„Wie eine Straßenköter-Mischung“ – Jugendstil und Artverwandtes im Dortmunder Kaiserviertel

Detail einer Jugendstil-Fassade in der Dortmunder Kaiserstraße. (Foto: Bernd Berke)

Nein, ein typischer Ort des Jugendstils sei Dortmund nicht, sagt Stadtführer Wolfgang Kienast gleich zu Beginn: „Wir sind hier nicht in Darmstadt und haben keine Mathildenhöhe.“ Auch das benachbarte Hagen habe in hochkarätiger Hinsicht mehr zu bieten, Stichwort Hohenhof. Doch immerhin befassen sich vier verschiedene Dortmunder „Stadtspaziergänge“ mit dem Jugendstil und artverwandten Richtungen. Nanu?

Die lehrreichen Rundgänge führen durch Hörde (erst seit 1928 zu Dortmund gehörend), ins Kreuzviertel, ins Kaiserviertel – und in die wegen sozialer Verwerfungen oftmals verrufene Nordstadt. Staunenswert genug: Just dort gibt es das größte zusammenhängende Jugendstilviertel von ganz Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Kienast nennt auch einen Grund: Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Abrisswut grassierte und die ach so moderne, autogerechte Stadt entstehen sollte, hat sich (in diesem Falle: gottlob) kaum einer um die Nordstadt gekümmert. Deshalb ist dort viel mehr erhalten geblieben als andernorts.

Der heutige Gang führt freilich durchs beliebte Kaiserviertel, das mir persönlich noch etwas mehr zusagt als das Kreuzviertel. In beiden Ecken habe ich etliche Jahre gelebt. So ist dieser 90 Minuten dauernde „Spaziergang zum Jugendstil“ (plus Zugabe im angrenzenden Gerichtsviertel) sozusagen eine Wiederbegegnung mit alten baulichen Bekanntschaften, die eigene vormalige Wohnstätte inbegriffen. Doch im Verlauf einer solch kundigen Führung entdeckt man immer noch aufschlussreiche Details, die man bislang noch nicht richtig wahrgenommen hat.

Die Hansekogge ziert nicht von ungefähr eine weitere Fassade in der Kaiserstraße. (Foto: Bernd Berke)

Beispielsweise auf der Kaiserstraße, der Hauptachse dieses früher sehr wohlhabenden Quartiers, was sich u. a. an den teilweise opulenten Grabstätten auf dem nahen Ostfriedhof zeigt – und natürlich am erhaltenen baulichen Bestand. Da gibt es also eine Kaiserstraßen-Fassade, auf der das Relief einer Hansekogge zu sehen ist. Das verweist nicht nur auf Dortmunds einst so stolze Geschichte als freie Reichs- und später Hansestadt, sondern auch auf die Denkungsart früherer Hausbesitzer. Gebaut in der Zeit, als allmählich die Industrialisierung aufkam, ist das Gebäude mit der Kogge ein Statement. Viele Leute hielten auf die alten Traditionen und fanden es unsinnig, dass sich Dortmund und Umgebung der Industrie öffnen sollten. Es ist dann etwas anders gekommen, als diese  Herrschaften es sich vorgestellt haben.

An der Ecke Prinz-Friedrich-Karl-Straße/Goebenstraße: ein Haus im sogenannten „Heimatstil“. (Foto: Bernd Berke)

„Lupenreinen“ Jugendstil findet man in Dortmund kaum. Gewiss, da gibt es Häuser mit einigen zeittypischen Merkmalen der Jahre zwischen 1880 und 1914, etwa mit verspielten floralen Ornamenten, doch hin und wieder auch verquickt mit beinahe „barock“ schwellender Üppigkeit oder anderen Stilbrüchen. Stadtführer Wolfgang Kienast (u. a. auch als Schreibender und als DJ tätig) spricht denn auch scherzhaft von „Straßenköter-Jugendstil“, ergo: von einer recht munteren Mischung. Nichts für Architektur-Puristen, aber trotzdem oft recht ansehnlich.

Wie ist der Jugendstil überhaupt nach Dortmund gelangt? Albert Baum, Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, brachte anno 1900 von der Pariser Weltausstellung einige Stücke der damals aufblühenden Kunstrichtung mit, insbesondere auch Musterbücher für Handwerker, die sich fortan in Westfalen daran orientieren konnten. Die daran anknüpfende Dortmunder Jugendstil-Ausstellung „Rausch der Schönheit“ (2018/19) hat den ersten Anstoß für derartige Stadtführungen gegeben.

