Museen geschlossen, Frank Goosen ausverkauft: Ärger und Freude liegen im Kulturbetrieb des Reviers nahe beieinander

Von außen sieht man ihm seine charakteristischen Tütenlampen gar nicht an: das Schauspielhaus Bochum, wo Frank Goosen sein „Silvester Spezial“ zur Aufführung brachte. (Foto: Schauspielhaus Bochum/Martin Steffen)

Frank Goosen, das ist mal klar, Frank Goosen hat uns gerettet. Das „Silvester Spezial“ des Bochumer Kabarettisten, dargebracht im Großen Haus des Bochumer Schauspiels, fügte sich exakt in die Erfordernisse des diesjährigen Besuchsbespaßungsprogramms: Beginn um 20 Uhr und um die zwei Stunden lang, so daß es bis zum Jahreswechsel dann nicht mehr weit war. Die Silvesterparty im Schauspielhaus knickten wir uns und strebten hernach den heimischen Dortmunder Fleischtöpfen zu. Guter Abend, gutes Timing, 2025 konnte kommen.

Ruhrgebietskultur

Warum erzähle ich das eigentlich? Nun, weil die Berliner Verwandtschaft in diesem Jahr bei uns zu Gast war und man dann natürlich einen gewissen Ehrgeiz entwickelt, richtig schöne Ruhrgebietskultur vorzuführen. In vielen Vorjahren war – in Berlin – die Komische Oper ein prominenter verwandtschaftlicher Bespaßungsort, aber die wird ja jetzt umgebaut und Barrie Kosky ist auch nicht mehr da und überhaupt. Also finde mal was, hier im Revier, wenn es nicht traditionelle Operette sein soll. Nun, wir fanden, wie gesagt, ihn, Frank Goosen, den man mit seiner grundsoliden Bochumer Erdung nebst gleichzeitiger, hochgradig anregender intuitiver Beweglichkeit und profundem historischen Spezialwissen auswärtigem Publikum durchaus zumuten kann, ja geradezu: sollte.

Andreas Weißert las in Dortmund

Der Fairneß halber sei ergänzt, daß auch andere Bühnen Jahresausklangsprogramme anboten. So las der geschätzte Schauspieler Andreas Weißert auf der Dortmunder Studiobühne wieder etwas vor, Textpassagen von Fontane, Kästner, Fallada und Bernhard unter dem Titel „Es ist ein hübsches Wort, daß die Kinder ihren Engel haben“ (ein Fontane-Zitat). Nur – um 16 Uhr fing er an und anderthalb Stunden später war er fertig, das ist dann noch verdammt viel Zeit bis Mitternacht.

Volle Hütte

Bei Goosen war das Theater voll, ganz offensichtlich giert das Volk nach Jahresendkultur. Da paßt es – Vorsicht, Ironie! – wunderbar ins Bild, daß die heimischen Museen an den letzten Tagen des Jahres einfach zumachen. Das Dortmunder „U“, zentrale Adresse, blieb zwischen 30. Dezember und 1. Januar, also von Montag bis Mittwoch, drei Tage immerhin, geschlossen, und in etliche anderen Städten hielten kommunale Museen es ebenso. Offensichtlich war hier eine Bürokratie am Werke, die die Welt in Brückentagen denkt und nicht in Publikumsinteresse. Warum sollte man an kalten, nassen Winter-Werktagen „zwischen den Jahren“, die wirklich nicht zu Spaziergängen irgendwelcher Art einladen, Museumsbesuche ermöglichen? Und der Montag ist eh sakrosankt, liege er für das ungeliebte Publikum auch noch so günstig zwischen den Feiertagen. Es macht die Sache übrigens nicht besser, daß wir, wären wir in Berlin gewesen, ebenfalls vor größtenteils geschlossenen Häusern gestanden hätten. Die Ignoranz einer selbstgefälligen kommunalen Bürokratie ist ein bundesweites Phänomen.

Offene Türen beim Schraubenkönig

Private Museen hingegen kennen das Publikumsinteresse und haben ihre Angebote angepaßt. So läßt „Schraubenkönig“ Würth die Tore seiner drei Häuser in und um Künzelsau jeden Tag von 10 bis 18 Uhr öffnen, das Potsdamer Museum Barberini, das SAP-Chef Hasso Plattner gehört, bot am 1. Januar zumindest Führungen durch das Haus an, und ebenso hatte die Duisburger Küppersmühle am 1. Januar geöffnet.

Wenigstens haben wir den Kran gesehen

In Dortmund, wo Tage vor Silvester museal nichts mehr ging, blieb als touristische Aktion schließlich noch eine Stadtrundfahrt mit dem eigenen Auto, Borsigplatz, Westfalenhütte (wo große städtebauliche Veränderungen anstehen), Hoesch-Museum (geschlossen wegen Umbau). Weiter über Malinckrodtstraße und Nordmarkt zum Hafen, wo vis-à-vis vom wilhelminischen Hafenamt der alte Kran zu besichtigen ist, den man weiter unten auf dem Hafengelände abgebaut und hier, auf der Vorzeigemeile, wieder aufgebaut hat. Gut, wenigstens diese Besichtigung hat geklappt, umsonst und draußen, wie es sein soll bei einem Freiluftindustriedenkmal.

