Die Hauruck-Metropole gibt sich die Ehre: „Stadt der Städte“ – eine neue Image-Kampagne fürs Ruhrgebiet

Da wird der steinreiche Chinese aber staunen und womöglich gleich ein paar Dutzend Milliönchen im „Pott“ investieren. Denn siehe da: Das Ruhrgebiet hat eine neue Werbekampagne mit dem fulminanten Slogan „Stadt der Städte“. Da staunt auch ihr, nicht wahr?

Blick von oben: Bildmotiv der neuen Revier-Kampagne. (© Regionalverband Ruhr/Kai-Uwe Gundlach)

Blick von oben: Bildmotiv der neuen Revier-Kampagne. (© Regionalverband Ruhr/Kai-Uwe Gundlach)

Natürlich haben sich böse, böse Menschen im Netz gleich darüber lustig gemacht. Nun gut: „Stadt der Städte“ hört sich ja auch mal wieder – wie das bei Revierkampagnen öfter mal der Fall ist – etwas geschwollen an; ganz so, als gebe es nichts Größeres auf Erden.

Tja, wer kann sich schon mit uns vergleichen? Frech bis anmaßend tritt die im Auftrag des Regionalverbands Ruhr (RVR) entstandene Kampagne auf und fordert Metropolen wie New York ausdrücklich heraus. Da möchte man am liebsten mit Frank Goosens lakonischem Klassiker „Woanders is‘ auch scheiße“ dagegenhalten. Runterkommen statt abheben.

Formel des Wunschdenkens

Mit sanfter Gewalt sollen die 53 Kommunen in ein begriffliches Korsett gezwängt werden, auch das ist ein altbekannter Impuls. Die Formel „Fünf Mio. Menschen, 53 Städte, 1 Metropole.“ steht – trotz stimmiger Zahlen in den ersten beiden Teilaussagen – irgendwie windschief in der Landschaft, sie zeugt von Wunschdenken. Selbst die WAZ, als publizistischer Platzhirsch sonst für jede Hauruck-Vereinigung des Ruhrgebiets zu haben, sieht sich in der heutigen Ausgabe zu einem „Pro & Contra“ zweier Redakteure genötigt, bei dem zumindest ein wenig Skepsis durchschimmert.

Vor Jahr und Tag wollte das Blatt partout der ganzen Gegend den Namen „Ruhrstadt“ aufdrängen – vergebens. Welcher Bewohner, der bei Trost und kein RVR-Funktionär ist, würde im Alltag von der „Ruhrstadt“ oder auch nur von der „Metropole Ruhr“ reden? Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Übergreifende Projekte wie Emscher-Renaturierung und Fahrrad-Autobahn sind selbstverständlich manche Anstrengung wert. Aber Gemeinsamkeiten müssen erst einmal wachsen und nicht herbeigefaselt werden. Und wir reden hier längst nicht mehr von Stahl- und Bergbaugeschichte.

Zehn Millionen Euro im Werbetopf

Satte zehn Millionen Euro, die vorerst in drei Jahren verpulvert werden sollen, kostet der neue Kampagnen-Spaß, der die Region als besonders innovativ und dynamisch darstellen soll. Über den Auftrag durften sich zwei Werbeagenturen aus Essen und Hamburg freuen. Das Wort „Werbefuzzis“ verkneifen wir uns. Für die eine oder andere Flasche Champagner dürfte es jedenfalls gereicht haben. Nur für Fernsehspots langt das Geld nicht. Statt dessen will man die frohe Botschaft vom modernen Revier vorwiegend in Zeitungsanzeigen und im Internet verbreiten. Gemeine Frage: Was könnte man mit zehn Millionen Euro sonst noch anfangen?

Der Slogan „Stadt der Städte“ (siehe P.S. im Nachspann) zielt, wie schon angedeutet, besonders auf potente Investoren aus aller Welt. Global tritt man als „City of Cities“ auf. Was sie wohl in New York, Shanghai, Tokyo, Bombay oder Rio dazu sagen werden? Und ob sich Investoren durch Slogans locken lassen oder ob sie auf handfeste Kennzahlen achten werden? Mal sehen.

Starkes Stück und kochender Pott

Wir erinnern uns: Es ist beileibe nicht die erste Image-Kampagne fürs Ruhrgebiet. 1985 hieß es „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“, ab 1998 folgte „Der Pott kocht“. Zwischendurch gab es auch schon mal völlige Rohrkrepierer. Es wäre interessant zu erfahren, was all diese Bemühungen in den Köpfen tatsächlich bewirkt haben. Ja, is klar, das kann man nicht messen.

Apropos Kampagne. Jüngst hat die WAZ mal wieder in ein solches Horn gestoßen und sie wird wohl nicht ruhen, bis die Sache so oder so durch ist. Nachdem das Weltereignis in diversen anderen deutschen Städten keine Chance hatte, will die Zeitung darauf dringen, Olympische Spiele ins Revier zu holen. Abgesehen davon, dass es oft reichlich dubiose Wege sind, auf denen man an solche Veranstaltungen gelangt (ich will nichts gesagt haben), blendet man auch sonst alle möglichen Begleiterscheinungen (von Doping bis Terror) aus und malt lieber schon jetzt die schönsten Bilder etwa von neuen Verkehrswegen, auf denen nicht nur die Jugend der Welt durchs Ruhrgebiet gleiten soll.