Eines der wohl prachtvollsten Häuser-Ensembles in ganz Dortmund. Näheres über die Lage erfährt man beim Stadtspaziergang. (Foto: Bernd Berke)

Zurück zum Spaziergang. Zwischendurch finden sich auch Gebäude mit Anleihen bei der Renaissance bzw. beim Klassizismus oder Beispiele für einen eher gemütlich anmutenden „Heimatstil“ mit Fachwerk-Elementen, Erkern und Türmchen, so beispielsweise in der Goebenstraße. Selbst antike Gebräuche prägen – zuweilen unscheinbar – manche Häuser. So blickt man an der Ecke Prinz-Friedrich-Karl-Straße/Bismarckstraße ins Antlitz eines beschützenden Hausgeistes – direkt über dem Eingang.

Eine Gegend, in die selbst die meisten Dortmunder allenfalls selten geraten, liegt hinter Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und Gefängnis (im Volksmund „Lübecker Hof“). Eigentlich war der Gang im Kaiserviertel beendet. Doch die Zugabe für „Freiwillige“ ist dringend zu empfehlen. Denn hier sieht man das Highlight des Nachmittags…

So. Mehr möchte ich nicht verraten. Für schlanke 8 Euro pro Person kann man solch einen Rundgang buchen und sich überraschen lassen.

Tickets für diese und andere Stadtführungen online unter:

www.dortmunder-museen.de/kunst-im-oeffentlichen-raum

 




Der schwerelose Tanz der Phantome – Peatc Voßmann in neuen Räumen des Dortmunder Kunstvereins

Von Bernd Berke

Dortmund. Kaum zu glauben, aber wahr: Der Dortmunder Kunstverein präsentiert erstmals einen Dortmunder Künstler. Und Peatc (sprich „Pätz“) Voßmann, Jahrgang 1949, hat sogleich das Vergnügen mit den neuen Räumen des Vereins.

Die Adressen klingen stets blaublütig: Bisher an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße ansässig, residiert der Kunstverein nun in der Kaiserstraße, allerdings wohl nur bis zum nächsten Frühjahr. Dann will man – ungleich zentraler – dauerhaft am Königswall Quartier beziehen, im „Löwenhof“.

Schade, daß mail die jetzigen Räume nicht dorthin mitnehmen kann. Peatc Voßmann jedenfalls fand sie geradezu ideal für seine Boden-Installationen, beispielsweise für „Der schwarze Block“ (1993), der sich aus genau 444 kleinen Teilen zusammenfügt. Die meisten sind schwarz angemalte, kaum mehr als solche erkennbare Zigarettenschachteln.

Die stumme Parade der verfremdeten Päckchen wird in Zeitabständen gesteuerten Zufalls von einer Neonröhre beleuchtet, das Flackern spiegelt sich in Cellophan-Hüllen. In gemessener Entfernung thronen fünf Figuren und besehen sich das Schauspiel. Die Arbeit scheint auf der Grenzlinie zweier Gesten zu balancieren: einsammeln und verstreuen, ordnen und sich über die entstandene Ordnung ein wenig mokieren.

Peatc Voßmann, sympathisch genug, nimmt seine Objekte und Bilder selbst nicht gar so bierernst. Nach einer Schlachthof-Besichtigung im Münsterland entstand das vierteilige Bild „Im Jahr des Schweins“. Man sieht die Tiere in diversen Schattenrissen, beinahe lustig umstellt von bedrohlichen Gerätschaften. Dazwischen kleben kleine Tapetenstücke biederster Machart. Ob Gewalt etwas mit Biederkeit zu tun haben könne? Das wäre vielleicht eine Frage.

Völlig losgelöst und schwerelos wirken jene schemenhaften Figuren aus Voßmanns neuer Serie „Flyers & Dancers“. In unbestimmbaren, mit Sprühkleber eigentümlich verwischten Farbräumen scheinen diese Phantome wirklich zu fliegen und zu tanzen. Ein Gefühl der Freiheit, aber auch der Unsicherheit stellt sich ein. Es könnte ja sein, daß dem Flug der Sturz ins Ort- und Bodenlose folgt. Oder aber anders herum: daß diese Wesen zuerst zu fallen drohen und sich dann in die Lüfte erheben.

„Erlebnisraum Kunst“ heißt die Reihe, in der Voßmann vorgestellt wird. Und man erlebt hier auch etwas. Nichts Spektakuläres. Aber man bekommt diese freundlichen kleinen Stupser zu produktiver Gedankenzerstreuung. Auf daß man sich dann wieder sammle.

Kunstverein Dortmund, Kaiserstraße 129/131 (Ecke Franziskanerstr.). Tel. 0231/57 87 36). 28. August bis 25. Oktober, Di-Fr 15-18, So 11-16 Uhr.