Und es ging auch vom Auto aus. Mistwetter, wie gesagt.




Neustart bei den „Mitternachtsspitzen“: Da geht noch was…

Einladend: Christoph Sieber, der neue Gastgeber der „Mitternachtsspitzen“. (Foto: WDR/Melanie Grande)

Soso. Ein Schwabe also. Christoph Sieber (51), geboren in Balingen (etwa auf halbem Wege zwischen Stuttgart und Bodensee), fungiert nun als neuer Gastgeber der WDR-„Mitternachtsspitzen“. Als lediglich reingeschmeckter Rheinländer mit Wohnsitz in Köln.

Die altvertraute Kabarett-Comedy-Mixtur, ab jetzt also ohne den gewohnten, bei allem kritischen Sinn immer noch irgendwie „gemütlichen“ und menschenfreundlichen Colonia-Tonfall von Jürgen Becker, ohne Herbert Knebels ruhrischen Zungenschlag („Boah ey, glaubsse…“) und ohne die dröhnend entnervten Schlussmonologe von Wilfried Schmickler. Und da soll man sich gleich heimisch fühlen? Der Mensch braucht doch auch in solchen Dingen seine Rituale.

Zweimal gab’s Anspielungen darauf, dass Sieber und/oder die Zuschauer mit seinem neuen Job womöglich fremdeln könnten. Anfangs wollte so eine groteske Möhre den hierorts Unbekannten gar nicht erst in den Kölner Wartesaal ‚reinlassen. Später hatte er (als coronabedingt beschäftigungsloses Funkenmariechen) erst einmal ordentlich kölsche Tön‘ zu lernen. Tja.

Und was gab’s sonst?

Die beiden Schweinepuppen von Michael Hatzius nervten schon jetzt, bei ihren Debüt; besonders, wenn das Wildschweinchen Torsten unentwegt stotterte und einzelne Worte fast gar nicht herausbrachte. Mit bestenfalls durchwachsener, brav abgespulter „Ach Was!“-Komik wartete Philip Simon auf, der Scherzvorlagen wie den Vergleich zwischen US-Wahlen und Bundesliga zum x-ten Mal nachkaute. Wie Trump es gerne gehabt hätte, so auch Bayern München: Sobald sie führen, soll das Spiel vorbei sein.

Christian Ehring plauderte recht nett über das gepflegte Mittelmaß des Armin Laschet, die eher humorfrei wirkende Sarah Bosetti lieferte mal wieder 1 a politisch korrekte Minuten ab (diesmal über den mehr als latenten Rassismus in der unsäglichen WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“). Sie drückte dabei weit offen stehende Türen ein.

Darstellerisch gleich doppelt hervorstechend: Susanne Pätzold als tief in seinem Machtwillen gekränkter Friedrich Merz auf der Couch des Psychiaters (einer Echsenpuppe, wiederum geführt von Michael Hatzius) und final im „Homeschooling“-Musical à la „Abba“. Das hatte echten Schwung.

Christoph Sieber (re.) mit Helge Schneider und dessen Sohn Charly. (Foto: WDR/Melanie Grande)

Bekanntester Gast war Helge Schneider mit einem Song über jenen „Boss“, der seinem geknechteten Mitarbeiter so gut wie nix bezahlt, denn – so die diabolisch vorgetragene Ansage: „Ich will reich werden!“ Am Schlagzeug saß übrigens Helges offenbar hochtalentierter Sohn Charly. Von wem er die Begabung wohl hat?

In seinen Überleitungen rechnete Christoph Sieber mit Figuren wie Verkehrsminister Scheuer oder Kardinal Woelki ab – wahrlich zwei Watschenmänner, wie sie zu Recht im Musterbuche aller Witzbolde stehen. Unfassbares legte Siebers knappes Aufklärungsstück über NSU-Morde und Verfassungsschutz bloß, es hätte auch gut in „Die Anstalt“ (ZDF) gepasst. Dort hatte Sieber ja schon einige Auftritte.

Kurzum: Die etwas zusammenhanglose Nummernrevue hatte zum Auftakt vereinzelt passable, doch selten wirklich starke Elemente zu bieten. Hinderlich wirkt sich freilich aus, dass man sich nach wie vor nicht vor Live-Publikum entfalten kann. Da kommt einfach keine Saalstimmung auf, es fehlt die Rückkopplung, die die Leute auf der Bühne beflügeln könnte. Auch Becker, Knebel und Schmickler hatten zum Schluss ihrer Ära mit diesem Manko ihre liebe Not.

