Düsseldorf: Surrealistische Freiheitskunst aus Ägypten

Der Titel weckt erhabene Gefühle: „Art et Liberté“, Kunst und Freiheit! Man erwartet das große Ganze, Wunderbare. Doch im K20, dem schwarz glänzenden Tempel der Kunstsammlung NRW, geht es in diesem Sommer nur um ein sehr spezielles Thema: das vergessene Wirken einer Gruppe ägyptischer Surrealisten um 1940. Mit der vom Pariser Centre Pompidou übernommenen und von einem Scheich gesponserten Schau überbrückt man die Wartezeit bis zum Antritt der neuen Direktorin Susanne Gaensheimer.

Ramses Younane: Ohne Titel (1939). Courtesy H. E. Sh. Hassan M. A. Al Thani collection, Doha. (Foto: Haitham Shebab) / © Kunstsammlung NRW)

Ramses Younane: Ohne Titel (1939). Courtesy H. E. Sh. Hassan M. A. Al Thani collection, Doha. (Foto: Haitham Shebab / © Kunstsammlung NRW)

Salim al-Habschi, Hassan el-Telmisani, Ibrahim Massouda: Nie gehört? Die Namen der Künstler, die sich Ende der 1930er-Jahre in Kairo unter der Parole „Art et Liberté“ zusammentaten, sind unbekannt. Zu Recht, muss man nach dem Besuch der Ausstellung leider sagen. Denn was man da sieht, ist hauptsächlich so etwas wie das schwülstige Abbild der Avantgarde-Werke, die im Paris zwischen den Weltkriegen entstanden waren. In der Tat hatten etliche Talente aus dem zu jener Zeit noch britisch dominierten Ägypten in der französischen Hauptstadt studiert oder zumindest nach Inspiration gesucht.

Das haben sie in Paris gelernt

Antoine Malliarakis zum Beispiel, genannt Mayo, Sohn eines griechischen Suez-Kanal-Ingenieurs, hatte in den 1920er-Jahren das prickelnde Künstlerleben am Montparnasse gesucht. Keineswegs zufällig ähneln Mayos kurios komponierte, sandfarbene Körperteile von 1937 den surrealistischen Strandszenen von Picasso.

Auch die Kollegen guckten ab. Ringsum meint man grobe Kopien der Traumlandschaften von Max Ernst, Salvador Dalí oder Yves Tanguy zu sehen. Hier glotzt ein Auge aus Tentakeln, da erscheint eine weiche Uhr in einer Landschaft, Nackte steigen aus dem Sumpf, trickreich veränderte Fotografien nach Art von Man Ray verbreiten mysteriöse Stimmungen.

Mayo: "Portrait" (1937). Europäisches Kulturzentrum von Delphi, Griechenland (VG Bild-Kunst, Bonn 2017 / Foto: © Kunstsammlung NRW)

Mayo: „Portrait“ (1937). Europäisches Kulturzentrum von Delphi, Griechenland. (VG Bild-Kunst, Bonn 2017 / Foto: © Kunstsammlung NRW)

Um die fatalen Ähnlichkeiten zu durchbrechen, proklamierte der auch theoretisch versierte Maler Ramses Younane den „Subjektiven Realismus“ und malte 1939 eine dürre gebogene Figur, die entfernt an altägyptische Hieroglyphen erinnert.

Nun ja. Man hat schon weit größere Kunst im K20 gesehen. Aber die Schau ist historisch-politisch interessant und wurde von den Gastkuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath mit Hilfe von Filmen, Tönen und großen Fotografien lebendig inszeniert.

Hoffnung auf die Zukunft

In Kairo also, der Metropole des Orients, formierte sich im Dezember 1938 ein Widerstand gegen die faschistische Kulturpolitik in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. „Vive l’art dégénéré“, es lebe die „Entartete Kunst“, überschrieben 37 vereinte Künstler und Intellektuelle in Anspielung auf den Titel der Münchner Nazi-Propaganda-Ausstellung ein Manifest für „Art et Liberté“.

