch schickt den famosen Bill Murray („Lost in Translation“) auf eine ähnliche Spurensuche.

Soll Don herausfinden, wer die anonyme Briefschreiberin ist? Er fühlt sich unendlich leer und möchte nur reglos in seiner Wohnung sitzen. Doch Nachbar Winston drängt ihn zur Tat. Fünf Frauen von „damals“ kämen in Frage, Don war eben ein Don Juan. Winston recherchiert vier aktuelle Adressen (eine weitere Frau ist gestorben), er bucht auch gleich Flüge und Leihwagen. Mürrisch macht sich Don auf eine Erinnerungsreise quer durch die Staaten, er ist gleichsam als Detektiv in der eigenen Vergangenheit unterwegs: Wo ist die Schreibmaschine, auf der der Brief getippt wurde? Welche Ehemalige hat’s mit Rosarot?

Der Mann, der die Frauen liebte, macht bei seinen Überraschungsbesuchen (stets mit rosa Blumenstrauß) reihenweise trübe Erfahrungen. Nicht weil die vier Damen (Sharon Stone, Frances Conroy, Jessica Lange, Tilda Swinton) älter geworden sind. Sie haben sich ja äußerlich „gut gehalten“. Nein, sie sind – jede für sich – in öden Sackgassen des Lebens gelandet. So abgeschieden wohnen sie allesamt, als hätten sie sich (stellvertretend für den weißen Mittelstand) schon aus der Gesellschaft verabschiedet.

Am Wegesrand gibt’s kleine Versuchungen

Laura bietet sich nach dem schnell verkrafteten Tod ihres Mannes als leichte erotische Beute dar (flankiert von Töchterchen Lolita, das diesen Namen lasziv verkörpert). Dora, früher wildes Hippie-Mädchen, fristet mit einem tumben Makler im grauenhaft sterilen Ambiente ihr ach so gediegenes Dasein. Carmen ist kaum ansprechbar, sie befasst sich praktisch nur noch mit Tieren. Penny ist zur grimmigen Biker-Braut geworden.

Am Wegesrand gibt’s immer wieder kleine Versuchungen durch jüngere Frauen. Hier ein blitzendes Knie, dort ein lockender Blick. Doch es ist ein Porträt des Liebhabers als alternder Mann. Eine Reise ohne konkretes Resultat, statt dessen peinliche Wiederbegegnungen und Enttäuschungen zuhauf. Man spürt, wie der grässliche Gedanke Don beschleicht: Das alles hätte auch sein Leben sein können. Oder dies. Oder jenes. Vielleicht hätte er die Vergangenheit ruhen lassen sollen. Jetzt muss er sich fragen, ob er aus sexueller Gier nicht allzu wahllos gewesen ist.

Jarmusch drängt keinen Befund auf. Sein beiläufig registrierender Stil passt bestens zur Spielweise Murrays, der maximale Wirkung mit minimaler Mimik erzielt. Wenn sein Mundwinkel zuckt, ist schon so vieles gesagt.

Und der Sohn? Bleibt ebenfalls ein Phantom. Don erblickt alsbald in so manchem jungen Mann den möglichen Spross. Auch hier (wie bei Wenders, der freilich auf große Mythen zusteuert) läuft es auf ungestillte Sehnsucht hinaus: Familie und Dauer, das wär’s wohl doch gewesen.

Nichts ist gewiss. Nur diese Erkenntnis dämmert Don: Die verpfuschte Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft noch nicht da. Es gibt nur den jetzigen Moment. Man sollte ihn rasch ergreifen…




Schmerzliches Wunder einer Liebe – „Before Sunset“ mit Julie Delpy und Ethan Hawke

Von Bernd Berke

Ohne Rückblick gehts hier nicht: Vor genau neun Jahren brachte Richard Linklater seinen Film „Before Sunrise“ (Vor Sonnenaufgang) heraus. Damals lernten sich die Französin Celine und der Amerikaner Jesse kennen. Sie verlebten in Wien nur einen einzigen, jedoch himmlischen Tag miteinander.

Dann aber, so die Legende, haben sie einander just neun Jahre lang aus den Augen verloren. Nach dieser Distanz setzt nun Linklaters Fortführung „Before Sunset“ (Vor Sonnenuntergang) ein.

Die Fiktion wird also sozusagen in Echtzeit aufgegriffen. Abermals spielen Julie Delpy und Ethan Hawke die Rollen. Jesse macht auf einer Autorenreise Station in Paris, wo Celine seit Jahren lebt. Flammendes Erstaunen seinerseits, als sie in der Buchhandlung auftaucht. Jetzt hat er freilich nur noch ein paar Stunden bis zum Rückflug in die USA. Wird’s also erneut so ein allzu kurzes, schmerzlich süßes Wunder zwischen den zweien, die doch füreinander bestimmt zu sein scheinen?

Sofort ist die Vertrautheit wieder da

Selbst nach so vielen Jahren „fremdeln“ sie nicht. Sofort ist diese Vertrautheit wieder da; wie ein Fluidum, das nicht vergehen kann. Im Nu sprechen sie so innig über ihr Leben, als hätten sie nie etwas anderes getan.

Warum sie einander „damals“ nicht wie verabredet wiedersahen? Das Drehbuch will es so: Celine musste zur Beisetzung ihrer Großmutter gehen, somit hat Jesse am Treffpunkt vergebens gewartet. Telefonnummern hatten sie aus jugendlichem Leichtsinn nicht ausgetauscht. Daher die endlose Funkstille. Hätte sie ihn denn nicht via Internet-Recherche oder über seinen Verlag erreichen können? Schwamm drüber. Glauben wir’s halt.