Vorläufiges Fazit:  Sieber und seine Gäste werden sich warmspielen und es sicherlich bald noch etwas besser machen. Am liebsten demnächst mit leibhaftig anwesendem Publikum, und sei’s auch erst einmal reduziert.




TV-Nostalgie (16): Dieter Hildebrandt – die besten Jahrzehnte des Kabaretts

Heute bestreiten gewisse „Comedians“ ganze Abende mit dröhnenden Flachwitzchen darüber, dass Frauen auf Handtaschen und Schuhe versessen sind oder angeblich nicht einparken können. Welch ein himmelweiter Unterschied zum politischen Kabarett, das den Namen verdient! Da geht’s beim Lachen eben auch ums Nachdenken. Und wer hätte mehr dafür gestanden als Dieter Hildebrandt? Der Mann fehlt!

Sicher: Das parteipolitische Witzeln der 50er und 60er Jahre hatte sich irgendwann mal erledigt. Doch einer wie Hildebrandt lief zwar gewiss nicht jedem Trend hinterher, ging aber mit der Zeit und entwickelte gemeinsam mit jüngeren Begabungen das Kabarett weiter, so dass es in seinen besten Momenten auch gesellschaftliche Tiefenströmungen erfasste.

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären "Scheibenwischer"-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären „Scheibenwischer“-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Man schaue sich Ausschnitte seit den 80er Jahren an: Wie viele Talente er da mit untrüglichem Gespür für Qualität gefördert und selbst noch von ihnen gelernt hat! Bei ihm bekamen sie alle eine große Bühne – von Gerhard Polt bis Richard Rogler, von Konstantin Wecker bis Georg Schramm, dem wohl besten Kabarettisten der letzten Jahre, der sich jetzt leider aus der Öffentlichkeit zurückzieht.

Die Technik des Verhaspelns

Der gebürtiger Schlesier und Wahlmünchner Hildebrandt (übrigens Anhänger von 1860 München) war ein vorbildlicher, durch und durch uneitler Förderer, der andere gern neben sich gelten ließ und dafür sorgte, dass sie reifen konnten. Allein das war schon eine große Lebensleistung – ganz abgesehen natürlich von den eigenen Auftritten, bei denen er seine unvergleichliche Technik des (hellwachen) Verhaspelns kultivierte. Am Ende hatte er zwischen den Zeilen immer ungleich mehr gesagt, als Geradeaus-Sätze es vermocht hätten. Übrigens merkte man bei seinen Soli und im Ensemble auch immer wieder, dass er eine ordentliche Schauspieler-Ausbildung hatte.

Legendenstatus erlangten seine Fernsehreihen „Notizen aus der Provinz“ (1973 bis 1979 im ZDF) und „Scheibenwischer“ (1980 bis 2003 mit Hildebrandt in der ARD, danach noch bis 2008 ohne den Meister). Auch bei „Neues aus der Anstalt“ (ZDF) stand Hildebrandt noch Pate und war mit von der Partie, wenn auch nicht mehr in vorderster Linie.

Bei Konservativen oft „angeeckt“

Die „Notizen aus der Provinz“ waren ein vorproduziertes Magazin, beim „Scheibenwischer“ gab’s hingegen Live-Kabarett. Beiden Sendungen gemeinsam war allerdings, dass sie oft bei konservativen Politikern und Fernsehgewaltigen „aneckten“. Besonders heftig geführt wurde der Streit um die Ausgaben zum korruptionsträchtigen Wahnwitz des Rhein-Main-Donau-Kanals (1982) und zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl (1986). Aus der Letzteren klinkte sich der Bayerische Rundfunk aus.

Millionenpublikum mit „Lach & Schieß“

Begonnen hatten all die ruhmreichen Jahrzehnte mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, die Hildebrandt 1956 gemeinsam mit dem Sportjournalisten Sammy Drechsel gegründet hatte. Zwischen 1963 und 1971 hatte die Truppe ein Millionenpublikum mit ihrem ARD-Silvesterprogramm „Schimpf vor zwölf“. Nie wieder hat deutsches Kabarett so viele Zuschauer versammelt wie damals.

Nur nicht unverbindlich sein

Ende 1972 löste sich die Lach- und Schießgesellschaft auf. Willy Brandt war 1969 Kanzler geworden und das linksliberal ausgerichtete Kabarett in eine Sinnkrise geraten. Es drohte staatstragend zu werden. Doch Dieter Hildebrandt hat niemals unverbindliche Scherze getrieben. Bezeichnend, dass er sich noch viel später mit Mathias Richling überwarf, der nach 2008 just auch Comedians zum „Scheibenwischer“ holen wollte. Solche Späße waren Hildebrandt zu läppisch und er untersagte die weitere Verwendung des Titels „Scheibenwischer“.