______________________________________________________________

P.S.: Durch einen mit entsprechenden Links versehenen Newsletter des Journalistenbüros correctiv.org werde ich gerade darauf aufmerksam, dass „Stadt der Städte“ nicht einmal neu ist. Der wahrlich nicht ganz unbekannte Werbemann Michael Schirner hat den Slogan 1996 ausgerechnet für die WAZ verwendet (© Schirner Zang Institute of Art and Media GmbH), auch die WAZ selbst erinnert daran. Gutes kommt eben wieder…




Kultur soll die Städte retten – 28 NRW-Kommunen starteten Kampagne „Kultur 90″ mit Expertenanhörung

Von Bernd Berke

Essen. Die 90er Jahre könnten, wenn nicht rechtzeitig und entschlossen gegengesteuert wird, unerquicklich werden: Immer mehr Technik, immer mehr Umweltgifte, immer mehr Fernsehkanäle – und immer weniger Arbeitsplätze.

Vor diesem düsteren Szenario wollen sich unter anderem jene 28 NRW-Städte zwischen Aachen und Bielefeld retten, die sich gestern bei einem Hearing (Anhörung) auf dem Essener Messegelände von Experten – mehrheitlich Professoren verschiedenster Fachrichtungen – den Ist-Zustand erläutern und Zukunftsperspektiven abstecken ließen.

Die erhofften Retterinnen“ vor den kommenden Übeln sinnentleerter Freizeit und bedenkenlosen Konsums heißen „Kultur“ und „Kreativität“. So firmierte das gestrige Hearing denn auch unter dem Motto „Kultur 90″. Es war der Auftakt zu einer Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen in den beteiligten Städten, von denen man sich eine Beispielsammlung für künftige Kulturarbeit erhofft. 1987 sollen die Ergebnisse der Kultur-Kampagne bei einer weiteren Anhörung in Essen ausgewertet werden.

Die in ihrem Umfang wohl beispiellose (wenn auch bislang zwangsläufig wenig konkretisierte) Unternehmung, die vom in Wuppertal ansässigen Kultursekretariat koordiniert wird, fährt sozusagen zweigleisig: Einerseits soll mit wissenschaftlicher Rückendeckung den kommunalen Entscheidungsträgern die Dringlichkeit höherer Kulturetats vor Augen geführt werden (zum Vergleich: in Frankfurt sind derzeit rund 11 Prozent des Stadtsäckels für Kultur bestimmt, im Revier zwischen 2,8 und 4,6 Prozent).

Neben der finanziellen Ausweitung des Sektors soll überhaupt der ganze Kulturbegriff erweitert werden: Nicht nur „Repräsentations“- und „Alternativ“-Kultur spielen da eine Rolle, sondern es sollen z. B. auch kulturträchtige Aspekte von Umwelt, Spiel, Sport und Gesundheit ebenso einbezogen werden wie Medien, Technik, Wirtschaft(sförderung), Mäzenatentum und Vereinswesen.

Die einzelnen Themen (Muster: „Kultur & Technik“, „Kultur & Jugend“ usw.) wurden mittlerweile auf die Städte verteilt, deren Kulturämter bei der Auswahl mitwir,kten. BeispieIe: In Dortmund soll man sich vorrangig ums Generalthema „Kultur & Alltag“ kümmern, Unna zeichnet für „Kultur & Kleinstadt“ verantwortlich, Hagen widmet sich dem Bereich „Kultur & Spiel, Sport“, Siegen hat sich „Kultur & Freie Gruppen“ ausgesucht, Witten erkundet Zusammenhänge zwischen „Kultur & Gesundheit“, in Köln sollen Wechselwirkungen zwischen „Kultur & Geld“ dingfest gemacht werden, Bochum sondiert unterdessen das verwandte Thema „Kultur & Wirtschaft“.

Einstweilen liegen nur grobe Leitlinien, aber keine detaillierten Pläne für einzelne Veranstaltungen vor, die diesen Erkundungen dienlich sein sollen. Auch die Finanzierung des Großprojekts ist noch nicht ganz geklärt. Ratsentscheidungen in den einzelnen Städten sind abzuwarten. Das Wuppertaler Kultursekretariat wird gewiß sein Scherflein beisteuern, außerdem will man bei bestimmten Themen die einschlägigen Landesministerien ansprechen.

Ein Kraftakt also, von dem man allerdings nur in Umrissen weiß, wie er sich entwickelt. Dr. Karl Richter, Leiter des Kultursekretariats, bemühte denn auch den Begriff der „Utopie“: Man befinde sich nun „im Vorfeld der Möglichkeiten“. Schon jetzt aber müßten die Kommunen begreifen, daß die Kultur „ins Zentrum der Politik rücken“ müsse.