Amüsement in schweren Zeiten – Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“ wird in Dortmund zum strahlenden Bühnenfest

Mit Frack und Kronleuchter: Tanja Christine Kuhn und Alexander Geller als Gräfin Mariza und Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg. (Foto: Anke Sundermeier / Theater Dortmund)

So richtig ordentlich ist das nicht. Stühle liegen auf dem Boden, Gerümpel stapelt sich in den Ecken, und der Mann, der auf dem Boden sitzt, scheint auch schon getrunken zu haben. Die alte Ordnung ist dahin und hat Verlierer hinterlassen. Einer von ihnen ist Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg, der sein Vermögen eingebüßt hat, nun als Gutsverwalter arbeiten muss und den alten, feudalen Zeiten nachtrauert: „Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen im schönen Wien“.

Richtig, wir sind in Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“, die nun in Dortmund ihre umjubelte Premiere erlebte. Und weil dieses so überaus erfolgreiche Stück schon seit fast hundert Jahren gespielt wird, wissen wir natürlich, dass es nicht so bleiben wird für den armen Gutsverwalter. Schließlich gibt es noch eine Gräfin, die der Männer überdrüssig ist. Wie sie glaubt.

Ein bisschen Rahmenhandlung

In der Figur des verarmten Grafen Tassilo (Alexander Geller) spiegelt sich das Schicksal vieler Privilegienträger des untergegangenen K.u.K.-Staates Österreich-Ungarn, und auch dieser Zeitbezug mag 1924, im Jahr der Uraufführung, zum Erfolg der Operette beigetragen haben. Doch eigentlich wird wenig mehr erzählt, als dass sich am Ende alle kriegen: Gräfin Mariza (Tanja Christine Kuhn) den Grafen Tassilo, Schwesterchen Lisa (Soyoon Lee) den Schauspieler Zsupán (herrliche „ungarische“ Knallcharge: Fritz Steinbacher),und die Tante (Johanna Schoppa) ihren Langzeitverlobten Populescu (Morgan Moody). Aber sie erzählt es meisterlich, und Regisseur Thomas Enzinger hat gut daran getan, den erzählerischen Duktus Kálmáns nicht mit besonderen Regieeinfällen zu beeinträchtigen. Hinzugefügt hat er allerdings eine dezente Rahmenhandlung, in der ein weiser alter Diener (Christian Pienaar) und ein aufgewecktes kleines Mädchen (Liselotte Thiele) sich einige Male über den Gang der Handlung unterhalten, kurz nur, nicht allzu raumgreifend. In komplizierten Handlungsverläufen sind solche „Stücke-Erklärer“ häufig wertvoll, hier ginge es vielleicht auch so.

Starke Musiktitel, auch nach 100 Jahren noch

Vor allem aber ist da die Musik, sind die Ohrwürmer. Jeder kennt die Lieder, auch wenn er nie in der Operette war, „Komm mit nach Varasdin“, „Komm, Zigány, komm, Zigány, spiel mir was vor“ und viele weitere. Streckenweise wähnt man sich in einer „Best Of“- Nummernrevue mit – zugegebenermaßen manches Mal etwas hölzern vorgetragenen – Zwischenmoderationen. Starke Titel, sentimental traurig, fröhlich, reihen sich, die einen Andrew Lloyd Webber neidisch machen sollten.

Hell gewandet der Chor; rechts in vorderster Reihe (und ganz in weiß) Morgan Moody, der bei der Premiere den Fürsten Moritz Dragomir Populescu gab. (Foto: Anke Sundermeier / Theater Dortmund)

Wenn Tassilo und Schwester Lisa sich an ihre Kindheit erinnern, schwebt buntes Spielzeug vom Hängeboden, salutiert ein strammer Zinnsoldat, schiebt sich ein entspannter Plüschhase ins Bild.

Doch häufig bleibt die Bühne unbestückt, sind ein blauer Hintergrundhimmel, farbige Flächen und gerafftes Textil fast die einzige Kulisse. Leer ist es auf der Spielfläche trotzdem nicht, denn ein vielköpfiger Opernchor in eleganten, hellen Zwanzigerjahre-Outfits sorgt für kräftigen Schalldruck und ist gleichermaßen das überaus naturalistische Personal der Massenszenen. Wiederum ist Regisseur Thomas Enzinger – und ebenso Toto, der für Bühne und Kostüme verantwortlich ist – dafür zu loben, dass der Versuch unterblieb, hier mit unsinnigen Aktualisierungen zu punkten.

Hannes Brock dreht wieder auf

Kleine stilistische Jetztzeit-Zitate gibt es indes schon, eine rhythmische Einlage mit einigen Librettozeilen im Rap-Stil beispielsweise, mit Nachempfindungen von Bühnenshows wie „Stomp“ oder „Blue Men Group“. Inhaltliche Eingriffe erfolgten behutsam. So stammt die grandiose Charleston-Einlage (Choreographie: Evamaria Mayer) aus der Kálmán-Operette „Die Herzogin in Chicago“. Und wenn Hannes Brock, Kammersänger und seit vielen Jahren „Homeboy“ dieses Opernhauses, als Diener der Fürstin Guddenstein zu Clumetz nur in Titeln von Theaterstücken, Filmen und Büchern spricht (die teilweise lange nach der Operette entstanden), ist das direkt komisch.

Leider mit Mikoports

Das Ensemble präsentierte sich gesanglich in äußerst aufgeräumter Verfassung; allerdings singen alle mit elektrischer Klangverstärkung durch Mikroports, was im Theater schade, in der Operette sehr schade ist. Untadelig spielten die Dortmunder Philharmoniker auf, die von Olivia Lee-Gundermann dirigiert wurden.