Seit Hildebrandts Tod im November 2013 vermisst man schmerzlich eine solch gewichtige Figur, die die Szene gleichsam väterlich zusammenhalten könnte. Was er wohl dort oben über den Wolken treibt? So ganz ohne klugen Spott dürfte es auch dort nicht abgehen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), „Was bin ich?“ (15)




Es ist schwer, sich daran gewöhnen zu müssen: Dieter Hildebrandt lebt nicht mehr

Dieter Hildebrandt ist tot. Er starb im Alter von 86 Jahren in einem Münchner Krankenhaus. So tickert es spiegel.de durch das weltweite Netz. Knapp und nachrichtlich, wie es sich gehört.

Als ich das gerade vor ein paar Minuten wahrnahm, drehte sich der physische Erdball zwar immer noch weiter, aber der Augenblick blieb einfach stehen. Unwirklich, ein Zustand ist eingetreten, an den man sich zwar gewöhnen muss, aber es nicht will, es vorher auch gar nicht wollte, weil im Inneren stets der Gedanke herrschte, dass er ewig Bestand haben werde.

Dieter Hildebrandt, Klaus Havenstein, Jürgen Scheller, Hans-Jürgen Diedrich, Ursula Noack – die Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Sammy Drechsel. Nun leben sie alle nicht mehr, die Helden meiner heranwachsenden Zeit. Nur Dieter Hildebrandt schien bis heute in seiner unverwechselbaren Art mit dem Ungesagten das Zutreffende auszusagen, alle Zeiten überleben zu wollen.

Der gebürtige Schlesier und adoptierte Münchner Dieter Hildebrandt bohrte seinen fröhlich-bissigen Humor durch jedes sich nach dem Kriege anbietende Polit-Segment und tat Repräsentanten jeglicher Couleur damit weh, was Politiker und Wirtschaftsführer am meisten peinigen kann – er sprach ihnen öffentlich ab, dass sie ernst genommen werden müssen. Die Spätfolgen ihres Jobs sind allerdings schon gravierend.

Auch wenn ihm bisweilen ein Bannstrahl nach dem anderen um die Ohren flog, er überstand sie alle. Und stammelte sich weiter durch die real existierenden Gesellschaftsformen deutscher Provenienz, ganz im Stile eines Werner Finck, der ihm anscheinend Vorbild war, im Einlassen auf Auslassungen und Wortspielen, die so aus ihm fielen, als ob sie ihm mal so eben einfielen.

Der legendäre Finck trat übrigens im Theater „Die kleine Freiheit“ in München auf, Erich Kästner schrieb an den Programmen und Dieter Hildebrandt war wesentlich dafür verantwortlich, dass das Publikum es bequem hatte – als Platzanweiser. Ganz so eine Nachkriegskarriere, die ihn in Höhen führte, dass alle, die politisches Kabarett nach ihm lebten, an seinem Können gemessen wurden.

Das Folgende ist nur wirklich meine Ansicht, mein liebevolles, an einem großen Künstler und klugen Menschen Festhaltenwollen: Sie können sich allesamt bemühen, solange und so viel sie wollen, niemand wird so hinreißend und lustvoll je wieder sprachlich und mimisch die Kaste karikieren, die meint, diese Republik lenken zu wollen.

Mit Dieter Hildebrandt starb ein Mensch, den ich leider nie persönlich kennenlernen durfte, aber der mir so häufig aus dem Herzen sprach, dass ich heimlich vermutete, er und sein aufrechter Menschengang müsse einfach zu mir gehören. Ade, Dieter Hildebrandt!




So macht Lernen Freude: Mit Jürgen Becker kreuz und quer durch die Kunstgeschichte

Solch einen Lehrer hätte man sicherlich gern gehabt: Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker verabreicht selbst schwierige Lektionen auf eine Weise, dass man unentwegt lacht – und gar nicht merkt, dass man unterwegs eine Menge gelernt hat; so auch in seinem Programm „Der Künstler ist anwesend“, das jetzt noch einmal bei 3Sat zu sehen war.

Es handelt sich um einen höchst unterhaltsamen Streifzug durch die Kunstgeschichte, der von der vorzeitlichen Höhlenmalerei in Lascaux bis zu Joseph Beuys führt. Am allerliebsten hält sich Jürgen Becker bei den Passagen auf, in die das Religiöse hineinspielt, denn da ist er wahrlich Fachmann.

Mal züchtig und mal splitternackt

Es kommt keine Minute Langeweile auf. Das Spektrum der 90-minüten Vortrags ist ungemein breit, es reicht von den Lackaffen, die man bei Galerie-Vernissagen antreffen kann, über Beziehungen zwischen ägyptischer, griechischer und altrömischer Kunst, bis hin zu Gerhard Richters umstrittenen Kirchenfenstern für den Kölner Dom.

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Der vergnügliche Parforceritt führt kreuz und quer durch alle weiteren Epochen und Wechselfälle. Eine Leitlinie gibt zum Beispiel die Frage vor, wann sich die Kunst züchtig verhüllte und wann sie in Nacktheit schwelgte. Wie Becker etwas vom Wesenskern der Gotik oder des Barock in wenigen markanten Sätzen skizziert, das ist jedenfalls aller Ehren wert.

