Die Musik der Farben – Bildertausch auf Zeit: Köln zeigt Werke der Gruppe „Blauer Reiter“ aus München

Von Bernd Berke

Köln. Der Presseandrang war gestern nicht ganz so groß, als hätten Bayern München und der 1.FC Köln ihre Kicker ausgetauscht. Doch ein hochkarätiger Bilderwechsel zwischen den beiden Metropolen beschäftigt die Szene schon seit Wochen. Geradezu atemlos wurde jeweils vermeidet, welche Kunstschätze wann, wie, wo und warum auf die Reise gingen.

Nun ist es so weit: Fast 1000 Werke von Pablo Picasso hängen (aus Beständen des Kölner Ludwig Museums kommend) im Münchner Lenbachhaus. Und 65 sonst in München verwahrte Gemälde der legendären Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ sind am Rhein zu sehen. Die Debatte wird nicht so bald verstummen: Offenbart der bloße Tausch schiere Ratlosigkeit, oder ist er kulturpolitisch beispielhaft?

Luftiger präsentiert als am angestammten Ort

Vergleicht man lediglich die Anzahl der Exponate, so muss man argwöhnen: Die Münchner haben die Kölner über den Tisch gezogen, fast wie beim Fingerhakeln. Doch zum Picasso-Konvolut zählen etliche kleinere Papierarbeiten, und außerdem kann man ästhetische Dinge ohnehin nicht aufrechnen.

Was also bietet Köln? Einen ordentlichen Querschnitt durch die Münchner Kollektion. Nicht jeder hiesige Kunstfreund fährt alleweil an die Isar. Was dort an farbigen Wänden hängt, wird in Köln auf keuschem Weiß und mit größeren Zwischenabständen präsentiert. Man kann sich also mehr aufs Einzelwerk konzentrieren als am angestammten Ort.

Such nach dem „Geistigen in der Kunst“

Den größten „Auftritt“ hat Wassily Kandinsky, doch auch Franz Marc, August Macke, Alexej Jawlensky und Gabriele Münter sind prominent vertreten. Münter war es, die 1957 dem Lenbachhaus ihren privaten Kunstbesitz vermachte – bis heute der Löwenanteil der Sammlung.

Die Gruppierung „Blauer Reiter“ war in Bayern verankert. 1908 zogen Kandinsky und seine Gefährtin Gabriele Münter nach Murnau ins Voralpenland. Jawlensky und seine Freundin Marianne von Werefkin gesellten sich hinzu. Kandinsky wurde zur nervös treibenden Kraft bei der Suche nach dem „Geistigen in der Kunst“. Freischwebend wie Musik sollten Farben „erklingen“.

1911 gab es die erste gemeinsame Ausstellung. Als Kandinsky sich 1914 von Munter trennte, zerfiel die Gruppe schon. Auch künstlerisch hatte man sich verschieden entwickelt.

Die stille Sensation ist Gabriele Münter

Bei Kandinsky kann man den Weg von russischen Folklore-Anklängen bis in die Abstraktion verfolgen. Von Marc sieht man postkartenberühmte, kristalline Tierbilder („Der Tiger“), von Jawlensky grelle, dann meditative Köpfe, von Macke jene anmutigen Szenen im Zoo und vorm Hutgeschäft.

Die stille Sensation aber ist: Gabriele Münter! Ihr Gestus bleibt bei allem Neuerungswillen unaufdringlich. Ihre Bilder sind psychologisch durchtränkt und inniglich dingfromm. Keine brachiale, sondern eine sanftmütig lächelnde Avantgarde.

Museum Ludwig, Köln. 13. März bis 27. Juni. Di bis Do und Sa/So 10-18, Fr 11-18 Uhr. Katalog 31 Euro.

 




Wenn die kulturelle Mischung stimmt – Wuppertaler Ausstellung „Russisch Paris“ häuft Beispiele für internationalen Einfluss an

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wenn zwei Kulturen aufeinandertreffen, so können sich die schönsten und buntesten Mischformen ergeben. Das gilt nicht nur unter lebendigen Menschen, sondern auch auf dem Felde der Malerei: „Russisch Paris“ heißt die neue Wuppertaler Ausstellung, die schon im Titel eine neue „Legierung“ schimmern lässt.

Gemeint ist der Einfluss russischer Künstler in der französischen Metropole, welche wiederum die Neubürger prägte. Die Schau erfasst den langen, wechselvollen Zeitraum zwischen 1930 und 1960. Vor allem aus politischen Gründen gab es seinerzeit etliche russische Einwanderungswellen in Paris.

Flucht vor Stalin an die Seine

In den 1930er Jahren lebten über 80 000 Russen an der Seine – darunter zahllose Maler, Bildhauer und Komponisten. Eine kreative Kolonie also. Sie kamen, als der stalinistische Terror tobte, als in der Sowjetunion nur noch „realistisch“ dienstbare Kunst im Sinne des Systems geduldet wurde.

Die selbstbewussten Franzosen haben den ästhetischen Zuwachs lange geflissentlich ignoriert und ihn später als eine erste „Ecole de Paris“ (Pariser Schule) flugs vereinnahmt. So geht’s auch.