In der „entarteten“, also von akademischen Zwängen und Schönfärberei befreiten Kunst, sahen die progressiven Ägypter „alle unsere Chancen für die Zukunft“ und riefen auf: „Lasst uns gemeinsam für ihren Sieg über das Mittelalter arbeiten, das im Herzen des Okzidents entsteht.“ Dazu bildeten sie ein heute weltberühmtes, damals neues Anti-Kriegsbild des spanischen Idols Picasso ab: „Guernica“.

Inji Efflatoun: Surrealistische Komposition (1942), Privatsammlung (Foto: © Kunstsammlung NRW)

Inji Efflatoun: Surrealistische Komposition (1942), Privatsammlung. (Foto: © Kunstsammlung NRW)

Ganz nebenbei registriert man, dass auch Frauen – natürlich ohne Schleier – Mitglied der Künstlergruppe waren. Filmisch dokumentierte Stadtszenen zeigen eine westlich geprägte Gesellschaft. Islamistischer Fanatismus war noch kein Thema. Die Welt hatte andere Probleme. Die Kriegsfront zog sich zwar nicht durch Kairo, aber 1941 waren hier 140 000 Soldaten stationiert. Wie alte britische Nachrichtenfilme zeigen, prägten marschierende Truppen und rollende Panzer das Straßenbild.

Gegen die Stimmen der Kanonen

„Die Stimme der Kanonen“, so der erste Katalogtitel der Künstlergruppe, übertönte alles. Und die Künstler kämpften leidenschaftlich auf ihre Art. Inji Efflatoun, Malerin und Feministin, versetzte „Mädchen und Monster“ in den Dschungel ihrer Fantasie, und Georges Henein, Poet und Diplomatensohn, dichtete Pathetisches: „Die Furchen deiner Stirn seien gleich Salven, die Edelsteine, die prachtvolle Orgien verheißen, die diesen großen parallelen Lüsten vorbehalten sind …“. Vielleicht ist die Übersetzung ja auch etwas kraus, man weiß es nicht.

Maler und Schriftsteller als Mitglieder von "Art et Liberté" auf einem Foto, das um 1945 entstanden ist. (Unbekannter Fotograf / Sammlung Christophe Bouleau, Genf / © Kunstsammlung NRW)

Maler(innen) und Schriftsteller als Mitglieder von „Art et Liberté“ – auf einem Foto, das um 1945 entstanden ist. (Unbekannter Fotograf / Sammlung Christophe Bouleau, Genf / © Kunstsammlung NRW)

Aus einer Ecke tönt der Saint-Louis-Blues von Teddy Stauffer, ein Film zeigt lockere Frauen und Bauchtänzerinnen mit Gasmasken aus dem Cabaret. Es ging wohl recht ungezwungen zu in den Clubs von Kairo. Gleich, was in Europa in und nach dem Krieg geschah – eine reiche Elite amüsierte sich, während die Armut unterprivilegierter Bevölkerungsschichten immer größer wurde. Ausgemergelte Gestalten auf den Bildern von „Art et Liberté“ weisen auf diese Missstände hin. Wie fatal sich eine solche gesellschaftliche Schieflage auf Dauer auswirkt, wissen wir heute. Schon deshalb ist es wichtig, Kunst und Freiheit hochzuhalten.

„Art et Libertè – Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)“. Bis 15. Oktober im K20, Düsseldorf, Grabbeplatz. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr, jeden 1. Mittwoch im Monat bis 22 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Katalog: 35 Euro. www.kunstsammlung.de




Was aus dem Arabischen Frühling wurde – „Zawaya“ aus Kairo bei den Ruhrfestspielen

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Der Stuhl des Sprechers ist noch leer. (Foto: Tamer Eissa/Ruhrfestspiele)

Richtig, die Ruhrfestspiele haben ja ein Motto! „Mare nostrum“ lautet es, lateinisch für „unser Meer“, und den Aktualitäten Tribut zollend noch mit einem Fragezeichen versehen. Die meisten Produktionen allerdings, die während des Festivals zur Vorführung gelangen, haben keinen Bezug zu den Ereignissen an eben jenem Meer, die man vor wenigen Jahren euphorisch als Arabischen Frühling bezeichnete und die vielerorts zu Krieg und Chaos führten. Natürlich handeln sie von Konflikten, auch von blutigen, doch sind sie auf die eine oder andere Weise mediterran, was dem Unterhaltungswert der Ruhrfestspiele sicherlich guttut.