Keine Angst vor Kalauern

Ganz wie die großen Künstler oft das Höchste und das Alltäglichste erhellend kontrastiert haben, so lässt auch Becker gern die Luft aus allem allzu Aufgeblasenen und Erhabenen heraus, wobei er den einen oder anderen Kalauer keineswegs scheut. Lassen sich Bezüge zwischen hehrer Hochkultur und – zum Beispiel – den rheinischen Institutionen Karneval, „De Höhner“, Trude Herr oder dem 1. FC Köln herstellen, so wird nicht lange gefackelt. Nicht jeder Wortwitz ist subtil, doch einem wie Becker kann man kleine Fehlgriffe nicht krumm nehmen.

Jürgen Becker zählt als Kabarettist keineswegs zu den „harten Hunden“ der unerbittlichen Fundamentalkritik. Gerne lässt er fünfe gerade sein und auch schon mal menschliche Milde walten. Doch gar manche seiner Spitzen treffen sanft, aber wirksam ins Mark.

Die Wahrheit über die röhrenden Hirsche

Immer wieder schwenkt die Kamera der WDR-Produktion ins Publikum. Da sieht man nicht nur köstlich amüsierte Mienen, sondern auch Leute, die Becker geradezu atemlos wissbegierig folgen. Kein Wunder, erklärt er doch beispielsweise endlich einmal, was die millionenfach reproduzierten Bilder von röhrenden Hirschen wirklich zu bedeuten haben (es hat, ganz vornehm gesprochen, mit Arterhaltung zu tun).

Inzwischen ist die Szene längst höchst unübersichtlich geworden. Wer sagt uns denn, dass der Feuerlöscher an der Museumswand nicht auch wieder ein Kunstwerk sein soll? Doch ganz zum Schluss löst Jürgen Becker auf kölsche Weise sogar die knifflige Frage, was denn eigentlich Kunst sei. In der Stadt mit der weltgrößten Kunstspedition namens Hasenkamp kann die Antwort wohl nur so lauten: „Kunst ist alles, was von Hasenkamp transportiert wird…“

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Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




Virtuoses Stammeln durch deutsche Zeitgeschichte: Dieter Hildebrandt ist 85

Sie waren meine ersten Serienhelden: Dieter Hildebrandt (inzwischen 85-jähriger Altersjubilar), Klaus Havenstein, Jürgen Scheller, Hans-Jürgen Diedrich, Ursula Noack – die Münchner Lach- und Schießgesellschaft.

Brannten sie und ihr listiger Mann im Hintergrund, der unvergleichliche (auch als Sportreporter) Sammy Drechsel, ihr bissiges Feuerwerk in alle Richtungen des damaligen Polit-Establishments ab, ließ ich meinen Tränen des Lachens freien Lauf, verzieh Wiederholungen der Ausstrahlungen den öffentlich-rechtlichen Anstalten ohne Murren und wäre so gern einer von ihnen gewesen, wäre mein Talent nur ausreichend gewesen.
Meine uneingeschränkte Zuneigung verdankten die im „Laden“ – wie das Ensemble seinen Arbeitsplatz nannte – diesem Dieter Hildebrandt, der durch sein anscheinend plan- und hilfloses Gestammel die boshafte Verbindlichkeit ins kabarettistische Gemenge brachte, der durch Auslassen von Sätzen raus lassen konnte, was ihm stank und der frohgemut improvisieren konnte, ohne je nachlässig zu sein mit der akribischen Vorbereitung seiner Nummern. Er ist nun 85 Jahre alt, fragt sich erstaunt, ob er schon alt sei oder es noch werde und repräsentiert ikonesk stets moderne Urformen des deutschen Kabaretts. Sozusagen ist er nach wie vor das Maß aller Stimmen, die sich mit ihm, nach ihm und um ihn herum bewegten. Auch wenn Richling noch heute grummelt, weil er „Scheibenwischer“ nicht inhaltlich mit Comedians durchsuppen durfte und folglich dieses Programm aus dem öffentlich-rechtlichen TV-Bild verschwand.
Der gebürtige Schlesier und adoptierte Münchner Dieter Hildebrandt bohrte seinen fröhlich-bissigen Humor durch jedes sich nach dem Kriege anbietende Polit-Segment und tat seinen Repräsentanten jeglicher Couleur damit weh, was Politiker und Wirtschaftsführer am meisten peinigen kann – er sprach ihnen öffentlich ab, dass sie ernst genommen werden müssen. So rein als Menschen, die Spätfolgen ihres Jobs schon. Auch wenn ihm bisweilen ein Bannstrahl nach dem anderen um die Ohren flog, er überstand sie alle. Und stammelte sich weiter durch die real existierenden Gesellschaftsformen deutscher Provenienz, ganz im Stile eines Werner Finck, der ihm anscheinend Vorbild war, im Einlassen auf Auslassungen und Wortspielen, die so aus ihm fielen als ob sie ihm mal einfielen. Der legendäre Finck trat übrigens im Theater „Die kleine Freiheit“ in München auf, Erich Kästner schrieb an den Programmen und Dieter Hildebrandt war wesentlich dafür verantwortlich, dass das Publikum es bequem hatte – als Platzanweiser.
85 Jahre alt, wachen Hirns und kritischer Einstellung gegenüber allem, was ihm entgegentritt, sich ihm in den Weg stellt und sich der Gefahr seiner Pointen aussetzt – Dieter Hildebrandt möge so bleiben. Mein erster Serienheld – und nicht in Dr. Murkes gesammeltes Schweigen verfallen (Kurzgeschichte von Heinrich Böll, die vom Hessischen Rundfunk als Fernsehspiel verfilmt wurde mit Dieter Hildebrandt in der Hauptrolle).