Dem Programmheft entnehmen wir, dass Morgan Moody nur bei der Premiere auftrat und hernach durch Marcelo de Souza Felix ersetzt wird. Gleiches gilt für Margot Genet, die Seherin (an deren Stelle späterhin Vera Fischer oder Ruth Katharina Peeck kommen werden).

Leider blieb gut ein Drittel der Plätze im Opernhaus unbesetzt, was bei einer Premiere nicht zufriedenstellen kann. Doch sah man auch viele junge Gesichter, was für Operetten wie die von Emmerich Kálmán hoffen lässt. Anhaltender, begeisterter Applaus, der mit einer Zugabe belohnt wurde.

  • Termine:
  • 9., 18., 22.12.2022
  • 5., 21., 25.1.2023
  • 18.2.2023
  • 5.,12., 17.3.2023
  • 16., 23., 29.4.2023
  • 25.5.2023
  • www.theaterdo.de

 




Schnee statt Feuer: Die Csárdásfürstin am Theater Dortmund

Heike Susanne Daum als Csárdásfürstin mit Peter Bording als Edwin, Sohn des Fürsten zu Lippert-Weylersheim (Foto: Thomas M. Jauk)

Heike Susanne Daum als Csárdásfürstin mit Peter Bording als Edwin, Sohn des Fürsten zu Lippert-Weylersheim (Foto: Thomas M. Jauk)

Das Regieteam ist längst in alle Winde zerstreut. Angereist sind dafür die Kostüme und das Bühnenbild: Vom Staatstheater Nürnberg wurden sie für die Premiere der Operette „Die Csárdásfürstin“ zum Theater Dortmund gebracht. Hier erhält der Besucher statt eines Programmhefts nur mehr ein mageres Faltblatt. Das sind die Folgen von Sparmaßnahmen, die das Haus in seinem Kampf um größeren Publikumszuspruch verzweifelt auszugleichen versucht.

Nach Kräften müht sich das Dortmunder Ensemble, der in Nürnberg abgespielten Produktion neues Leben einzuhauchen. Aber so viel die Akteure auch auf dem Tisch tanzen mögen: Die Inszenierung der Berliner Choreographin und Regisseurin Ricarda Regina Ludigkeit, die sich auf ein Konzept des Gärtnerplatz-Theaterintendanten Josef Ernst Köpplinger stützt, ist viel zu schwach und zu schwunglos, um das ungarische Feuer von Emmerich Kálmáns Publikumshit zu entzünden. Selbst die Dortmunder Philharmoniker, die unter Leitung von Philipp Armbruster wirbelnde Csárdás- und schmachtende Walzerklänge anstimmen, klingen dafür oft zu behäbig.

Im historisierenden Ambiente, gerahmt von einer stuckverzierten Säulenfront, konzentriert sich die Regie vor allem darauf, niemandem weh zu tun. Der soziale Sprengstoff, der durch Standesdünkel entsteht, bleibt ebenso zaghaft gestreift wie der plötzliche Kriegsausbruch auf dem Balkan, den Soldaten durch ein chaplineskes Spiel mit der Weltkugel andeuten. So versinkt die Operette müde im Plüsch des Theatersessels, statt mit gefährlicher Leichtigkeit auf dem Abgrund zu taumeln. Im Bühnenhintergrund, wo es unentwegt schneit, öffnen sich immer wieder Türen, um den Blick auf traumgleiche Bilder frei zu geben. Dieser szenische Adventskalender, übrigens weitgehend sinnbefreit, lenkt indes nicht davon ab, wie zäh die Regie mit Kálmáns Operette ringt.

Unterdessen hat Heike Susanne Daum in der Titelpartie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Von Statur und Ausstrahlung könnte sie eher als Edwins Mutter durchgehen als für dessen große Liebe. Für eine Varieté-Tänzerin wirkt sie zu unbeweglich; für eine große Diva fehlt ihr die Eleganz. Stimmlich bietet sie robuste, nicht ohne Druck erreichte Höhen, die hart in galligen Trotz umschlagen können. Peter Bording, der als Edwin für den erkrankten Lucian Krasznec einspringt, hebt das Niveau des Abends mit seinem angenehm balsamischen Tenor um eine beachtliche Stufe an. Dies lässt sich sonst nur noch von schauspielerischen Einzelleistungen sagen: Zum Beispiel von Thomas Günzler, der einen grandios verschlampten Wiener Portier mimt, und von Johanna Schoppa, die als Frau des Fürsten zu Lipper-Weylersheim eine wunderbar raue Herzensweisheit verströmt. Selbst der unverwüstliche Hannes Brock (als Feri Bácsi) und der gut disponierte Opernchor können an diesem Abend nicht viel ausrichten.

Nur die gute Zusammenarbeit mit anderen Bühnen erlaube es dem Dortmunder Opernhaus, noch immer zehn Neuproduktionen pro Spielzeit herauszubringen, betonte Intendant Jens-Daniel Herzog im Anschluss an die Premiere. Im Vergleich zu den fünf Premieren des Essener Aalto-Theaters klingt das zunächst imposant. Ob die schiere Quantität wirklich einen Ausweg aus der Krise bietet und ob sich diese Vielzahl auf Dauer stemmen lässt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Gerüchte besagen, dass Dortmunds Stadtväter in der kommenden Opernsaison weitere Einsparungen in Höhe von 750.000 Euro verlangen werden.

(Informationen zum Stück: http://www.theaterdo.de/detail/event/1835/)