Berichte „von der Straße“

Ein Stück wie „Zawaya. Zeugnisse der Revolution“ nun, das am Wochenende im Kleinen Haus gezeigt wurde, ist illusionslos aktuell und wirkt hier deshalb fast ein wenig fremd. Die knapp anderthalbstündige Produktion der Compagnie El Warsha Kairo läßt Zeugen und Teilnehmer der Arabellion zu Wort kommen, die von ihren schlimmen Erlebnissen berichten, von Gewalt, Tod und Leichen. Gesucht wird nichts Geringeres als die Wahrheit. Das Arbeitsprinzip der Gruppe, so ist zu lesen, besteht darin, sich authentische Originaltöne „auf der Straße“ zu holen und sie zu Texten zu formen, die von Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochen werden.

Gewaltbereiter Fußballfan

Mit dieser Vorgabe formte sich auf der Bühne ein originelles Personal. Neben der Mutter eines getöteten Sohnes, deren Teilnahme nicht verwundert, treten berichtend auch ein gewaltbereiter Fußball-Ultra und ein Spitzel des Regimes auf. Alle fünf (ein Offizier und eine Krankenschwester sind noch zu nennen) berichten sie von ihren traumatisierenden Erlebnissen, die damals auf dem Tahrir-Platz ihren Ausgang nahmen. Nacheinander treten sie auf, zwischen ihren Monologen singt der Musiker Yasser El Magrabi Lieder, die das Vaterland preisen und die Umstände beklagen. Wir entnehmen dies der Videoübertextung, denn alles an diesem Abend läuft in arabischer Sprache. Und wahrscheinlich wäre ein Vortrag in Deutsch besser gewesen.

Nichts geht ohne Übertitelung

Der Verständnis-Umweg über das Textelesen nämlich schafft eine erhebliche Distanz zum Bühnengeschehen, zumal dort außer Reden reinweg gar nichts geschieht, was man ohne Sprachkenntnis verstehen könnte. Alle sitzen brav auf ihren Stühlen, bis sie an die Reihe kommen. Und dann sitzen sie auf dem Erzählerstuhl vorn an der Rampe. So registrieren wir natürlich Aufgewühltheit, Erschütterung und Trauer der Darsteller, doch erreicht das alles kaum die Intensität alltäglicher Tagesthemen-Features aus den betroffenen Ländern. Des öfteren schaut man auf die Uhr.

Oral History

Wir sind, kleiner Gedanke am Rande, im Strom der niemals endenden Horrornachrichten abgestumpft, uns bringt so schnell nichts aus der Fassung. Deshalb mag der Ansatz des Regisseurs Hassan El Geretly als Oral-History-Projekt funktionieren, für ein Theaterstück ist er jedoch arg mager. Doch möge sich das Publikum auf weitere „migrantische“ Stoffe freuen, die in diesem Jahr vorwiegend im Kleinen Haus behandelt werden. Nächste Premiere ist hier als Koproduktion von Ruhrfestspielen und Schauspiel Frankfurt eine „Odyssee“ (Regie: Therese Willstedt), in der selbstverständlich auch wieder Flüchtlingsströme strömen werden.

Übrigens:

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Die Kunstausstellung ist traditionsreicher Bestandteil der Ruhrfestspiele. In der Kunsthalle Recklinghausen zeigt jetzt Fabrizio Plessi Arbeiten unter dem Titel „Feuer und Wasser“. Plessi stellte 1970 erstmals bei der Biennale von Venedig und 1987 auf der Documenta 8 aus. Mitte der 70er Jahre entstanden erste raumgreifende Video-Installationen, in denen er Monitore in skulpturale Bildträger verwandelte. – Kunsthalle Recklinghausen, Große Perdekamp-Str. 25-27. Di bis So 11-18 Uhr Eintritt: 5,00 € / 2,50 € (ermäßigt). (Foto: Ruhrfestspiele)