Der verzerrte Spiegel

Ich konnte es noch nie leiden, wenn zum Kabarett Sekt gereicht wird und dies ohne Ironie. Aber offenbar wird dies weiterhin an die kommenden Generationen weitergereicht. Man braucht eine Ausstellung, einige Redner und Sekt. Manchmal trägt noch ein Künstler was vor, vorzugsweise Musik. Ein Ritual. Wenn es dann noch kleine Schnittchen gibt, stimmt alles. Im Ruhrgebiet werden zahlreiche Ausstellungen und all das eröffnet, was eine Eröffnung braucht – wie anderswo in der Republik auch. In Polen gab es allerdings warmen Weißwein und Wodka, in der Slowakei süßen Likör und in Tallinn Orangensaft mit Keks. Aber ich schweife ab.

Vor dem Dortmunder „U“ steht wieder das Spiegelzelt, das beim Festival RuhrHOCHdeutsch fast alles im Programm hat, worüber in Deutschland gelacht wird. Vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen über die Bullemänner, Frank Goosen und Dr. Stratmann, bis hin zur legendären Münchener Lach- und Schießgesellschaft, die ich als junger Mensch damals immer im Fernsehen verfolgen konnte. Schon damals war klar, dass Kabarett nur wirkt, wenn es etabliert ist, wenn unten im Publikum die sitzen, die auf der Bühne kritisiert oder veräppelt werden. Daran hat sich nichts geändert, ob lokal oder national. Dass heute Comedian und Kabarettist in einen Raum gesteckt werden, ist der Vielfalt geschuldet, die überall politisch korrekt ist. Und über die tatsächliche Haltung der Vortragenden kann sich der Zuschauer live ein Bild machen, wenn er dem Zuhören zuneigt.

Gleichzeitig mit der Eröffnung des atmosphärischen Spiegelzeltes wird eine Ausstellung eröffnet: 110 Jahre Kabarett. Gezeigt werden allerdings nur Tafeln aus dem Besitz des Kabarett-Archivs in Mainz aus dem Zeitraum 20er bis 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, aus einer Zeit also, wo sich das Kabarett von Tingeltangel bis zum lebensbedrohlichen Bühnenvortrag ausbreitete. Das politische Kabarett war ein Ort des Widerstandes, der subtilen Wahrheitsvermittlung. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei – zumindest hier in Alemannia. Heute ist das Lachen kein befreiendes, sondern eher ein Mittel zur Gesundheitsförderung. Also schauen wir die Exponate an und warten auf Fröhlichkeit.

Die Betrachter halten ihr Sektglas zwischen den Fingern, auf der Bühne wird die Schönheit der Stadt Dortmund beschworen, der Veranstalter entpackt ein bei Ebay ersteigertes altes Kofferradio, was die Versammelten mit einem gemeinsamen „Oh“ quittieren. Und später wird mit dem Abendprogramm gewartet, bis die Ratssitzung zu Ende ist, damit die heimische Politik an der gemeinsamen Fröhlichkeit teilnehmen kann. Die Gags brauchen zur Bestätigung von Wirkung öffentlichen Raum und wenn gelacht wird, dann haut man sich vertraulich auf die Schultern.
Wie sagt noch der Vertreter der hiesigen Sparkasse über das Kabarett oder Cabaret (na ja): „Hier und da wird gar politisch argumentiert.“ Da muss man durch.

Zwischen Kabarett und Zeltminiaturen

Es gab schon immer Blödelbarden, überhaupt wunderbare Blödelei. Das braucht der Mensch, sonst verbittert er. Für die ernsteren lustigen Vorgänge war das Kabarett im Keller zuständig, in den alternativen Sälen der Städte. Heute ist die demokratische Gesellschaft lange schon im Konsens darüber, dass der Quatsch, die Comedy und auch das Kabarett zur Grundversorgung gehören und keinerlei ernsthafte Wirkung mehr haben, außer der, weitere Nachahmer zu finden, damit uns das Lachen nicht vergeht. Fast alles ist ja gut und man wird sehen, welche Nuancen die Programme bieten. Wie gesagt – mich stört nur der Sekt und das Gehabe. Aber das ist mein Problem, wenn ich mich den gängigen Ritualen entziehe. Der Kellerraum, in den ich zum Lachen verschwinde, ist mit Plüsch ausgelegt.