Wuppertal ist einzige deutsche Station der mit über 270 Arbeiten sehr umfangreichen Auswahl, die noch nach Bordeaux (aber nicht nach Paris) wandert. Zusammengestellt als Beitrag zu den 300-Jahr-Feiern in St. Petersburg, stammen die Bilder und Skulpturen vor allem aus dem dortigen Staatlichen Russischen Museum. Heute ist man dort also stolz auf Namen wie Kandinsky, Chagall, Gontscharowa, Archipenko, Lipchitz, Poliakoff oder Zadkine; und auf Künstler, die bei uns noch zu „entdecken“ wären, wie z. B. Boris D. Grigorieff. Manchen merkt man die Herkunft nicht namentlich an: Auch die ruhmreiche Sonia Delauney, Schöpferin pulsierender Farbrhythmen, stammte aus Russland.

Sämtliche Exponate sind in Paris entstanden. Die Summe wirkt, trotz Kapitel-Gliederung, etwas diffus und wenig trennscharf. Katalog-Studium tut not.

„Freunde vom Montparnasse“

Fast alle Stilrichtungen sind im Mix der Ungleichzeitigkeiten vertreten –von erzkonventioneller Abbildnerei bis zu entschiedener Avantgarde oder heftiger Provokation (Chaim Soutine: „Schweine“, 1941).

Besonders interessant wird es, wenn just neue Mischungen sichtbar werden, wenn also Russen die französisehen Traditionen oder Atmosphären aufgreifen und sie sich so anverwandeln, dass ein „Drittes“, wahrhaft Übernationales entsteht.

Die anfangs häufig spätimpressionistisch und aus touristischem Blickwinkel dargestellte Stadt wirkt eher fade. Wenn östliche Motiv- und Gefühlswerte einfließen, kann der Zauber walten. Fast eine Regel: Wer immer sich Paris allzu sehr ausgeliefert hat, verlor ebenso an Spannkraft wie alle, die nur auf dem Hergebrachten beharrten. Und die Ausnahme: Marc Chagall, der sich fern der Heimat treu blieb.

1962 malte Maria Marevna ein melancholisches Gruppenporträt zwischen Kubismus und Ikone: „Freunde vom Montparnasse“. Da war die große Zeit der Russen in Paris vorüber. Die Schwerpunkte der Weltkunst lagen bereits in New York.

10. August bis 26. Oktober. Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Eintritt 5 Euro, Katalog 29 Euro.




Als russische Malerei noch zur Avantgarde gehörte

Von Bernd Berke

Köln. Vergleiche drängen sich auf. Man glaubt fast jede Phase dessen wiederzuerkennen, was sich zu Beginn unseres Jahrhunderts in der westeuropäischen Kunst bewegt hat. Man steht aber vor Bildern russischer Künstler.

Daß diese – im Gegensatz zu heute – zwischen den 1890er Jahren und dem Vorabend der Russischen Revolution keinen Vergleich mit ihren französischen oder deutschen Zeitgenossen zu scheuen brauchten, zeigt die Ausstellung „Meisterwerke russischer Malerei“, die gestern von Botschafter Waldimir Semjonow in der Kölner Kunsthalle eröffnet wurde.

Während in einschlägigen Handbüchern die russische Kunst eher als Randphänomen abgehandelt wird, entsteht beim Betrachten der in Köln gezeigten 72 Werke von 34 Künstlern (darunter auch Chagall, Kandinsky, Malewitsch) eher der Eindruck eines intensiven, gesamteuropäischen Austauschs: Matisse und der Futurist Marinetti trugen 1911 und 1913 ihre Kunstauffassungen in Rußland vor, die russischen Künstler wiederum reisten häufig nach Westeuropa oder ließen sich (Kandinsky) sogar dort nieder.

Die in Köln gezeigten Bilder, ansonsten im „Staatlichen Russischen Museum“ (Leningrad) und der Tretjakow-Galerie (Moskau) zu sehen, repräsentieren nahezu sämtliche Strömungen der Klassischen Moderne – vom lichtflutenden Impressionismus bis hin zum Futurismus und zum Suprematismus, bei dem die russische Avantgarde sich mit Malewitsch sogar an die „Spitze“ der Moderne setzte.

Wahlverwandtschaften zuhauf: Natalia Gontscharowas „Bauern, Äpfel auflesend“ von 1911 erinnern in der monumentalen Figuration stark an Picasso-Bilder aus derselben Zeit, ihr „Radfahrer“ von 1913 entstand im Geiste des Futurismus. Qualitativ fällt dagegen Michail Wrubel, dem Vernehmen nach heute Lieblingsmaler der Sowjetbürger, ab.

Wie der Generaldirektor der Kölner Museen, Prof. Hugo Borger, mitteilte, findet der Austausch UdSSR – Köln mehrfache Fortsetzung. Zuerst wird ein Großteil der Bestände des Römisch-Germanischen Museums im Moskauer Puschkin-Museum und in der Leningrader „Eremitage“ gezeigt, gegen Ende des Jahres 1984 gehen Teile der Ludwig-Sammlung und 1985 Exponate des Wallraf-Richartz-Museums auf die Reise.

„Meisterwerke russischer Malerei“. Josef-HaubrichKunsthalle Köln, 7. Februar bis 25. März, geöffnet tägl. 10 bis 17 Uhr, di/fr 10 bis 20 Uhr, Katalog 16 DM.