Film- und Handlungsdauer sind deckungsgleich: Unter der Fuchtel vermeintlichen Zeitdrucks eilen die beiden durch Pariser Straßen im flirrenden Licht, gehen ins Bistro, fahren mit dem Boot auf der Seine, bewundern aus der Ferne Notre-Dame, sitzen schließlich in Celines Wohnung – und reden, reden, reden. Ganz beseelt.

Neun Jahre des Lebens versäumt

Den Austausch übers Berufliche (sie arbeitet für eine Öko-Organisation, er ist eben Schriftsteller) bringen sie rasch hinter sich. Wie sich zeigt, sind sie beide privat nicht glücklich geworden. Er dümpelt lustlos durch seine Ehe, nur der kleine Sohn bindet ihn emotional.

Sie hat sich durch diverse Beziehungen gehangelt und ihre Illusionen verloren. Immer dringlicher schwebt die Versäumnis- oder Sonnenuntergangs-Frage über ihren Häuptern: Was wäre gewesen, wenn sie vor neun Jahren zusammen geblieben wären? Man möchte heulen über all die verschenkte Zeit. Wenn sie doch wenigstens jetzt die Gelegenheit ergreifen würden!

Zarter Zauber des Spätsommers

Ein solch handlungsarmer, aus getupften Impressionen, wehen Erinnerungen und Hoffnungsschimmer bestehender Film braucht Darsteller mit Ausstrahlung und einigem Esprit. Keine Frage, dass zumal die überaus charmante Julie Delpy darüber verfügt. Wenn sie so belebend spricht und so inständig singt (melancholisches Lied zur Gitarre – über den schönsten „One-Night-Stand“ des Lebens), dann schmilzt man(n) ziemlich dahin. Ethan Hawke hat keinen leichten Stand, behauptet sich aber mit immer noch jungenhaftem Charme.

Zarter Spätsommer-Zauber weht durch diesen Film. Und Jesse könnte seinen Abflug ja verschieben. Vielleicht sogar für immer? Am Ende bleibt es ungewiss. Ein Holzklotz, wer da nicht romantisch seufzt!

 




„Homo faber“ als Film – Postkarten-Idylle, jäh vergiftet

Von Bernd Berke

Max Frischs Roman „Homo faber“ (1957) handelt von einem Ingenieur, der fest an den Segen der Technik glaubt. Über deren angeblich verläßliche Rationalität hinaus sucht dieser Walter Faber nichts – keine Kunst, keine Mythen, keine Träume.

Doch dann packt ihn das Schicksal: Zunächst in Form technischer Pannen, dann mit Urgewalt wie in altgriechischen Drama zieht ihn der große Herrscher Zufall ins Chaos. Dieser Stoff hat Volker Schlöndorff gereizt, der schon einmal einen wichtigen Roman der 50er Jahre (Günter Grass‘ „Blechtrommel“) verfilmt hat.

Als solle man zeitlich vollends in die 50er Jahre zurückversetzt werden, beginnt der Film mit einer Schwarzweiß-Sequenz, die sich dann aber „einfärbt“; leider, möchte man seufzen, denn: In aller Welt, durch die der rastlose Faber jettet, entdeckt die Kamera jetzt Postkarten-Klischees und Folklore. Buntes Gewimmel in Mexiko, „typische Lokale“ in Italien und Griechenland sowie herrliche Geheimtip-Hotels am Wegesrand. In Paris ragt im Hintergrund der Eiffelturm auf, in Athen erhebt sich die Akropolis, damit wir bloß wissen, wo wir uns befinden. Dazu erklingen von der Tonspur meist melancholische, etwas abgegriffene Piano-Töne. Gebrochen wird diese stets leicht süßliche Perspektive aber einige Male durch bewußt unscharfe, verwackelte Handkamera-Aufnahmen.

Im weitläufigen Ambiente erzählt der Film zunächst eine geradezu paradiesische Liebesgeschichte, eine Idylle ohne jegliches Mißverständnis. Faber trifft auf einem Ozeandampfer zwischen New York und Paris die blutjunge, kunstversessene Elisabeth (Julie Delpy), die er liebe- und ahnungsvoll „Sabeth“ nennt und mit der er eine Reise durch Europas Süden bis nach Griechenland unternimmt. Es ist — ohne jede Ironie — wirklich wundervoll, diesem Idealpaar zuzusehen. Ein Traum, den man gern mitträumt.

Doch Sabeth – antike Tragik in Athen — ist in Wahrheit Fabers Tochter aus einer Verbindung mit einer Jüdin im Deutschland der 30er Jahre. Angesichts dieser Enthüllung scheint es nun nachträglich so, als habe Schlöndorff die ganze Idylle vorher nur aufgebaut, um sie desto nachhaltiger zu vergiften, und dies sogar buchstäblich: Am Umschlagpunkt der Geschichte sieht man einen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch: im selben Moment wird Sabeth von einer Giftschlange gebissen. Unschwer erkennt man das biblische Motiv: Schlange und Vertreibung aus dem Paradies.

Im Film wird auf die Stimme eines Ich-Erzählers verzichtet, die Reflexionen aus dem Roman wiedergeben könnte. Die Figuren denken hier also wenig nach, sie sind einfach da. Folglich überwiegt bei weitem die bloße Love-Story, der Konflikt zwischen Technik und Mythos kommt fast nur noch als Anekdote vor. In diesem Sinne ist Sam Shepard übrigens genau der richtige Hauptdarsteller. Sein Faber stammt nie und nimmer – wie in der Buchvorlage – aus der biederen Schweiz, sondern ist eben durch und durch Amerikaner. Er ist auch nicht nach europäischer Art kühl rational, sondern halt „cool“. All dies mag die internationale Kinoauswertung erleichtern. Aber Schlöndorff hat einen enttäuschenden Film gedreht.