U am Zelt

Eine Eröffnung ganz anderer Art wird am Stadtgarten in Dortmund begangen: 100 Zelte – Kunst – unbehaust, eine Aktion u.a. zur Unterstützung von „Bodo“, der Dortmunder Obdachlosenzeitung. Kleine Zelte aller Art bilden unter Mitwirkung und Moderation des Schauspielchefs Kay Voges eine Minizeltstadt und wollen aufmerksam machen. Am Ende werden sie versteigert. Junge Menschen regen sich auf über die Welt, die Gesellschaft, Konsum und drücken dies aus, indem sie die Zelte entsprechend verzieren, bestücken, zerstückeln. Und man erhält Luftballons. Es hat was von Kindergeburtstag und naturgemäß spielt auch eine Band. Jede Aktion, die interveniert und auf Missstände aufmerksam macht, ist besser als keine. Ob man unbedingt von einer Kunstaktion sprechen will, ist Diskussionsstoff. Und auch hier gibt es Sekt, aber aus der Kiste in kleinen Flaschen. Prost. Hier stößt das Schauspielhaus mit seinem Slogan „Stadt ohne Geld“ wieder auf die, die Raum brauchen für Ausdruck und Werk, die jungen Naiven und Haltungssucher und -träger.

Kaputtes Zelt mit Griff

Aber diese Stadt – wie auch die meisten anderen – ist keine ohne Geld, so wie der Staat keiner ist ohne Geld. Ganz im Gegenteil. Zelt Nummer 26 hat mir gefallen. Aus dem Inneren drang eine Stimme in englischer Sprache von John Dunn. Es heißt auf der Hinweistafel: „Das ist ein komplett unorganiertes Daherreden. So mache ich keinen Fortschritt für die Gesellschaft. Ich bringe die Kunst nicht weiter. Ich bringe auch die Forschung nicht weiter. Im Grunde genommen verschwende ich meine Zeit…“

Zeltdorf

(Fotos: Dman)




Das Phänomen des deutschen Tennisclubs – Dieter Hildebrandts Buch über den weißen Sport

Von Bernd Berke

Frankfurt. Auch der Kabarettist Dieter Hildebrandt („Scheibenwischer“) zählt zu den Autoren, die auf der Buchmesse eine Novität vorstellen. Im Rahmen der dtv-Taschenbuchreihe „Philosophie der Passionen“ hat er seine Leidenschaft für den Tennissport beschrieben. Die Westfälische Rundschau sprach mit ihm darüber – und übers Kabarett.

Warum kommt aus Ihrer Feder ein Buch über Tennis?

Dieter Hildebrandt: Da gab es diese Buchreihe. Dem Verlag fiel ein, mich anzurufen, ob ich auch eine Leidenschaft hätte. Ich war so leichtfertig zu sagen: Ja, Tennis. Sie haben mich darin bestärkt, ich habe mich überreden lassen. Und ich wusste ja auch schon, worüber ich schreiben wollte: Über ein Segment unseres Gesellschaftslebens – die Tennisclubs. Man kann die deutsche Geschichte schließlich auch aus dieser Perspektive betrachten.

Also ist es weniger ein Sport- als ein Gesellschaftsbuch?

Hildebrandt: Genau. Es ist doch hochinteressant, was auf den Tennisplätzen so passiert. Welche Gemeinheiten, welche Boshaftigkeiten! Und was für ein gesellschaftlicher Sud auf den Terrassen, in den Cafeterias von Tennis-Clubs… Und wenn man zurückblickt, findet man in München einen Club, der schon im Jahre 1935 verkündet hat, er sei als erster deutscher Tennisverein „judenfrei“…

Aber der Sport fasziniert Sie trotz allem?

Hildebrandt: Unbedingt. Besonders in der Zeit, als Steffi Graf und Boris Becker so gut waren. Ich war mehrmals als Zuschauer in Wimbledon. Für John McEnroe gegen Björn Borg habe ich sogar Theaterkarten verfallen lassen. Aber mich fasziniert auch der alte Sportsgeist eines Gottfried von Cramm, der einen Wimbledon-Sieg verschenkte, weil er so ehrlich war. Und das Publikum damals! Sie haben noch nicht gejohlt und gekreischt wie beim Rock-Konzert. Inzwischen hat sich das Ganze im Fernsehen ja auch totgesendet.

Kurzer Themenschwenk in Ihr eigentliches Gebiet: Hat es das Kabarett unter Schröder schwerer als unter Kohl?

Hildebrandt: Nein, überhaupt nicht. Sie machen ja die gleiche Politik. Diese neue Regierung ist so schnell alt geworden. Ein Kabarett-Thema könnte sein, wie der Kanzler sich an der Macht festklammert. Oder ob er irgendwann die Vertrauensfrage stellt und sagt: Das war wohl nichts mit uns. Aber haben Sie schon mal einen Politiker gesehen, der sagt: Ich habe mich geirrt?

Und ein Streit wie der zwischen Oskar Lafontaine und Günter Grass? Gibt der etwas her?

Hildebrandt: Naja, wenn man an dem Abend auftritt, benutzt man das für ein paar Pointen. Aber es ist nichts von Dauer. Grass ist eben manchmal unwirsch.




Lore Lorentz: First Lady des deutschen Kabaretts – „Kom(m)ödchen“-Gründerin starb mit 73 Jahren

Von Bernd Berke

Sie hat auf der Bühne so manche geschliffene Boshaftigkeit von sich gegeben. Doch zwei Dinge milderten noch ihre schärfste Kritik: ihr gespielt naiver Augenaufschlag und das „R“, das sie mit böhmischem Zungenschlag so herrlich rollen lassen konnte. Lore Lorentz, die mit 73 Jahren in Düsseldorf starb. war die First Lady der deutschen Brettlbühnen.

Die Wut aufs mißliche politisehe Getriebe, befeuert durch Zeitungen, die sie stapelweise las, hat sie lange jung gehalten. „Wir dürfen die Demokratie nicht verplempern“, das war ein Leitspruch. Die letzten Jahre waren freilich nicht mehr ihre Zeit. Wer sie im September 1993 auf ihrer Hausbühne, dem Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“ in dem Programm „Verfassungslos“ erlebte, sah eine gebrechliche, durch den Tod ihres Mannes gebrochene Frau. Bewegend der Moment, als sie mit großer Würde dennoch ihren kurzen Chanson-Auftritt absolvierte.

Sie kam bis zuletzt noch täglich ins „Kom(m)ödchen“-Büro, um nach dem Rechten zu sehen, doch die Leitung der Bühne hatte sie im letzten Sommer ihrem Sohn Kay Sebastian übertragen. Zuletzt bekundete sie vor allem ihre „ungeheure Angst“ vor einem neuen Nationalismus in Deutschland. Viele Vorgänge nach der deutschen Vereinigung waren ihr nicht recht geheuer. Sie fand, daß manches schlichtweg gar nicht mehr „kabarettabel“ sei.

Besonders in den 50er und 60er Jahren hatte sie noch ein ganz anderes Feld und kernigere Gegner vorgefunden. Da trafen etliche Spitzen gegen tiefschwarze Politiker wie etwa Franz-Josef Strauß. Die kleine Bühne von Lore und Kay Lorentz (er starb im Januar 1993) wurde zu einem Hort unbeugsam-kritischen Geistes in der Adenauer-Ära. Doch man fraß auch nicht den Sozialdemokraten aus der Hand, sondern erinnerte sie vielmehr hartnäckig an ihre „unverwirklichten guten SPD-Grundsätze“.

Zudem gelang eine Verbindung politischer Aussagen mit literarscher Qualität, wie sie in Deutschland sonst kaum zu finden war. Dafür sorgten nicht zuletzt die Stammautoren Martin Morlock und Eckart Hachfeld. Als studierte Germanistin mit Gefühl für die Feinheiten der Sprache hatte Lore Lorentz dabei mehr als ein Wörtchen mitzureden. Und ohne ihre Vortragskunst wären die besten Texte sowieso vergebliche Liebesmüh‘ gewesen.

Wie es so oft geschieht: Lore Lorentz, am 12. September 1920 als Tochter eines Ingenieurs in Mährisch-Ostrau (heute Ostrava/Tschechien) geboren, hatte durch Zufall zum Kabarett gefunden. Mit Ehemann Kay arbeitete sie 1946 für die Brettl-Bühne eines gemeinsamen Freundes – als Kassiererin. Erst als eine Darstellerin ausfiel, sprang Lore Lorentz ein und konnte zeigen, was in ihr steckte. 1947, in der zerbombten Altstadt von Düsseldorf, schlug dann die Geburtsstunde für das „Kom (m)ödchen“. Das erste Programm hieß „Positiv dagegen“. Zahlreiche Auslandsgastspiele machten die Truppe alsbald auch zu Botschaftern eines besseren Deutschland.

Lore Lorentz, die „mit freundlich-dankbarer Entschiedenheit“ das Bundesverdienstkreuz ablehnte, trat mehrfach auch in Produktionen des Düsseldorfer Schauspielhauses auf (z. B. als „Mirandolina“ von Goldoni, als „Jenny“ in Brechts „Dreigroschenoper“) und war ab 1978 zeitweise Professorin an der Folkwang-Hochschule in Essen. Dort unterrichtete sie die Fächer Chanson, Song und Musical. Kabarett brachte sie den Studenten allerdings nicht bei. Denn das, so meinte sie, „kann man nicht lehren.“